Improvisationstheater – ein Weg, sich neu kennenzulernen, die eigenen Bewertungen über sich selbst auf einer spielerischen Ebene zu erkennen und sich in einer bisher ungekannten Leichtigkeit wahrzunehmen.

von Sabine Merfort

Wie sehr mag ich mich? Was halte ich von mir? Wie sehr bin ich mit mir als Mensch zufrieden? Und wie gehe ich damit um, wenn ich mal nicht zufrieden bin? Wie viel steht mir meiner Meinung nach im Vergleich zu anderen zu …? Die Beantwortung dieser Fragen zeigt den Wert auf, den wir uns selbst zuschreiben, unseren Selbstwert. Es ist die grundsätzliche Einstellung, die wir zu uns selbst haben, ganz subjektiv.

Wir geben uns also alle selbst einen Wert. Warum eigentlich? Vielleicht, weil wir Teil dieser Gesellschaft sind. Einer Gesellschaft, die alles und jeden bewertet. Die Herkunft, den Beruf, die Leistung, das Aussehen, Fähigkeiten und Eigenschaften,… Offiziell haben alle Menschen den gleichen Wert, sind (vor dem Gesetz) gleich. Und doch sind ja Bewertungsunterschiede in unserer Gesellschaft deutlich spürbar. Zum Beispiel sind bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten offenbar wertvoller als andere. Das haben wir schon in der Schule gelernt und erfahren: Es gab die sogenannten Hauptfächer, wie Mathematik und Deutsch, die deutlich mehr wert waren als die Nebenfächer wie Kunst, Musik oder Religion. Gut möglich, dass sich das dann auch auf den Wert niederschlägt, den wir uns selbst geben, je nachdem, in welchen Bereichen wir unsere Stärken haben. Allerdings sind es wahrscheinlich sehr viele Faktoren, die Einfluss auf unseren Selbstwert haben. Zum Beispiel auch das, was wir seit unserer Kindheit über uns gehört und mit der Zeit verinnerlicht haben und uns schließlich selbst im Inneren sagen.

Verdeckter Kern

Sätze wie „Nimm dich nicht so wichtig.“, „Was glaubst du, wer du bist.“, „Das kannst du nicht.“ werden später vielleicht zu Glaubenssätzen wie „Ich bin nicht (gut) genug.“, „Ich hab das nicht verdient.“, „Das darf ich nicht.“, „Ich kann das nicht.“,…

Hinzu kommen die ganzen uns bekannten Einordnungen, wie z.B. welches Aussehen besser oder weniger gut ist, welcher Beruf etwas wert ist, welcher eher nicht usw., usw. All das schränkt unsere Sicht auf uns selbst ein. Wir sehen uns nicht mehr in unserem grundsätzlichen Wert, den wir doch eigentlich alle haben – diesen unermesslichen Wert, den wir aufgrund der Tatsache haben, dass wir Geschöpfe Gottes (des Universums, des Lebendigen) sind.

Durch diese ganzen äußeren Bewertungen wird unser innerer wertvoller Licht-Kern immer mehr verdeckt, spielt keine Rolle mehr. Je mehr Bewertungen darüber liegen, desto weniger kann unser Licht nach außen leuchten, desto weniger fühlen wir selbst unser Gold und unser Licht. Wir erkennen unseren Wert als Mensch nicht mehr. Viele bleiben deshalb unter ihren Möglichkeiten, weil sie meinen, dies oder jenes nicht wert oder nicht gut genug zu sein; andere rackern sich ab und arbeiten über ihre Grenzen hinaus, weil sie denken, erst dann etwas wert zu sein. Ohne einen gesunden Selbstwert sind wir weniger stabil in schwierigen Situationen, weniger resilient, also anfälliger für Stress. Umgekehrt kann ein positiver Selbstwert unser Wohlbefinden und unsere Widerstandskraft steigern, ist wie ein seelisches Immunsystem.

Wie wäre es, wenn wir uns alle selbst als durch und durch wertvoll ansähen, wenn uns klar wäre, dass wir allein durch die Tatsache, dass wir ein Mensch sind, unermesslichen Wert hätten? Wie wäre es, wenn wir uns selbst für wertvoll hielten, unabhängig von äußeren Faktoren wie Leistung und Aussehen? Wahrscheinlich wären wir glücklicher, entspannter, gelassener, nachsichtiger mit uns und auch mit anderen. Wir wären vielleicht gesünder, wir trauten uns mehr zu, würden auch andere in ihrem Wert erkennen, es gäbe ein WERTschätzenderes, friedlicheres Miteinander…

Freies Spielen, freies Sein

Und was hat nun Improvisationstheater mit unserem Selbstwert zu tun? Und was genau ist Improtheater überhaupt? Improtheater ist eine Form des Theaterspielens, bei der weder Text noch Rollen vorgegeben sind, auch nicht die Handlung oder der Schauplatz für die Szenen. Alles entsteht aus der Magie des Moments heraus.

Improtheater zu spielen kann unsere subjektive Sicht auf uns selbst – unseren Selbstwert also – verändern. Es kann nämlich ein guter Weg sein, um ein paar Schichten von Bewertungen abzutragen bzw. zunächst einmal ein Weg, um die eigenen Bewertungen (und Be- und Verurteilungen) wahrzunehmen; zu erkennen, wo der innere Zensor und Kritiker sitzt, was er macht und wie fies und destruktiv er manchmal ist.

Impro kann ein guter Impuls und Startpunkt sein, um sich überhaupt erstmal des inneren Kritikers bewusst zu werden. Und wenn wir lernen, diesen inneren Miesepeter – also die negativen Ansichten und Grundannahmen über uns selbst – zu erkennen, zu hinterfragen und zu verändern, dann können wir unseren Selbstwert stärken.

Das Schöne am Improtheater ist, dass es ein sehr leichter, spielerischer Weg ist. Wir grübeln, analysieren und bewerten (!) nicht, sondern beobachten uns beim Spielen. Nehmen uns und innere Prozesse wahr, lachen viel und überlassen dem Humor einen Großteil der Transformationsarbeit.

Sich selbst wertzuschätzen bedeutet auch, dass alle inneren Anteile da sein dürfen, dass man sich akzeptiert mit allen Facetten; im Gegensatz zu Schule und Gesellschaft, die bestimmte Anteile/Talente/Fähigkeiten negativ bewerten und zum Teil eben nicht erlauben. Sich selbst wertzuschätzen heißt auch, sich selbst gut zu kennen.

Alles darf sein

Beim Impro darf alles sein, alle Persönlichkeitsanteile – ob wir sie im realen Leben leben oder nicht. Wir dürfen spielerisch in alle Rollen mit ihren unterschiedlichen Zuschreibungen hineinschlüpfen, egal ob Held oder Fiesling, Prinzessin oder Bettlerin. Auch bestimmte Männer- und Frauenbilder dürfen bedient (oder eben auch nicht) werden. Vorstellungen, was wie zu sein hat, dürfen aufgebrochen werden und Neues, bisher Ungedachtes darf entstehen.

Beim Impro können wir also in verschiedenste Rollen spielerisch hineinsteigen – und dann auch wieder heraus. Es ist wie ein heilsamer Raum, in dem alles sein darf, unbewertet. Das Spielen kann uns neue Facetten von uns zeigen, uns zum Leuchten bringen, uns wachsen lassen.

Wir trauen uns mehr und mehr, uns zu zeigen und mit allem, was ist, gesehen zu werden. Verlieren mehr und mehr die Angst vor Fehlern, vor dem sogenannten Scheitern. Wir trauen uns überhaupt erstmal, den Wunsch zu äußern (oder uns einzugestehen), dass wir im Licht stehen möchten. Und dass wir dazu unser eigenes Licht leuchten lassen und es eben nicht mehr unter den Scheffel stellen wollen.

Und wenn wir weitergehen im Spiel und den strengen Zensor mal in den Urlaub schicken, wird immer öfter etwas Wunderschönes aus unserem Inneren hervorblitzen. Und das darf dann mehr und mehr erstrahlen… Wenn wir einfach wieder spielen, ohne Gewinner und Verlierer, jenseits von richtig und falsch, besser und schlechter, können wir immer mehr wahrnehmen, wie wertvoll wir grundsätzlich sind, unabhängig von allen äußeren Errungenschaften und Leistungen. Wie wertvoll, wundervoll und facettenreich das Leben ist…

Nächstes Workshop-Highlight für alle mit und ohne Vorerfahrung: Impro+Urlaub – Impro-Pfingst-Special im Fichtelgebirge, 26.-29. Mai 2023. Vier Tage Impro, Natur, Lachen, Lebendigkeit, Spielfreude, gemeinsame Kreativität, Transformation,…

Weitere Workshops und Infos unter: www.madamelacht.de

Über den Autor

Avatar of Sabine Merfort

ist Schauspielerin und Trainerin für Improvisationstheater, Beraterin für Bewusstseinsentwicklung und Selbstrealisation nach Dr. Christina Kessler und bietet mit ihrer Kollegin Yasha Müllner und dem gemeinsamen Unternehmen „madameLACHT“ Workshops und Kurse an, die Improvisationstheater mit dem Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung verbinden.

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