Ein Resümee unserer sozialen Wirksamkeit. 

Sei es Verantwortungsgefühl für die Welt, Gerechtigkeitssinn, sei es das unbestimmte Bedürfnis, Widersprüche, wie sie im Leben allerorten auftreten, zu überwinden: Irgendeine Motivation wird der Leser brauchen, um mir in diese Ausführungen zu folgen. Es geht um Konsequenz. Konsequenz als soziale, praktische, lebensnotwendige Aufgabe – unangenehm, weil einen die Betrachtung der Konsequenz auch zur Erkenntnis der eigenen Inkonsequenz führt. Eigentlich geht es mir darum, einen Vorschlag für das gesellschaftliche Leben zu unterbreiten.

Um das vorzubereiten, müssen wir erstmal der Frage nachgehen, ob unsere sozialen Ansprüche, unsere Fortschrittsgesinnung, im Leben eine Berechtigung haben und wie weit es damit her ist. Es empöre sich nicht gegen mich, wem es damit nicht ernst ist und es erwarte nicht jener angenehme eingängige Gedanken, der sich diese Ernsthaftigkeit zugute hält. Wir haben ein tiefreichendes, umfassendes Problem vor uns und dessen Lösung wird Arbeit sein.

Wie ernst ist es uns wirklich?

Zunächst: Wir sind Teil einer sozialen Struktur. Wir tragen an einer Kultur mit, die sich in hohem Maße auf Zerstörungsprozesse gründet. Schlaglichtartig zur Erklärung: Fundament unserer Industrie- und Konsumkultur sind Verbrennungsprozesse. Der Preis unseres Wohlstands ist krasse soziale Ungleichheit. Das Recht wird missbraucht, die Ungleichheit zu erhalten. Der Charakter des modernen Konsums ist besinnungsloser Verschleiß. Verschleiß und Raubbau – an unserer Naturgrundlage, am Menschen selbst.

Ich setze die Zustimmung des verehrten Lesers voraus und mache die Grundtendenz zur Zerstörung zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen. Wie sieht es demgegenüber mit unseren Idealen aus? Wie steht es um unsere Gesinnung? Sind wir nicht gerne sozial, ökologisch, lieben wir nicht die Gerechtigkeit? Gerade der Leser dieses Blattes wird, da bin ich mir sicher, sich eine fortschrittliche Gesinnung zugute halten. Und weiter: Wie greift nun diese Gesinnung tatsächlich ins Leben ein? Was kommt dabei heraus an sozialer Wirksamkeit? Wenn Sie versuchen, darüber einen Überblick zu gewinnen, wird es möglicherweise unübersichtlich. Wir sind wirksam, von morgens bis abends (… auch wenn wir nicht wählen gehen, vielleicht sogar im Schlaf?) – wir wirken mit an einer Vielzahl von Verhältnissen, auch durch Unterlassung.

Eine Übersicht können wir gewinnen, wenn wir uns folgende Fragen stellen:

           – Für wen arbeiten wir?
           – Wem geben wir unser Geld?
           – Womit verbringen wir unsere Zeit?

… hier wäre nun eine Pause nötig, um zu bilanzieren. Bilanzieren Sie in aller Ruhe.

Aufbau inmitten der Zerstörung

Doch selbst wenn die eigene werte Persönlichkeit bei dieser Bilanzierung noch vorteilhaft abschneidet, so muss der Blick in die gesellschaftlichen Verhältnisse uns lehren, dass dies wohl die Ausnahme bildet. Oder kann gar jemand von sich sagen, dass er bewirkt, dass die Dinge eher den Bach hinauf als hinunter gehen?

Die Bilanz muss nüchtern sein. Sie spiegelt die uns umgebende Realität. Manch einer wird empört sein: ich solle doch nicht in Bausch und Bogen alles niedermachen. Und Sie haben recht: Es ist zum Verzweifeln. Man spürt die Ohnmacht, wenn man sich den Verhältnissen mit Bewusstsein aussetzt. Nicht wenige haben darüber den Verstand verloren. Dieses Bewusstsein muss weh tun. Es soll mit schmerzhafter Vehemenz hinführen zu der Frage: Wie lässt sich die vorherrschende Dynamik umkehren? Wie tragen wir den Aufbau hinein in die Zerstörung? Ohne dass wir in irgendeiner Weise an dieser Frage leiden, werden wir nicht ins Handeln kommen.

Wir sind sozial inkonsequent.

Um jetzt diese Schrift nicht zum bloßen Aufsatz verkommen zu lassen, sei vorweggenommen, dass es mir eigentlich darum geht, einen Ansatz zu finden, mit dem gerade dies erreicht werden kann: dass wir in eine konstruktive Dynamik kommen. Ich muss nur erst feststellen, dass zwischen unserer Gesinnung und unserem tatsächlichen Tun eine Lücke klafft. Dies ist ein Vorwurf! Wir sind Teil des Problems! Wir können die Ansprüche unserer Gesinnung im Alltäglichen nicht erfüllen. Wir sind sozial inkonsequent. Als Begründung sind wir gewohnt auf die Verhältnisse zu verweisen, die uns zwingen, so oder so zu handeln. Das will ich auch unumwunden zugeben: ja, die Verhältnisse zwingen uns. Wir haben es nicht nur mit mangelndem Willen zu tun, sondern auch mit einer echten Not, mit einem Mangel an Alternativen. Über seine eigene Faulheit sei sich jeder selbst Rechenschaft schuldig. Hier soll es nur darum gehen, was man tun kann, wenn man bereits gewillt ist, sozial konsequent zu handeln.

Gemeinschaftliche Landwirtschaft

Zur Tat: Eine zentrale Rolle kommt der Landwirtschaft zu. Landwirtschaft kann man nicht nur so betreiben, dass man durch den sensiblen Umgang mit Boden, Tieren und Landschaft aufbauend, belebend wirkt, sondern auch durch die soziale Struktur, die sich um diese Prozesse bildet. Denn so, wie die aufmerksame ökologische Bewirtschaftung zum Boden und zur Landschaft gehört, gehört die Bildung von gemeinschaftlicher Verantwortung ins soziale Gewebe, das die Landwirtschaft umgibt. Aus dem ersten entstehen Nahrungsmittel, die den Menschen gesunden, aus dem zweiten entstehen Kräfte, die heilend in der Gesellschaft wirken. Ein wenig nüchterner ausgedrückt: in der Landwirtschaft ist es verhältnismäßig leicht, Erzeuger-Verbrauchergemeinschaften zu bilden, (zunächst) Zweckgemeinschaften, die das verwirklichen, was die eigentliche Aufgaben der (Land-)Wirtschaft ist: Die Versorgung mit Gütern ausgehend vom tatsächlichen Bedarf.

Man möge sich bitte klar machen, dass der Drang zur persönlichen Bereicherung eine der wesentlichen Triebfedern in der unheilvollen Dynamik des heutigen Wirtschaftslebens ist. Aber die Aufgabe der Wirtschaft ist eine gemeinnützige! Dahin führt uns organisch eine Vereinigung der Interessen von Erzeugern und Verbrauchern. Beachtet man dies nicht, so führt das dazu, dass beide Seiten bestrebt sind, sich gegenseitig auszunutzen. Und wenn kein Nutzen mehr aus der Sache herauszuziehen ist, hört die Beziehung einfach auf. Das führt im Ernstfall zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Wirtschaft, wie sie heute ist, wird einfach aufhören uns zu versorgen, wenn sie keinen Nutzen mehr aus uns ziehen kann! Umgekehrt ist das natürlich auch so. Sehen Sie aus dem Fenster: diese Dinge kommen auf uns zu!

Sinnvolle Zusammenhänge erfordern Verbindlichkeit

Es geht also nicht um Wohltätigkeit, mit der wir nach Feierabend unser erfrorenes Gewissen anwärmen, sondern darum dass, insofern als wir im Wirtschaftsleben wirksam sind, wir unser Geld, unsere Arbeit, unsere Zeit in eine nachhaltige Wirtschaft geben. Auf die Landwirtschaft bezogen heißt das: wir leiten das Geld, dass wir fürs Essen ausgeben und die Zeit, die wir fürs Einkaufen verwenden, in sinnvolle Zusammenhänge um. Verschiedene Beispiele, z.B. „Farmer John“, zeigen, dass auf diesem Wege ein gesundes, tragfähiges Wirtschaftsleben entsteht. Die Landwirtschaft ist aber keine reine Wirtschaftsveranstaltung. In ihr wird Natur gepflegt und Kultur geschaffen. Wenn sich hier Gemeinschaft bildet, so ist dies der sicherste Ausgangspunkt für eine konstruktive gesellschaftliche Dynamik.

Wenn diese sinnvollen Zusammenhänge einmal da sind, kann aus ihnen durch Alltäglichkeiten konstruktive Dynamik entstehen. Einfach durch Entscheidung für die Alternative werden wir im angestrebten Sinne wirksam. Allerdings sind in weiten Bereichen der Gesellschaft keine oder nur Scheinalternativen vorhanden. Unter solchen Verhältnissen einen Anfang zu machen, ist schwer. Denken Sie an das Gesundheitssystem: eine Kasse aufzubauen, bei der nicht die Maßnahme, sondern der Fortschritt zur Gesundung vergütet wird, ist unter den heutigen Gegebenheiten sogar unmöglich (obwohl ich darauf brenne, in dieser Ansicht korrigiert zu werden). Aus der Landwirtschaft heraus wird dieser Anfang am ehesten zu machen sein. Wenn wir eine neue Gesellschaft wollen – hier kann man ansetzen.

Das muss man sich trauen am Anfang. Man muss sich trauen, zum Marktstand des kaltfüßigen Biobauern zu gehen und ihn zu fragen, ob er nicht gemeinsame Sache machen wolle mit seinen Kunden. Man muss sich festlegen. Die Freiheit, spontan gerade jetzt und gerade dort hineinzugehen und sich vom Überfluss der Ladenregale inspirieren zu lassen muss man (ein Stück weit) aufgeben und sich auf eine Verbindlichkeit einlassen. Verbindlichkeit ist die Kraft des gemeinschaftlichen Impulses. Diese Möglichkeit gehört in das Bewusstsein jedes Einzelnen und sie verlangt nicht Revolution, sondern sie fließt in den Alltag ein.

 


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Auf DVD: Farmer John. Mit Mistgabel und Federboa

Über den Autor

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arbeitete nach dem Abitur als Kurierfahrer, auf dem Bau und der Heilmittelherstellung, ab 2002 landwirtschaftliche Ausbildung (freie Ausbildung Demeter NRW) in NRW, Hessen und Sachsen, danach (2006) Betriebsgründung mit der Versorgungsgemeinschaft in Pretschen.

Wer dieses Jahr an der Versorgungsgemeinschaft teilnehmen – oder sich auch nur darüber informieren – möchte: Am 22.2. um 20 Uhr findet in der Tieckstr. 17, 1.HH, 1. OG beim Ichthys e.V. ein Treffen statt. Wir freuen uns über zahlreiche Teilnahme – je mehr Menschen sich der Sache anschließen, desto umfangreicher und zuverlässiger kann das Angebot (Gemüse, Obst, Brot) sein.

Nähere Informationen zum Projekt der landwirtschaftlichen Versorgungsgmeinschaft und zur Hofsuche
finden Sie im Internet

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Eine Antwort

  1. Simone Hurtmann

    Lieber Verfasser,

    ein beispielhafter Artikel, der ein Netzwerk gegründet auf Sinnhaftigkeit, Menschlichkeit und Nachhaltigkeit vermuten lässt. Projekte dieser Art sind meiner Meinung nach der Grundstein für ein Umdenken, das wie bereits A.Einstein es formulierte, notwendig ist, wenn wir überleben wollen. Während die Klimakonferenz gescheitert ist und uns plakativ unsere Unfähigkeit zur Einschätzung der weltweiten Situation im Hinblick auf Klima und Erderwärmung vor Augen hält, sind derartige Arktikel und die damit verbundenen Projekte ein Lichtblick in einer ansonsten desaströs verwirrten Welt, die ihrer selbstzerstörerischen Wahrheit noch immer nicht ins Auge sieht. Es bleibt abzuwarten, welche Ereignisse uns letztlich großflächig zum Umdenken bewegen können, damit es auch der Letzte versteht, dass der Raubbau an unserer Natur nichts anderes ist, als die Zerstörung unseres eigenen Daseins.
    Vielen Dank für diesen Beitrag und viel Erfolg bei der Erweiterung dieses Projektes.
    Viele Grüße
    Simone Hurtmann

    Antworten

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