Der Schrank platzt aus allen Nähten, die Hälfte der Kleidung wird nicht mehr getragen, die Wohnung ist vollgestellt mit Dingen, sodass Neues keinen Platz mehr findet. Wenn es so weit gekommen ist, sollte man sich überlegen, auszusortieren.

Nur wohin dann mit den vollen Kartons und Tüten? Sachen, die noch in gutem Zustand sind, sollten schließlich nicht in irgendeiner dunklen Ecke verkümmern oder weggeschmissen werden? Also etwa die nächsten sonnigen Sonntage auf Flohmärkten verbringen und mit Leuten um jeden Cent feilschen? Oder mühsam alles im Internet hochstellen und versteigern? Wie wäre es, wenn man sie einfach abgeben könnte, ohne etwas dafür zu bekommen, aber mit dem guten Gewissen, jemanden damit eine Freude gemacht zu haben.

Genauso gut geht es auch umgekehrt. Man geht in einen Laden und kann sich nehmen, was man möchte, ohne dafür bezahlen oder eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Es ist ein Geben und Nehmen, wobei das eine das andere nicht unbedingt bei jedem Besuch mit einschließt.
Das Prinzip lässt sich auch auf Dienstleistungen übertragen, wobei dann in unserer auf Tausch fixierten Gesellschaft eine Gegenleistung vielleicht eher erwartet wird: eine Stunde Rasenmähen gegen eine Stunde Klavierunterricht etwa.

Das mag sich alles ziemlich utopisch anhören, ist es aber gar nicht. Es gibt tatsächlich schon eine Art Wirtschaftsform, die sich Umsonstökonomie nennt. Der Name sagt es schon: Waren und Dienstleistungen können hier kostenlos erworben werden.

Die Philosophie der Umsonstökonomie

Umsonstökonomie ist aber eben nicht die neueste Ausformung von „Geiz ist geil“, sie ist im Gegenteil eine praktische Form der Konsumkritik, eine Gegenbewegung zum Kapitalismus. Die Kritik am Geld, ganz wirksam ausgeübt, weil ganz einfach keines verwendet wird.

Zusätzlich ist es auch noch ressourcenschonend, da Gegenstände und Kleidung, die noch völlig in Ordnung sind, weitergereicht werden. Umsonstökonomie fördert die Nachhaltigkeit, ist umweltschonend und vermeidet Abfall. Sie ist aber vor allem auch menschlich und sozial, fördert den Zusammenhalt in der Gesellschaft und entlastet den Einzelnen. Mit etwas Ironie könnte man sagen; In einer entwürdigenden Arbeitswelt, in der man immer mehr seiner Lebenszeit gegen immer weniger Lohn tauschen muss, um damit immer billigere Waren erwerben zu können, läuft es eigentlich sowieso schon quasi auf eine Umsonstökonomie hinaus. Nur liegt hier der feine Unterschied: Umsonstökonomie geht es nicht um ein „immer billiger“, sondern versteht sich als Ausweg aus den Zwängen der Konsumgesellschaft. Sie will der künstlichen Verknappung von Waren, der zwanghaften Steigerung des Bruttosozialproduktes und der Profitmaximierung, welche für den Kapitalismus typisch sind, entgegenwirken. Freie Güter bzw. Waren, zugänglich für alle, lautet das Ziel. Die Bedürfnisse aller Menschen sollen erfüllt werden, auch wenn diese das Geld nicht aufbringen können. Wo die Politik versagt, können die Menschen immer noch selbst für eine gerechtere Verteilung sorgen.

Die Geschichte der Umsonstökonomie

Die Umsonstökonomie oder auch Gratisökonomie hat ihren Ursprung in den Protestbewegungen der 60er Jahre in den USA. „Free Stores“, „Free Food“ und „Free Medical Center“ waren die Schlagwörter der Bewegung. Sie ist weltweit verbreitet. Die konsumkritische Bewegung hat auch in Europa fußgefasst und allein in Deutschland gibt es mehr als 50 Umsonstläden, wovon der erste im März 1999 in Hamburg-Altona gegründet wurde. Natürlich bietet sich auch das Internet geradezu an, um Dinge zu verschenken oder tauschen. Hier findet man jede Menge Plattformen, auf welchen Sachen zum Verschenken oder zum Tauschen angeboten werden und auch Dienstleistungen. Einige Internetplattformen sind freecycle, viswapi, webtauschen oder auch die Kategorien Tauschen und Verschenken bei Ebay Kleinanzeigen. Tauschbörsen finden meist noch größeren Anklang, weil sich viele nicht vorstellen können, etwas einfach kostenlos zu bekommen oder zu vergeben. Dabei wird das Tauschen und Schenken von der Umsonstökonomie eben bewusst nicht als direkter „Austausch“ verstanden – sie soll weder auf einem Gegenleistungsprinzip beruhen, noch darauf, dass sich jemand als Wohltäter hervortut.

Umsonstläden in Berlin

Wer in Berlin lebt, hat einige Umsonstläden zur Auswahl. Es gibt einen von der TU, dann auch einen, der sich Systemfehler nennt und einen weiteren in Weißensee. Hinzu kommt ein Umsonstladen in der Brunnenstraße 183, der aber gerade auf der Kippe steht, aufgrund einer angeordneten Zwangsräumung. Die Öffnungszeiten sind eher spärlich über die Woche verstreut und auch nur an Nachmittagen. Anders würde sich das nicht lohnen, denn die Arbeit im Umsonstladen ist meist ehrenamtlich.
Was neben den Umsonstläden noch alles unter Umsonstökonomie verstanden wird, fasst die Webseite von mediawiki mit einer sehr umfangreichen Auswahl an Links zusammen. So gehören z.B. auch OpenSourceSoftware dazu oder Couchsurfing, eine Plattform, auf der man Reisenden einen kostenlosen Schlafplatz anbieten kann.

Umsonstökonomie nur umsonst?

Problematisch ist nur, dass die Umsonstökonomie, so wie sie jetzt existiert, nicht die Endlösung sein kann, denn sie funktioniert eben nur aufgrund des Warenüberflusses in unserer Warengesellschaft. Den Systemfehler behebt auch diese Parallelökonomie nicht und man müsste einiges am Wirtschaftssystem an sich ändern, damit solche Notlösungen überflüssig werden. Trotzdem weißt sie vielleicht in die richtige Richtung: Was, wenn es bei Wirtschaft überhaupt nicht ums Tauschen, sondern ums Teilen geht? So wie es uns im übrigen auch die Natur und unser eigener Körper vormachen.

Eingebettet in die Zwänge des Systems scheitern nicht wenige Umsonstläden, weil die Ladenmiete eben trotz allem doch erbracht werden muss, oder sie verkümmern an mangelnder Verantwortungsübernahme durch die Nutzer. Denn damit solche Lichtungen im kapitalistischen Dschungel bestehen können, ist es nicht mit dem simplen Vorbeibringen von Gütern getan, sondern die Läden brauchen auch Unterstützung und Beteiligung an organisatorischen Arbeiten und der Verwaltung. Zusätzlich muss man aufpassen, dass die Läden nicht nur als Verteilstelle für Bedürftige enden oder isoliert werden und im Hintergrund verschwinden. Viel mehr Unterstützung und Bekanntmachung und allgemeine Akzeptanz sind notwendig, damit die Umsonstläden für möglichst viele Menschen funktionieren und einen wirklichen Gegenpol darstellen können.

Umsonstökonomie und sonst so?

Umsonstökonomie ist eigentlich nur der Anfang. Bei genauerem Hinsehen eröffnen sich noch ganz andere Dimensionen. Worauf diese Wirtschaftsform hinauslaufen soll, ist noch nicht klar bzw. wird derzeit kontrovers diskutiert. Klar ist: Der Kapitalismus hat ausgedient, weil der andauernde Raubbau an der Natur und die Verarmung immer mehr Menschen, so nicht weitergehen kann. Eine Welt der gerechten Verteilung, ohne sinnlosen Überfluss, sondern mit gegenseitiger Unterstützung, das ist letztendlich ein Ziel der Umsonstökonomie.

 

Über den Autor

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beschäftigt sich mit persönlichem Wachstum, der Welt und wie man seinen rechten Platz in ihr findet, um einen positiven Beitrag zu leisten. Literatur und Malerei sind ihre Hauptinteressen.

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3 Responses

  1. Pabloescobar

    Ick finde diesen Artikel sehr informativ.Das ist meines Erachtens der beste Artikel den ich je gelesen habe!

    Danke.
    Mfg El patron.

    Antworten
  2. WellenbeobachterHH

    100%ige Zustimmung!!!!!!

    Das ist meines Erachtens der beste jemals auf dieser Plattform veröffentlichte Artikel!!!

    Aus der hier von der Autorin aufgemachten Perspektive, lässt sich erkennen, dass tatsächlich ein bewusstseinsmäßiges Erwachen bezüglich unseres existenziellen Seins erfolgt, so wie ich es in anderen Kommentaren schon mehrfach erhofft und gefordert habe.

    Kapitalismus bedeutet verausgabte Lebensenergie in abstrakten Mehrwert zu verwandeln. Das passiert durch die Ware-Geld-Beziehung, denn in der Ware ist dieser Mehrwert gespeichert. Das bedeutet eine enorme Einschränkung, weil dann allein die betriebswirtschaftliche Rentabilität über die Anwendung von menschlicher und maschineller Arbeit entscheidet. Es entstehen Gewinner und Verlierer.

    Verlässt man dieses kapitalistische Grundprinzip und ersetzt es durch „Teilen statt Tauschen“, dann braucht man kein Geld mehr, weil niemand mehr Macht über und gegen die Interessen von anderen ausüben muss, um kreativ und produktiv sein zu können. Es gibt nur noch Gewinner und Gewinner. Alle partizipieren an der Lebensenergie und jeder stützt jeden.

    Der größte Aufwand, den wir in unserer Gesellschaft betreiben, dient nicht etwa dem Herstellen von Dienstleistungen und Produkten, sondern er dient allein der Aufrechterhaltung der Geldzirkulation sowie der Beseitigung der Folgen davon (Kriminalität, Krankheiten, Mobbing, Burn Out, Kriege, Umweltzerstörung, Hartz IV Verwaltung, monetäres Krisenmanagement, Terrorismus usw.). Das ist seit langem bekannt. Googelt man das Thema 5 Stunden Woche, findet man dazu unzählige Seiten, die das plausibel machen.

    Aus diesem Grund muss ein enormer ideologischer Rechtfertigungsaufwand seitens bürgerlicher Politik betrieben werden, um entgegen der Wahrheit unser heutiges System am Laufen zu halten. Alle sollen ja weiter mitspielen. Selbst die Verlierer sollen stets nur danach streben, selbst Gewinner sein zu dürfen.

    Anstelle bürgerlicher Politik sollte lieber Direktdemokratie in der Wirtschaft eingeführt werden. Informationen müssen frei und transparent zugänglich sein. Patente und Lizenzen sind ein Gut, dass kostenfrei und nutzbringend für die ganze Menschheit zur Verfügung gestellt werden kann. Dann kommt auch der größtmögliche Nutzen dabei heraus und nicht wie immer behauptet nur durch privatwirtschaftliche Betriebsführung. Man versteckt sich hinter Begriffen wie „Mitte“, „Arbeit“, „Leistungsträger“ usw., ohne die Begriffe ernsthaft ontologisch zu hinterfragen.

    Ich bezeichne unsere Zukunft übrigens meistens nicht als „Umsonstökonomie“ – weil „umsonst“ trifft es begrifflich ja eigentlich nicht wirklich. Die Dinge sind dann kostenlos, d.h. sie haben keinen monetären Preis mehr. Umsonst sind sie jedoch nicht, weil tätig sein müssen wir natürlich auch weiterhin, wenn auch nur noch wenig vom Zeitaufwand her im Vergleich zu heute. Den größten Teil des Lebens wäre man also frei um kreativ tätig sowie für andere Menschen da zu sein. Die intrinsische Motivation ersetzt den äußeren Reiz. Uns erwarten jenseits von Marktwirtschaft / Kapitalismus also erstmal wirkliche Freiheit, ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven…!!!

    Ich nenne das besser RESSOURCENWIRTSCHAFT, weil so ein System davon ausgehen würde, dass alle Ressourcen endlich sind und damit ein unendliches Wachstum, wie für den Kapitalismus existenziell notwendig, unmöglich ist. Ist man sich dessen bewusst, geht man auch anders damit um.

    Herzlichen Dank für diesen tollen Artikel! Bitte mehr davon!!!

    Antworten

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