Dass Yoga bei körperlichen und seelischen Beschwerden hilft – diese Erfahrung haben viele Yogapraktizierende schon einmal gemacht. Roman Steiner hat verschiedene Übungen in Bezug auf ihre spezifische Heilwirkung untersucht und bietet heute Yoga als Therapieform an – als Yogatherapie.

 

Als ich vor neun Jahren die Ausbildung als Yogalehrer bei Babacar Khane begann, begegnete ich dem therapeutischen Potential des Yoga. Khane kommt aus der Yogananda-Tradition und bemüht sich darum, Yogastile unterschiedlicher Kulturen zu kombinieren: Ägyptisches Yoga und chinesisches Yoga sind komplementär zu Hatha-Yoga, legen den Akzent jedoch weniger auf die starke Dehnung – eine bewusste, exakte Bewegungsführung und die Wahrnehmung des Energieflusses spielen hier die Hauptrolle. Auf diese Weise kann der Zugang zu Asanas älteren Menschen und Personen mit Bewegungseinschränkungen erleichtert werden.

Das ägyptische Yoga kräftigt die Wirbelsäule, begünstigt ihre Beweglichkeit und die Aufrichtung. Der Wechsel von Anspannung und Entspannung im chinesischen Yoga eignet sich beispielsweise für die Behandlung von Rheuma.

Nachhaltig beeindruckte mich am eigenen Körper zu erleben, wie Yoga heilend wirkt. Ich litt zu Beginn der Ausbildung an chronischen Kniebeschwerden. Nach jeder Übungseinheit waren sie weniger stark und spielten nach einiger Zeit keine nennenswerte Rolle mehr. Zuerst stellte ich keinen Zusammenhang zu meiner Yogapraxis her. Irgendwann aber konnte ich nicht mehr darüber hinwegsehen, dass ich zu jedem Seminar mit Beschwerden kam – und gesund nach Hause fuhr. Das begann beim verstauchten Zeh und machte auch vor einem hartnäckigen allergischen Asthma nicht halt, das während eines Seminars mitten im Mai einfach verschwand.
Individuell angepasste

 

Bewegungsfolgen

Zu dieser Zeit begann ich, die Übungen in Bezug auf ihre Heilwirkung zu unterscheiden. Gleichzeitig beschäftigte ich mich mit anderen yogatherapeutischen Ansätzen, wie dem von A.G. Mohans. Trotzdem kam mir die Idee, Yoga selber als Therapieform anzubieten, erst Jahre später, als ich bereits Heilpraktiker war. Ich machte erste Versuche – zu Anfang entsprachen sie einem wöchentlichen Yogakurs, aber in einer 1:1-Situation. Im Austausch mit meinen Patienten entwickelte ich über einen längeren Zeitraum die Yogatherapie, wie ich sie heute anbiete: Die Behandlung beginnt mit einem Erstgespräch, das sich um die Beschwerden und ihre Entstehung dreht; auch geistig-seelische Themen spielen hier häufig eine Rolle.

Oft fallen mir spontan Übungen ein und manchmal gebe ich meinem Gegenüber schon eine mit auf den Weg. Dann entwickle ich eine individuell angepasste Bewegungsfolge. Für einige Menschen sind es nur stille, innere Übungen; für andere stelle ich eine sehr aktive Asana-Reihe zusammen.

Wichtig ist die Umsetzbarkeit. Deshalb bitte ich meine Patienten darum, realistisch einzuschätzen, was sich zeitlich in ihren Alltag integrieren lässt: Mal steht eine Stunde am Tag zur Verfügung, mal nur 15 Minuten am Morgen.

Wir treffen uns einmal oder mehrmals, machen die Lektion gemeinsam und ich gebe Impulse. Nach einigen Wochen kann ein Folgetermin vereinbart werden, um die Übungen gegebenenfalls anzupassen. Natürlich ist auch eine Begleitung in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum möglich. Die Haltungen müssen nicht eindrucksvoll aussehen. Selbst alltägliche Bewegungen bekommen eine therapeutische Dimension, wenn sie aufmerksam ausgeübt und von der bewussten Atmung geführt werden. Manche Menschen sagen: „Yoga? Das kann ich doch gar nicht!“ Sie sind überrascht, wenn ich erzähle, dass ich Yoga sowohl mit Kindern als auch mit über 90jährigen übe. Eine richtig verstandene, angeleitete Yogapraxis ist für jeden Menschen umsetzbar, denn sie ist jenseits jeglichen Wettbewerbsdenkens.

 

Bewusstheit in kranke Bereiche lenken

Folgende Ungleichgewichte und Erkrankungen lassen sich nach meiner Erfahrung günstig durch Yogatherapie beeinflussen: Alle Gelenksleiden und durch sie verursachte Bewegungseinschränkungen, Fehlhaltungen, Skoliosen, Beckenschiefstand, Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden, Schwäche der Sehnen und Bänder, rheumatische Erkrankungen. Allergien, Atembeschwerden, Schlafstörungen, Essstörungen, Adipositas. Nervenleiden: Nervosität, Depression, Unruhe- und Angstzustände, Konzentrationsschwierigkeiten, Verdauungsprobleme, Verstopfung, „Burn-out“, Kopfschmerzen, Migräne. Rhythmische Störungen: Pms (Prämenstruelles Syndrom)-Beschwerden, Kreislauferkrankungen, hoher Blutdruck, Palpitationen. Abwehrschwäche: Dauererkältung, Nackensteif- igkeit, chronische Müdigkeit. Gleichgewichtsstörungen, Augenschwäche.

Ziel ist es nicht, Symptome „wegzumachen“. Es geht eher darum, dem „Ist-Zustand“ Aufmerksamkeit zu geben und Bewusstheit in die betroffenen Bereiche zu lenken. Auch chronische Beschwerden können sich so bessern, und selbst bei „unheilbaren Erkrankungen“ kann Yogatherapie begleitend eingesetzt werden.

Ein großer Teil des Leidensdrucks entsteht aus dem Gefühl, nichts ändern zu können. Yogatherapie ist ein mächtiges Werkzeug, das helfen kann, selbständig sein Wohlbefinden zu steigern. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen ihre Heilung mit Yoga in die eigene Hand nehmen und so zunehmend von Autoritäten im Außen unabhängig werden.


Abb: © Scott Griessel – Fotolia.com

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