Lerne zu sterben und du wirst lernen zu leben

Dieser Artikel erschien in SEIN-Ausgabe No. 4 im  März 1995.

Es gab damals sehr viel Resonanz auf diesen Artikel von Anton Vogl. Auch sehr kritische und abfällige Äußerungen waren dabei.

Nach wie vor hat dieser Artikel nichts von seiner Brisanz verloren. Das Thema Überbevölkerung stellt sich angesichts der immer knapper werdenden Ressourcen mehr denn je.

Hiermit stellen wir diesen Beitrag erneut zur Diskussion. 

Ist die Erde bereits überbevölkert?
Und wenn ja, wie damit umgehen?

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Ist die Überbevölkerung ein spirituelles Problem?

Zu den viel diskutierten Problemen weltweiten Ausmaßes zählt heutzutage die Überbevölkerung, die vor allem in den Entwicklungsländern eine nicht abzureißen scheinende Kettenreaktion von neuen Problemen aufwirft.

Auch der sogenannte fortschrittliche Westen ist von diesen Schwierigkeiten nicht verschont. So ist zum Beispiel Belgien, verglichen zu seiner Landesfläche, der am dichtesten bevölkerte Staat der Erde. Hier, wie auch in anderen wirtschaftlich starken Industriestaaten weiß man den Folgeerscheinungen der Überbevölkerung bislang noch relativ wirksam zu begegnen durch vermehrte Produktion und Bau von raumsparenden Wohnmöglichkeiten wie Hochhäusern und Verlegung vieler Verkehrsmittel, Geschäftszentren, ja sogar Produktionsstätten unter Tage. Lebensstandard und Bildungsniveau in diesen Ländern sind, obwohl sehr hoch, noch immer am Steigen. Doch wird auch hier der Kulminationspunkt bald erreicht sein, und Wissenschaftler, Sozialforscher, Mediziner und Politiker zerbrechen sich bereits heute den Kopf um die Lösung von unabsehbaren Problemen, die in naher Zukunft den konsumgewöhnten Westen in noch nicht abzuschätzendem Maße bedrohen werden.

Die materiell nicht so gut gestellten Länder der Dritten Welt jedoch sehen sich einem Teufelskreis von einander bedingenden Problemen als Folge der Überbevölkerung gegenüber, den zu durchbrechen sich anscheinend keine rationale Möglichkeit, weder von politischer noch von sozialer oder medizinischer Seite zu bieten scheint: man kann z.B. akutes Analphabetentum und mangelnde Volksaufkärung für Folgen der Überbevölkerung und der galoppierenden Bevölkerungsexplosion halten, wie aber auch umgekehrt die mangelnde Volksbildung eine Kontrolle und Steuerung dieser Zustände verhindert.

Wäre es ein Wunder, wenn ein Volk wie China mit seinen nun eine Milliarde zweihundert Millionen Einwohnern als Lösung der weltweiten Überbevölkerung mit all den Folgeerscheinungen wie Rohstoff-, Lebensmittel- und Wohnraumknappheit einzig einen großen Krieg sehen würde?

Was ist nun der Grund dafür, daß bisher noch keine wirkliche Möglichkeit gefunden wurde, dem Problem der Überbevölkerung wirkungsvoll zu begegnen?

Bevor wir an die Lösung eines Problems gehen können, müssen wir uns um seine genaue Definierung bemühen. Die wahre Natur des Problems muß erkannt werden, wenn man sich nicht damit begnügen will, an den Symptomen herumzudoktern, sondern es mit seiner Wurzel beseitigen will. In der Überbevölkerung, der wir heutzutage weltweit gegenüberstehen, sehen wir weder ein soziales noch ein politisches oder medizinisches Problem. Es handelt sich weder um ein Problem des Individuums noch der Gesellschaft, noch des Volkes, sondern es handelt sich eindeutig um ein spirituelles Problem:

Diese Überbevölkerung ist eine Folge von Unwissenheit und Mißverstehen, Folge einer falschen Interpretation des Lebens, des wahren Lebenssinnes, Folge der Identifikation und Verhaftung des Homo Sapiens mit der toten Materie anstatt mit dem Leben des Geistes. Hier liegt der wahre Kern dieses Problems, und hier beginnt auch seine wahre Lösung.

Dem Hindu-Dharma zufolge findet Überbevölkerung dann nicht statt, wenn jeder Einzelne während seines Lebens hier auf der Erde gelernt hat, sein wahres Selbst nicht als der Materie zugehörig zu erkennen,  sondern sich mit Atman, seiner unsterblichen Seele zu identifizieren, wodurch ihm die Möglichkeit gewährleistet wird, diese materielle Welt zu verlassen in Richtung auf eine höhere, spirituelle oder göttliche Ebene, ohne wiedergeboren werden zu müssen.

Die Lehre von der Wiedergeburt ist keineswegs ein Monopol der hinduistischen Religion und des Buddhismus. Wenn wir die christliche Lehre ernsthaft und genau studieren, werden wir auch hier, vor allem in weniger verfälschten frühchristlichen Schriften Hinweise auf die Wiedergeburtslehre finden. Und der religiöse Weg der praktischen Nachfolge Christi wird angeboten zur Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod und zur Erlösung der Menschen von allen Leiden durch die Verwirklichung der Gotteskindschaft.

Längst erkennen auch namhafte westliche Psychologen, Mediziner und Fachleute aus den verschiedensten wissenschaftlichen Gebieten die Wiedergeburt als eine erwiesene und beweisbare Tatsache an.

Der einzig wirksame Weg, der weltweiten Überbevölkerung zu begegnen, ist daher das Wissen darum, wie diese Welt für immer verlassen werden kann, wie der Kreislauf von Geburt und Tod unterbrochen werden kann, zu verbreiten. Diese Wissenschaft, richtig zu sterben, um Unsterblichkeit zu erlangen, ist so alt wie die Menschheit selbst und wurde in immer neuer Form von den spirituellen Lehrern, den göttlichen Inkarnationen, den Söhnen Gottes, und seinen Propheten aller Zeitalter den Menschen gebracht.

Doch die heutige Welt hat sich so intensiv in die Verhaftung der Materie gestürzt, daß diese tiefe innere Erkenntnis des menschlichen Lebens als Pilgerreise der Seele, der Materie als Maya – dem trügerischen vergänglichen Traum -, als Schule für den Menschen, die ihn vorbereiten und prüfen soll für ein höheres geistiges Leben, in fast gänzliche Vergessenheit geraten ist.

Im Klassenzimmer Welt gibt es zu viele Sitzenbleiber, darum ist der Raum so überfüllt.

„Du mußt verstehen, daß Sterben zu lernen eine sehr nützliche Wissenschaft ist, die alle anderen Wissenschaften übertrifft. Daß man sterben muß, ist jedermann bekannt; wie denn auch niemand ewig leben darf, er habe denn die Hoffnung oder das Vertrauen darauf: aber Du wirst gar wenige finden, die die Klugheit haben, Sterben zu lernen… Ich werde Dir das Geheimnis dieser Lehre geben; das soll dir sehr zugute kommen zu geistiger Gesundung und zu einer gesicherten Grundlage aller Tugenden.“
(Orologium Sapientiae)

 

Es ist ein uraltes offenes Geheimnis: Die Kunst des Sterbens ist ebenso wichtig wie die Kunst des Lebens. Und jede der verschiedenen wahren religiösen Lehren aller Zeiten und aus allen Weltgegenden zeigen uns einen Weg, diese Erde in der rechten Art und Weise zu verlassen.

„Gegen seinen Willen stirbt, wer nicht zu sterben gelernt hat. Lerne zu sterben und du wirst lernen zu leben, denn niemand wird lernen zu leben, der nicht gelernt hat zu sterben.“
(The Book of the Craft of Dying)

 

Klar und wundervoll weist die Göttliche Inkarnation Lord Krishna in seiner jahrtausende alten Lehre der Bhagavad Gita, dem Gesang des Erhabenen, seinem Schüler Arjuna den Weg:

„In der Todesstunde, wenn der Mensch den Leib verläßt, muß im Scheiden sein Bewußtsein völlig in Mir aufgehen. Dann wird er mit Mir vereinigt werden. Dessen sei gewiß. Was immer es auch sei, wes der Mensch im letzten Augenblick eingedenk ist, das wird durch ihn im Künftigen verwirklicht; denn es ist das, worauf sein Sinn in diesem Leben am dauerndsten verweilt hat…
Mach es zum festen Brauch, das Sich-Versenken zu üben und lasse dabei deinen Sinn nicht schweifen. Auf solche Weise wirst du zum Herrn eingehen, der Licht gibt und der Allerhöchste ist…

Ueberbev_Medit_72.jpgWer seinen Leib verläßt und fortgeht, muß alle Tore seiner Sinne schließen. Sein Sinn sei fest auf seines Herzens Schrein gerichtet, die Lebenskraft zwischen die Brauen gedränt. Dann mag, die heilige Silbe OM stets auf den Lippen und ganz in Mich versenkt, in pausenloser Sammlung er sich bergen und solcherart das höchste Ziel erreichen.. Nie wieder wird geboren er auf dieser Welt des Leids und der Vergänglichkeit.“

Deutlich erklärt Sri Krishna, daß es die blinde Verhaftung an diese begrenzte Welt ist, die den Menschen immer wieder geboren werden läßt. Er empfiehlt das „Üben im Sich-Versenken“. Übung von Meditation, Gebet und Versenkung in das Göttliche ist es, was von jeder Religion empfohlen wird als ein sicheres Fahrzeug, um das stürmische Meer der Maya zu überqueren.

In den Überlieferungen des Hindus wie auch der Buddhisten erfahren wir, daß in alten Zeiten, als der Großteil des Volkes dem Dharma folgte, die meisten Menschen nicht etwa schwach darnieder liegend oder schmerzgekrümmt an Krankheiten starben, sondern in der Lage waren, in einer perfekten Asana oder Yogahaltung den Körper bewußt zu verlassen. Dabei handelt es sich um „Sukhasana“, auch bekannt als der einfache Schneidersitz, wobei die Hände in der Ghyana Mudra, der Meditationsstellung, in den Schoß gelegt werden. Der Rücken wird gerade gehalten, so daß die Lebenskraft durch Rückgrat und Gehirn ruhig fließen und durch das „Sahasrara Ghynana Chakra“ am Scheitel des Kopfes den Körper verlassen kann.

In dieser Stellung ist es dem Menschen gegeben, nach einem spirituell-religiösen Leben in Mantra-, Pranayama-, Yoga-, Bhakti- und Ghynapraxis beim Verlassen des Körpers die volle Erkenntnis der Wahrheit Gottes und dadurch Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod zu erreichen.

Aus dem Tibetanischen erfahren wir, daß es den Angehörigen nicht erlaubt war, zu jammern und zu weinen, wenn jemand diese Welt verließ, sondern es wurde eine religiöse Zeremonie vollzogen, um der Seele zu helfen bei ihrem Austritt aus dem Körper, um sie zu geleiten auf dem weiteren Weg zu Gott. Das Tibetanische Totenbuch bietet uns sehr tiefe Einblicke in den Weg der Seele aus diesem Körper in andere Welten oder zurück zur Erde.

Die Erziehung aller Menschen von Kindheit an in diesem geistigen Sinn ist die einzige Lösung des Problems der weltweiten Überbevölkerung, wie auch vieler anderer weltlichen Probleme. Es gibt keine andere wahrhaft wirksame Geburtenkontrolle als die spirituelle, die in der Erziehung der Menschheit zu den tiefen Göttlichen Wahrheiten besteht.

So, wie durch die verschiedenen Naturwissenschaften die Welt erforscht und beherrscht wird, muß durch praktizierte Religion, Spiritualität und Yoga der Mensch seiner wahren geistigen Bestimmung zugeführt werden. Eine Welt aber, die über der Materie das Göttliche vergißt, wird bald erdrückt werden von der Last überhandnehmender materieller Probleme.

Die Erziehung des Homo Sapiens zum Homo Spiritualis ist die wahre Aufgabe jeder Religion und jeder Regierung.


Abb. 2: © Sylvain Bouquet/fotolia.com

Eine Antwort

  1. Pixi

    Ja, dies ist ein sehr interessanter Beitrag! Zuerst muss man selbst die Ueberbevoelkerung anerkennen ohne Argument. Dann hat man die Chance es spirituell zu ‚bearbeiten‘. Leider ist diese Sache tabu in der Gesellschaft, da das Recht der Frau/Mutter, Geburt zu geben, was auch immer die Umstaende, beschuetzt wird. Es ist eine Frage der Lust, in der Mann und Frau verwickelt sind. Geburt ist jedoch nicht Leben! Geburt heisst Leiden.

    Sterben ist Aufwachen! Gott/Geist/Bewusstsein ist Leben.

    Pixi

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