Zunehmend integrieren Neurologen und Ärzte Erkenntnisse aus der neuesten Gehirnforschung in ganz praktische Ansätze. Einer der bekanntesten Neurologen, Dr. Joseph Dispenza (kurz Dr. Joe) aus den USA, sprach mit Christian Salvesen über seine Methoden, positive ­Veränderungen im Gehirn zu initiieren – für mehr Freude und Glück im Leben und das ­Ausschöpfen unseres Potenzials. Wie das Gehirn unserem Glück zuarbeitet.

 

Dr. Joe, was können wir tun, um glücklich zu sein?
Wann immer der Körper es besser weiß als unser Verstand, empfinden wir das als Himmel. Anders gesagt: Himmlisch ist es, wenn unser Verstand oder Geist der Körper ist. Im Alter von 35 besteht das, was wir sind, zu 95 Prozent aus dem Unbewussten. Und du möchtest dein Leben mithilfe von nur fünf Prozent deines Bewusstseins – mit dem, was du als deinen bewussten Geist kennst – ändern? Währenddessen erinnerst du dich wohl eher an einen negativen Zustand, wo Körper und Geist im Zwist sind. Du betest mit aller Kraft für ein besseres Leben, doch was du fühlst, ist Schuld! Wir können unser Leben nicht mit diesen fünf Prozent bewusstem Geist ändern. Wir müssen in dieses scheinbar alles beherrschende, unbewusste System vorstoßen und unsere Identifikationen und Assoziationen in positivere verwandeln.

Welche Methoden verwenden Sie? NLP, Meditation, Aufmerksamkeitsschulung?
Es ist Meditation, eine ganz besondere Meditation in zehn Stufen. Ich habe ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Wie man seinen Verstand verliert und einen neuen erschafft.“ Darum geht’s. Ich halte es nicht für hilfreich, hier auf Details einzugehen, man braucht den Rahmen eines Workshops, um es zu üben, doch ich kann einen kurzen Überblick geben.

Die Praxis der Wandlung – also wenn man sein Leben wirklich verändern will – erfordert zweierlei: zu verlernen, woran man sich erinnert, und etwas Neues zu lernen. Die Gewohnheiten des alten Selbst müssen durchbrochen und ein neues Selbst erschaffen werden. In der Neurologie sagen wir: Alte neuronale Verbindungen werden geblockt, neue gesät. Wir vergessen alte Emotionen, die bereits Teil unserer Person sind, und strukturieren Körper und Geist neu.

Doch wie genau kommt hier die ­Meditation ins Spiel?
Das Wort Meditation bedeutet in der Tibetischen Tradition „mit etwas vertraut werden”. Wirst du mit deinen unbewussten Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühlen vertraut, die jeden Tag allzu oft unbemerkt ablaufen, und wirst dir ihrer bewusst, dann wirst du wirklich Zeuge deiner selbst. Das ist Meditation. In dem Maße, wie dir die unbewussten Abläufe im Körper und im Geist bewusst werden, gewinnst du auch Kontrolle über deine Gefühle.

Aus neurologischer Sicht beeinflusst alles, was du denkst, fühlst und tust, das Gehirn und führt zu bestimmten Mustern oder Schaltkreisen. Wenn du immer wieder dasselbe denkst und fühlst, dann werden im Gehirn die entsprechenden Schaltkreise stabiler. Wie können wir sie aber nun durchbrechen? Wir müssen unser Gehirn dazu bringen, auf eine neue Weise zu funktionieren. Das geschieht zum Beispiel durch Information und Wissen. Denn immer, wenn du etwas lernst (neue Information!), entsteht zwangsläufig eine neue neuronale Verbindung im Gehirn. Das macht Lernen aus. Erinnern dagegen bedeutet, die alten Verbindungen zu bestärken und zu erhalten.

Sowie du beginnst, dich selbst in einem positiveren Licht zu sehen, in einem freien, schöneren Leben, werden automatisch – nur durch deine neuen Denkwege – neue Neuronenschaltungen installiert. Und wenn du dein Gehirn dazu bringen kannst, auf neue Weise zu funktionieren, dann verändert sich auch dein Leben zum Positiven.

In den spirituellen Traditionen werden Gehirn und Verstand meist als Erscheinungen angesehen, die ihre Quelle in etwas haben, das jenseits von Zeit und Raum ist. Wir können es Bewusstsein nennen. Wie sehen Sie das?
Ja, dem stimme ich zu. Die alte wissenschaftliche Einstellung, dass Geist oder Bewusstsein ein Produkt des Gehirns seien, ist überholt. Wir können nur von der Ebene des Bewusstseins aus wirklich etwas im Gehirn oder im Geist bzw. Verstand verändern. Das Bewusstsein ist sowohl individuell als auch universal. Es lenkt unser Innenleben ebenso wie den Lauf der Sterne und das Kreisen der Galaxien.

Wie kann dann eine Person, ein Ich etwas ändern?
Gar nicht. Die Person besteht ja letztlich nur aus all den meist festgefahrenen Programmierungen aus der Vergangenheit. Wir müssen diese Person loslassen, um etwas wirklich Neues zu erfahren und zu kreieren. Wahre Kreativität geschieht auf einer unpersönlichen Bewusstseins-Ebene. Da ist niemand da.

Aber haben wir nicht gerade davor die meiste Angst: Niemand oder nichts mehr zu sein?
Ja, schon. In unseren Meditationen geht es darum, diesen Mantel oder diese alte Schutzschicht des Ich nur vorübergehend abzulegen. Wir können jederzeit zum Personalen zurückkehren. Doch wir haben den unvergesslichen Einblick in die Freiheit und Möglichkeiten grenzenloser Kreativität erhalten.

In alten indischen Schriften wie den Upanishaden heißt es, dass sich unsere wahre Natur in tiefem, traumlosem Schlaf offenbart. Was sagen Sie dazu?
Das kommt mir jetzt fast so vor, als würden wir zwei Flaschen Wein während eines halbstündigen Gesprächs leeren, aber okay. Lassen Sie mich mit den Gehirnwellen beginnen. Soweit wir heute wissen, sind die Gehirnwellen bei Kindern ziemlich langsam, denn ihr Gehirn ist noch nicht voll ausgebildet. Typisch sind Beta-Wellen, die Schlaf oder eine Zwischenzone (Twilight) anzeigen, wo uns die innere Welt wirklicher erscheint als die äußere. Im Alter von etwa neun Jahren entwickeln wir unseren kritischen, analytischen Verstand, der sich in Alpha-Wellen zeigt. Hier entsteht eine Brücke zwischen dem unbewussten und dem bewussten Geist, doch wir halten die äußere Welt für wirklicher als die innere.

Was die in den Upanishaden angesprochenen tieferen Traumzustände betrifft, da geht es – glaube ich – einfach darum, den analytischen Verstand zu umgehen und in den Beta-Zustand zu gelangen. Ein luzider Traum in diesem Zustand erscheint wirklicher als die äußere Welt. Der Körper schläft, der Geist ist wach. An ­diesem Punkt leistet der Körper keinen Widerstand gegen Veränderung. Da sehen wir die Wirklichkeit ohne subjektive Bei­mischung. Wir sollten das in der Meditation üben, so wie wir beim Einschlafen vom Alpha- zum Beta- oder Deltazustand „herunterfahren“, aber das geschieht normalerweise sehr schnell und unbemerkt. Gelingt es uns, mehr Bewusstsein in diese tiefen Zustände zu bringen, können wir auch unser Leben verändern.


Dieser Artikel ­erschien zuerst im Magazin VISIONEN, Ausgabe 9/2010

Abb: © ecrow – Fotolia.com

Sein neuestes Buch: „Du bist das Placebo – Bewusstsein wird Materie“ erscheint im August 2014

Weitere Infos: www.drjoedispenza.com

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