Halb fünf am Morgen. Die Sonne ist gerade hinter dem Hügel aufgegangen. Unter dem langsam aufsteigenden Morgennebel glitzern die frühen Strahlen im Tau. Mit leisen Flammen brennt ein Feuer zwischen den Schatten der Ginsterbüsche. Stille. Nur das Knacken der Äste ist zu hören und der Schrei eines Kranichs vom See herüber. An der Biegung des Feldweges, der vom nahen Wald herüberführt, wird eine Bewegung sichtbar. Mit langsamen Schritten nähert sich eine Frau mit einem Rucksack auf dem Rücken und schickt sich an, den Hügel zu erklimmen. In diesem Moment setzen die Trommeln ein. Mit ihrem gleichmäßigen, rhyth­mischen TokTokTok begrüßen sie die Wanderin. Sie ist die erste von acht Frauen, die nach vier Nächten im Wald von ihrer Visionssuche zurückkehrt…

 

Visionssuche: Übergangsrituale in Orientierungsphasen

Seit Jahrtausenden hat es überall auf dem Erdball Visionssuchen als Übergangsrituale gegeben. Sei es zum Übergang von Kindheit und Jugend ins Erwachsenenleben, sei es vor besonders schwierigen Herausforderungen oder in Situationen, in denen Menschen neue Orientierung für ihr Leben suchen. Die Suchenden verlassen Familie, Freunde, Stamm und ziehen sich für eine längere oder kürzere Zeit von ihrem Alltagsleben zurück: in die Wüste, wie es z.B. die Bibel von Propheten und Gläubigen überliefert, in die Einsamkeit des Waldes, oder sie gehen auf Wanderung durch unbekanntes Gebiet wie bei den Walkabouts der australischen Aborigines. Verschiedene Traditionen alter Kulturen und indigener Völker sind überliefert, drei Elemente jedoch sind bei allen Formen von Visionssuchen essenziell: Einsamkeit, Fasten, Aufenthalt und Begegnung mit der freien, unbekannten Natur.

Die Suchende hat den Hügel erklommen und wird von den Leiterinnen begrüßt. Erleichtert und von innen strahlend lässt sie den Rucksack zu Boden gleiten, setzt sich ans Feuer, wärmt die Hände an einem Becher Tee. Die Trommeln schlagen weiter, eine zweite Frau kommt den Hügel herauf.

Immer wieder kommen auch heute Menschen in ihrem Leben in Situationen, in denen sie nach Klarheit für eine Entscheidung, Orientierung für den nächsten Schritt oder die nächste Phase ihres Lebens suchen. Für wahrhaft Suchende lassen sich in Rückzug und Einsamkeit, Selbstbesinnung und im Kontakt mit der „mehr als menschlichen Welt“ (D. Abram) Wurzeln für einen neuen Anfang finden. Während europäische Formen von Visionssuchen in Vergessenheit geraten oder verloren gegangen sind, haben Traditionen beispielsweise amerikanischer Indianer oder von ihnen beeinflusste Formen den Weg nach Europa gefunden.

Ein Ort für Frauen

Seit sieben Jahren bieten vier Frauen aus der Tradition MütterNacht im Labyrinth* Visionssuchen für Frauen an. Wir führen sie bewusst hier, in dem Natur- und Kulturraum durch, in dem die meisten von uns leben und aufgewachsen sind. Visionssuchen sind eine wunderbare Möglichkeit, sich mit der Erde, der eigenen Herkunft zu verbinden und die innere Entwurzelung, die große Krankheit unserer Zeit, zu heilen und mit dem großen Ganzen zu verbinden. Allerdings ersetzt eine Visionssuche keine Therapie.

Auf den Hügeln und im Wald rund um Wangelkow im Lassaner Winkel haben wir einen eigenen Ort für Frauen geschaffen, an dem sie sich geschützt auf ihre Suche begeben können, um sich über ihr Herzensanliegen klar zu werden. Vor- und Nachbereitung finden im Basiscamp auf dem Hof statt; die sogenannte Schwellenzeit verbringt jede Frau an einem speziellen Platz, allein und gleichzeitig als Teil einer Gruppe von Frauen, die sich zu diesem Übergangsritual entschlossen haben.

Die Sonne ist hochgestiegen, das kleine Feuer ist erloschen. Die zurückgekehrten Frauen sitzen im Tipi, um gemeinsam das Fasten zu brechen und ihre Erlebnisse und Erkenntnisse auszutauschen, die sie für ihre Herzensfragen gewonnen haben.

 


 

Mehr als hundert Frauen haben sich seit 2005 in Wangelkow auf die Suche begeben. Zwei von ihnen sollen hier zu Wort kommen: „Noch nie in meinem Leben habe ich mich so verbunden mit dem großen Ganzen gefühlt wie während meiner Zeit im Wald. Alle Ängste, die ich vorher hatte, waren unberechtigt, es war eine wunderschöne, erkenntnisreiche, wertvolle Zeit da draußen. Ich bin jetzt eine andere als die, die in den Wald gegangen ist, aber die Veränderungen sind allesamt positiv.“ (A. aus H., 2007)

„Die Visionssuche war für mich eine wirkliche Grenzerfahrung, die sich vollkommen von allem unterscheidet, was ich im Alltag bisher erlebt habe. Sie hat mir sehr viel abverlangt, aber noch viel mehr gegeben!“ (B. aus H., 2009)


 
Sabine Barkowsky
Praxis Calla, 17440 Lassan
Tel.: 0177-59 86 843
www.calla-praxis.de 

Visionssuchen für Frauen:
11.-19.6. und
21.-29.8.2015
Informationsveran­stal­tungen in Greifs­wald, Lassan und Berlin
www.visionssuchen-fuer-frauen.de

 

*MütterNacht im Labyrinth Traditionelle Heilweisen  
H. Fuhrberg
www.con-sens.de

 

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