Lena Aischa aus Zürich über das Kribbeln der Kreativität

Über 40 Jahre konnte ich mit Formen und Farben nichts anfangen. Ich kannte nur Schwarz für Schicksal, Grau für Verzweiflung, Weiß für Trauer. Andere Farben sah ich nur in meinen Träumen. Meine Sehkraft war nicht so gut, aber ich war physisch nicht blind. Mir fehlte die Motivation, das Leben farbig zu gestalten, deswegen rannte ich Gefühlen und Emotionen hinterher, um mich lebendig zu fühlen. Ich dachte, das würde mir helfen, menschlicher zu sein. In Wirklichkeit war mir bewusst, dass ich anders war. Lieber ließ ich mich vom Schicksal hin und her reißen, hoch und runter wie auf einer Achterbahn, als zu mir selbst zu stehen. Ich war sogar noch stolz, dass die Menschen nur an meiner Oberflächlichkeit kratzten und keine Ahnung hatten, wie mein Kern ist.

 

Neue Lebensfarben entdecken

Dann kam der Tag, an dem ich wusste, jetzt muss sich etwas ändern, ansonsten kann ich meine Koffer packen. Das Leben kann nicht ein Machtkampf sein. Missbrauch, Krankheit, Vergewaltigung, Selbstmord des Partners und Scheidungen konnten unmöglich der Sinn des Lebens sein. Schließlich wollte ich mich auch nicht operieren lassen. Diese Erkenntnis war schmerzhaft, aber auch befreiend.

Schritt für Schritt begann ich neue Lebensfarben zu entdecken und konnte auch wieder die innere Stimme hören und manchmal auch ein Kribbeln im Bauch, wie an jenem Tag im Herbst 2001. Es hieß, ich soll ein Buch schreiben, und einen Tag später kaufte ich mir einen Laptop und begann meinen Erstling „Mit Sieben Diamanten auf Erden unterwegs“ zu tippen, der kurze Zeit später auch erschien. In diesen 325 Seiten wurde eine wahre Geschichte in eine mystische integriert, die ich aber damals selbst noch nicht begriff.

 

Lena Aischa

Malen aus Berufung

Vier Jahre später, wieder Herbst, 2005 hieß es, ich soll malen. Ich kaufte Pinsel, Farben und Leinwände und malte eine Woche lang täglich. Die ersten neun entstandenen Werke überzeugten mich nicht, und enttäuscht versteckte ich sie in einer Schachtel und hatte nicht vor, wieder zu malen. Obwohl ich das Kribbeln eine Woche zuvor klar gespürt hatte, war ich doch überrascht gewesen, weil ich keine Beziehung zu der Kunst hatte. Die kreative Ader hatte ich zwar von meiner Mutter, aber ich konnte damit noch nichts anfangen. Ich war eher von der Geometrie und Mathematik fasziniert, vielleicht gerade deswegen ließ ich mich auf das Malen ein. Geometrische Formen und Farben reizten mich schon. Aber das Thema war jetzt abgeschlossen oder ich dachte es zumindest.

Bis Ende Januar 2006, als es wieder kribbelte, diesmal so heftig, dass ich nichts anders tun konnte als alles wieder auszupacken und einen zweiten Versuch zu starten. Überraschenderweise hatte das neue Bild nichts mit Geometrie zu tun, sondern es war ein Naturbild. Aber es gefiel mir! In der Nacht stand ich mehrmals auf und ging schauen, ob es noch da war. Es schien mir irreal zu sein. Aber das war es nicht, und das Zimmer wurde zum Atelier. Inzwischen sind 325 Bilder entstanden. Ich male täglich und ich genieße die Stille!

Meine Selbständigkeit mit der Kunst begann einige Tage, nachdem ich das Bild Nr. 10 gemalt hatte. Ich hatte einen Termin mit dem Versicherungsagenten, um die Police für die neue Wohnung anzupassen. Wir saßen am Tisch, und er fragte mich: Wie teuer ist das Bild an der Wand? Ich lächelte und meinte: Das kann man doch nicht verkaufen, ich habe es einfach nur so gemalt. Worauf er antwortete: Ist doch egal, ich möchte nur wissen, wie teuer es ist. In dem Moment geschah etwas, was ich nicht erklären konnte. Ich sagte einen vierstelligen Preis, und seine Antwort war: Ich kaufe es!

 

Lena Aischa

 

Der Zustand des Malens

Allein im ersten Jahr entstanden 150 Werke. Schnell merkte ich, dass mich die Geometrische Kunst faszinierte. Wie könnte es anders sein. In einem Bild stecken bis über 300 Arbeitsstunden. Ich weiß zuvor nie, was daraus entsteht. Ich entscheide nur über die Größe der Leinwand und ob das Bild mehrteilig sein soll. Ich male mit Acrylfarben und brauche meistens nur einen dünnen und einen breiten Pinsel pro Bild.

Ich lege die Leinwand immer auf den Tisch, nicht auf eine Staffelei, und beginne mit Zirkel und Lineal intuitiv und meistens spiegelverkehrt zu zeichnen. Das gilt auch für die Farben. Jedes Bild entsteht anders, weil ich es geschehen lasse, da ich weiß, am Schluss passt es immer. Damit es aber so ist, verschwinden in den Stunden, in denen ich male, die Gedanken, die Gefühle, die Emotionen und die Ängste. Es ist ein Zustand, den ich nicht mal richtig beschreiben kann. Mir ist nur bewusst, dass ich einen Pinsel in der rechten und die Farbe in der linken Hand halte und dass daraus etwas entsteht. Mehr ist nicht da.
Erst wenn ich das Bild fertig sehe, staune ich, was aus der weißen Leinwand geworden ist. Dann spüre ich eine unendliche Dankbarkeit dafür, dass ich diesen Job habe. Aber oft will ich das Bild auch wegwerfen, weil ich nichts damit anfangen kann. Später erfahre ich den dazugehörigen Titel oder sogar die ganze Geschichte zum Bild.

 

 

 

Geschichten in einer fremden Sprache

Lena AischaMit dem Malen kam auch eine fremde Sprache dazu, die ich schreiben und reden kann, ohne sie zu verstehen. Deswegen steht hinter fast jedem Bild die Geschichte in dieser Symbol-Schrift. Manchmal merke ich, dass ich nicht weitermalen kann, und dann erfahre ich, dass es an mir liegt, das Thema des Bildes in mich zu integrieren, obwohl ich selbst nicht weiß, welches es ist. Aber es geschieht trotzdem.

Nach 325 Bildern bin ich immer noch von dieser Geometrie fasziniert. Die unzerstörbare Motivation und die immer vorhandene Kreativität sind für mich so kostbar, dass sich die Frage vom Sinn des Lebens erübrigt hat. Trotzdem blieb sehr lange eine Frage im Raum stehen. Die Mitmenschen behaupteten, ich sei eine echte Künstlerin, weil das aus mir raus kommt und nicht gelernt ist. Ich lehnte diese Bezeichnung ab, ich weigerte mich, mich so zu sehen. Aber je mehr Besucher ich hatte, je öfter wir stundenlang vor einem Bild standen und jeder sagte, was er fühlt, spürt, wahrnimmt, desto klarer wurde mir, dass ich tatsächlich durch und durch eine Künstlerin bin. Ich kann aus Kreisen, Linien, Formen und Farben eine Multidimensionalität entstehen lassen, die eine unbeschreibliche Stille im Raum erzeugen kann, für jeden spürbar.

 

 

Kunst der Stille: Dem Göttlichen Form und Farbe geben

Ja, nach 325 Bildern begriff ich, dass meine Berufung darin besteht, der Göttlichen Liebe Form und Farbe zu geben, damit die Menschen diese fassen können. Hätte ich zehn Jahre zuvor mein eigenes Buch besser gelesen, hätten mich die 325 Seiten wach gerüttelt. Das zeigt, dass wir mehr als eine Chance haben, den Weg zu finden.

Ob ich spirituell bin? Ich weiß es nicht. Ich lebe in der Stille und fühle mich wohl. Ob es wichtig ist, wer ich bin? Nein, ich bin nur ein Mensch, der genau weiß, dass es nicht um ein Lebenswerk geht, auch nicht um Erfolg oder Anerkennung, nein – es geht nur darum, Werke zu schaffen, die Ruhe ausstrahlen, damit wir die Zeit finden, anzuhalten, still zu sein, um das zu finden, wonach wir uns sehnen!

Alles andere kommt von alleine.

 

 

Bilder

Alle Bilder © by Lena Aischa.

Nr. 2008.220 (120 x 120 cm)
Geliebte Seele, im 8. Himmel / Anima amata, all’ottavo cielo

Nr. 2010.304 (140 x 100 cm)
Elixier / Elisier

Nr. 2010.303 (140 x 100 cm)
Die Freiheit des Geistes / La libertà dello spirito

Nr. 2009.248 (140 x 100 cm)
Die Kraft der Vergebung / La forza del perdono

Zusammen:

Nr. 2010.304
Elixier / Elisier

Nr. 2010.309

Die Grenze zwischen Genialität und Wahnsinn /Il limite fra genialità e follia

Nr. 2010.308 / 140 x 100 cm
Implosion / Implosione

Nr. 2010.303 
Die Freiheit des Geistes / La libertà dello spirito

Nr. 2010.310
Die Sehnsucht deines Herzens / La nostalgia del tuo cuore

Über den Autor

Avatar of Lena Aischa

Lena heisst die Strahlende und Aischa die Lebende. Sie ist 1963 in Schaffhausen geboren, aufgewachsen in Poschiavo,lebt in der Nähe von Zürich. Im Jahr 2006 explodiert ohne Vorwarnung ihre Kreativität. Als Folge dieses Erlebnisses entscheidet sie sich, ein zurückgezogenes Leben als Einsiedlerin zu führen, aber dies ohne die Verantwortung als Mutter abzugeben. Die Einsamkeit, die Stille und die Kunst haben ihr das finden lassen,was sie über 40 Jahren lang vergeblich um sich herum gesucht hat:
Ruhe und Gelassenheit.

Ihre Kunst ist Gegenwart. Ohne Gesetze, ohne System. Jeder Pinselstrich kommt aus dem Innern, ohne zu planen, ohne zu denken und auch ohne Emotionen. Nur Vertrauen.

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7 Responses

  1. matt

    Auch mir gefallen die Bilder sehr. Sie erinnern mich an Mandalas. Danke schön für den Artikel.

    Gleichzeitig stimme ich auch sep zu: die Ei-Geometrie, Spiralen, Wirbel… das sind „natürlich göttliche“ Formen.

    Antworten
  2. venja

    Die Bilder sind irre! Danke für den Artikel. Schön wäre es, so würde ich doch endlich etwas finden, was mir genauso gesagt wird, dass ich tun soll;-)

    Gruß

    Antworten
  3. sep

    Zirkel und Lineal haben doch nichts mit götlichkeit/natürlichkeit zu tun..
    hilfswerkzeuge zu benutzen ist nun mal (Gesetzt) und (SYSTEM)

    bitte meditieren sie etwas über die natürlich göttliche und asymetrische ei geometrie

    talent haben sie ja, lassen sie ihre hände frei fliessen und erschrecken sie nicht das im endeffekt kein symetrisches bild entsteht denn das ist nur natürlich, menschlich eben!

    und wer weiß, vielleicht endecken sie ja wirklich die göttliche kreativität in Ihnen
    .. danke

    Antworten

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