Erfahrungsbericht einer schöpferischen Trauma-Bewältigung

Ein Trauma entsteht unter anderem durch die Konfrontation mit dem drohenden Tod, entweder mit dem ­eigenen oder dem eines anderen. In ­jedem Augenblick ist die Menschheit weltweit mit dieser Tatsache konfrontiert. Der Tod ist anwesend, während wir vom Fernsehsessel aus die Schreckensmeldungen der Welt erfahren: Überschwemmungen, Hurrikane, Erdbeben, Strahlenbelastung nach Atomkatastrophen, Terroranschläge, Kriege, Folter, Missbrauch, Seuchen oder Wirtschaftskrisen bedrohen unentwegt einen Teil der großen Familie Mensch und stoßen die Betroffenen in den zutiefst qualvollen Zustand eines Traumas.

Und es kann jeden treffen, so wie es auch mich getroffen hat. Von einem Tag auf den anderen. Hirnaneurysma. Das Damoklesschwert sauste auf mich nieder. Eine Notoperation und über fünf Wochen Aufenthalt auf der Intensivstation retteten mir letztendlich das Leben. Doch wie geht es in solch einem Fall weiter? Man wird von heute auf morgen mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Nichts ist mehr wie vorher. Sobald der Körper wieder einigermaßen gesund und stabil ist, beginnt der Kopf, das Geschehene zu begreifen, und das endet oft, wie auch in meinem Fall, in einem schweren Trauma – und zwar nicht nur für einen selbst, sondern meist auch für nahe Angehörige und Freunde.

Angst- und Panikattacken, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und Depression gehörten für mich plötzlich zur Tagesordnung. Lange Wochen und Monate wusste ich nicht, was mit mir geschah. Früher hatte ich mit unguten Gefühlen, Schmerzen und Ängsten einfach innerlich meinen Frieden geschlossen, sie ­beobachtet, sie akzeptiert und angenommen. Doch jetzt funktionierte das nicht mehr. Je länger ich untätig diese Angst, dieses Grauen in mir beobachtete, ­umso unerträglicher wurde es. Es ging sogar so weit, dass ich Angst hatte, vollkommen verrückt zu werden, und dieses Leben als unnötige Qual zu sehen begann. Ich wollte diese grausige Welt nur noch verlassen. Spätestens jetzt wusste ich: Ich musste etwas unternehmen!

Trauma: Ein tieferer Sinn

Doch dann kam der Wendepunkt: Ich wusste, meine Zeit hier war noch nicht vorbei. Zwar wurde mir allmählich bewusst, dass ich an einem typischen Trauma litt, doch was das eigentlich konkret bedeutete, verstand ich erst Monate später. Ich durchforstete das halbe Internet zum Thema und erkannte, dass das, was mit mir passierte, „normal“ war.

Da ich mich schon lange Jahre auf dem Weg der Einkehr befand, sah ich dieses Trauma, diese akuten Angstgefühle, mit der Zeit als eine Chance für innere ­Reinigung und Heilung. Alles hat einen tieferen Sinn und Zweck. Welche Al­ternative hatte ich? Psychopharmaka? Tranquilizer? Nein, ich wollte mich nicht betäuben, dumpf dahinsiechen, weder ganz tot noch ganz lebendig. Ich wollte meine Chance nutzen! Mir wurde immer mehr klar, dass ein Trauma keineswegs etwas Seltenes ist. Sieht man sich die Welt an, in der wir leben, erkennt man, dass sie sich in ­einem großen, uralten, dunklen Traum(a) befindet. Doch es ist an der Zeit, den Sprung darüber hinaus zu wagen!

Während meines Traumas spielte meine Einbildungskraft mit mir ihr grausames Spiel. Unwillkürlich lieferte sie mir Bilder von Gefahr, Unglück und Zerstörung. Es war allerhöchste Zeit für mich, ­diesem chaotischen Geschehen aktiv ­entgegenzutreten. Wenn meine Vorstellungskraft mich in diese tiefsten Abgründe stoßen konnte, musste sie mich doch auch in Frieden und Gelassenheit zurückbringen können. Ich spürte den starken inneren Impuls und sah gleichzeitig auch die absolute Notwendigkeit, meiner Vorstellungskraft aktiv die Richtung vorzugeben.

Licht imaginieren

Da es gerade mein extrem überempfindliches Gehör war, das die ganzen alltäglichen Geräusche an mein Gehirn weiterleitete, von wo aus sie augenblicklich in die schrecklichsten Horrorszenarien umgewandelt wurden, stellte ich mir einfach große, strahlende Lichthände vor, die sich über meine beiden Ohren legten.

Licht war für mich schon immer das Symbol für das Ganze, das Absolute, für Gott gewesen. Für das All-Eine, das kein Gegenteil kennt. Aus dieser Dimension flossen mir schon früher stets Heilung, Frieden und inneres Gleichgewicht zu.

Ich ließ die Vorstellung von hellen, wohlig warmen Lichtstrahlen einfach nur auf mich einwirken. Ich ließ meinen Körper und meinen Geist komplett von dieser beruhigenden Vorstellung durchdringen und ausfüllen. Mein überreizter Geist beruhigte sich wieder, sodass immer öfter eine wohltuende Entspannung eintreten konnte. Nach der langen Zeit der Niedergedrücktheit und Stagnation wirkte das wie ein warmer, wohltuender Frühlingsregen auf mein ganzes Wesen. Dieser ruhige, gedankenleere, aber dennoch höchst heilende Zustand war es, den ich wieder erreichen musste. Und ich erkannte durch diese Erfahrung auch, dass mein Weg aus Angst und Schrecken über mein aktives Denken führen würde. Ich musste mein Denken aktiv mit der einen kosmischen Essenz, der höheren Macht hinter den sichtbaren Dingen, verbinden. Und das fiel mir mit meiner einfachen Vorstellung von Licht relativ leicht. Ich musste mir keinen Gott, keinen Jesus, keinen Buddha, kein höheres Wesen vorstellen – einfach nur Licht! Dies war also der Weg, den ich jetzt zu gehen hatte. Er wurde mir gezeigt.

Mit der Zeit erweiterte ich die Vorstellung von Licht, indem ich mir Bilder erschuf, in denen sanfte, leicht violett schimmernde Lichtwellen sehr sanft in mein Kopfinneres eintraten, sich hier ausdehnten und wieder in die Lichthände zurückflossen. Bald begleitete ich diesen Vorgang aktiv mit den Gedanken:
„Reinigung, Auflösung, Wiederherstellung“ oder einfach nur „Ordnung und Harmonie“.

Die Baumübung

In kleinen, winzigen Schritten wurde ich wieder etwas „normaler“. Den Schreckensbildern, die mich noch oft während der Nacht aus dem Schlaf rissen, versuchte ich mit folgenden aktiven Vorstellungen zu begegnen: Ich stellte mir mich selbst als einen Baum vor und wie dieser im Frühling unendlich viele zarte, neue Blättchen hervorbrachte und später mit unzähligen Blüten übersät war. Meist konnte ich dann wieder etwas gelassener einschlafen, aber manchmal drängten sich auch Bilder von Bäumen dazwischen, die mir symbolhaft meinen inneren Gemütszustand widerspiegelten. Von Blitzen zertrümmerte, gebeugte und von Sturm und Wind gepeinigte Baumgestalten taten sich vor meinem inneren Auge auf, trostlos und traurig auf den Tod wartend, in ewiger Nacht versunken und ohne ein einziges grünes Blättchen an ihren dürren Ästen.

Gerade diese „Symbolbilder“ aber waren es, die es mir ermöglichten, mit der notwendigen Distanz mein inneres Geschehen zu betrachten, ohne mich dabei in die entstehenden Emotionen verwickeln oder gar von ihnen in den Abgrund reißen zu lassen. Der Verarbeitungsprozess wurde auf diese Weise sehr viel leichter, sehr viel effektiver und verlor die Qual des Involviert-Seins. Ich erkannte, dass diese Bilder von zerrütteten und halbtoten Baumgestalten überhaupt nichts mit mir, meinem wahren Wesen, zu tun hatten. Es waren nur die Symbole meiner persönlichen inneren Verfassung, sie entsprangen meinem zutiefst erschrockenen Unbewussten.

Durch diese Symbole, die mit Hilfe der „Baumübung“ überhaupt erst aufsteigen konnten, vermochte ich tief in mich selbst hineinzuschauen: Da drin war alles zu Tode verängstigt! Alles bebte und zitterte vor Panik! Doch das war nach den ganzen Geschehnissen mehr als verständlich. Indem ich jedoch bewusst auf diese vergrabenen Schrecken in der Tiefe meines Inneren schaute, sah ich mich selbst nicht mehr mit ihnen verbunden. Sie waren zwar da, gehörten aber nicht mehr zu mir, zu dem, was ich wirklich war. Die wahnsinnigen Bilder kamen auch noch weiterhin, aber ich hatte nichts mehr mit ihnen zu tun. Ich sah sie mir einfach nur mit Mitgefühl zu mir selbst an, bemühte mich aber, ihnen keinerlei Wirklichkeit und somit Macht zu verleihen.

Das Schreckenskabinett

Mein inneres Schreckenskabinett leerte sich langsam, aber kontinuierlich, und das nur mit Hilfe der Baumübung. Oft fragte ich jetzt: „Wie sieht mein Baum gerade aus?“ Und dann wartete ich einfach ab, bis sich von selbst ein Bild entwickeln konnte, das mir meinen innersten Gemütszustand aufzeigte. Ich akzeptierte jedes Bild und alles, was symbolhaft darin eingebettet war. Ich sagte: „Okay, das akzeptiere ich jetzt so, und es darf genau so sein, wie es gerade ist.“

Auf diese Weise konnte ich schrittweise das integrieren, annehmen und verarbeiten, was an Grauen in meinem Körper und in meinem Geist stattgefunden hatte. Es war das Anschauen, das Annehmen, das So-sein-Lassen von allem, das mir das Loslassen überhaupt erst ­ermöglichte. Alles, was vollkommen akzeptiert wurde, löste sich automatisch von mir. Es löste sich einfach auf, wie eine schwarze Wolke, die sich verflüchtigte. Und dahinter erschienen wieder der Himmel und die strahlende Sonne, und ich begann, mich zusehends in meiner Haut wohl zu fühlen.

Mein inneres „Wäldchen“, welches mir mit der Zeit gezeigt wurde, umfasste die Trauerweide, die mir all ihre Tränen zeigte, die noch nicht geweint worden waren, daneben ein kleines, halb entwurzeltes und schwächliches Tannenbäumchen, das mir meine Hilflosigkeit und Ohnmacht offenbarte, und hier stand auch der große, kahle Baum, der von einem wilden Sturm wüst gebeutelt worden war. All seine schönen Blätter hatte er hergeben müssen und seine Äste waren teilweise geknickt. Ein Bild zeigte mir aber auch, wie nahe ich schon dem Tod gewesen war: Es war ein Baum, der, vom Blitz getroffen, einen großen und starken Astbereich verloren hatte. Der Ast war abgebrochen, aber sein Stamm noch gerade und seine Wurzeln waren fest in der Erde verankert.

Das Wunderbäumchen

Plötzlich schob sich dann wie aus ­heiterem Himmel ein weiteres Bild in meinem Bewusstsein dazwischen: Ein „Wunderbäumchen“, ganz anders als all die anderen. Dieses Wunderbäumchen schimmerte und funkelte in einem ganz zarten, hellen Licht. Es war nicht „fassbar“ und fest wie die anderen, es war holographisch. Seine lichtvollen ­Äste, weit verzweigt und sich nach oben hin öffnend, waren übersät mit Millionen kleinster goldener Blättchen. Sie tanzten, sie wirbelten und sie spielten im Sonnenlicht. Unendlich sanft wurden sie von einem Hauch von Wind berührt und ich „hörte“ eine fast ätherische Musik, deren Schwingung sich unendlich ausdehnte. Mein Fantasiebäumchen rief augenblicklich eine große Liebe und Freude in mir hervor.

Doch auch dieses lichtvolle Bild löste sich genau wie die anderen schnell wieder auf. Aber es überbrachte symbolisch seine Botschaft und hatte damit seinen Zweck erfüllt: Es rief mir in Erinnerung, dass es da noch mehr gab, als wir mit unseren körperlichen Augen sehen konnten. Es gab eine tiefere Wahrheit hinter all den materiellen Dingen dieser Welt. Und in dieser „anderen Welt“ konnte es nur Liebe, Fülle und Geborgenheit geben. Meine Lebensfreude war wieder geweckt!

Die Wende zur Dankbarkeit

Mit der Zeit entstanden wie von selbst mehr und mehr Übungen, die es mir ermöglichten, mich fest und sicher auf das Göttliche in mir auszurichten. Diese unverrückbare Ausrichtung war es, die in den nächsten Monaten mit Macht meine physische wie psychische Genesung einleitete. Ohne dass ich es bemerkte, wurden im Stillen alle Dinge neu geordnet: Aus Schwäche wurde Stärke, aus Angst wurde Mut und aus Zweifel wurde Vertrauen.

Heute, nach fast zwei Jahren, bin ich dankbar für alles, was damals geschah: Für die Gehirnblutung, für das Trauma, für die Angst, den Schmerz und die Verzweiflung. Denn all diese Dinge trugen letztlich dazu bei, mich endlich in die richtige Richtung umzudrehen. Eine Richtung, in der wahre Heilung, wahrer Trost und wahre Sicherheit gefunden werden können. Hier finden wir unser göttliches Selbst. Und hier endet jede Angst – denn sogar der körperliche Tod verliert durch das Sehen der eigenen Wirklichkeit seinen Schrecken.


Abb: © eugenesergeev – Fotolia.com
Abb 2: © Robert Kneschke – Fotolia.com
Abb 3: © Friedberg – Fotolia.com

Maria Brunner arbeitete als Meditationslehrerin, Ayurveda-Masseurin und Ernährungsberaterin, bis sie 2010 durch die beschriebene plötzliche Gehirnblutung aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen wurde. Heute gibt sie – neben dem Schreiben – ihre gewonnenen Erfahrungen erfolgreich in Seminaren und Kursen weiter. Für mehr Informationen und Kontakt:
www.maria-brunner.de

 

Literatur:

Maria Brunner:
„Aus tiefster Dunkelheit ins göttliche Licht: Erfahrungsbericht einer schöpferischen Angst- und Traumabewältigung”,
Grasmück Verlag, 2012

Maria Brunner:
„Unternehmen ­Lebensfreude: Eine Reise zurück zur ­Unschuld der Seele”,
Grasmück Verlag, 2013

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