Menschen sind soziale Wesen – aber wie gelingt es uns eigentlich, die Gefühle von anderen Menschen zu lesen und mitzuempfinden? Wahrscheinlich sind hierfür die sogenannten Spiegelneuronen in unserem Hirn zuständig, die automatisch eine Resonanz zu unserem Gegenüber herstellen.

In Resonanz

Wir lachen, gähnen, weinen und leiden miteinander – und das ganz automatisch. Wie können wir so intuitiv mitfühlen und verstehen, was in anderen Menschen vorgeht? Die Neurobiologie legt nahe, dass Empathie weit mehr ist als nur ein erlerntes soziales Verhalten. Die Erklärung für die sozialen Fähigkeiten des Menschen könnte in den sogenannten Spiegelneuronen liegen, einem weit verzweigten System von speziellen Nervenzellen in unserem Gehirn.

Das Besondere an diesen Zellen: Sie sind eine Art soziales Resonanzsystem. Sie werden durch das Beobachten der Mimik und Gestik anderer Menschen aktiviert und rufen spiegelbildlich die Gefühle oder Körperzustände des anderen in uns wach – so, als wären es unsere eigenen. Ob wir Gefühle bei anderen nur beobachten, oder sie selbst fühlen, ist für Spiegelneurone dabei offenbar ein und dasselbe. Sie imitieren den Zustand unseres Gegenübers und lassen uns so von innen verstehen, was in ihm oder ihr vorgeht.

Gefühle sind dadurch also sozusagen ansteckend: Egal ob jemand uns anlächelt, oder wir beobachten, wie sich jemand beim Kochen in den Finger schneidet – wir können gar nicht anders, als mitzufühlen.

Aber auch Handlungen und Motive können mitempfunden und vorausgesagt werden, denn Spiegelneuronen lassen uns ahnen, was andere Menschen als nächstes tun werden und auch warum. Und sie helfen uns in der Kindheit, Bewegungen von anderen abzuschauen und zu imitieren und spielen damit eine zentrale Rolle bei vielen Lernvorgängen.

 

 

Spektakulärer Zufallstreffer

Die Spiegelneuronen wurden 1996 durch Zufall bei Affen entdeckt. Ein ziemlich sensationeller Zufallstreffer, denn endlich gab es eine wissenschaftliche Erklärung für Phänomene wie Intuition und Empathie. Aber auch für eine Reihe anderer Dinge. So sind viele Autisten zum Beispiel nicht in der Lage festzustellen, ob ihr Gegenüber freundlich, wütend oder traurig ist – und wie sich herausgestellt hat, sind bei ihnen die Spiegelneuronen nur wenig aktiv.

Zwar sind die Spiegelneuronen von Geburt an vorhanden, voll ausgebildet sind sie aber erst zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr – dann erst beginnen Kinder auch wirklich Mitgefühl zu zeigen, und fangen plötzlich an, ihre Eltern zu trösten oder den Schmerz anderer Kinder nachzuvollziehen.

Für die Entwicklung der Spiegelneurone brauchen wir ein Gegenüber und die soziale Interaktion, denn das Netzwerk muss wie alles im Hirn trainiert und geschult werden. Wie sich herausgestellt hat, kann Empathie anscheinend auch verlernt werden. Zwar ist der Vorgang des Spiegelns selbst unbewusst und kann nicht verhindert werden, die entsprechenden Informationen und insbesondere auch die Reaktionen können jedoch durch den Verstand unterdrückt werden – wodurch die Fähigkeit schließlich verkümmert.

Lernen durch Spiegeln

Die Entdeckung der Spiegelneuronen hat weitreichende Konsequenzen. Nicht nur beweist sie, dass wir Menschen schon biologisch ganz wesentlich mitfühlende Wesen sind. Sie verdeutlicht auch noch einmal, wie sehr unsere sozialen Erfahrungen uns prägen.

Alle Erfahrungen und Eindrücke, die wir im Laufe unseres Lebens haben, werden vom Gehirn auch in biologische Signale verwandelt, die zu neuen Nervenverschaltungen im Gehirn führen und Einfluss auf den gesamten Körper haben. Durch die Spiegelneurone könnten sogar die Erfahrungen anderer Menschen solche Effekte haben, denn das Gehirn unterscheidet kaum zwischen unseren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen oder Beobachtungen. Aus diesem Grund sind einige Forscher der Ansicht, dass das Ansehen gewalttätiger Filme oder das Spielen von Computerspielen vielleicht größeren Einfluss auf Geist und Körper haben könnte, als wir derzeit denken.

Aber die Entdeckung der Spiegelneurone führte auch zu ganz praktischen Erkenntnissen. So fand man beispielsweise heraus, dass die Körper von gelähmten Menschen Bewegungen allein durch das Beobachten wieder erlernen können. Und auch für das Verständnis des kindlichen Lernens brachte die Entdeckung viele neue Impulse.

Mitschwingen

Die Erkenntnis, dass wir automatisch zu allem in Resonanz gehen, was wir wahrnehmen, könnte uns Anstoß geben, mal zu überdenken, mit was wir unsere Zeit verbringen und mit welchen Menschen. Und sicher ist auch, dass wir in unserer Gesellschaft, in der ein gutes Maß an Verschlossenheit zur Überlebensstrategie gehört, sicherlich weit unter unseren Möglichkeiten leben.

Die Fähigkeit, uns tief in unser Gegenüber hineinzufühlen und sie oder ihn wirklich zu spüren und von innen heraus zu verstehen, schlummert ziemlich sicher in uns allen. Wie würde wohl eine Gesellschaft aussehen, in der wir alle füreinander völlig transparent sind?

 

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Über den Autor

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schreibt für Sein.de und seinen eigenen Blog den-weg-gehen.de. Er wohnt mit seiner Partnerin und seinen zwei Töchtern im Wendland und arbeitet als freier Autor und Coach.

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