Warum die Transformation in eine bessere Welt ähnlich ist wie Nichtraucher zu werden…

von Silke Chorus

„Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich!“. In diesem Buchtitel des Kulturphilosophen Charles Eisenstein stecken gleich zwei gute Nachrichten Nicht nur, dass die Transformation in eine schönere Welt möglich ist, sondern: Unser Herz kennt die schönere Welt schon!

In dieser schöneren Welt, wie Eisenstein sie beschreibt, ist es so, dass wir uns tagtäglich als verbunden erleben mit allen Menschen, Lebewesen und dem Kosmos – und diese Verbundenheit nicht nur physisch und biologisch erforschen oder theoretisch ergründen. Verbundenheit als alltägliches, uns immer präsentes Bewusstsein. Das Yoga-Feeling also – aber halt jeden Tag und immerfort, als Alltagsbewusstsein, welches unser Denken, Handeln und Fühlen maßgeblich bestimmt. Noch ist diese Form des Erlebens – eigentlich eine Form, das eigene Sein zu erleben –, die Charles Eisenstein unter Rückgriff auf den vietnamesisch-buddhistischen Mönch, Schriftsteller und Vertreter eines „engagierten Buddhismus“ Thich Nhat Hanh „Interbeing“ nennt, nur bei wenigen Menschen fest im Alltagsbewusstsein etabliert. Viele spirituelle und indigene Traditionen erzählen von dieser Erlebnis- Möglichkeit des Seins und schaffen Rituale und Praktiken, um da hinzukommen. Aber auch ohne eine spirituelle Praxis haben viele Menschen solche Erfahrungen gemacht, in denen ihr Erleben plötzlich und zeitlich begrenzt eine Verschiebung erfahren hat: vom vereinzelt-getrennten Individuum zum komplex verwobenen und eingebetteten „Interbeing“. In solchen Momenten wird plötzlich erlebbar, wie der einzelne Mensch Teil von einem großen Ganzen ist: eingebettet, bezogen, abhängig, verletzlich und erhaben zugleich. Beispielsweise bei der Geburt eines Kindes oder dem Tod eines geliebten Menschen, in der Solidarität oder in der Liebe, bei der Meditation, beim Tanz oder alleine auf einer Bergspitze, auf verschiedenste Weise in der Natur.

Die meisten Menschen erleben sich in ihrem Alltag jedoch als vom großen Ganzen getrennte Einzelwesen, die ihre Ziele verfolgen und dafür mit anderen Einzelwesen in Kontakt und Kooperation oder auch Konkurrenz treten. Die Natur wird (noch) von vielen als ein Spektrum verschiedener Ressourcen erlebt, die der Mensch für seine Zwecke (aus)nutzen kann.

Entsprechend ist es der Lebenssinn vieler Menschen, individuell einigermaßen gut durchzukommen und, sofern möglich, sogar besser als andere zu sein und das eigene Leben erfolgreich zu meistern. Auf dieser Art des Selbst-Erlebens baut unser gesamtes Zivilisations- und Wirtschaftsmodell auf.

Die alte Welt bröckelt – ist eine Transformation möglich?

Gleichzeitig wackelt und kriselt dieses Wirtschafts- und auch Zivilisationsmodell. Eisensteins optimistische Prognose ist, dass ein neues Zeitalter (eben die schönere Welt) möglich und im Entstehen ist. Das ist die andere gute Nachricht aus seinem Buch. Die vielen Krisen, die wir erleben, sind nach seiner Ansicht Anzeichen eines „Absterbens“ unseres alten Zivilisationsmodells. Wie befinden uns in einer Zeit zwischen den Zeiten: Das Alte geht zu Ende und das Neue ist noch nicht da. Auch die Tiefenökologin Joanna Macy sieht diesen Übergang, den sie die „Große Transformation“ nennt: Wir, die in dieser Zeit leben, seien gleichzeitig Sterbebegleiter für eine endende Kultur und Hebammen für eine neue Welt. Beides findet zur gleichen Zeit statt. „Wir sind mittendrin und können Einfluss nehmen, wie sich dieser Übergang vollzieht.“ Wir erleben nach J. Macy gerade nicht weniger als die Herausbildung eines gänzlich neuen Paradigmas. Das bedeutet eine grundsätzlich veränderte Sichtweise auf die Welt und als Teil davon auch auf die Menschen, den Sinn des Lebens und den Sinn und Zweck des Kollektivs. Es geht um Verbundenheit, um Heilung, Schönheit, Teilen und um andere Formen des Wirtschaftens. Dabei auch um eine grundsätzlich veränderte Haltung zur Natur und zur Nutzung der natürlichen Ressourcen sowie um eine andere Wahrnehmung bezüglich unserer Einbettung in den Kosmos. Und wir sind alle ein Teil von diesem Wandel. Gestalten ihn. Vollziehen ihn. Oder eben auch nicht.

Scheitert die schönere Welt an meiner Inkonsequenz?

Seit zwei Jahren habe ich eine Liste, auf der noch mindestens fünf Punkte stehen, die ich zu erledigen habe, um „mein Leben“ nach den Werten zu leben, für die ich mich entschieden habe. Dabei geht es vor allem um „Kleinigkeiten“: mit meinem Konto umziehen zu einer sozialen Bank, damit wenigstens mein Geld nicht noch mehr Schaden anrichtet, zum Öko- Gas- und Alternativ-Strom-Tarif wechseln, wirklich nicht mehr fliegen, keine Macht über meine Kinder ausüben, auch wenn ich gestresst bin, keine neuen normal produzierten Klamotten kaufen (in unserem Haus funktioniert die Freebox – eine Art Marktplatz für alle Bewohner, die Bekleidung zu verschenken haben oder geschenkt bekommen möchten – gut und ich hab´ mehr als genug für die nächsten zehn Jahre), das Essen vom Inder in der eigenen Transportbox holen etc.. Doch ich beobachte, dass nicht nur ich mit dieser Art von Alltagskonsequenz, die uns privilegierte Menschen nicht viel kostet, ein Problem habe.

Wenn ich mir dazu vergegenwärtige, dass ich außerdem noch im Bereich von Transformation arbeite und sie predige, wird mir ganz schwindelig. Wie soll das dann gesellschaftlich im Großen funktionieren, wenn ich schon so schwer damit in die Gänge komme? Die grundsätzliche Frage heißt: Was braucht es, damit wir die Dinge, die wir jetzt schon einfach tun können, endlich einfach mal machen – ohne dass wir deshalb die Bürde eines grundsätzlich viel anstrengenderen und schlechteren Lebens zu tragen hätten? Und: Warum ist es so schwer, auf dieser Ebene konsequent zu sein und das, was wir propagieren, auch umzusetzen, statt den alten Drachen unserer Konditionierungen noch weiter mit unserem Verhalten zu füttern? Warum können wir diese schönere Welt nicht wenigstens im Kleinen schon mal manifestieren?

Das alte Paradigma in den Gewohnheiten

Weil wir bequem und faul sind? Weil uns unsere Privilegien dann doch zu lieb sind? Weil es kein richtiges Leben im falschen gibt, es zu kompliziert, aufwendig und mit vielen Widerständen verbunden ist, wirklich aktiv zu werden? Oder vielleicht sowieso sinnlos? Denn es geht ja darum, das Große zu verändern und nicht in erster Linie den eigenen individuellen Konsum. Und waren es nicht sogar Shell oder BP, die die Idee des ökologischen Fußabdrucks des Einzelmenschen in Umlauf gebracht haben, um abzulenken davon, dass die große Industrie skrupellos unseren Planeten vergiftet und verschleißt? Ja. Bestimmt auch all dies. Bei mir selbst habe ich allerdings inzwischen eine viel banalere und irgendwie auch grundsätzlichere Erklärung für meine „Inkonsequenzen“ gefunden: Das alte Paradigma, die alte Weltsicht mit der Dominanz der Egostrukturen, die „mein Wohlgefühl“ und „meine Interessen“ über die der anderen stellt, steckt in (fast) jeder meiner Gewohnheiten!

Und: Mein Alltag besteht zu einem überwiegenden Anteil aus Gewohnheiten, die Transformation verhindern. Damit mein Alltagsverhalten zu der schöneren Welt beiträgt, den Wandel unterstützt, muss ich mir neue Gewohnheiten antrainieren. Und das ist schwer. Und mühsam. Das weiß man inzwischen aus der Gewohnheits- und Erfolgsforschung. Doch wenn ich meine Vision von der schöneren Welt habe, es dann aber verpasse, mir dazu passende Gewohnheiten zuzulegen und alte Gewohnheiten abzulegen, wird es nichts mit der schöneren Welt. Das Ganze ähnelt dem vom reinen Wunschdenken geleiteten Versuch, Nichtraucher/ in zu werden: Ich kann mir zwar ausmalen, wie schön es wäre, nicht mehr zu rauchen. Aber wenn ich mir nicht überlege, wie ich mir neue, gesündere Gewohnheiten antrainiere, die ich an die Stelle des Rauchens setze, wird mein Wunsch sich wohl kaum erfüllen.

Gewohnheiten ändern

Da, wo ich mein Verhalten verändere, weil ich meine Gewohnheiten verändert habe (und nicht, weil ich einfach gute Vorsätze habe) ist die äußere Wandlung nicht mehr schwer. Ich muss nicht mehr darüber nachdenken, der Prozess frisst keine Energie. Dann kann ich auch viel Kraft in politische Aktionen investieren und trotzdem in meinem Alltagsleben die Werte leben, aus denen diese schönere Welt gemacht ist. Dabei unterstützt es mich natürlich sehr, eine Vision von einer schöneren Welt zu haben oder mich als Teil einer größeren Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu erleben. Oder nach meiner Yoga-Praxis den Stadtbaum vor meiner Tür zu gießen, wenn der Sommer trocken ist, und dabei zu spüren, dass ich damit auch mich und meine Lebendigkeit „gieße“. Die Erkenntnis daraus: Visionen, Gemeinschaft und Einheitserfahrungen sind durchaus relevant und Gewohnheiten sind nicht alles, aber ohne neue Gewohnheiten passiert nicht viel. Nur: Wie verlerne ich die toxischen Gewohnheiten, die unseren Planeten zerstören und auf der Ausbeutung anderer Menschen und Tiere basieren? Wie lerne ich neue, gesunde, nachhaltige und lebensbejahende Gewohnheiten, die eine Transformation bewirken können?

Jede unserer Handlungen hat Bedeutung für die Transformation

Hier kann man von der Erfolgsforschung für Transformation lernen. Ja, die Vision ist wichtig. Sie ist wie ein Leitstern. Allerdings kann ich auch mein ganzes Leben in den Himmel und zu den Sternen gucken und mich keinen Schritt darauf zubewegen. Je unerreichbarer meine Vision scheint, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich mich gar nicht erst in Bewegung setzte. Ich brauche also auf dem Weg zu meiner Vision kleinere Zwischenziele: Wenn ich an die schönere Welt denke und dann auf mein Leben gucke, wie wäre denn der erste Schritt in diese Richtung – jetzt? Das alte Konto kündigen. Ja. Einen Familienklimarat einberufen. Ja. Nur noch einmal die Woche baden. Ja. Strom und Gas wechseln. Ja. Nur noch im Bioladen kaufen. Ja. Den Konflikt mit meinem Partner gewaltfrei lösen. Ja. Mich selbst nicht verurteilen, weil ich nicht alles schaffe. Ja. Mich diesen Sommer wieder um unseren Stadtbaum kümmern. Ja. Und wenn ich diese „Kleinigkeiten“ als erste Schritte auf meinem Weg zur schöneren Welt sehe, auf die viele weitere Schritte folgen werden, sobald diese ersten Schritte zu Gewohnheiten geworden sind, dann wird es leicht, denn dann sind es meine ersten Schritte zu „den Sternen“ (bzw. zur schöneren Welt) – und dafür hab´ ich Kraft und Motivation.

Der Erfolgscoach Veit Lindau nennt die Fähigkeit, eine Vision in die Wirklichkeit zu bringen „Manifestationskompetenz“. Ein bisschen vereinfacht gesagt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Charles Eistenstein schreibt dazu: „Der Schlüssel liegt in euch, in eurem Gefühl, dass jede eurer Handlungen, selbst euer persönliches, einsames Ringen, Bedeutung hat. Alles, was ihr tut, zählt.“ Und gleichzeitig gibt es beim Tun auch wieder einige Stolpersteine: Zum Beispiel geht es nicht darum, in blinden Aktionismus zu verfallen. Ich kann auch mit viel Druck, Aggression, Stress, Selbsthass und Zerstörungstrieb versuchen, diese schönere Welt zu manifestieren, doch ich werde dabei immer in der alten Logik bleiben, auch wenn ich es „gut“ gemeint habe. Es geht also darum, auch im Tun immer wieder innezuhalten und mich zu fragen: „Was von dem Neuen, das ich gerne manifestieren würde und das ich als Vision in mir trage, geschieht durch mich?“ Und zwar täglich. Immer wieder. Bis die alten zerstörerischen Gewohnheiten nach und nach ersetzt worden sind durch neue Gewohnheiten und die Transformation vollendet ist. Gewohnheiten für eine schönere Welt, die unser Herz schon kennt und die möglich ist!

Literatur:
Charles Eistenstein (2017): Die schönere Welt die unser Herz kennt, ist möglich. München
Joanna Macy und Chris Johnstone (2012): Activ Hope. How to Face the Mess we’re in without
getting crazy. New World California
Veit Lindau (Kurse und mehr auf https://homodea.com)

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