Der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann bezeichnete seine Entdeckung – die psychoaktive Substanz LSD – oft als Sorgenkind. Kein Wunder: Im Laufe der Jahrzehnte versuchten die verschiedensten Gruppierungen, LSD für ihre Zwecke einzusetzen – nicht immer verantwortungsbewusst und menschenfreundlich. Gerade ist der Dokumentarfilm „The Substance“ in die Berliner Kinos gekommen. Regisseur Martin Witz versucht darin, der Wahrheit über eine der beeindruckendsten chemischen Substanzen auf die Spur zu kommen. Jörg Engelsing sprach mit dem Schweizer Filmemacher.

 

Wieso ein Film über eine Substanz, die vor fast 70 Jahren entdeckt wurde und die nun seit über 40 Jahren illegal ist?
Ich war bereits als junger Erwachsener fasziniert von LSD und habe auch ausgiebig damit experimentiert – alleine, mit meiner damaligen Freundin, aber auch in einem geführten therapeutischen Rahmen. Millionen von Menschen haben diese Erfahrung ebenfalls gemacht, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren. Sie ist fast so etwas wie eine kollektive Erfahrung, ein wichtiger Teil unserer Geschichte. Diese Geschichte wollte ich fürs Kino erzählen.

Was ist die zentrale Botschaft des Films? 
Es gibt immer noch ein unglaublich großes Interesse am Mysterium LSD. Nach dem Verbot, nach einer heftigen öffent­lichen Polemik und massiven Stig­matisierung der Droge kann es jetzt selbstverständlich nicht um eine Rehabilitierung gehen, aber um eine umfassende, etwas gelassenere, möglichst präzise Darstellung dessen, was mit dieser Subtanz geschah seit der Entdeckung im April 1943. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich der Effekt dieser Substanz in den verschiedenen gesellschaftlichen Feldern war. Sie wurde praktisch von allen, die sie benutzt haben, falsch eingeschätzt. In der Psychiatrie gab es während der fünfziger Jahre riesige Hoffnungen, ein Werkzeug in der Hand zu halten, mit dem man Schizophrenie und Psychosen begreifen und auch kurieren könnte – diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Dann kamen die Geheimdienste. Sie wollten diese stärkste existierende Substanz zur Beeinflussung des Geistes für ihre Ziele nutzen. Ihre Idee war, sie im Kalten Krieg als Wahrheits­serum bei Verhören einzusetzen. In Ost und West gab es ausgiebige Experimente, aber es stellte sich schnell heraus, dass LSD zu unkontrollierbar ist – es ist nicht vorhersehbar, was nach der Einnahme passiert. Damit war es als Instrument für die Geheimdienste nicht zu gebrauchen. Dann trat das Militär auf den Plan und wollte eine Waffe daraus machen. Nach dem Motto: Krieg ohne Tote, wir sprühen das einfach über feindliche Städte, alle sind total bedröhnt und wir gehen dann rein und nehmen uns, was wir wollen. In dem Stil haben die Amis tatsächlich gedacht. Aber auch das erwies sich als Sackgasse.

Als Nächstes nahmen sich die Hippies des LSD an. Für sie war der Stoff die direkte Verbindung zur Schöpfung, zur Natur. In der Tat stellt sich nach der Einnahme von LSD das tiefe Gefühl der Verbundenheit mit der Natur ein, etwas, das ich nie wieder vergessen werde seit meinen – zum Glück immer positiven – Trips. Etwas, das vielleicht auch beigetragen hat zu meinem grundsätzlich ökologisch-verantwortlichen Gefühl, das ich dem Planeten entgegenbringe. Vielleicht wäre das auch ohne LSD so gekommen. Aber das Erlebnis, mit allem verbunden, Teil von allem und konsequenterweise auch dafür zuständig zu sein, dass hier auf der Erde nicht alles den Bach runtergeht, das ist für mich eine Kernerfahrung des LSD. Die Hippies sagten in diesem Sinne: Das ist das endgültige Instrument für Friedlichkeit und Ökologie und „mitgeschöpfliches“ Verhalten, wie es der Erfinder des LSD, Albert Hoffmann, genannt hat. Leider hat sich diese Einschätzung so auch nicht bewahrheitet, denn sonst wäre die Welt heute in einem besseren Zustand.

In meinem Beruf habe ich viel mit spirituellen Lehrern zu tun und mit Menschen auf dem Weg der Selbstentfaltung. Ich sehe immer wieder, dass viele Sucher eine Menge spirituelle Literatur gelesen haben, ihnen aber eine tiefgreifende eigene Erfahrung davon fehlt, was dort beschrieben wird. Beispielsweise eine Erfahrung von Urvertrauen, dem Gefühl, vom Leben getragen zu sein. Dass das Leben sicher ist. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Erfahrung, die bis in die Zellebene hineinreicht, das Leben und den eigenen Fokus tiefgreifend verändern kann. Dass es eine extrem heilende und verändernde Erfahrung sein kann zu spüren, dass das Gefühl von Abgetrenntsein, Haltlosigkeit und Alleinsein nur eine Illusion ist, die durch bestimmte Filter  und Konditionierungen in unserem Gehirn erzeugt wird.
Ja, genau das ist die Haupterfahrung von LSD. Wenn das Setting stimmt, wenn man sich in einem einigermaßen stabilen seelischen Zustand befindet, transzendiert man das dualistische Gefühl des Getrenntseins. Das ist ein ungeheuer befreiendes und beglückendes Erlebnis, was man nie mehr im Leben vergisst. Es klingt vielleicht etwas kitschig, aber mein Gedanke, wenn ich LSD genommen habe, war eigentlich immer: Das ist eigentlich der Ort, an den ich gehöre. Weil es im Grunde genommen genau dieses Gefühl des Aufgehobenseins ist, das wir ja auch im Leben suchen. Was wiederum nicht heißt, dass ich süchtig geworden wäre. Ich habe es jetzt seit 20 Jahren nicht mehr genommen, bin aber für dieses Gefühl und diese Erfahrung noch heute dankbar.

Ich denke, dass es genau darum geht, dieses Gefühl des Eingebundenseins und Richtigseins von allem, das Urvertrauen, wiederzufinden. Wer es hat, geht  kraftvoll und mit Freude seinen eigenen Weg. Leider haben die meisten Menschen genau das zum großen Teil oder sogar vollkommen verloren. Für viele Menschen ist LSD eine Droge, andere nennen es ein Sakrament, weil diese Substanz in heilige = sakrale Räume hineinführt, die genau das vermitteln: Du bist nicht allein und abgetrennt. Können Sie sich vorstellen, dass diese Substanz irgendwann wieder einmal einen Platz in dieser Gesellschaft bekommt?
Eine Legalisierung sollte nicht angepeilt werden, für einen offenen und unkontrollierten Umgang ist die Substanz zu mächtig und auch zu gefährlich. Ich könnte mir aber eine Entkriminalisierung vorstellen, also die Substanz in Hände von Leuten zu geben, die wissen, was sie tun. Ich denke an Mediziner, Psychiater und Hirnforscher –  LSD wird ja aktuell in der Schweiz mit Ausnahmegenehmigungen bereits verwendet. In diese Richtung ging auch die Hoffnung des LSD-Entdeckers Albert Hoffmann in seinen letzten Jahren. Er wünschte sich, in eigens dafür eingerichteten Zentren Räume für Menschen zu schaffen, die mit gutem und sauberem Stoff, nach entsprechender Vorbereitung und unter der Führung von Menschen, die erfahren im Umgang mit der Substanz sind, ein tief berührendes und transformierendes Erlebnis haben könnten. Albert Hofmann bezieht sich in seiner Utopie für diese psychedelischen Zentren auf ein griechisches Vorbild, die Mysterien von Eleusis. Er war sich aufgrund verschiedener historischer Indizien sicher, dass im Umfeld dieser Initiations- und Weiheriten halluzinogene Stoffe wie das Mutterkorn, dem das LSD chemisch sehr ähnlich ist, verfügbar gewesen sein müssen und dass diese Mysterien mit großer Wahrscheinlichkeit halluzinogene Riten waren, zu denen die Bürger von Athen vielleicht einmal im Jahr kamen, um dann erfüllt, verbunden und geläutert in den Alltag zurückzukehren.

Gibt es aktuell Aktivitäten in diese Richtung?
Ja. In der Schweiz lebt der Psychiater Peter Gasser, der als Einziger weltweit mit Genehmigung des Schweizer Bundesamtes LSD einsetzen darf im Rahmen seiner therapeutischen Arbeit mit Krebspatienten im Endstadium. Er gibt diesen Menschen LSD mit der Absicht, ihnen den Moment der Entgrenzung ihres Ichs als positive oder neutrale Erfahrung vertraut zu machen, um ihnen so die Angst vor dem Tod zu nehmen. Und die Resultate sind positiv.

Also im Grunde wieder diese Erfahrung: Alles ist richtig, ich bin eingebunden und werde getragen.
Ja. Eine  schwer krebskranke Amerikanerin namens Annie, die in Kalifornien an einer  Studie mit einem ähnlichen Stoff, dem Psilocybin, teilgenommen hatte, erzählte mir genau das als Kernpunkt ihrer Erfahrung. Sie lag auf ihrem Bett und hatte mit einem Mal die ganz deutliche Empfindung, dass sich unzählige Hände unter ihrem Körper geschoben hatten, eine neben die andere …  Ab diesem Erlebnis des Getragenseins habe sie trotz des nahen Todes plötzlich das Gefühl gehabt: Es kann kommen, was will, ich darf Vertrauen haben…!

Ein Großteil aller therapeutischen Anstrengungen geht ja dahin, genau dieses Gefühl des Getragenseins im Leben zu etablieren – und zwar nicht erst kurz vor dem Tod. Es gibt sicher einzelne Personen, die eine gewisse Offenheit haben, sich einfach hinsetzen, meditieren und diese Zustände erreichen. Aber die meisten Menschen haben so viel anerzogene Filter, durch die sie die Welt betrachten, und so einen dicken Panzer um sich herum gebaut, der sie vor Verletzungen schützen soll, dass sie diese tiefere Realität des Lebens, zu der jeder Mensch im Grunde Zugang hat, kaum erfahren können.
Es ist die große Frage, ob LSD tatsächlich in diese Räume führt oder ob man bloß den Eindruck hat, dass es so sei.

Vielleicht ist es letztlich egal, in welcher Realität ich lebe und ob sie eine Illusion ist. Die indischen Weisen sagen, dass letztendlich alles Maya, Illusion, ist. Wenn ich es schaffe, von einer Scheinwelt des Getrenntseins, in der das Leben schlimm und mir nicht wohl gesonnen ist, hinüberzuwechseln in eine Illusion, dass ich getragen bin und in der der Kern der gesamten Existenz Liebe ist, dann ist es mir letztendlich egal, ob diese Wahrnehmung eine Illusion ist – Hauptsache, ich lebe in einem Raum, in dem ich mich wohl fühle und von dem aus ich anderen Menschen und dem gesamten Planeten Mitgefühl und Unterstützung geben kann.

Würden Sie LSD eigentlich noch einmal nehmen oder sind diese Erfahrungsräume für Sie nicht mehr inter­essant?
Das Thema war lange Zeit für mich abgeschlossen und ich habe auch für den Film LSD nicht noch einmal genommen – ich hatte den Eindruck, dass ich weiß, worum es geht. Ich muss  allerdings ehrlich sagen, dass ich mir überlegt ­habe – zur Feier des Erfolgs von meinem Film – mir mit meiner Frau ein schönes Trip-Wochenende zu gönnen. Mal sehen.

Mehr Infos unter www.martinwitz.com, www.mindjazz-pictures.de und www.thesubstance-themovie.com

The Substance – ­Albert Hofmanns LSD wird in den Kinos Brotfabrik (Weißensee), Eiszeit (Kreuzberg), fsk (Kreuzberg), b-ware (Friedrichshain), Kino am Ufer (Wedding) und Zukunft 3•4, Programmkino Ostkreuz (Friedrichshain) gezeigt.

Eine Antwort

  1. Jan Moewes

    Genau so habe ich das auch erlebt. Ich bin heute noch dankbar für meinen ersten Trip, mit dem verwandten Psilocibin, der für mich so etwas war wie ein Initiationsritus bei Naturvölkern. Diese Visionen, die etwas anderes sind als Halluzinationen, weil sie etwas sehr reales erkennen lassen, gehören zu den größten Geschenken, die das Leben mir gemacht hat. Man kann diese Substanzen auch als Verbündete betrachten. Das Problem sind nicht die Substanzen, sondern der User, bei uns fast immer ein Konsument, der „sich noch was reinhauen“ will, statt sich in einem natürlichen „Gottesdienst“ hinzugeben. Diese Substanzen als „Drogen“ mit vielen anderen in einen Topf zu werfen, ist wenig hilfreich für einen rationellen Umgang mit ihnen.

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