Sterben und Loslassen – über den Umgang mit Sterblichkeit, Tod und sterbenden Menschen. Wie die Auseinandersetzung mit dem Tod unser Leben bereichern kann.

November – Zeit der Besinnung

Der November naht und mit ihm die Themen Rückzug, Besinnen und Loslassen. Dieser Monat gibt uns Menschen den Raum und die Zeit, sich mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem immerwährenden Kreislauf von Geburt und Sterben auseinanderzusetzen. Und damit kann er eine wahre Goldgrube sein, denn im nächsten Monat Dezember folgen dann die Rauhnächte, in der die seelischen Ziele und Themen für das neue Jahr mit gesetzt werden.

Das Sterben gehört wie die Geburt zu den zwei Toren im Leben eines jeden Menschen, an denen der Mensch Zugang zu einer anderen Dimension hat. Besonders die Auseinandersetzung mit dem Sterbeprozess bietet die Chance zu wertvollen Einsichten, die sich tiefgreifend auf Werte und Einstellungen auswirken können.

Es ist ein Besinnen auf grundlegende Fragen wie:

  • Welche Ziele verfolge ich in meinem Leben und was davon hat Bestand?
  • Wie ist meine Einstellung zum Leben?
  • Was macht mein Leben wirklich lebenswert?
  • Was erfüllt mich bzw. was lässt mich am Ende meines Lebens erfüllt zurückblicken?

Dieses Besinnen bietet jedem die große Chance, das zu sehen, was ihn oder sie wirklich im Leben erfüllt.
Mit diesem Blick können für das neue Jahr ganz andere Ziele gesetzt und angegangen werden, so dass es wirklich ein glückliches und erfüllendes neues Jahr werden kann.

 

Der Umgang mit Tod und Sterben

Während in vielen anderen Kulturen das Wissen um die seelischen Bedürfnisse Sterbender noch lebendig ist und mit Ritualen und lebendigen Traditionen aufgefangen wird, werden bei uns und in den meisten industrialisierten Ländern Sterbende alleingelassen, oft vollgepumpt mit Medikamenten und voller Angst vor dem Tod. Viele sterben allein, ohne Angehörige.

Auch der Pflegenotstand, der dazu führt, dass die alten Menschen mehr schlecht als recht verwahrt statt betreut werden, ist Ausdruck bestimmter politischer und finanzieller Prioritätensetzungen. Und zeigt einmal mehr, wie gering in unserer Gesellschaft das Bewusstsein und die Achtung für die Prozesse am Lebensende ist.

Umso bitterer ist dies, wenn man bedenkt, dass in die Heimen jetzt die genau Generation abgeschoben wird, die nach dem Krieg das Land aus dem Trümmern wiederaufgebaut hat. Wie viele von diesen Menschen werden chemisch fixiert? Wie viele von ihnen landen in den höher bezahlten bettlägrigen Pflegestufen? Wie viele von ihnen sterben allein und unter unwürdigen Umständen?

Und es sind nicht nur die alten Menschen, die dabei verlieren. Auch wir verlieren mit dieser Prioritätensetzung genauso die Chance, :

  • diese Phase des Übergangs (und der Läuterung) mitzuerleben
  • Liebe zu zeigen und zu geben
  • Ungeklärtes und Unausgesprochenes zu bereinigen
  • zu klären und zu vergeben
  • die tiefgreifende Heilwirkung zu erfahren, wenn Familienmitglieder endlich Frieden schließen
  • mitzuerleben, wie ein Mensch sich verändert, wenn er sich auf die Reise in die nächste Dimension macht
  • mitzuerleben, wenn ein Mensch Lebensrückschau hält
  • zu erfahren, wie er an der Schwelle rückwirkend sein Leben sieht und evtl. bewertet
  • zu erfahren, was er gut findet und was er evtl. bereut bzw. anders machen würde
  • daraus für unser Leben zu lernen, wir, die wir noch Zeit haben, die Dinge zu verändern

 

Memento Mori – Sterben, Tod und Vergänglichkeit

Vielleicht lässt sich dies vergleichen mit Kurz- und Weitsichtigkeit. Wenn man nur dem Unmittelbare verhaftet bleibt, fehlt der Blick für das, was über die Zeit hinaus Bestand hat und wichtig ist.

Unsere Vorfahren wussten dies noch. Die alten Kunstsammlungen sind voller „Memento Mori“ (Bedenke, dass du sterblich bist!) – Gemälde, die mit leeren Weingläsern, Stundengläsern, Sanduhren, Blumen, erloschenen Kerzen, faulendenden Früchten oder Sensen, Sicheln, Totengebeinen, Trauerweiden an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnen. Und damit an die Frage nach eitlem Tun und dem, was wirklich wichtig ist, erinnern.

Wenn wir dereinst einmal sterben werden, müssen auch wir alles zurücklassen. Nur eines werden wir wie alle Menschen vor uns und alle Menschen nach uns mit hinüber in die andere Dimension nehmen: unsere Gefühle. Das heißt, sowohl die schönen und bereichernden Gefühle als auch all das Unerledigte wie Hass, Groll, Verbitterung, Verzweiflung, Schmerz, Scham, Schuld usw.

Deshalb ist es Sterbenden am Totenbett noch einmal so wichtig, ihre Angehörigen sprechen zu können. Sie möchten die Lasten auflösen, an denen sie sonst auch in der jenseitigen Welt schwer tragen würden.

Auf dieses Bedürfnis, sich der Lasten, die noch losgelassen werden können, zeigt beispielsweise folgende Meldung:
Im Jahr 2008 verfügte ein sterbender kolumbianischer Drogenboss, dass das unter ihm zusammengeraffte Geld den Bewohnern des Armenviertels in die Briefkästen gesteckt werden solle.

In Deutschland bestehen die unaufgelösten Lasten in vielen Familien neben den Folgen der fehlenden Toten- bzw. Sterbekultur, die die seelischen Bedürfnisse ernst nimmt, besonders durch die Belastungen und Traumatisierungen des I. und II. Weltkrieges.

In der Arbeit mit den Familiensystemen zeigt sich immer wieder, dass es vielen Verstorbenen/ Toten nicht gut geht. Sei es, dass sie sich nicht gesehen oder gewürdigt fühlen, sei es sie sehr unvorbereitet gestorben sind, mit ihrem Tod nicht einverstanden waren, hadern, durch Schuld und Scham gebunden sind oder anderweitig festhalten, leugnen oder sich verloren fühlen.

 

Verschüttetes Wissen um Sterben und Tod

Deshalb wird es im November, zu Allerseelen, zum Volkstrauertag und zum Totensonntag drei Seminare geben, die sich mit dem in unserer Kultur weitgehend verschüttetem Wissen um die seelischen Vorgänge bei Sterbeprozessen und den ihnen innewohnenden Zugang zu einem höheren Wissen beschäftigen: was Sterbenden wichtig ist, wie sich diese Sterbeprozesse auf seelischer Ebene vollziehen, wie Seele und Körper zusammenspielen, welche Rolle der Silberschnur spielt, was sich an der Schwelle ohne Wiederkehr vollzieht, Lebensrückschau, Lebensaufgaben und vieles andere mehr.

Ebenso um den Umgang mit bereits verstorbenen Angehörigen, bei deren Tod viele Dinge ungesagt und ungeklärt geblieben sind. Sie erfahren vor allem auch, wie sich über die Arbeit mit Verstorbenen transgenerationale Belastungen auflösen lassen. Sowohl im individuellen als auch im kollektiven Rahmen. Die seelische Arbeit mit den Verstorbenen bringt großen Frieden und erweist sich als sehr heilsam für die Jetzt-Lebenden als auch die Städte und Landschaften.

 

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Bilder: Alter Mann auf dem Totenbett – Gustav Klimt; Memento Mori – Simon van der Passe

 

4 Responses

  1. Guido V.

    Passend zum Thema und vielleicht mal etwas über gewohnte Grenzen hinausgedacht:

    http://faszinationmensch.com/2014/02/10/vom-bewusstsein-des-sterbens-und-der-bewusstwerdung-des-sterbenlassens/

    Liebe Grüße

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  2. Markus

    Was ist denn Sterben wirklich ? Nun der Körper, das physische geht. Aber die Angst die man doch hat , ist doch weil wir an unseren Erinnerungen, Status, Titel usw festhalten und das alles nicht loslassen wollen.
    Wie Krishnamurti es wunderbar formulierte, wir müssen jeden Tag unseren Erinnerungen sterben. Jeden Tag alles wieder loslassen, jeden neuen Tag frisch beginnen, dann ist der Tod immer da. Weil wir aber so an unseren Erinnerungen haften, ständig mit der Vergangenheit so stark identifiziert sind, leiden wir so extrem wenn wir wissen wir müssen gehen.
    Leider lernt hier niemand etwas darüber, unsere ganze Erziehung, das Bildungssystem trichtert uns nur ein, das wir etwas SEIN müssen. Wir sind ständig im Kampf… Wir müssen Verstehen bis in die tiefste Zelle, wie Leid entsteht, im Gegensatz zu allem zu versuchen dem Sterben zu entgehen…

    Antworten
  3. Astrid Grözinger

    Sehr geehrte Frau Luederitz,
    als langjährige Pflegefachkraft Altenpflege-Gerontopsychiatrie, hat mich Ihr Artikel unendlich tief berührt, er spricht mir direkt aus dem Herzen.

    Aber, wer macht sich Gedanken über das Alter, den Tod und das Sterben.
    Die Kirche hat uns über Jahrhunderte hinweg mit falschen Argumenten und Drohungen manipuliert und diese Angst sitzt uns in jeder Zelle des Bewußtseins.
    Nur wenige Menschen haben sich damit beschäftigt und sich entsprechen informiert. In 25 Jahren Pflegtätigkeit traf ich kaum einen alten Menschen mit einem offenen Verhältnis zu diesem Thema.
    Vielleicht öffnet dieser Artikel unsere Herzen und den Verstand, denn es kann spannend werden, was sich so alles ergeben könnte.
    Es würde das komplette Menschenbild und den Pflegeablauf verändern und den Einzelnen mehr in die Verantwortung für sein Leben einbinden.
    Den Pflegekräften erspart es ein schlechtes Gewissen und verbessert ihre Psychohygiene. Es ist schmerzlich, wenn etwaige Hilfestellungen ignoriert oder aber generell abgelehnt werden, weil; der Pfarrer hat gesagt….?
    Fast alle alten Menschen haben größte Angst sich von ungeweinten Tränen zu erlösen und uns belastet dieses FASTNIXTUNKÖNNEN extrem.
    Ihr Artikel ist zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung.

    Herzlichen Dank und ein Frohes Neues Jahr 2014
    Astrid Grözinger
    Aradeo/Lecce

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