Mein ganzes Leben hat mir mein scharfer Intellekt gut gedient. Er war mein Weg, emotionalen Schmerz zu vermeiden, Sympathien zu gewinnen, Liebe zu bekommen, mich zu behaupten. Er war der Grund, auf dem ich meine Persönlichkeit errichtet habe.

Doch dann traf ich plötzlich Menschen, die in ihrem Herzen erwacht waren. Und tief in mir fühlte ich, dass dies so viel machtvoller war, als alles, was ich jemals mit meinem Verstand erreichen könnte. Ich verstand es nicht, aber ich erkannte insgeheim, dass das Wissen meines Verstandes gegen die Erkenntnisse des Herzens nicht mehr war als leeres Geplapper.

Aber ich konnte mir das nicht eingestehen. Der Verstand war alles, was ich hatte! Das Einzige, dem ich vertraute. Und nun war da diese Kraft, die ich weder verstehen noch analysieren noch beherrschen konnte. Ich bewunderte sie, aber sie machte mir auch Angst.

In den Fluss springen

Aber das Leben lies nicht locker. Mit einem Mal waren die Menschen um mich herum nicht mehr beeindruckt von meinem „Wissen“. Ich konnte die brillanteste Abhandlung halten, perfekt argumentiert, rhetorisch mitreißend. Doch jene, die im Herz erwacht waren, würden mich nur gütig anlächeln und sagen. „Ja, David. Aber du bist so sehr in deinem Kopf, versuche doch mal, aus dem Herzen zu leben.“

Ich wusste, dass es wahr war. Aber etwas in mir fühlte sich wie ein kleiner Schuljunge, dem gesagt wird, dass alles, was er weiß, falsch ist. Ich fühlte eine Machtlosigkeit, weil ich wusste, ich würde alles aufgeben müssen, worauf ich mein Leben gegründet hatte. Ich wusste, ich würde in einen Abgrund springen müssen, der sich für den Intellekt anfühlte wie der Tod. Ich würde in einen Fluss springen müssen, indem es kein morgen mehr gab, nur noch den Moment, ein leises Fühlen und Handlung, die einfach geschieht. Nicht vorherzusagen, nicht zu verstehen, nicht zu beherrschen. Eine totale Hingabe an eine innere Wahrheit, die sich meinen Analysen entzog, die Entscheidungen hervorbrachte, die ich nicht verstehen oder begründen konnte.

Du kannst Recht haben, oder frei sein

Und da war Wut, Wut darüber, nicht mehr Recht haben zu können. Das war es, was mein Verstand wollte: Recht haben, sicher sein. Aber gegen das Herz kann man nicht argumentieren, es erkennt Wahrheit sofort. Kein Argument, keine vermeintliche Wahrheit vermag ein Herz zu beeindrucken, das den Mut gefasst hat, alle Sicherheiten aufzugeben, mitten in den Strom des Lebens zu springen und nur noch auf sich selbst zu lauschen.

Was scheren das Herz Konzepte, Argumente, Gründe, wenn da eine absolute Klarheit im Fühlen ist? Warum sich mit Entscheidungen oder Begründungen plagen, wenn man einfach springen und sich vom Leben tragen lassen kann?

Und etwas in mir sehnte sich so sehr danach. Nach dieser Klarheit. Keine schlaflosen Nächte mehr wegen Entscheidungen, die der Verstand zu endlosen inneren Diskussionen verknotete. Kein äußeres Suchen mehr nach Wahrheit, weil sich diese im Inneren ganz mühelos von selbst offenbart.

Und etwas anderes in mir hatte Angst davor. Eine paradoxe Angst um Sicherheit. Ich beobachtete, wie mühelos und sicher das Herz andere Menschen durch ihr Leben navigierte. Was für eine Magie es erzeugte, was für Wunder. Und trotzdem erschien es so unsicher. So viel „aber was passiert denn, wenn…?“ und „ich kann doch nicht…“. Aber immer klarer wurde: Ich kann nur entweder Recht haben, oder frei sein.

Tests

Ich erkannte in meinen Experimenten: Jede Entscheidung, die ich von der Seele treffe, stärkt die Intuition. Jede Entscheidung des Verstandes begräbt sie wieder. Und so kamen und kommen die Tests, die großen und die kleinen. Ich habe an Flughäfen gestanden und bin nicht in Flugzeuge eingestiegen, habe perfekte Häuser und Jobs ausgeschlagen, völlig absurde Entscheidungen getroffen. Aber das Gefühl nach dem Herzen zu handeln ist einfach überwältigend. Eine stille Extase, ein Gefühl, als würde einen die eigene Seele mit flüssiger Dankbarkeit überschütten.

Und dagegen diese tiefe, existenzielle Leerheit und Traurigkeit, die mit Verstandes-Entscheidungen manchmal einhergeht. Das Gefühl von Getrenntheit, das Gefühl, aus dem Fluss des eigenen Lebens herausgetreten zu sein.

Es ist immer noch schwer, die innere Verbindung aufrecht zu erhalten, den Raum zu öffnen, damit diese leise erste Stimme hörbar wird, die immer Recht hat. Immer. Die sofort weiß, unmittelbar, lange vor all den Gründen und Argumenten und dem ganzen Überlegen. Wie leicht es ist, über diese Stimme hinweg zu gehen, dem lauten Geplapper des Verstandes zu folgen. Und hinterher zu denken: „Warum nur? Ich habe es doch gewusst! Da war dieser kleine Moment, diese leise Stimme – warum habe ich wieder nicht darauf gehört!“ Wie das nervt.

Der Weg

Es ist noch immer schwierig. Noch immer stolpere ich über die eigenen Gedanken, verheddere mich in subtilen Ängsten. Verliere wochenlang das Vertrauen. Und wer versteht es schon, wenn man nicht mehr erklären kann, warum man tut, was man tut. Mit wem kann man schon sprechen, über die kleinen Zeichen auf Werbetafeln, in zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzen, Radio-Songs oder der Natur? Darüber, dass man diesen Dingen mehr vertraut, als Gründen. Über Ahnungen und Gefühle, die keinen Sinn ergeben, höchstens manchmal in der Rückschau.

Es ist kein einfacher Weg, zumindest für mich nicht, mit meinem Holzkopf. Es ist ein permanentes Loslassen, Vertrauen fassen, sich hingeben. Dabei könnte es so einfach sein: Einfach leise sein, lauschen, und den Fluss durch mich handeln lassen. Das gelingt nicht immer. Aber es wird immer deutlicher, dass nichts wertvoller ist, als diese Klarheit, dieses innere Wissen. Und mehr und mehr erkennt auch der Verstand, dass seine Kontrolle letztlich destruktiv ist, dass er seinen vollen Wert erst entfaltet, wenn er dem Herzen dient, statt es zu unterdrücken.

 

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5 Responses

  1. Karl

    Schöner Artikel, David, aber was ist es das das Herz so stark macht? Es ist der „Göttliche Funke“, der im Herzen wohnt. Daher die große Macht, wenn man sie zuläßt. Der Kopf kann auch nicht denken, es ist die Seele die im Körper wohnt und ihn als Werkzeug benutzt. Die Seele ist hier um zu lernen und darf daher auch fehler machen.
    Ich bin kein religiöser Fanatiker aber ich habe mein Wissen aus den Schriften von Jakob Lorber. Er war wohl der größte Prophet aller Zeiten.
    Er nannte sich „Schreibknecht Gottes“.
    Viele, die mit seinen Schriften vertraut sind, werden mir gerne zustimmen.
    Es wundert mich, daß seine Werke nicht besser bekannt sind.
    Schaut einfach einmal im Internet nach.

    MlG. Karl

    Antworten
  2. enaM

    Dein Herz is bestimmt ne wahnsinns Heizung, deine Texte bauen mich ab und zu auf, aber, schoener Mann, warum zeigst du die Zaehne?

    I don’t know
    lieben Gruss jedenfalls,

    Lebe

    Lass dich fallen
    Lerne Schlangen zu beobachten
    Pflanze unmögliche Gärten
    Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein
    Mache kleine Gesten
    Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit
    Freue dich auf Träume
    Weine bei Kinofilmen
    Schaukel so hoch, du kannst
    Tu Dinge aus Liebe
    Mach eine Menge Nickerchen
    Gib Geld weiter
    Mach es jetzt
    Glaube an Zauberei
    Lache eine Menge
    Nimm Kinder ernst
    Bade im Mondlicht
    Lies jeden Tag
    Stelle dir vor, du wärst verzaubert
    Höre alten Leuten zu
    Freue dich
    Lass die Angst fallen
    Unterhalte das Kind in dir
    Umarme Bäume
    Schreibe Briefe

    Joseph Beuys

    Antworten
  3. Melli

    Aaach, es tut so gut.

    In diesem Artikel wird mein eigener Werdegang so detailliert und wunderbar wiedergespiegelt, dass ich mich nur wundern (aber eigentlich auch nicht (c:) und von Herzen freuen kann.

    Danke David, danke Quelle, danke Leben.

    In Liebe
    Melli

    Antworten
  4. ramona

    i love you :-)))))

    „Mit wem kann man schon sprechen, über die kleinen Zeichen auf Werbetafeln, in zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzen, Radio-Songs oder der Natur?“

    ramona

    Antworten

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