„Ich wollte, ich könnte vertrauen und zweifelte nicht mehr – wie einfach würde das Leben dann sein! Der inneren Stimme vertrauen, nur da sein – das Leben wäre Musik und Tanz!“ So beginnt der Liedtext des zeitgenössischen Liedermachers Benjamin Schumann, in dem er sich mit Ursachen und Wurzeln der Angst auseinandersetzt. Dass ein Leben in Vertrauen uns glücklicher macht als ein Leben in Angst, wissen wir wohl alle. Aber wie kommen wir dorthin? Und wie können wir uns als Menschen gegenseitig unterstützen, um von der Angst zum Vertrauen zu kommen?

 

Zunächst einmal ist es wohl sinnvoll, die Dynamik der Angst etwas ­genauer zu betrachten.
Angst wird oft als lebensbehindernd ­erlebt, da sie die Impulse eines potenziell freien Menschen einschränkt und hemmt. Ursprünglich ist Angst lebensrettend, weil sie uns daran hindert, uns in unkalkulierbare Gefahrensituationen zu begeben. Und doch hat jeder auf dem Hintergrund seiner Angst Verhaltensweisen entwickelt, die nicht mehr adäquat sind.

Sigmund Freud bezeichnete das Angstproblem als ein Rätsel, dessen Lösung Licht über das ganze Seelenleben werfen würde. Wenn wir unsere Angst im Zusammenhang mit unseren Lebens­erfahrungen verstehen, können wir auch die daraus entstandenen Denkmuster, Glaubenssätze und Verhaltensweisen besser verstehen und annehmen. Und wir können erkennen, dass sie nicht nur unser eigenes Thema ist, sondern oft auch kollektiven Mustern entspringt. Die Traumatisierung der Kriegsgeneration beispielsweise reicht weit in unsere Generationen hinein. Gut gemeinte pädagogische Maßnahmen haben Kinder zu vielen Zeiten beschämt und ihnen das Gefühl gegeben, falsch zu sein. Wie viele Verhaltensweisen entstanden, um Angst zu vermeiden?

Wie können wir heute der Angst entgegenwirken? Verstehen ist nur der erste von verschiedenen Schritten. Erst, wenn wir die entstandenen Gefühle nicht verdrängen, sondern sie durchdringen und umarmen, können dem Vertrauen wieder Flügel wachsen und Mut und Spontaneität dazu dienen, uns dem Leben wieder hinzugeben. „Erkenne dich selbst“ sagten die Griechen bereits vor fast 2400 Jahren. Helfer hierzu sind die wärmende Akzeptanz des Bewusstseins und die Glut der Wut – beide zusammen helfen, Scham und Schuld langsam zum Schmelzen bringen. Auf der Basis von Toleranz und Neugier dem Leben und Menschen gegenüber kann sich schrittweise Akzeptanz und Interesse entwickeln. Daraus erwachsene Sympathie und Wertschätzung bilden die Voraussetzung, wieder bereit zu werden für das Vertrauen allem Lebendigen gegenüber, aus dem sich wiederum Liebe in ihren verschiedenen Ausdrucksformen als seelisch-geistige, platonische, erotische oder sexuelle Liebe entfalten kann.

 

Das Leben gestalten

Ein Mensch, der die Hintergründe und Verwicklungen seiner Ängste kennt und sich ihnen stellt, ist auf dem besten Weg, selbstverantwortlich sein Leben in die Hand zu nehmen und kraftvoll zu wirken. Er wird mehr und mehr Gestalter seiner Beziehungen und Lebensprozesse, er wird Regisseur und Hauptdarsteller, er empfindet Macht über sein Leben. Die wachsende Erkenntnis und Identifizierung der zugeschriebenen Opferrolle in verschiedensten Beziehungen und Lebensumständen wird unterstützt durch das zunehmend machtvolle „Täter-Bewusstsein“, wodurch alle konkreten Lebenssituationen beeinflussbar werden. „Nur was wir annehmen, können wir verändern“ sagte C.G.Jung.

Das Leben ist nicht mehr ein zu erleidendes Schicksal, sondern ein Kunstwerk, welches vom Künstler gestaltet werden darf. Dieser ichbewusste Mensch strebt nicht nach Macht über andere, er gesteht auch anderen keine Macht über sich zu („Keine Macht für niemand“). Für ihn ist das Zukünftige nicht gefährlich, sondern Chance und Abenteuer, welches ihn zu Überraschungen permanent einlädt. Hier im Land des Vertrauens sind spielerische Spontaneität, Neugier, Mitgefühl, gegenseitiger Respekt, Wertschätzung und auch eine konstruktive, zwiesprachige Konflikt- und Streitkultur lebendig.

Der Weg von der Angst zum Vertrauen führt über die Wut. Nur wer es wagt, wütend zu werden über Menschen, die ihn verletzt haben, und Geschehnisse, die ihm widerfahren sind, kann die Kraft in sich mobilisieren, die aus der Ohnmacht in die eigene Kraft führt. Sich seiner Wut stellen, um sie zu erlösen, ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. Bleibt der enttäuschte und verletzte Mensch jedoch in Zorn und Wut gefangen oder versucht sie zu verdrängen, so werden sich diese Emotionen gegen ihn selbst richten und können körperliche und seelische Krankheiten hervorrufen. Dass dieser Veränderungsprozess viel Mut, Geduld und Toleranz erfordert, versteht sich von selbst. Welche Art von Unterstützung und Begleitung es auf diesem Weg braucht, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Eine individuelle Begleitung in solchen Prozessen kann nur im therapeutischen Setting stattfinden.

 

Heilungsschritte initiieren

Und doch sind die genannten Themen und Entwicklungsschritte auch jenseits von Therapieprozessen überall relevant, wo Menschen miteinander zu tun haben. So, wie die Schmerzen in uns durch andere Menschen ausgelöst wurden, so können andere Menschen auch Heilungsschritte initiieren. Wenn viele Menschen eng zusammenleben und ihre Verschiedenheit aufeinander prallt, ist es sogar notwendig, sich diesen Themen zu stellen. In der Lebensgemeinschaft ZEGG in Bad Belzig beispielsweise leben zirka hundert Menschen zusammen. Um ein vertrauensvolles Zusammenleben mit so vielen Menschen zu erreichen, ist es unverzichtbar, sich mit den emotionalen Hintergründen, die das Verhalten bestimmen, auseinanderzusetzen. Die Verantwortung für unsere eigenen Gefühle zu übernehmen ist die Voraussetzung, um andere so anzunehmen, wie sie sind. Ohne dies wäre ein so dichtes Zusammenleben gar nicht möglich. In vielen Jahren haben daher Menschen aus der Gemeinschaft Formen der Kommunikation entwickelt, in denen die emotionalen Hintergründe der Menschen transparent werden und ihre Suche mehr betont wird als ihre noch nicht überwundenen Schwächen. Körpertherapeutische Elemente wurden integriert, die Kunst als Ausdrucksform mit Musik, Bewegung und Theater dazugenommen. All dies half, eine Kultur der emotionalen Offenheit zu schaffen. In den mehrmals im Jahr stattfindenden Großtagungen werden solche Settings auch für die Gäste erschaffen, emotionale Offenheit zwischen den Campteilnehmern zeichnen diese Camps aus.

 

Über die Angst hinauswachsen

Das diesjährige Sommercamp dreht sich um die oben genannten Themen Angst, Macht und Vertrauen. Neben Vorträgen und Erfahrungsräumen gibt es für alle Teilnehmer kleine Gruppen, in denen sie ihre individuelle Situation beleuchten können: Was ist für jeden der nächste Schritt, um die Angst zu erkennen und aus ihr herauszuwachsen? Wie könnte das Leben aussehen, wenn wir uns entspannen, vertrauen – und dann aus diesem Grundgefühl handeln, leben und lieben? Auf dem Weg zu erfüllenden Beziehungen und Wirksamkeit in der Welt kommen wir an diesen Fragen nicht vorbei. Die „Gemeinschaft auf Zeit“ im elftägigen Sommercamp bietet ein Lern- und Übungsfeld, um mit diesen Fragen zu wachsen und aus den Erfahrungen Mut zu schöpfen, sich aktiv für eine vertrauensvolle Kultur einzusetzen.

Und vielleicht kommen dann die einen oder anderen zu dem Lebensgefühl, mit dem der Liedermacher Benjamin Schumann seinen zu Anfang zitierten Liedtext weiterführt:
„Doch hadern mit der Vergangenheit bringt nicht wirklich was. Wenn ich fühle und verstehe, was mich lähmt und hemmt, dann passiert’s: Ich pack’s anders an und ich habe Spaß mit mir, so wie ich bin – woah! Dann reiche ich dem Leben meine beiden Hände entgegen, ich schau dich an und atme tief. Versteckte Sehnsucht steigt im Herzen auf und Lippen suchen, finden sich. Dann will ich und kann vertrauen und zweifele nicht mehr. So einfach kann das Leben sein. Der inneren Stimme ­folgen, nur da sein – und Leben ist ­Musik und Tanz.“

 

Die Gemeinschaft ZEGG ist ein Ökodorf, internationales Tagungszentrum und eine Lebensgemeinschaft 80 Kilometer südwestlich von ­Berlin. Rund hundert Menschen leben, ­lieben, arbeiten hier. Als gelebtes Experiment entwickelt sich hier ein Modell der Selbstorganisation jenseits von Hierarchie und Kollektivismus. Die Gemeinschaft arbeitet an einer ökologisch nachhaltigen Gestaltung der Lebensgrundlagen und an allem, was es braucht, damit Liebe und Vertrauen zwischen Menschen wachsen können/kann.
Näheres auf www.zegg.de

Eine Antwort

  1. Anne

    AnneLiebe Tania!Diesmal komme ich so spe4t dazu, alle deine Beitre4ge aufmerksam zu lesen, acseznhauun. Auch mich beeindrucken diese Zeilen. Lange habe ich eine Hilfe, einen Beistand von audfen erwartet, aber das ist schon le4nger vorbei. Stattdessen versuche ich, in tristen Zeiten und die lauern von Zeit und Zeit in der Ecke besonders gut ffcr mich zu sorgen. Ich hf6re Musik, koche etwas besonders Gutes, gf6nne meiner Seele Erholung, tre4ume in den Tag hinein, der Sonne entgegen ..Liebe Grfcdfe und Dankeschf6n!Anne

    Antworten

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*