Homöopathische Antworten am Puls der Zeit

von Werner Baumeister

 

Mit Syphilinum aus der Ohnmacht in die Handlungsfähigkeit –
das Opfer im Inneren befreien und die eigene Täterschaft anerkennen

Donnerstag, 30. April 2020. Tag 2 der Maskenpflicht. Seit gestern ist der kollektive Maulkorb in der Bevölkerung angekommen. Als kollektive Signatur finde ich das geradezu genial für meinen Artikel, um homöopathisch den Schritt von Carcinosinum, der Brustkrebsnosode (Sein 2/20), zu Luesinum, der Syphilisnosode (hergestellt aus dem Abstrich eines Syphilisgeschwürs), zu verdeutlichen. Nach meinem ersten größeren Einkauf mit Maske heute Morgen packt mich, zuhause angekommen, eine solch ohnmächtige Wut, dass man mir diese Maske vor die Fresse packt, diesen Maulkorb verpasst, dass ich erstmal meinen Ventilator in die Ecke schmeißen musste.

Masken – der Verzicht auf die eigene Identität

Sicherlich keine optimale Reaktion, aber zumindest bemerke ich, wie viele andere auch, einen heftigen Widerstand gegen diese umstrittene Freiheitsberaubung. Was mich aber wirklich wundert, ist, wie viele Menschen jetzt rumlaufen, als hätten sie ihr Leben lang auf diese Maske gewartet, und dass sie diese selbst in den sinnbefreitesten Situationen (wie während des Fahrens allein im eigenen Auto) am liebsten gar nicht mehr abnehmen möchten. Ohne das werten zu wollen, drängt sich mir bei diesem Anblick geradezu das Arzneiprofil von Carcinosinum auf, das bei Menschen anzutreffen ist, die schon früh in der Kindheit lernen mussten, so etwas wie die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit zu unterdrücken.

Der Verzicht auf eine eigene Identität – das ist das Thema der Brustkrebsnosode. Viele Menschen in ihrem carcinosinen Profil, die permanent Maske tragen, bemerken daher überhaupt keine Unterdrückung. Es entsteht erst gar kein Leidensdruck, da sie über Jahrzehnte eigentlich immer schon gelernt haben, ihre eigene Persönlichkeitsentfaltung zurückzustellen oder ganz darauf zu verzichten. Deshalb hat diese Maske einen so unglaublich hohen Symbolwert, kann geradezu zu einem therapeutischen Erkenntnis-Werkzeug werden (wenn man bereit dazu ist). Weil unser Gesicht ja gerade das ist, was unsere Individualität am stärksten ausdrückt. Genau das verdecken zu müssen, löst anscheinend bei den Menschen ganz unterschiedliche Reaktionen bis gar keine hervor, und das finde ich sehr aufschlussreich.

Die Coronakrise ist eine Geburtserfahrung

Für viele Menschen ist die aktuelle Coronakrise eine traumatische Erfahrung. Solche Kernerfahrungen vergleicht der amerikanische Psychiater Stanislav Grof mit den Stationen unseres Geburtsprozesses, und auch hier gibt es den Schritt vom ohnmächtigen Opfer ohne Ausweg zum Krieger, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten um sein Leben kämpft. Nach Grof wird mit zunehmender Intensität der Wehen der einst so sichere Mutterleib zu einer bedrohlichen Falle. Solange sich der Geburtskanal nicht öffnet, scheint es keinen Ausweg zu geben, sondern nur schier endlose Kontraktionen.

Angesichts der Leiden ohne Aussicht auf Besserung scheint es sinnlos zu kämpfen. Man erlebt sich als machtloses Opfer, unfähig, selbst eine Änderung herbeizuführen. So beschreibt Stanislav Grof die zweite Phase unserer Geburt. Wer sich im späteren Leben so fühlt, der ist homöopathisch ein Kandidat für Carcinosinum. Ich habe den Eindruck, Phase II der Geburt hat viel Ähnlichkeit mit der aktuellen Coronakrise. Viele meiner Klienten der letzten Wochen fühlen sich wie gelähmt, haben das Gefühl, machtlos zu sein, und sehen ihren ganz eigenen Weg raus aus dieser Situation nicht.

Mit Geburtsphase III, der langsamen Öffnung des Muttermundes und dem Eintritt in den Geburtskanal, entsteht jedoch Hoffnung durch ein Licht am Ende des Tunnels. Die Passage des Geburtskanals wird zwar zu einem Kampf auf Leben und Tod. Aber jetzt existiert etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt, nämlich die Wahrnehmung eines Auswegs! Wir verlassen die Rolle des hilflosen Opfers und kämpfen uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den Weg nach draußen frei. Zu kämpfen, also selbst die Möglichkeit zur Veränderung zu erschaffen, und dabei vielleicht zu sterben, ist auf jeden Fall besser, als passiv und depressiv endlos weiter Qualen erleiden zu müssen. Genau diese Bereitschaft setzt die homöopathische Arznei Syphilinum in uns frei.

Syphilinum – Gesunde Gewaltbereitschaft

Das passt gut in eine Zeit, in der wir einerseits durch ein Virus mit der Möglichkeit unseres Todes direkt konfrontiert werden. Auch im Geburtskanal ist der Tod ganz nah und durchaus möglich. Andererseits brauchen wir aktuell – vielleicht erstmalig – den Mut, für unsere Freiheit einzustehen und für sie zu kämpfen. Unter Umständen müssen wir dafür jedes Risiko eingehen und sogar unser Leben aufs Spiel setzen. Korrespondierend streckt sich beim Geburtsvorgang das Baby aus seiner zusammengerollten Haltung und wird zum Homo erectus – Symbol für die Entwicklung unserer Selbstbehauptung.

Die Kraft von Syphilinum korrespondiert aber auch mit der hinduistischen Idee der Zerstörung als ein von der göttlichen Schöpfung untrennbares und notwendiges Element. Shiva ist der Gott der Zerstörung und Erneuerung. So gibt es ausgewählte Momente im Leben, die zum Erhalt der Freiheit und zum Schutz des Lebens eine gesunde Gewaltbereitschaft erfordern. Auch das ist für mich gesundes Syphilinum. Dabei geht es nicht grundsätzlich um tatsächliches gewalttätiges Tun. Ein gutes homöopathisches Beispiel ist in diesem Sinne die Kobra mit ihrem tödlichen Nervengift. Bei Bedrohung richtet sie sich auf und signalisiert dadurch: Einen Schritt weiter und du bist tot. Diese Bereitschaft macht sie zu einer der friedlichsten Schlangen überhaupt, denn ihre Tötungsbereitschaft verhindert so gut wie jeden Kampf!

Aus der Isolation ins Wir-Gefühl

Noch etwas ist nach Grof ganz entscheidend für uns in der Geburts-Austreibungsphase – und das ist die Synergie, das Zusammenwirken von Mutter und Kind. Das erinnert mich an das „Wir-Gefühl“, von dem jetzt unter Corona immer öfter die Rede ist. Syphilinum-Symptome wie exzessive Eigennützigkeit, ultimative Isolation und Feindseligkeit sowie die Wahnidee, von der Welt abgeschnitten zu sein und sich dem Leben nicht anvertrauen zu können, zeugen davon, dass diese Synergie während der Geburt nicht erreicht wurde. Die homöopathische Information Syphilinum hilft uns, diese uns innewohnende Lebensfeindlichkeit zu transformieren in Altruismus, Verantwortlichkeit und Liebe.

Mit Syphilinum vom mörderischen Kind zum Schöpfer des eigenen Lebens

Aus meiner Erfahrung legt homöopathisches Syphilinum drei Dinge in uns frei. Es bringt uns erstens in Kontakt mit unserem abgrundtiefen (Verlassenheits-)Schmerz und unglaublicher Angst. In jedem von uns gibt es das verlassene, verletzte „innere Kind“ mit diesem unglaublichen Schmerz. Syphilinum konfrontiert uns zweitens aber auch mit dem „mörderischen Kind“ in uns. Es entsteht, weil das Kind diesen abgrundtiefen Schmerz des Verlassenwordenseins verdrängen muss, da es damit einfach überfordert ist.

Die Energie, die ja nicht einfach so verschwindet, wandelt sich in mörderische Wut, so brutal von der Liebe verlassen worden zu sein, und mündet – wenn der Ausdruck der Wut nicht auch unterdrückt wird – in die syphilitische Zerstörungskraft. Genau hier liegt aber auch drittens unsere konstruktive Täterkraft verborgen – die erscheint, wenn die Zerstörungskraft geheilt ist – , nämlich der Schlüssel zu unserer Schöpferkraft, die es uns ermöglicht, das eigene Leben aktiv zu gestalten.

Die Befreiung des Täters in uns thematisiert den „Täter“ in zweifacher Hinsicht. Wir müssen im Sinne des Schattens den (Gewalt)Täter in uns befreien, indem wir ihn ansehen, um das Licht dieses Teils in uns zu befreien. Dieses Licht ist unsere schöpferischen Tatkraft. Hier sind wir Täter im Sinne eines lebensbejahenden Schöpfers. Syphilinum ist also beides – der Täter im negativen wie im positiven Sinne. Wer seinem inneren Mörder nicht begegnet ist, der findet auch nicht zum inneren Schöpfer, zur schöpferischen Tatkraft. Syphilinum zeigt, dass beides aus derselben Quelle kommt und eins nicht ohne das andere existiert.

Die Gewalt in unseren Familiensystemen

Ich erinnere mich nach der Einnahme von Syphilinum an eine Familienaufstellung, in der eine Frau ihre Ahnenreihe aufstellte und in die ich als Stellvertreter für ihren Urgroßvater gewählt wurde. Die Leiterin, bekannt für ihren guten Instinkt beim Erkennen der stärksten Energie in einem blockierten Familiensystem, forderte mich auf, in meine Wut zu gehen und diese rauszulassen. Ich stieß einen gewaltigen Schrei aus, aber sie provozierte weiter, weil sie darunter noch viel mehr vermutete. Die Wut, die mich dann erfasste, konnte ich nur noch körperlich durch einen Tritt in die Wand kanalisieren, was einen mehrere Zentimeter tiefen Fußabdruck hinterließ. Eine furchtbare Energie erfüllte den ganzen Raum.

Zuschauer rannten raus, manche fingen an zu weinen. In dieses Entsetzen hinein meldete sich die Frau, deren Familiensystem sich da gerade ausagierte, mit folgender Information zu Wort: Der Urgroßvater, für den ich da stand und dessen Wut ich stellvertretend ausagierte, hätte seine eigene Mutter mit einem Beil zerhackt. Abgesehen davon, dass ich in diesem Moment am liebsten im Erdboden versunken wäre, war das natürlich ein Riesengeschenk. Ich durfte durch diese Stellvertretung (die ja immer auch etwas mit dem zu tun hat, der als Stellvertreter aufgestellt wird) etwas ausleben, was neben aller Liebe für meine Mutter anscheinend auch existierte und gesehen werden wollte, was ich sonst aber nicht mal gewagt hätte, mir auch nur annähernd vorzustellen. Der „Mörder in mir“ ist im Grunde dieser Schmerz und diese Zerstörungswut des Kindes in mir, das sich in seinem So-Sein total zurückgewiesen fühlte.

Kurz gesagt: Der Mörder in uns ist das verletzte Kind in uns – und dem gilt es nachzuspüren im syphilitischen Entwicklungsprozess. Durch die Familienaufstellung bin ich mit dieser Energie ungewollt und für mich selber schockierend in Kontakt gekommen. Diese Energie schierer Zerstörungskraft und ungerichteter Wut, die kein Ziel außer der Zerstörung hat, zu integrieren und damit den Raum des traumatisierten Kindes zu befrieden, dieses homöopathische Potential hat Syphilinum. Es hilft, zu dieser zerstörerischen eigenen Energie vorzudringen und diese konsequent in Bewusstsein zu übersetzen, statt sie etwa über destruktive körperliche Prozesse darzustellen. Mit anderen Worten: Syphilinum ist homöopathische Bombenentschärfung.

Gehalten in der Liebe: unsere dunkle Seite

Syphilinum symbolisiert die tiefstmögliche Zerstörung/Selbstzerstörung (wenn die Zerstörung kein äußeres Ziel findet, beginnen wir mit dieser Energie uns selbst zu zerstören – siehe der Artikel „Das Ende des Leidens“ in SEIN 5/2017) und enthält dabei in sich – ähnlich wie das Ying-Yang-Zeichen – aber auch die tiefstmögliche Form von Liebe, denn nur diese tiefe Liebe kann einen Menschen mit dieser (Selbst)Zerstörungsenergie überhaupt am und im Leben halten. Syphilinum hilft uns auf dem Weg zu einer starken Persönlichkeit, unseren dunklen Seiten zu begegnen und den im eigenen Herzen wohnenden Gegensatz von Liebe und Hass zu bearbeiten, statt die Ursache unseres latenten und akuten Unglücklichseins in der Außenwelt zu suchen. So können wir irgendwann die in uns erwachten Kräfte und Qualitäten für das Wohl des Ganzen einsetzen, anstatt sie für die eigenen egoistischen Ziele zu nutzen und oft auch zu missbrauchen.

Die Welt aus dieser Perspektive wahrnehmen zu können, erfordert zuvor die Heilung unseres verborgenen Selbsthasses. Dies befähigt uns auch, im Leben Verantwortung zu übernehmen. Die Coronakrise wirft uns alle noch einmal in diesen Raum des traumatisierten, verlassenen und absolut ausgelieferten Kindes hinein, lässt uns den Horror des kleinen Kindes in uns noch einmal durchfühlen. Das gelähmte Kind, das sind wir. Wir sind zwar erwachsen, aber wir fühlen, handeln und sehen oft aus wie traumatisierte Kinder! Homöopathische Arzneien wie Syphilinum zeigen aber auch, dass eine Krise wie die aktuelle eine großartige Chance sein kann, diesen Raum nun endgültig zu verlassen, um lebendig, erwachsen und frei zu werden. Die Befreiung des Täters in uns ist letztendlich die Befreiung der Fähigkeit, unser Leben frei zu gestalten und das in uns angelegte schöpferisches Potential wirklich auch zu entfalten.

Hinweis:
Syphilinum ist in seiner homöopathischen Anwendung als Einzelmittel nicht geeignet. Erforderlich ist die Kombination mit Konstitutions- und Ausleitungsmitteln, die, zugeschnitten auf die aktuelle Lebenssituation, in einer professionellen Anamnese individuell ermittelt werden können.

 

Schlagworte (mit Links zu weiteren Artikeln von Werner Baumeister):
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Werner Baumeister

ist Arzt und bietet individuelle homöopathische Begleitung an.

30 Jahre Erfahrung in eigener Praxis in Berlin.

Einzeltermine nach Vereinbarung, Behandlungstermine zum Thema des Artikels jederzeit möglich.

Information zu aktuellen Workshops immer auf der Seite „Homöopathie am Puls der Zeit

(mit Themenregister) sowie unter Tel.: 0172 – 391 25 85 .

Oder Newsletter mit aktuellen Terminen abonnieren unter E-mail w.baumeister{at}gmx.net .

Die homöopathischen Arzneibilder von Werner Baumeister verstehen sich immer
auch als homöopathischer Spiegel aktuellen Zeitgeschehens.

Eine Antwort

  1. Bea
    Befehlsverweigerung

    Guten Tag Herr Baumeister,
    nach dem Lesen des 1. Absatzes fühle ich mich nun veranlasst Ihnen zu schreiben, als eine, die nie einen Maulkorb getragen hat.
    Diese Maskenpflicht ist von meinem Inneren derart abgelehnt worden, dass das Tragen einer Selbstvergewaltigung gleichgekommen wäre.
    Ich war felsenfest von der Richtigkeit meiner Verweigerung überzeugt und dies habe ich entsprechend nach Außen ausgestrahlt. Allein im Heer der Maskierten, das ist ein besonderes Erlebnis. Das Geschenk: es stärkt ungemein!
    Bei künftigen Übergriffen wäre es hilfreich auch nach Außen zu demonstrieren: mit mir NICHT!
    Beste Grüsse

    Antworten

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