Vertrauen ins Leben ist eine der Grundpfeiler für ein erfülltes Sein. Besonders in Krisen zeigt sich, wie tief es verankert ist oder aber fehlt. Das Offenlegen der Gründe des Misstrauens und entsprechende Therapien können das verlorene Vertrauen wieder aufbauen und uns den Halt vermitteln, um kraftvoll und voller Freude den Herausforderungen des Lebens zu begegnen. Über Vertrauen als Lebensgrundlage.

Jedes Kind wird unschuldig und mit einem Urvertrauen geboren. Es sagt ja zu der Welt wie sie ist, mit allem was kommt. Vertrauen ist uns instinktiv angeboren, es ist die Basis unseres Überlebenstriebs. Wenn wir als Kinder Stück für Stück lernen unseren Verstand zu nutzen, wird Vertrauen auch zur bewussten Erfahrung. Diese festigt sich wiederum durch positives Feedback auf unser Verhalten zu einer wichtigen Grundhaltung im Leben.
Die Offenheit, das Leben zu nehmen wie es ist, wird oft gestört. Traumata oder negative Erfahrungen kann ein Mensch schon sehr früh erleben, auch vorgeburtlich. Das Geburtstrauma durchlebt jeder, doch es verheilt, wenn das Kind im Anschluss an die Geburt erfährt, dass es sicher und geborgen ist. Erste Einschnitte in das Leben wie das Ende der Stillzeit und des Gewindeltwerdens sind ebenfalls nicht weiter dramatisch, wenn ein Kind dabei liebevoll begleitet wird. Aber in einer von starken Konflikten, Trennung oder sonstigem Unglück geprägten familiären Umgebung verliert das Kind das anfängliche fast grenzenlose Vertrauen in die Welt wie sie ist.

Gestörtes Urvertrauen erzeugt Misstrauen

Die Folge dieses zerstörten Urvertrauens ist im weiteren Verlauf des Lebens Misstrauen gegenüber Menschen und Situationen. Wer allerdings misstrauisch durchs Leben geht, lebt von seinem unbegrenzten Potenzial getrennt. Ohne das Vertrauen ins Leben fehlt ihm auch Selbstvertrauen. Sein Hauptanliegen ist es, sich gegen die Verletzungen des Lebens zu schützen und sich und seine Umgebung zu kontrollieren – wie er es bereits als Kind gelernt hat. Bereits der Umgang mit alltäglichen Herausforderungen stellt solche Menschen vor große Probleme.
In transformativen Krisenzeiten, in denen das Alte völlig zusammenbricht und das Neue noch nicht in Sicht ist, und in denen ein grundlegendes Vertrauen besonders wichtig ist, sind solche Menschen völlig überfordert. Denn wer Veränderungen nur misstraut, weil er nur Schlechtes vom Leben erwartet, der kann sie nicht zulassen und verharrt wie gelähmt in einem schmerzvollen Spannungsfeld.
In spirituellen oder esoterischen Kreisen wird gerne die Auffassung vertreten, dass eine Transformation nur dann geschehen kann, wenn man sich radikal von allem Alten lossagt und sich bewusst ausschließlich im Hier und Jetzt bewegt. Grundsätzlich ist an dieser Sicht nichts auszusetzen, aber es wird dabei übersehen, dass das Neue aus dem Alten hervorgeht. Wenn das Alte von Misstrauen geprägt war, werden einerseits neue Impulse erst gar nicht zugelassen (besser die Sicherheit des alten bekannten Leides als das Neue, mit dem man eher die Gefahren als die Möglichkeiten assoziiert), andererseits wird das Neue, wenn es sich denn durchgesetzt hat, aller Wahrscheinlichkeit wieder aus misstrauischen Augen betrachtet. Heutiges hat immer Gestriges zur Voraussetzung und trägt es in sich.

Durch Verstehen des Alten gestärkt durch Krisen gehen

Transformative Krisen sind eine besondere Herausforderung, weil sie, um Neuem wirklich Raum geben zu können, erfordern, dass das Alte verstanden, anerkannt und gewürdigt wird. Erst dann kann es sich verabschieden und auflösen. Das ist die Voraussetzung, damit das ursprüngliche Vertrauen ins Leben zurückkehren kann. Selbst wenn das Neue sich noch nicht abzeichnet, wird dieses Vertrauen den Menschen in dieser Zeit des Übergangs tragen und führen.
Verschiedene Methoden können helfen, das gestörte Urvertrauen wieder herzustellen. Beispielsweise Haltesessions nach Jirina Prekop, in denen man von einer Stellvertreterin wie von der eigenen Mutter gehalten wird und über einen längeren Zeitraum in die Rolle des (Klein-)Kindes schlüpft, das man einmal war. So kann das Verlassensein des eigenen inneren Kindes geheilt werden.
Familienaufstellungen sind eine weitere Möglichkeit, das Alte in seiner zerstörerischen Kraft zu erkennen und durch das Akzeptieren des bisher Verdrängten und Unbewussten so auf sich wirken zu lassen, dass das gestörte Urvertrauen heilt. Denn in jedem Menschen wirken seine Eltern und Ahnen fort. Zwar ist er auf seinem eigenen Weg, folgt seiner eigenen inneren Stimme und verwirklicht eine ihm ureigene Einzigartigkeit. Dennoch ist jeder an seine Herkunft gebunden und folgt unbewusst Regeln und Aufträgen, die sich aus ihr ergeben. Vor allem längere therapeutische Trainings bieten die Erfahrung, durch alle Krisenzeiten hindurch gehalten zu werden. Dem Vergangenen in die Augen zu blicken und Vertrauen zu gewinnen, macht den Weg frei, dass etwas Größeres geschehen kann.

Über den Autor

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Sakino Mathilde Sternberg (Jahrgang 1948) ist Diplom-Psychologin und leitet die „Akademie für Lebenslust“ in Berlin, in der sie Menschen dabei unterstützt, ein erfülltes, bewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen.

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7 Responses

  1. René
    Guter Artikel, aber...

    Hallo!
    Vielen Dank für den informativen Artikel. Mir fehlt nur die Erwähnung, dass Familienaufstellungen für ungefestigte, vielleicht sogar traumatisierte Menschen in einer verschlimmernden Retraumatisierung enden können. Es ist dringend anzuraten psychologische Hilfe im Anschluss bereitzuhalten und sich ohne diese nicht an einer Aufstellung zu beteiligen.

    Mit bestem Gruß

    Antworten
    • Sakino
      Danke

      Lieber Rene,
      danke für den Hinweis.
      Ich bin ausgebildete Traumatherapeutin, und ich mache in meinen Aufstellungsgruppen immer klar, dass ich nach der Gruppe zur Verfügung stehe.

      Antworten
    • Gudrun
      Familienaufstellung - Auswirkung

      Der Artikel ist sehr gut. Zur Familienaufstellung: Dies ist auch meine Erfahrung. Ich rate sehr, nach einer Familienaufstellung therapeutische oder Psychologische Aufarbeitung anzubieten und in Anspruch zu nehmen. Eine Familienaufstellung ist nicht ohne.
      Hier ein Beispiel: Ein Mitglied der Gruppe war in der Familienaufstellung die älteste Tochter der Klientin, sie war selbstmordgefährdet und die Stellvertreterin musste damit kämpfen, nicht aus dem offenen Fenster zu springen.

      Antworten
  2. Reinhard

    Sie haben es geschafft in knapper verständlicher Form darzustellen was Erwachsene anrichten die ihre kinder seelisch ( und körperlich ) misshandeln.

    Dieser Artikel sollte in jeder Einrichtung, wo Eltern & Erziehungsberichtigte unübersehbar veröffentlicht werden.

    Ich habe mangels solcher lektüre 40 Jahre gebraucht mein verhalten zu verstehen.

    DANKE

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  3. Daniel

    Hallo Frau Sternberg!
    Ich DANKE Ihnen vielmals für ihren Artikel! Durch diesen Artikel hab ich Erleuchtung erfahren und Antworten auf all meine offene Fragen! Es ist der Schlüssel für ALLES!
    Vielen vielen Dank!
    🙂

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