Die Angst greift um sich. Angesichts crashender Banken, wertlos gewordener Anlagen und fallender Aktien sind viele Menschen verunsichert, ob sie das Lebensnetz noch weiter trägt. Doch diese Zeit, in der die gesellschaftlichen Pfeiler zu wanken beginnen, kann auch eine Chance sein – wo die Wirtschaft kriselt, kann der Mensch wachsen. Wirtschaftskrise als Chance.

Panikkäufe und -verkäufe, die Börsen spielen verrückt, Kurse purzeln, Märkte brechen ein, die Nachfrage sinkt rapide…. Was da geschieht in der Welt der Wirtschaft und der Finanzen, ist lange befürchtet und von vielen vorhergesagt worden. Aber es waren Rufer in der Wüste, denn die Masse hoffte: Vielleicht geht’s ja doch noch mal gut. Kaum einer wollte sich raushalten aus dem Casinospiel an den Börsen, wo mit geliehenem Geld bei hohem Risiko horrende Gewinne eingefahren wurden. Über Renditen unter 30 Prozent haben sie gelacht, die Herren Groß-Banker. Heute suchen sie wieder das solidere Geschäft mit dem ‚kleinen Sparer‘. Natürlich haben die Medien wie die Menschen schnell ihre Schuldigen ausgemacht, klagen wütend an und fordern Konsequenzen. Hier zeigt sich, dass sich bei und in uns noch nichts geändert hat. Es ist genau diese Haltung der Verurteilung, die uns ‚hier unten‘ zu den Machtlosen gegenüber denen ‚da oben‘ erklärt. Sie gibt die eigene Verantwortung ab und schafft damit die Voraussetzung für weitere Erfahrungen der Ohnmacht und Hilflosigkeit, der Enttäuschung, der Ausbeutung, des Betrugs und des Mangels.

An die eigene Nase fassen

Haben nicht die ganz normalen Bürger das Zockerspiel und das Leben auf Pump mitgemacht all die Jahre? Wenn Sie ein Bekannter fragen würde, ob Sie ihm 1000 Euro leihen könnten, wenn er Ihnen in einiger Zeit 1300 Euro dafür zurückgeben würde, weil vor kurzem ein neues Casino in der Stadt aufgemacht hätte, dann würden Sie Ihm vermutlich einen Vogel zeigen. Wenn aber der Bankberater den gleichen Deal unter anderem Namen vorschlägt, dann siegt die Gier. Geldgier und Schnäppchenmentalität oben wie unten.

Was Manager in Wirtschaft und Politik betrieben haben, passt perfekt zum Bewusstseinsstand der breiten Bevölkerung. Seit Jahrzehnten versucht der Normalmensch seinen materiellen Wohlstand zu mehren. Diese Haltung ist verständlich. Er muss jedoch auf diesem Weg scheitern, wenn er die Materie, das Haben-Wollen, ins Zentrum seines ganzen Seins und Bewusstseins stellt, wenn er das, was er hat, zu seinem Gott macht und zum Maßstab seines Selbstwertes nach dem Motto „Je mehr ich habe, desto mehr bin ich.“ Das zeigt, wie wenig er tief innen von sich selbst hält, wie gering seine Selbstwürde und seine Selbstwertschätzung ist. Wenn wir den Menschen verachten, der nichts hat, zeigt dies nur zu deutlich, dass wir uns selbst reduziert haben auf das Äußere: auf die schicken Klamotten, die coole Wohnung, das flotte Auto, den Urlaub auf Bali oder auf der Ayurveda-Beauty-Farm.

Nimm dem Menschen alles, was er hat, zieh ihn nackt aus und stell ihn vor den Spiegel – dann weiß er, wes Geistes Kind er ist und was er wirklich besitzt. Denn hier ist er nur mit sich selbst konfrontiert und mit sonst nichts. Genau dies bewirkt die Krise im Außen, die gerade begonnen hat. Sie zieht uns das unter den Füßen weg, von dem wir dachten, es wäre dauerhaft und stabil – und darin liegt ein großes Geschenk.

Mehr Bodenhaftung

Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist ein Segen und wird – so hoffe ich – in vielen Menschen für mehr Klarheit, Bodenständigkeit und eine Ausrichtung auf dauerhaft stabile Werte sorgen (und das nicht nur bei der Anlage ihres Geldes). Sie kann und wird auch dafür sorgen, dass wir aufhören, unsere Verantwortung für unser Lebensglück abzugeben an ‚die da oben‘, und uns darauf besinnen, dass wir hier nicht als isolierte Einzelwesen herumlaufen, sondern als eine Gemeinschaft, in der jeder mit jedem vernetzt ist und jeder einen immensen Einfluss auf unsere gemeinsame Zukunft hat.

Was wir jetzt weltweit erleben, ist ein Reinigungs- und Klärungsvorgang grundlegender Art, der sich durch alle äußeren Lebensbereiche ziehen wird. Wie weit jeder von uns persönlich aus der Krise im Außen Gewinn ziehen wird, das hängt von seinem persönlichen Klärungswillen ab und von seinen Antworten auf die Fragen: „Wozu lebe ich eigentlich? Was soll das Wichtigste in meinem Leben sein? Wer will ich sein hier in diesem Leben? Wem will ich dienen? Was bin ich bereit, der Welt, den anderen, der Gemeinschaft zu schenken?“

Diese Fragen haben sich die wenigsten Menschen bisher selbst beantwortet. Das Leben fragt jeden von uns – frei nach Oriah Mountain Dreamers Buch „Die Einladung“: „Mich interessiert nicht, was du verdienst und wie viele Schnäppchen du bisher gemacht hast. Ich will wissen, was dich von innen stützt, wenn alles andere im Außen weg bricht?“

Abb: © Paul_Hakimata-fotolia.com

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