Nachdem das bis heute medizinisch undefinierte „Burn­out-Syndrom“ die Medien erobert hat, häufen sich nun auch „Auszeiten“, die Entspannung und Aufbau versprechen. Ob die Teilnehmerinnen meiner diesjährigen Auszeit auf Teneriffa eine „entspannte“ Zeit hatten, weiß ich nicht. Doch wir hatten eine intensive, magische Reise durch Lorbeerwälder und Guanchen-­Rituale, während der sich alte Muster und Lasten für immer verabschieden und das Seelenanliegen zeigen konnte. Wie aus Angst Kraft wachsen kann.

 

Angst hat so viele Gesichter. Immer ist sie wie eine Barriere zwischen unserer (alltäglichen) Wahrnehmung und unserer Seele. Und immer entstand sie ursprünglich aus einer Schutzgeste unserer Seele, die mit einem Erlebnis konfrontiert wurde, das sie nicht zu integrieren vermochte.

Ich glaube nicht, dass Burnout- oder Angstsyndrome von außen (durch eine Anpassung äußerer Gegebenheiten) gelöst werden können. Sie entstehen, wenn ein Mensch sich zu weit von seinem Wesenskern entfernt. Aktiv. Daher geht es darum, den Wesenskern bewusst zu halten – und auch im Alltag handlungsleitend werden zu lassen. Das „Bewussthalten des Wesenskerns“ ist Teil der Erfahrungen und Techniken, die ich auf der Auszeit vermittle.

Ich persönlich reise seit vielen Jahren mit kleinen Gruppen an Kraftorte, an denen  heilende Transformationsprozesse verstärkt und unterstützt werden. Während des Transformationsprozesses „Was dir wirklich wichtig ist“ (siehe gleichnamiges Buch), erkennst du, was du (mit Angst) schützt – und wie du einen Weg findest, die Kraft, die in dieser Angst gebunden ist, wieder freizusetzen. Dieses „Aufbrechen“ gelingt in freier Natur – am besten an Kraftplätzen, die viel Transformationsenergie enthalten – leichter. Und dort nimmt auch die Arbeit am inneren Kompass ihren Anfang, im Dialog mit den Naturkräften, mit der du die Persönlichkeitsaspekte wiederbelebst, die unter deiner Angst verschüttet lagen. In dem Moment, in dem du dir deiner unterschiedlichen Persönlichkeitsaspekte wieder bewusst wirst, zeigt sich auch der rote Faden in deinem Leben, dein Seelenanliegen, das, „was dir wirklich wichtig ist“. Angstfrei gehst du endlich deinen Weg.

 

Von der Angst übermannt

In der Gruppe, von der ich hier berichte, gab es gleich drei Menschen mit starken Angst-Themen: eine Frau, die Angst davor hatte, allein zu reisen und sich zu weit von ihrer Familie zu entfernen. Eine andere, die Angst vor Leistungsdruck hatte und immer wieder in berufliche Schwierigkeiten kam, weil die Angst sie übermannte. Und eine dritte, die ihre Angst vor Abhängigkeit und Enttäuschung auf dem Trip „Ich kann das alleine!“ bis zum Burnout getrieben hatte. Als die drei nach vierzehn Tagen Transformationsprozess inmitten vulkanischer, überbordender Natur nach Hause fuhren, waren sie frei. Frei von Angst. Und frei für ihren Weg.

Wellness war das bestimmt nicht, als wir Mitte April mit dem „Was dir wirklich wichtig ist“-Prozess im Nordosten Teneriffas begannen. Die Gruppe war diesmal sehr groß. Es gab neben einigen Neulingen, denen meine Transformationsarbeit noch nicht vertraut war, auch zwei „alte Hasen“, die diesmal wiedergekommen waren, um ihr Initiationsritual zu empfangen.

Doch dazu gehörte harte Arbeit: War der innere Kompass stark genug, um in der „realen Wirklichkeit“ handlungsleitend zu sein? Waren die Fünf inneren Entitäten (das sind Persönlichkeitsaspekte, die wiederentdeckt und wiedergewonnen wurden) alle integriert und abrufbar, so dass die ganze Person im Gleichgewicht war und sich das Tonal (die materielle Welt im Unterschied zur geistigen Welt; ein Begriff, den Carlos Castaneda wohl als Erster in die breite Öffentlichkeit brachte) genügend verringern konnte, um Raum zum Träumen, Raum für die Seele freizugeben? War die persönliche Berufung voll bewusst und wurde sie gelebt? Letzteres bezieht sich auf Fortgeschrittene – ab einer bestimmten Stufe kommen die Teilnehmer einfach zum Erfahrungsaustausch und weniger, um Heilung oder Transformation zu erfahren.

 

Die Berufung praktizieren

Die erfahrenste Teilnehmerin hatte die feste Absicht, am Ende der ersten Woche ihr Gelübde abzulegen – und so arbeitete sie Tag für Tag in Stille an ihrem Medizinrad und praktizierte ihre Berufung im Hintergrund. Die eigene Berufung zu praktizieren bedeutet im Zentrum des eigenen Kompasses zu sein und die eigene „Farbe“ der Liebe zu leben, also auf eine Weise absichtsvoll zu dienen, wie es der eigenen Seele entspricht, so dass sie – in unserem Fall – in der Gruppe wirken und die anderen Teilnehmer energetisch stärken konnte.

Währenddessen mussten sich die meisten anderen Auszeitler erst einmal an den straffen Tagesablauf und die intensive Transformationsarbeit gewöhnen: sieben Uhr Yoga auf der Dachterrasse – manches Mal in recht kühlem Bergwind –, neun Uhr Frühstück, zehn Uhr Gruppensitzung oder Aufbruch zu einem unserer Kraftplätze, nicht selten drei bis vier Gehstunden entfernt. Coachingsitzungen bis in den Abend. Doch die Schönheit unserer Umgebung, die Liebe, die sich in unserer Gruppe ausbreitete – jedes Mal, wenn eine Einsicht vor aller Augen zu Kraft wurde und Gesichter sich lichteten, Herzen leicht und Gedanken klar wurden – bescherte uns wundervolle Tage.

Nicht ohne Zwischenfälle – doch die gehörten irgendwie zum Prozess:
Was hat es zu bedeuten, wenn das Flugzeug der Seminarleiterin beim Landeanflug auf Madrid, etwa drei Meter über der Landebahn plötzlich Vollgas gibt und im Steilflug in den Himmel schießt?

Warum hat die Teilnehmerin mit Gehbehinderung das schwerste Gepäck, einen großen Hund in Begleitung und eine Hundehütte, die in kein Auto passt?

Wie kommt es, dass ein Teilnehmer mit Abgrenzungsthemen kein Zimmer im Gemeinschaftshaus mehr bekommt – und ein eigenes Häuschen auf dem Dorfplatz bezieht?

Welche Gedanken kommen einem, wenn die Frau mit dem jahrelang therapierten Angstthema ihr i-Phone verlegt – wo sie doch meinte, sie könne nicht länger als eine Stunde ohne Kontakt zu ihrer Familie sein?

 

Herausforderung Vertrauen lernen

Und was machen wir, wenn ich, die Seminarleiterin, mir am Tag vor der Teide-Besteigung beim Yoga den großen Zeh breche? „Der passt ja nicht mal mehr in die Wanderschuhe!“   Was sollte ich nun machen? Da waren Menschen, die ich gerade durch einen sehr starken Prozess begleitete und die von mir erwarteten, dass ich meine Aufgabe wahrnahm. Abends vor der Wanderung machte ich Energiearbeit an meinem gebrochenen Zeh, morgens konnte ich den erfreulicherweise leicht abgeschwollenen Fuß wenigstens in die Schuhe zwängen. Dann Fahrt zum Teide und Aufstieg: fünf Sessions gegeben, bis jede Teilnehmerin in ihrer Energie und mit ihrem Rhythmus ihre Wanderung vollzog. Und ich – ich hatte dann plötzlich für einige Stunden frei. Was jetzt tun mit meinem Fuß? Gebet an die geistige Welt: Hey, das tut weh – jetzt lasst mich doch einmal erfahren, wie ich meine Energie auch für mich und meine Heilung einsetzen kann! Und dann lief ich. Und ich rannte. Und ich spürte meine Beine und Füße nicht mehr. Es war sehr leicht. Die knapp 1000 Höhenmeter flog ich förmlich bis zum Einstiegspunkt zurück – erfüllt von Leichtigkeit und Licht – ich kann es nicht anders beschreiben. Als ich ankam, war mein Fuß nicht mehr blau und angeschwollen und ich konnte den Zeh wieder bewegen. Ich entfernte die Tapes, mit denen ich am Morgen noch meinen großen Zeh mit dem Nachbarzeh zusammengebunden hatte, und schmunzelte“ über meine immer wiederkehrende Skepsis. Also auch die „Lehrerin“ hatte ein wenig von ihrer Angst – der spirituellen Aufgabe nicht gewachsen zu sein und der Skepsis gegenüber ihren eigenen Heil- und Wahrnehmungskräften – verloren. Die Botschaft: Keine Angst vor der eigenen Kraft! Keine Angst, all das naturwissenschaftliche Wissen, all die Erfahrungen und Behauptungen loszulassen und der geistigen Welt (auch meiner eigenen) zu vertrauen.

 

Der Weg aus der Angst – wie aus Angst Kraft wachsen kann

Ja, es gibt keine Zufälle, all diese Zwischenfälle gehörten zum Prozess – und zweifelsfrei waren hier höhere Kräfte am Werk, die vielen von uns Befreiung, Bestärkung und Klarheit  geschenkt haben:

Irmgard* wollte am Tag vor ihrer Initiation unbedingt bis zum Kraterrand des Teide aufsteigen. Bei einer Zeitvorgabe von viereinhalb Stunden eine stramme Leistung. Als wir sie an der letzten Seilbahn vergebens erwarteten, kam ein Anruf: „Ich habe es mit meinen letzten Kräften rauf geschafft. Aber die letzte Seilbahn nach unten ist weg. Ich schaffe es nicht mehr runter!!!!“ Glücklicherweise hatten wir ein zweites Auto, sodass ich die Gruppe nach Hause schicken konnte. Ich selbst wartete viele Stunden am Einstiegspunkt, bis die Sonne sank, sah vor meinem inneren Auge Irmgard laufen und laufen, verband mich mit ihr, sendete ihr Kraft. Etwa 40 Minuten vor Sonnenuntergang  bekam ich ein klares Signal (ich hatte eine geistige Verbindung aufgebaut und konnte sie spüren): Sie gibt auf !

So nahm ich meine Jacke und begann den Aufstieg – ihr entgegen. Die Stille der Unendlichkeit lag über der unwirklichen Vulkanlandschaft. Blassblauer Himmel, durchzogen von letzten orangefarbenen Sonnenstreifen – es wurde zusehends dunkler. Meine Gedanken und mein Herz waren ganz bei der kraftvollen Frau, die so viele Jahre in Selbstzweifeln und Kleinkriegen gebannt gewesen war und nun vor dem letzten Schritt in ein selbstbestimmtes und von ihrem Seelenanliegen geführtes Leben stand. Ja, die Angst davor, für sich selbst zu stehen, der verzweifelte Versuch, auszubrechen und in einen Zickzackkurs zwischen Selbstüberschätzung und Selbsterniedrigung zu fallen – das waren die Abgründe links und rechts, durch die sie noch musste, bevor sie frei war. Diese Abgründe hatten dieser tatkräftigen und kreativen Frau so viele Jahre lang Angst vor der eigenen Courage gemacht  – und sie zwischen den Extremen „Ich setze mich durch!“ und „Ich schaffe das nicht alleine!“ hin- und hergeworfen. Indem sie das ganz klar für sich erkannte, konnten sich diese Extreme auflösen.

Was für eine Fügung, welche unendliche Weisheit des Lebens, sie jetzt noch einmal in eine solche Situation zu führen. Ich stieg und stieg – es wurde schwer, den Weg zu sehen – ich hielt inne, denn ich konnte sie spüren – und ich „huuhte“ (wir haben einen bestimmten Ruf, um uns draußen finden zu können). Und sie antwortete!

Weinend fiel sie mir in die Arme – vollkommen erschöpft – wir sahen uns an, stiegen das letzte Stück schweigend ab, saßen im Auto, sahen uns an. Sie strahlte. Es war vollbracht. Irmgard hatte die Grenze gesucht, gefunden und volle Verantwortung für ihre Entscheidung übernommen, trotz offensichtlicher Zeitnot und einer wartenden Gruppe, ihren Weg konsequent weiterzugehen. Angstfrei. Singend fuhren wir zurück zu unserer Casa.

 

Dem inneren Nein begegnen

Ich könnte noch lange so weiter erzählen: Davon, wie die ängstliche Marlen* den Anschluss an die Gruppe verlor – weil sie angeblich einen anderen Rhythmus hatte. Wie ich sie im Zauberwald fand und ihr den großen Guanchenfels als Spiegel zeigte. Wie sie mit dem Stein meditierte – und die Stille ihres eigenen Steinaspektes entdeckte. Und nach der Stille endlich, endlich Klarheit fand und den Ursprung ihres Burnouts beseitigen konnte: So viele unerfüllte Erwartungen an Menschen (vor allem an Männer), ihr beizustehen. So viel Schmerz und daraus Trotz. „Ich kann es alleine!“. So große Schritte, so viel Unabhängigkeit, so viel Stärke, die zu stark war für ihre Seele: Um all die Stärke war ein Korsett von Härte und Bitterkeit gewachsen. Das Gefühl von Erschöpfung und Einsamkeit  erdrückte sie mehr und mehr. Und dahinter die Angst, wieder alleine dazustehen. Wir sind auf den Fels gestiegen und haben ihren Abschied von der Angst gefeiert.

Oder wie der übergewichtige, höhenängstliche Robert* mir auf dem Berggrat nachstieg – zunächst unbeholfen, schwitzend, schnaufend – den Fokus auf der Anstrengung und Gefahr. Während er sich abmühte und die Gruppe längst zwischen Himmel und Meer ihre Brotzeit auspackte, sammelte ich Artemisia für Robert und brachte sie ihm. Artemisia ist von alters her eine Transformationshelferin. Sie wächst hier oben im vulkanischen Anagagebirge üppig und in einer Form, die es nur hier gibt. Mit ihrem berauschenden Duft täuscht sie hinweg über die geballte Ladung an Licht und Mut, die sie zu spenden vermag.  Ich setzte mich mit meinem Artemisiabündel zu Robert, der „zufällig“ genau gegenüber der „grünen Madonna“ saß – einer bewaldeten Bergkonstellation, die die Form einer übergroßen Mutter zeigt, die ihre Hände über dem Tal ausbreitet. Ein guter Platz, um über die uralte Angst vor dem Leben selbst zu sprechen. Über den Verlust der Selbstliebe und die quälenden Zweifel daran, selbst „etwas wert“ zu sein, vor dem Gefühl, dass Mühsal und Anstrengung Teil des Lebens seien. Dort oben auf dem Berggrat – auf den ich singend hinaufgesprungen war und er sich voller Angst hinaufgequält hatte – wurde das große „Nein“ deutlich, das Robert all die Jahre zum Leben hatte. Zugleich breiteten sich all die Möglichkeiten, all die Schönheit vor ihm aus – und ein Blick in sein Leben zeigte, dass er sie auch dort vor lauter Konzentration auf Gefahren und Anstrengungen ganz übersehen hatte. Wir verbrannten etwas von der duftenden Artemisia und riefen die Kräfte der Himmelsrichtungen – und damit auch die Lebenskräfte in Robert. Der Abstieg war leichter. Die Trägheit schwand Tag für Tag und auf dem Flughafen verabschiedete ich mich von einem freien, vitalen Mann voller Pläne.

 


*Name von der ­Autorin geändert

Mehr Infos zu Evelin und ihrer Arbeit: www.evelinrosenfeld.de

Mehr Infos zu den Auszeiten: www.seminar-und-reisen.de

Kennenlerntage in Berlin, München, ­Zürich, Bad Kissingen, Wien, Köln und ­Konstanz

Eine Antwort

  1. Franz Josef Neffe

    Aus Angst wächst keine Kraft. Kraft wächst nur aus Kraft und deswegen sollten wir ab und zu wenigstens nach unseren Kräften schauen, wie es ihnen geht. In der Ich-kann-Schule gehört das zum grundlegenden Umgang des Menschen mit sich selbst. Dann entdeckt er auch, womit er sich selbst immer schwächer macht oder stärkt.
    Auf so einfache Weise hat vor über 100 Jahren E.Coué z.B. das Prinzip der AUTOSUGGESTION = des eigenen Einflusses entdeckt und – weil er ein sehr guter Beobachter war – durch seine enormen praktischen Erfolge in wenigen Jahren als weltberühmte Selbsthilfe-Methode bekanntgemacht.
    Die Angst – von lat. „angustum = eng“ – wird nur zum schier unlösbaren Problem, wenn man sich verrannt hat und dann in der verkehrten Richtung immer noch weiter will. Nach einfacher Umkehr soeht die Welt sofort ganz anders aus und die Möglichkeiten erWEITern sich.
    Angst ist letztlich ein Indikator, ein Anzeiger und Wegweiser, eine Lebenshilfe, die zu einem besseren Umgang mit den Talenten mahnt, die wir haben.
    Freundlich grüßt
    Franz Josef Neffe

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