Unabhängig davon, ob es Donald Trump gelingt, in das Weiße Haus einzuziehen, dürften Historiker ihn als den folgenreichsten Präsidentschaftskandidaten zumindest des letzten halben Jahrhunderts einordnen. Er hat bereits den Ton und den Charakter  des amerikanischen, politischen Lebens verändert. Wenn er der republikanische Kandidat werden sollte, wird er auch noch seinen strukturellen Unterbau zerstören. Sollte er sich im November durchsetzen, wird seine Wahl die  Struktur des politischen Lebens in einer Weise verändern, die wahrscheinlich unumkehrbar sein wird. Egal, ob Trump jemals sein Versprechen umsetzen wird, Amerika wieder groß zu machen (Make America Great Again), er ist bereits dabei, die amerikanische demokratische Praxis zu verändern.

Trump bereitet es offensichtlich Freude,  dem politischen Establishment eine Nase zu drehen und dessen Regeln und Normen zu verspotten. Doch ihn als Anti-Establishment-Figur zu klassifizieren, heißt seine wahre Bedeutung zu verkennen. Er ist für die amerikanische Politik, was Martin Shkreli für die Pharmariesen ist (Anm. der Red.: Shkreli gilt als skrupelloser Pharmaspekulant, der weltweit in die öffentliche Kritik geriet, als er als Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens den Preis eines Toxoplasmose-Medikaments von 13,50 auf 750 US-Dollar pro Pille anhob). Beide repräsentieren in übertriebener Form die destillierte Essenz einer viel größeren und beunruhigenden Realität. Beide verkörpern  das zynische Grinsen, das eines der bestimmenden Merkmale unserer Zeit geworden ist. Beide sind auf ihre Art und Weise  ein Zeichen unserer Zeit.

Im Gegensatz jedoch zum allgemein geschmähten Shkreli hat Trump eine Massengefolgschaft  herangezüchtet, die gegenüber seinen Fehltritten, seinen Fehlstößen und seinen Falschangaben resistent zu sein scheinen. Was Trump tatsächlich glaubt – ob er überhaupt an irgendetwas außer seiner großen, spritzigen Selbstdarstellung glaubt – ist weitgehend unbekannt und wohl nebensächlich. Trumpismus ist kein Programm oder eine Ideologie. Es ist eine Haltung oder Pose, die sich von weit verbreiteter Wut und Entfremdung nährt und diese dann verstärkt.

Die Pose funktioniert, weil der Zorn – der  in gewissen Kreisen der amerikanischen Wähler immer schon präsent war aber heute besonders akut ist –  ein echter Zorn ist. Trump bestätigt diesen Zorn, indem er die Rolle des schelmischen, bösen Jungen spielt und bewusst auf dem Kanon der politischen Korrektheit herumtrampelt. Je empörender sein Verhalten, desto sicherer seine Position im Mittelpunkt des politischen Zirkus. Während man sich fragt, was er als nächstes tun wird, kann man seine Augen nicht von ihm abwenden. Und um Marco Rubio (Anm. d. Red.:  US-amerikanischer Politiker der Republikanischen Partei) in einem anderen Zusammenhang zu zitieren, Trump „weiß genau, was er tut.“

Trump: Angriff auf Obamas Präsidentschaft

Hier ist eine Art Genie am Werk. In einem Ausmaß, das derzeit  unerreicht ist von irgendeiner anderen Figur des amerikanischen öffentlichen Lebens, versteht Trump, dass die bisherigen Unterschiede zwischen dem angeblich Seriösem und dem offensichtlich Frivolen zusammengebrochen sind.  Niemand begreift die Implikationen so wie Trump: Im heutigen Amerika verleiht Berühmtheit Autorität. Läppische Zeugnisse oder Qualifikationen sind inzwischen zweitrangig. Wie soll man sonst erklären, dass der Gastgeber einer „Reality“ TV-Show umgehend als ernsthafter Anwärter für ein hohes Amt qualifiziert wird?

Um weitere Beweise für Trumps Genie zu finden, muss man einfach die Geschicklichkeit betrachten, mit der er mit den Medien spielt, vor allem mit Promi-Journalisten, die sich auf grinsendem Zynismus  spezialisiert haben. Anstatt so zu tun, als würde er sie ernst nehmen, entlarvt er ihren selbstgefälligen Narzissmus, der seinen eigenen widerspiegelt. Er weigert sich, ihre selbst zugewiesene Rolle als Torwächter anzuerkennen, die befugt seien, die Grenzen des zulässigen Diskurses zu beaufsichtigen. Als Verkörperung von „Breaking News“ fährt er fort, sämtliche Grenzen bis zur Unkenntlichkeit zu dehnen.

In diesem Zusammenhang bot Trump das Schauspiel der Fernseh-„Debatten“ eine ideale Plattform für seinen Persönlichkeits-Kult. Einst ein feierliches, fast einschläferndes Forum für die politische Bildung – erinnern Sie sich an Kennedy und Nixon im Jahr 1960? –  bieten die Präsidentendebatten jetzt Gelegenheit, Beleidigungen auszutauschen, Entgleisungen zu provozieren, sich an verbalen Wettkämpfen zu beteiligen und magische Lösungen für Probleme von Krieg bis hin zur Grenzsicherheit zu vermarkten, die gegen Magie eigentlich immun sind. Für all das haben wir hauptsächlich Trump zu danken.

Trumps Erfolg als Wahlredner schult natürlich auch seine Widersacher. Das Überleben in einem schrumpfenden republikanischen Feld erfordert das Nachahmen seiner Possen. In dieser Hinsicht kann man Ted Cruz als Schüler von Trump einstufen. Cruz ist zu Trump was Lady Gaga zu Amy Winehouse war – weniger Freilauf, mehr Inszenierung und wohl auch mehr Berechnung als das Original.

Doch wenn auch kein Klon – Cruz vertritt den gleichen Stil von angepisster Gib-mir-mein-Land-zurück-Wut, die Trump selbst so geschickt ausgenutzt hat. Wie der Meister selbst hat Cruz eine bemerkenswerte Fähigkeit gezeigt, Meinungsverschiedenheiten durch Verunglimpfung und extravagante, irre Versprechen auszudrücken. Für seinen Teil hängt Marco Rubio, der einzige andere Republikaner, der noch ernsthaft im Rennen ist, nicht weit hinterher. Wenn es ums Stolzieren und um Prunk geht, geht nichts über das Gelübde, ein „Neues Amerikanisches Zeitalter“ zu erschaffen, eine mythische Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, als mit der Welt angeblich noch alles in Ordnung war.

Nur in zwei Punkten sind diese paar Republikaner einer Meinung. Der erste bezieht sich auf die Innenpolitik, der zweite auf Amerikas Rolle in der Welt.

Zu Punkt eins: Mit absoluter Einstimmigkeit schreiben Trump, Cruz und Rubio Barack Obama alle, aber auch  alle Probleme zu, die die Nation bedrängen. Nach ihrer Ansicht lief es damals in 2009, als Obama sein Amt antrat, glänzend für das Land. Heute sei es bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt – einzig und allein wegen Obamas schädlichen Aktionen.

Mit der gleichen Autorität kann ein republikanischer Präsident, so behaupten sie, Obamas giftiges Erbe zerlegen und alles wiederherstellen, was er zerstört hat. Und zwar von „Tag eins“ an, bezogen auf Themen von Gesundheitsfürsorge über Einwanderung bis zur Umwelt, geloben die republikanischen Kandidaten genau dies zu tun. Mit einem Federstrich und einer Handbewegung – es wird  ein Kinderspiel sein.

Zu Punkt zwei: dito. Unterstützt und begünstigt durch Hillary Clinton hat Obama die Angelegenheiten im Ausland komplett vermasselt. Hier ist die Liste der republikanischen Beschwerden besonders lang. Dank Obama bedroht Russland Europa, benimmt sich Nordkorea schlecht, zeigt China seine militärischen Muskeln, ist die ISIS auf dem Vormarsch, ist der  Iran im Begriff, Atomwaffen zu erwerben und vielleicht am peinlichsten  von allen, ist Benjamin Netanjahu, der Premierminister von Israel, unzufrieden mit der US-Politik.

Auch hier sind die republikanischen Kandidaten einer Meinung und haben die Lösungen leicht bei der Hand. Auf irgendeine Weise beziehen sich all diese Lösungen auf militärische Macht. Trump, Cruz und Rubio sind unverfrorene Militaristen. (Genau wie Hillary Clinton, aber das ist ein Thema, das eine eigene Abhandlung verdient). Ihr Genörgel an Obama ist, dass er das amerikanische Militär niemals voll zum Einsatz brachte, ein Fehler, den sie zu ändern geloben. Ein republikanischer Oberbefehlshaber, sei es Trump, Cruz oder Rubio, würde nicht jeden Furz aus Moskau oder Pjöngjang oder Peking oder Teheran hinnehmen. Er würde den „radikal-islamischen Terrorismus“ ausrotten, die Mullahs zurück in ihre Box setzen, im Zuge dessen eine Reihe von Terroristen foltern, und Bibi geben, was immer er will.

So wird Obama nicht nur eine Art zweifelhafter Tribut gezollt – so viel Schaden durch nur einen Mann in so kurzer Zeit –,  darüber hinaus verstärkt die republikanische Kritik die herrschenden Theorien der Präsidentschafts-Allmacht. So wie ein unfähiger oder schlecht motivierter Chef alles vermasseln kann, so kann ein Mutiger und Geschickter die Dinge auch richtigstellen.

Juan und Evita in Washington?

Das Verhältnis zwischen gegebenen und erfüllten Versprechen jedes Präsidenten in der jüngsten Erinnerung  – Obama eingeschlossen – sollte solche Theorien längst demontiert haben. Aber dem ist leider nicht so. Die Fantasien von einem großen Präsidenten, der uns rettet, bestehen  immer noch und sind etwas, das Trump, Cruz und Rubio zum Mittelpunkt ihrer Kampagnen gemacht haben. Wählen Sie mich, behauptet jeder. Ich allein kann die Republik retten.

Hier könnte Trump jedoch einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten, darunter Hillary Clinton und Bernie Sanders, genießen. Mit Amerikanern, die ihren Präsidenten die Attribute von Halbgöttern zuordnen – und jedem und jeder vor dem Tod ein Denkmal  setzen –  wer passte da besser als ein egomanischer Tycoon, der diese Rolle bereits spielt? Die Zeiten erfordern eine starke Führung. Wer könnte das besser schaffen als ein Geschäftemacher, unbeeindruckt von den Regeln, die die Normalsterblichen einengen?

Was liegt dann vor uns?

Wenn Trump sich die republikanische Nominierung sichert  – ein zunehmend vorstellbares Szenario –  wird die republikanische Partei wahrscheinlich implodieren. Welcher Rumpf der Organisation auch immer überlebt, hat es verwirkt, irgendeinen verbleibenden Anspruch auf prinzipientreuen Konservatismus zu vertreten.

Nichts davon wird jedoch Trump beirren. Er ist nicht konservativ und Trumpismus benötigt keine Partei. Auch wenn schließlich ein paar neue institutionelle Alternativen zum konventionellen Liberalismus auftauchen, das Zweiparteiensystem, das lange die Landschaft der amerikanischen Politik definiert hat, wird für immer verschwunden sein.

Sollte Trump oder einem Trump-Klon letztlich der Gewinn der Präsidentschaft gelingen – eine Möglichkeit, die nicht mehr von der Hand gewiesen werden kann – werden die Effekte noch tiefer gehen. In allem außer im Namen, werden die Vereinigten Staaten aufhören, eine konstitutionelle Republik zu sein. Sobald Präsident Trump zwangsläufig erklärt, dass er allein den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt, werden die Amerikaner feststellen, dass sie die Rechtsstaatlichkeit für eine Version des Caudillismus eingetauscht haben. Trumps Washington könnte dem Buenos Aires in den Tagen von Juan Perón ähneln, mit Melania als entsprechend glamouröser Ersatz für Evita, und das Plebiszit wäre glamouröser Ersatz für die Wahlen.

Dass eine beträchtliche Anzahl von Amerikanern diese Aussicht anscheinend begrüßt, scheint vielleicht unerklärlich. Und doch gibt es Grund genug für ihre Ernüchterung. Die amerikanische Demokratie zerfällt seit Jahrzehnten. Die Leute wissen, dass sie nicht mehr wirklich souverän sind. Sie wissen, dass der Machtapparat, sowohl der öffentliche als auch der private, nicht das Gemeinwohl fördert, dass selbst das Konzept von Gemeinwohl obsolet geworden ist. Sie haben die Nase voll von Verantwortungslosigkeit, von Rechenschaftslosigkeit und Inkompetenz, und von schlechten Zeiten, die scheinbar zunehmend damit einhergehen.

In verstörend großer Anzahl haben sie sich also Trump zugewandt, damit er den politischen Körper entkleidet, bereit, darauf zu setzen, dass er sich etwas einfallen lassen wird, das, wenn nicht besser, zumindest unterhaltsamer sein wird. Wie die Argentinier und andere, die ihr Schicksal Demagogen anvertrauten, vor ihnen erfahren mussten, sind solche Erwartungen zum Scheitern verurteilt.

In der Zwischenzeit stellen Sie sich einfach vor, wie die Donald J. Trump Präsidentenbibliothek – ohne Zweifel größer als alle anderen zusammen – eines Tages glitzern und funkeln wird. Vielleicht mit Anbindung an ein Casino.

 

Übersetzung aus dem Amerikanischen: SEIN/UR und DR

Der Artikel erschien im Original auf Zero Hedge als Gast-Beitrag unter dem Titel „What Trumpism Means For Democracy“

Über den Autor

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Andrew J. Bacevich ist emeritierter Professor für Internationale Beziehungen und Geschichte an der Boston University. Als Absolvent der US-Militärakademie erhielt er seinen PhD in der amerikanischen Diplomatiegeschichte an der Princeton University.

Bevor er an die Fakultät der Universität Boston kam, lehrte er in West Point und der Johns Hopkins. Bacevich ist der Autor von „Breach of Trust: How Americans Failed Their Soldiers and Their Country“ (2013). Weitere Bücher: „Washington Rules: America’s Path to Permanent War“ (2010); „The Limits of Power: The End of American Exceptionalism“ (2008), „The Long War: A New History of US National Security Policy since World War II“ (2007) (Herausgeber), „The New American Militarism: How Americans Are Seduced by War“ (2005) und „American Empire: The Realities and Consequences of U.S. Diplomacy“ (2002).

Seine Essays und Bewertungen erschienen in einer Vielzahl von wissenschaftlichen und allgemeinen Publikationen, darunter The Wilson Quarterly, The National Interest, Foreign Affairs, Foreign Policy, The Nation und The New Republic. Seine kritischen Kommentare wurden unter anderem in der New York Times, Washington Post, Wall Street Journal, Financial Times, Boston Globe und Los Angeles Times veröffentlicht.

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