Beim Tanz als meditative Praxis nutzen wir den Körper als Zugang zu einer höheren Bewusstseinsstufe und als Gefäß für das Göttliche. Tanz ermöglicht uns zudem, meditativ – geistige Zustände, wie sie in der stillen Meditation vorkommen – in unserem Körper zu verankern.

von Julia Lohmann

Meditation als spirituelle Absicht

In der Meditation trainieren wir, den Geist still werden zu lassen und ganz im Moment anzukommen. Für mich ist Meditation jedoch mehr als eine Pause vom vollen Alltag in der Leere und Stille – Meditation hat für mich auch immer eine spirituelle Absicht: ich wende mich in der Meditation bewusst einer höheren (Bewusstseins-) Ebene zu, dem höheren Potential oder dem Göttlichen. Ich setze die Intention, mich von dieser Ebene informieren zu lassen und dadurch andere Ideen und Impulse zu bekommen, als mir das in meinen eigenen Denk- und Verhaltensmustern möglich ist. Es ermöglicht ein Update meiner Gewohnheiten und eine Erweiterung meiner Perspektive über mich hinaus. Regelmäßige Meditation stärkt zudem diesen Zugang an und für sich, so dass mir diese Informationen zunehmend auch außerhalb der Meditation im Alltag zur Verfügung stehen und mein Wirken in dieser Welt informieren können.

Tanz als Weg zu Gott: Verkörperung und Öffnung

Tanz als Teil einer spirituellen Tradition ist wahrscheinlich so alt wie Spiritualität und Religionen selbst. Häufig ging es dabei auch um eine Form, Gott zu ehren.
Ken Wilber beschreibt, dass zu einer integralen bzw. ganzheitlichen spirituellen Praxis neben der Meditation zur Stärkung des Geistes auch die Stärkung des Körpers und der Körperwahrnehmung gehören – wie auch das Trainieren des Verstandes und die Schattenarbeit. In diesem Sinne trägt Tanz als bewusste Bewegung natürlich zu einer spirituellen Praxis bei, ähnlich wie Yoga, Hapkido, Butoh oder andere Bewegungskünste, die Bewusstheit und Bewegung zusammen bringen. Tanz spricht darüber hinaus auch noch die Kreativität an und damit den mystischen Aspekt der Schöpfung. Zusätzlich werden im Tanz das Unbewusste viel direkter angesprochen als über Worte, d.h. auch Schattenaspekte werden zugänglich und können transformiert werden – z.B. in der Tanztherapie. Tanz kann viel.

Wenn ich von Tanz als spiritueller oder meditativer Praxis spreche meine ich damit jedoch nicht seinen Beitrag zu einer integralen Lebenspraxis in Form der Stärkung eines Körpergewahrseins, sondern sehe den Tanz selbst als Meditation oder Kontemplation. Der Körper bietet dabei sowohl den Zugang wie auch ein Gefäß für das Göttliche. Es geht darum, in einen Zustand zu kommen, in dem die eigenen Bewegungsmuster (analog zu den Denk- und Verhaltensmustern) beiseite treten und die Tänzer*innen in einen überpersönlichen Raum jenseits ihrer Muster treten und sich von dort „bewegen“ lassen.

Im Zen Buddhismus z.B. wird gerade mit dem stillen Sitzen eine Auflösung des Körperschemas angestrebt, so dass sich der Geist als grenzenlos erfahren kann und die sogenannten körperlosen Versenkungszustände erreicht werden können.

In unserer westlichen Kultur haben viele Menschen jedoch eher ein mangelndes Körperschema und nehmen ihren Körper selten bewusst wahr oder ziehen sich bei Stress etwas „raus“ aus dem Körper. Daher ist für mich die erste Bewegung ganz hinein zu tauchen in die eigene Leibhaftigkeit. Und erst in einem zweiten Schritt geht es darum, das Körperschema wieder aufzulösen. Dieses kann ich auch durch ein tiefes Hineinschmelzen genau in die Bewegung erreichen – eine Erweiterung des Körperschemas und damit auch der Ichgrenzen durch den Körper hindurch statt von ihm weg.

Gerade weil in unserer Kultur der eigene Körper für viele Menschen fremd geworden ist, finde ich es zudem sinnvoll, die Verkörperung bestimmter mit Meditation verbundener Zustände zu ermöglichen. Für mich ist eine spirituelle Praxis nur so gut, wie sie uns mit dem höheren Bewusstsein verbindet und gleichzeitig in dieser Welt verankert. Tanz gibt uns die Möglichkeit dazu, indem wir meditative Zustände mit Bewegung und Körperwahrnehmung koppeln und somit in uns verankern.

Choreografie, Katharsis oder Trance

Die meisten Traditionen, die Tanz als mystischen Erfahrung nutzen, sind an ein bestimmtes Götterbild oder einen bestimmten Glauben gebunden. Mir ist wichtig, dass Menschen ihrer eigenen Erfahrung und Definition von einem höheren Bewusstsein oder dem Göttlichen folgen können. Der gemeinsame Nenner ist die Erfahrung und das Erleben, dass es etwas gibt, was größer ist als ich in diesem Moment, das mich umfasst und gleichzeitig über eine persönliche Perspektive hinaus erweitert sowie die Intention, sich davon führen zu lassen.

Es gibt aber auch Unterschiede in der Bewegung oder darin, wofür Bewegung genutzt wird. Indische Tempeltänzerinnen z.B. gelten als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen. Sie nutzen Ihren Körper vorwiegend, um in exakt choreografierten Bewegungen Geschichten der Götter zu erzählen und diese damit für die Menschen erfahrbar zu machen.
Osho hat viele aktive Meditationen entwickelt und dabei Bewegung vor allem genutzt, um gestaute Emotionen loszulassen, die häufig im Körper festgehalten sind, damit überhaupt ein Zustand der Stille erreicht werden kann. Dabei geht es meistens um Katharsis und die Befreiung von Blockaden.
Die Derwische – die tanzenden Mystiker des Islam – sehen ihren Tanz als Mittel der Annäherung an Gott, gleichzeitig auch Ausdruck dieser Nähe. So tanzen z.B. die Derwische der Sufi-Bruderschaft, die sich im 13. Jahrhundert um den Mystiker Mevlana Rumi gebildet hat, um in das Zentrum ihres wahren Selbst zurück zu gelangen, um so ihrem Ziel näher zu kommen – die Einigkeit mit Gott.
Die Bewegung und das Ritual der Derwische ist ebenfalls choreografiert. In dieser klaren Bewegung der Drehung kann der Geist loslassen und der Tänzer in Trance treten.

Tanz als Meditation – so wie ich ihn praktiziere und unterrichte – hat keine feste Choreografie. Ziel ist es in seinen Bewegungen so präsent zu werden, dass das Eigene beiseite treten und ich mich zur Verfügung stellen und mich bewegen lassen kann.

Präsent und lauschend in der Bewegung

Dieser Prozess hat nach meiner Beobachtung anfangs eine Art Reihenfolge – ähnlich wie in der stillen Meditation. Für Anfänger ist das stille Sitzen meist eine Herausforderung, denn erst einmal taucht Vieles von dem auf, was im Alltag an Gedanken und Gefühlen keinen Platz hat. Beim Tanzen ist dieses ähnlich, da sind es vermehrt Spannungsmuster, die wir wahrnehmen, gefolgt von Gefühlen, die wir häufig im Körper festhalten. Viele Menschen erleben daher beim Tanzen in dem Moment, wo sie ihres Körpers mehr gewahr werden, starke Emotionen. Im Ausdruckstanz oder der Tanztherapie würden wir genau mit diesen Gefühlen arbeiten. In der Tanzmeditation hingegen versuchen wir die Gefühle SEIN zu lassen in dem Sinne, sie geschehen und durchfließen zu lassen, ohne ihnen extra Energie zu geben – während wir weiterhin ausgerichtet bleiben. Ähnlich wie in der Stillen Meditation Gedanken und Gefühle auftauchen, aber nicht zum Inhalt werden.

Ich fange meistens an mit einer Sequenz, in der Menschen sich mehr ins Hier und Jetzt bringen, mit dem Fokus, sich „leerer“ werden zu lassen, z.B. durch Schütteln oder starke und fließende Bewegungen. Wenn eine bestimme Emotion in der gesamten Gruppe sehr stark im Raum ist, ist es manchmal auch hilfreich, der kollektiv Ausdruck zu geben.
Dann ist für mich das „Lauschen“ ein sehr zentrales Element und begleitet den gesamten Prozess. Es ist nicht auf den auditiven Kanal begrenzt, sondern schließt alle Wahrnehmungskanäle mit ein, auch die intuitive Wahrnehmung. Ich höre quasi mit meinem gesamten Körper und meinem Sein zu. Ich kann dieses Lauschen aber auch auf verschiedene Wahrnehmungsinhalte lenken. Es ähnelt dem inneren Zeugen in der stillen Meditation – ist jedoch kein rein kognitiver sondern ein ganzkörperlicher Prozess – ähnlich wie beim Wittern der Tiere. Lauschen heißt nicht unbedingt, dass ich Antworten bekomme, es bezeichnet für mich vielmehr das Einnehmen einer aktiv-aufnehmende Haltung, in der ich mein gesamtes Wahrnehmungsfeldes aufspanne. Je leerer ich werde, desto einfacher wird das Lauschen.

Darüber hinaus arbeite ich mit verschiedenen Übungen und Foki, die unterstützen können, ähnlich wie die Konzentration auf den Atem als Weg in die Versenkung bei der stillen Meditation. Ich kann mich z.B. im Tanz mit dem höchsten Potential, einem höheren Bewusstsein oder Gott verbinden und meine Bewegungen von dort informieren lassen. So kann ich – als eine Möglichkeit – meine Konzentration anfangs auf meine Wirbelsäule lenken als Lichtkanal, während ich mich mit dem göttlichen Licht über mir und gleichzeitig meinem Körper und der Erde unter mir verbinde. Oder ich kann mein Herz als Knotenpunkt und Verbindung zwischen der Horizontalen – der Verbindung mit dem Göttlichen und – und der Vertikalen – der Verbindung mit der Welt – wahrnehmen und von dort aus meine Bewegungen stattfinden lassen. Meistens haben diese mentalen Vorstellungen einen direkten Einfluss auf meine Bewegungen und werden dann auch als Körperempfinden erlebbar. Je tiefer ich in die Erfahrung hinein tauche, desto mehr scheint der Körper sich auszudehnen in dieser Erfahrung. Dann kann es passieren, dass Bewegung und Raum eins werden und es still wird in der Bewegung.

Ich nutze diesen Zugang aber auch, um konkrete Antworten auf Fragen meines Lebensalltags zu finden und zu ertanzen. So kann ich z.B. eine konkrete Frage oder ein Thema, einen inneren Konflikt oder Ähnliches mit hinein nehmen in meine Bewegung. Tanz eignet sich wunderbar um mit dem zu sein, was ist, auf gedanklicher, körperlicher und emotionaler Ebene, das auszudrücken und damit gleichzeitig loszulassen. Wenn ich mich dann auch noch für eine höhere Bewusstseinsebene öffnen und schaue, was an Bewegungen – inneren wie äußeren – geschehen will, ergibt sich häufig eine neue und weitere Perspektive, eine Öffnung meines Gedankenfeldes, eine Erweiterung meiner bisherigen Lösungsmuster und nicht selten eine ganz konkrete und neue Antwort auf meine Situation.

In den Momenten der Stille selbst, wenn Bewegung und Räumlichkeit eins werden – ist es letztendlich unwichtig, durch welche Praxis wir dahin gekommen sind. Tanz ist nur ein Weg dorthin. Ich möchte vielmehr dazu beitragen, dass Menschen ihren Weg finden. Ich freue ich mich sehr mit dem HeilOrt e.V.  in Kooperation mit dem ZEGG-Bildungszentrum an Ostern 2022  erstmalig ein gemischtes Meditationsretreat anzubieten.

 

Nächste Veranstaltungen zu diesem Thema
Osterretreat 2022: 14. 4 – 18.4.: Meditation, Achtsamkeit und Tanz: Wege in die Stille – eine Kooperation der ZEGG GmbH und des HeilOrt e.V. https://heilort.org/aktuelles/oster-retreat
ab Mai 2022: Die mit den Göttern tanzen – Tanz als spirituelle Praxis
3-teilige Fortbildung an der Akademie Heiligenfeld: wwww.akademie-heiligenfeld.de

Über den Autor

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14806 Bad Belzig
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Julia Lohmann ist  u.a. Psychotherapeutin und Tanztherapeutin in eigener Praxis,  gibt  Seminare u.a. in Tanz als Spirituelle Praxis an der Akademie Heiligenfeld, seit 9 Jahren in Ausbildung und Assistenz bei dem spirituellen Lehrer Thomas Hübl und wirkt bei der Entstehung des HeilOrtes mit – einem Heil- und Lebensort für den gesamten Lebenszyklus (wwww.heilort.org), an dem sowohl der Tanz wie auch die Meditation einen Platz finden sollen. Hier berichtet sie über ihre Erfahrung von Tanz als einer eigenen Form der Meditation.



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