Wenn man an den 11. September 2001 zurückdenkt, dann wahrscheinlich mit Entsetzen über das unglaubliche menschliche Leid. Die Bilder der Flugzeuge, des Zusammenbruchs der Türme, Inferno, das Begreifen, dass diese winzigen zappelnden Punkte, die da fallen, echte Menschen sind. Freiwillig, aus Angst live vor meinen Augen in den Tod gesprungen.

Im Leben jedes Menschen gibt es bestimmte Zeitpunkte, Lebensmarken, die sich einbrennen. Diese Ereignisse sind – ob traumatisch wie ein Unfall oder glückselig wie der erste Blick auf das eigene Kind, die mitreißende Euphorie einer Masse – sehr selten. Aber sie hinterlassen ihre sichtbaren und unsichtbaren Spuren. Rückblickend kann man sich immer glasklar an diesen Moment und die das Gehirn flutenden Gedankenfetzen erinnern und noch einen schwachen Schimmer jener Emotionen verspüren, die man damals empfand.

Solche Momente durchlebt jeder anders, nimmt sie anders wahr. Unterschiedliche Dinge sind wichtig und bilden jenen einen unvergesslichen Punkt. Der Fall der Mauer ist auch einer dieser Punkte. Nicht oft gibt es globale Ereignisse, die Millionen von Menschen miteinander verbinden. „9/11“ war so ein Tag.
Vielleicht treibt mich die menschliche Neugier, vielleicht auch der Wille zu erinnern und nicht abzustumpfen. Ich frage nach..: Wo warst DU an jenem Tag? Was hast du wirklich genau in dem Moment gehört, gesehen, gefühlt, gedacht, als du davon erfahren hast?
Wir geben die Eindrücke wertfrei wieder, sie sind nicht repräsentativ, die Personen wollten anonym bleiben. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser auch selbst und fragt sich: „Wo war ich…?“

 

w., 48 J.
Berlin. Ich war am 11.9. zu Hause. Irgendwann schaltete ich den Fernseher an. Und wunderte mich: Da lief offenbar so etwas wie eine Sondersendung, am helllichten Tag, ein Nachrichtensprecher saß da und verlas die Meldung, ein Flugzeug sei in das WTC geflogen, man sah auch die Bilder davon, immer wieder. Alle wirkten und taten so, als ob irgend etwas ganz Unfassbares, noch nie Dagewesenes im Gange sei. Okay, dachte ich, das ist ja ein spektakuläres Ereignis, aber warum regen die sich alle so auf? Es passieren doch jeden Tag auf der Welt grauenhafte Dinge mit vielen Toten… Warum soll das jetzt schlimmer oder anders sein als irgend etwas anderes? Erst in den folgenden Tagen wurde ich dann ein Stück weit von der allgemeinen, „besonderen“ Stimmung erfasst, ich erinnere mich an den Gedanken, jetzt geht es endlich los, jetzt bricht die Zeit der Veränderungen an, von der schon so lange die Rede ist…

w., 28 J.
Duisburg. Ich war zu Hause bei meinem damaligen Freund und verlegte Netzwerkkabel. Wir machten eine kurze Pause und ich schaltete den Fernseher ein. Ich sah einen vollkommen aufgelösten Nachrichtensprecher vor einem Bluescreen stehen, seine Stimme voller Fassungslosigkeit, während hinter ihm gerade das zweite Flugzeug in die Türme flog. Mantrenartige Gedanken in meinem Kopf: Oh Göttin.. die Menschen.. Jetzt ist es soweit, der dritte Weltkrieg! Es ist aus. Bush wird sofort über den Irak herfallen und alles wegbomben. Meine Familie dort….

m., 37 J.
Berlin. Am 11.9. war ich mit Freunden bei Plaste & Elaste in der Bergmannstr. auf der Suche nach einem Paar Stiefel, als eine junge Frau in den Laden gestürmt kam und dem Verkäufer erzählte, er solle ganz dringend das Radio einschalten, die USA werden gerade angegriffen. Ich hab zuerst gedacht,  dass die spinnt, bis dann die Berichte im Radio losgingen. Ich muss ehrlich zugeben, mein erster Gedanke war: „Tja, wer sich mit der ganzen Welt anlegt, muss sich nicht wundern.“ Aber als ich dann zu Hause die Bilder im Fernsehen gesehen habe, war’s endgültig vorbei mit der Schadenfreude. Das Bild, wie sich das zweite Flugzeug ins WTC bohrt, werd‘ ich wohl nie vergessen.

w. 29 J.
Kiel. Ich weiß noch, dass ich erkältet zu Hause im Bett lag. Irgendwann gegen Mittag habe ich den Fernseher eingeschaltet. Eine Nachrichtensondersendung – und während der Korrespondent redete, knallte das Flugzeug in den zweiten Turm. Plötzlich wurde der Kommentator ganz hektisch und hat nur noch gestammelt. Mein bester Freund und ich haben dann unsere Freunde angerufen, weil sehr viele bei der Marine waren, gerade vor ein paar Wochen eingeschworen. Und nun schien es, als würde der dritte Weltkrieg vor der Tür stehen. Wir haben dann abends eine Weltuntergangs-Party geschmissen, weil wir wirklich dachten, dass da jetzt ganz großer Ärger kommt und wir eine Menge Leute nicht so schnell wiedersehen würden. Und bedingt hat es, durch den Adria-Einsatz der Bundeswehr, ja auch gestimmt.

Über den Autor

Avatar of Shermin Arif

ist studierte Germanistin, Sozial- & Geschichts­wissenschaftlerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin als freie Journalistin, Redakteurin, Autorin, Texterin, Foodbloggerin, magische Kesselguckerin, kulinarische Diva und Kunsthandwerkerin.

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