1. Definition und Bestandsaufnahme

Der Begriff Demokratie beschreibt ein Prinzip, nach welchem die Bürgerinnen und Bürger selbst der Souverän, also oberste und souveräne Instanz, Träger der Staatsgewalt und gleichzeitig die Beherrschten sind. Und nicht etwa ein König, Diktator oder Willkürherrscher. Dieses fundamentale Prinzip gilt es anzuerkennen, wenn man von Demokratie spricht.

Das Anerkenntnis dieses Prinzips findet sich in Deutschland in der Ausrufung der Republik im November 1918 durch Philipp Scheidemann in Berlin mit den Worten „…alles für das Volk, alles durch das Volk…“ und seit 1949 im Grundgesetzt, in Artikel 20.2. in der Formulierung „… Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus…“ Ähnlich beschrieb es der 16. US-Präsident, Abraham Lincoln am 19. November 1863 in seiner Gettysburg-Rede, mit den Worten: „…auf dass diese Nation eine Wiedergeburt der Freiheit erleben und auf dass die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk nicht von der Erde verschwinden möge…“ Damit verankerte er die Idee der Volkssouveränität in der amerikanischen Seele.

Im Zeitalter der Aufklärung waren es Philosophen wie Jean-Jaques Rousseau, Montesquieu, Voltaire, aber auch der Gründervater der amerikanischen Demokratie Thomas Jefferson, die mit ihrem Demokratieverständnis die Überwindung absolutistischer Herrschaftssysteme herbeiführten.

Der Aufklärer Rousseau entwickelte bereits 1762 in seiner staatstheoretischen Schrift Contrat Social (Gesellschaftsvertrag) die Idee einer Volkssouveränität, die mittlerweile als grundlegendes Prinzip der Legitimation politischer Herrschaft angesehen werden kann. (Souverän: frz. Souverainete = höchste Staatsgewalt oder lat. Superanus / superioritas = frei übersetzt: über allen anderen Institutionen stehend)

Danach ist das Volk Träger der höchsten Staatsgewalt und steht damit als einziges Organ über den anderen Verfassungsorganen. Stellen sich hingegen Institutionen über das Volk, über den Souverän, so ist dies unvermeidlicher Ausdruck einer Willkürherrschaft. Nach Rousseau, aber auch nach gesundem Menschenverstand haben alle Organe zu schweigen, wenn der Souverän selbst spricht. Diese Festlegung ist selbstevident, weil es nur in einem Akt der Willkür möglich ist, sich über die Gemeinschaft, über die Stimme des Volkes zu stellen. Das Prinzip der Volkssouveränität legitimiert sich selbst, weil es nur durch Gewalt verdrängt werden kann. Es eröffnet wie keine andere Herrschaftsform die Möglichkeit, dass sich der Schwächere wie der Stärkere in Selbstbestimmung entfalten können und dass gleichsam das Allgemeinwohl Ziel des Handelns ist.  Aus diesem Prinzip ergeben sich zwingende Folgerungen.

 

2. Zwingende Folgerungen

a. Es muss eine Verfassung geben, die, wie auch immer entstanden, vom Volk verstanden, akzeptiert und getragen wird, der das Volk zugestimmt hat.

b. Das Volk unterwirft sich seiner Verfassung und begründet dadurch Rechtsstaatlichkeit. Es muss die Möglichkeit haben, die Verfassung zu ändern, sofern dies nötig erscheint, weil das Demokratieprinzip eine lebendige, sich selbst bestimmende, sich weiter entwickelnde Gemeinschaft hervorbringt. So, wie es auch z.B. in der Schweizer Verfassung verankert ist.

c. Entscheidungen können direkt getroffen werden, etwa durch Volksabstimmung, und durch gewählte Repräsentanten. Diese Möglichkeiten stehen nicht im Widerspruch zueinander.

d. Gewählte Repräsentanten sind dem Souverän Untergebene. Sie führen die ihnen zugewiesenen Aufgaben auf Zeit durch und können nötigenfalls durch den Souverän ihres Amtes enthoben werden. In keinem Fall können sie die ihnen übertragene Macht an Dritte nicht rückholbar weitergeben oder durch ihr Handeln die Entscheidungsmöglichkeit durch den Souverän schmälern.

e. Verfassungsänderungen, die die Souveränität schmälern, können nur vom Souverän selbst verantwortet und entschieden werden.

f. Demokratische Machtausübung durch Repräsentanten setzt voraus, dass diese in fairen und freien Wahlen gewählt wurden, dass Chancengleicheit für die Bewerber bestand und dass die Repräsentanten ihr Handeln sowie Entscheidungsgrundlagen öffentlich und transparent zugänglich machen, da ansonsten ihr Handeln nicht überprüfbar ist.

g. Das Demokratieprinzip umfasst alle Bürgerinnen und Bürger. Eine Selektion nach Herkunft, Glauben oder Ideologie, wie es einige gerne hätten, ist nicht möglich.

h. Nur das Wählen von Parteien oder Repräsentanten begründet noch keine Demokratie, auch wenn uns die Lehrbücher Gegenteiliges glauben machen wollen. Wenn grundlegende Demokratie-Prinzipien keine Anwendung finden, wird die vereinbarte Herrschaftsform zwangsläufig in Willkür, Unterdrückung und letztlich in Gewalt ausarten.

i. Völkerrechtliche Verträge, wie z.B. die Charta der Menschenrechte, müssen in einer Weise vereinbart werden, dass einer Institution keine über die Vereinbarung hinausgehenden Rechte oder Befugnisse eingeräumt werden.

j. In einer Demokratie muss zwingend das Recht auf die Letztentscheidung beim Volk liegen.

Nur so kann dem Prinzip einer vom Volk getragenen Staatsgewalt entsprochen werden.

3. Fazit, bezogen auf Deutschland

Die Machtausübung durch Repräsentanten / Parteien, ohne Entscheidungsmacht des Souveräns, hat die generelle Tendenz einer – unzulässigen – Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik. Die Rechtssetzung in Deutschland wurde solchen Verflechtungen zunehmend dienstbar gemacht und hat sich gleichermaßen von einer Allgemeinwohl-Orientierung entfernt.  Eine öffentliche Erörterung dieses Konflikts wird i.d.R. von Repräsentanten vermieden, weil dadurch ihre Macht geschmälert würde. Das deutsche Grundgesetzt entspricht in seiner Urfassung von 1949 zwar weitgehend demokratischen Prinzipien, auch wenn es bis heute nicht vom Volk direkt bestätigt wurde, (!) ist aber, was die Entscheidungsmacht des Souveräns anbelangt, unpräzise (Artikel 20.2.) und wurde seit seiner Entstehung durch zahlreiche Änderungen aufgeweicht. Vorläufiger Höhepunkt ist die – nach obigen Grundsätzen – nicht legitimierte, umsturzartige verfassungswidrige und verschleierte Souveränitätsübertragung an EU-Organe, ein exemplarisch maximaler Sündenfall, festgeschrieben u.a. im Artikel 23 GG.

Damit hat Deutschland seine Rechtsstaatlichkeit und demokratische Verfasstheit weitestgehend verloren. So wird z.B. die Richterschaft auf Deutsches Recht vereidigt, soll sich aber der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen. Parlamentarier haben auf die über dem nationalen Recht stehende Europäische Rechtssetzung kaum Einfluss. Deutschland ist auch kein Bundesstaat mehr, weil Bund und Länder ihre existenzielle Staatlichkeit verloren und einer globalen, von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Verwertungslogik geopfert haben.

Die Bestandsgarantie, die „Ewigkeitsklausel“, wie sie etwa in Artikel 79.3 GG festgeschrieben ist, wurde missachtet, was einer höchstmöglichen Verletzung gleichkommt. Das Deutsche Grundgesetz fordert in einem solchen Fall in Artikel 20.4 den Souverän auf: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass durch Souveränitätsverlust eine nur noch sehr beschränkte Legitimation staatlichen Handelns vorliegt. Als Konsequenz muss alles unternommen werden, um eine wie im Grundgesetz geforderte Souveränität wieder herzustellen. Darüber hinaus wird es unerlässlich sein, eine Letztentscheidungsmacht des Souveräns grundsätzlich einzufordern und durchzusetzen. Losgelöst von Grundgesetz oder Verfassung müssen die Prinzipien, die eine Demokratie begründen, immer wieder vom Souverän überprüft, eingefordert und, da es sonst keiner tut, vom Souverän durchgesetzt werden.

 

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4 Responses

  1. WellenbeobachterHH

    Sehr guter Artikel!!!

    Ich würde sogar noch eine grundlegende Frage mehr aufwerfen wollen:

    Was nützt uns Demokratie, wenn die Dummköpfe in der Mehrzahl sind???

    Das Wort „Dummköpfe“ kann wahlweise ersetzt werden durch „uninformierte Bürger“, „wertkonditionierte Bürger“, „Vertreter der Privatwirtschaft“, „Verblender“, „Verbrecher“, „Ignoranten“…man suche es sich aus, was gerade passt.

    Woraus ich hinaus will: echte Demokratie bedarf stets der vollständigen und richtigen Information in den Händen der Bürger. Sonst kann ja niemand eine richtige Entscheidung herbeiführen. Auch dass ist in Deutschland nicht gegeben, allein schon deshalb, weil Kapitalismus stets für die am besten funktioniert, die den Menschen die größten oder gängigsten Illusionen verkaufen. Deshalb wird immer auch ein Mangel an den wesentlichen, entscheidenden Informationen produziert, sonst funktioniert das nicht dauerhaft, weil sonst keine entsprechende Nachfrage nach diesen Illusionen aufrecht zu halten wäre. Kaum kommen irgendwelche verschwiegenen Tatsachen ans Licht, werden zuvor indirekt demokratisch legitimierte Entscheidungen fragwürdig oder sogar nichtig. Zwar muss manchmal der ein oder andere Politiker sein Handtuch nehmen, aber ansonsten läuft alles wie gewohnt weiter.

    Das verweist darauf, dass Demokratie ja nur eines der allgemeinen Formprinzipen der Mitbestimmung in der Gesellschaft beschreibt. Das sagt gar nichts über dessen Inhalte aus. Wenn ein Volk beispielsweise demokratisch bejaht, andere Völker und Rassen zu unterdrücken, zu versklaven oder auszurotten, wird dieser negative Inhalt ja nicht dadurch besser, dass er demokratisch legitimiert wurde.

    Abgesehen davon wird dieses Formprinzip von weiteren Formprinzipen menschlichen Handels überlagert – z.B. die des Kapitalismus. Bürgerliche Ökonomie, also Wertschöpfung, ist ja kein Naturprinzip, welches man sich irgendwo von Tieren abgeschaut hätte, sondern es ist rein gesellschaftlich determiniert und nur durch Unrecht und Gewalt zwischen den Menschen in die Welt gekommen. Es ist selbst zum Inhalt des Handels geworden und kann sich deshalb auch nur mit Gewalt halten – z.B. durch unsere heute gelebte Art von (Schein)Demokratie, wobei man „Schein“ hier sogar als „Geldschein“ (oder Kapital) verstehen kann.

    Ex-Bundespräsident Köhler meinte sogar: „Demokratie besteht darin, dass alle Menschen dessen Prinzipen kennen und sich daran halten“. Ich denke, da liegt er komplett falsch. Das ist vielmehr das Charakteristikum einer Diktatur!!! Echte Demokratie wäre vielmehr als ein Prozess aufzufassen, indem quasi niemand die Regeln kennt, weil sich diese permanent ändern, weil die Menschen sie ihren Bedürfnissen anpassen und nicht umgekehrt, sich ihnen unterwerfen müssen, um Fetischkonstitutionen und Macht für wenige aufrecht zu halten.

    Desweiteren gibt es rein aus bürgerlicher Politik geborene Entwicklungen wie z.B. die „Globalisierung“…auch etwas, was indirekt demokratisch legitimiert wurde. Diese Globalisierung hatte aber nur einen Grund, das Wachstum des Kapitals aufrecht zu erhalten und andere Völker und ihre Ressourcen auszubeuten. Carl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, brachte es mal treffend auf den Punkt mit den Worten: „Die Globalisierung ist die absolute Diktatur der Geld- und Warenströme in aller Welt.“

    Selbst echte Demokratie im Sinne von Volksherrschaft allein, kann also für eine in sich selbst widerspruchsfreie Zukunft nicht ausreichen. Es bedarf viel mehr auch einer Änderung der Formprinzipien in der Wirtschaft, die anstatt auf fetischhafter Klammerung an die Ware-Geld Beziehung auf direkten, spirituellen, menschlichen Beziehungen aufbauen und sich strikt an den Bedürfnissen orientieren sollte, z.B. mit Direktdemokratie im Wirtschaftsleben anstatt Privateigentum und Fremdbestimmung über Vorstände, Aufsichtsräte und Aktionäre, denen das Schicksal der Menschen hinter der Kapitalverwertung völlig gleichgültig ist.

    Ich freu mich, hier derartige Beiträge zu lesen. Auch wenn der Weg noch lang ist – das Bestehende ganz grundsätzlich in Frage zu stellen ist der erste richtige schritt in die Zukunft!!!

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  2. Slowfox

    Gute Beschreibung der aktuellen Lage in diesem Land und eine unverblümte Aufschlüsselung der herrschenden Scheindemokratie.
    Aus gründen der Anpassung wurde die Demokratie in eine Corpokratie verwandelt, mit allen Nachteilen für die Bürger.
    Allerdings hat auch dieser seinen Teil dazu beigetragen, durch Duldung und Schweigen über arge Mißstände und Gesetzesänderungen unser Grundgesetz nach und nach der Nichtigkeit zu überführen, damit wurde der Demokratie die Grundlage entzogen und die Demokratie in ihrer Gesamtheit von innen ausgehöhlt und nachhaltig zerstört.
    Ein Baum der schön anzusehen ist, aber keinem Sturm mehr stand halten wird.

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