Mit seinem in 2021 veröffentlichten Buch „Warum nur Krieg? Einsichten und Ansichten eines Psychoanalytikers“ engagiert sich der Facharzt für Neurologie/Psychiatrie & Psychotherapeutische Medizin Christoph Seidler für Frieden und stößt damit auf Gegenwehr. Denn in Zeiten des Krieges ist Frieden nicht erwünscht. SEIN.de sprach mit dem Ehrenmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse und Psychotherapie Berlin e.v., warum ein Krieg niemals gerechtfertigt sein kann und wie man erkennt, ob man bereits selbst ein Teil der Soldatenmatrix geworden und auf die allgegenwärtige entmenschlichende Kriegspropaganda hereingefallen ist.

Herr Seidler, eigentlich wollen wir doch alle in Frieden leben. Ihr Buch „Warum nur Krieg?“ ist daher aktueller denn je! Es sind verrückte Zeiten, denn wer sich gerade für Frieden, für Verhandlungen, für Abrüstung einsetzt, bekommt ganz schön viel Gegenwind. Dabei ist es so wichtig, für den Frieden zu werben und ein Friedensbewusstsein zu schaffen.

 

Christoph Seidler: Bewusstseinsarbeit ist das eine. Aber die Arbeit am Unbewussten ist das andere… Freud hat es in seiner Traumdeutung in Anlehnung an die Aneis von Vergil auf den Punkt gebracht: „Wenn ich schon nicht die Götter erreiche, kann ich wenigstens die Unterwelt bewegen“ und wir müssen daher auch die Unterwelt betrachten. Wenn Friedensansätze lächerlich gemacht und Friedensdemonstranten angegriffen oder gedemütigt werden, dann ist die Soldatenmatrix am Werk und mit ihr eine Flut von archaischen, regelrecht unkontrollierbaren Emotionen, die so viele Menschen übermannt.

 

„Kriege sind per definitionem gesellschaftlich organisierte Verbrechen“

 

Was ist die Soldatenmatrix? Das klingt wie in einem düsteren Science Fiction-Film…

Christoph Seidler: Das ist in der Tat sehr düster, denn wenn der Herold durch das Dorf ruft „Es ist Krieg“ und alle jubelnd in Kriegsparolen verfallen, weil sie in der Soldatenmatrix gefangen sind, ohne es zu merken, ist das nie gut. Dann sind diese tief in uns schlummernden Emotionen der vergangenen kriegsgeprägten Jahrhunderte wie auf Knopfdruck abrufbereit. Alles, was an Friedensansätzen in uns war, hat plötzlich keine Bewandtnis mehr.

 

Wie eine Art emotionale Spaltung?

Christoph Seidler: Ja, der Verstand macht einfach dicht. Der Begriff der Matrix geht auf den jüdischen Nervenarzt S. H. Foulkes aus Frankfurt zurück, der 1934 nach England emigrieren musste und dort im Lazarett Gruppenanalysen durchgeführt hat. Ihm sind wesentliche Dinge aufgefallen, wie Menschen in einer Kleingruppe miteinander verbunden sind. Heutzutage kennt man das unter dem Begriff Resonanz. Foulkes sprach von transpersonalen Beziehungen, also Beziehungen durch die Personen hindurch, wo viel tiefere gefühlsmäßige Strukturen greifen. Das heißt, dass das eigene Selbst von dieser gemeinschaftlichen Matrix untergraben wird, ohne dass wir es merken. Das „Cogito ergo sum – Ich denke also bin ich“ stimmt daher nicht wirklich, weil wir vor allem so sind, wie wir sind, weil wir mit den Menschen, die uns umgeben entsprechend interagieren und uns dadurch auch auf ganz bestimmte Weise verhalten.

 

Das klingt ja erstmal noch nicht so gefährlich…

Christoph Seidler: Nein, das heißt erst einmal nur: Wir sind nie eine Einzelperson, sondern immer verbunden mit den anderen. Foulkes hat den Begriff der Matrix aber noch weiter differenziert. Es gibt eine dynamische Matrix, das sind die gegenwärtigen Strukturen, in denen wir leben. Es gibt eine individuelle Matrix: die personale Matrix. Und es gibt die Grundlagenmatrix. Und die ist besonders spannend, denn in ihr ist sozusagen die Geschichte des Menschen und seiner Vorfahren abgespeichert. Da lungern die urzeitlichen, sprich die archaischen Emotionen herum. Und die sind immer recht brisant, weil sie unseren Verstand aushebeln können. Die Soldatenmatrix ist ein Teil aus der Grundlagenmatrix.

 

Werden wir so alle zu Soldaten, ohne es zu merken?

Christoph Seidler: In gewisser Weise werden alle zu Soldaten, die aufhören zu reflektieren und die aufhören, sich in den anderen empathisch hineinzuversetzen. Wer die Perspektive nicht mehr wechseln kann, wer bestimmte Prozesse und Ereignisse nicht in einem größeren Kontext sehen kann, der von verschiedenen Seiten betrachtet werden kann, der ist vermutlich in der Soldatenmatrix gefangen. Das ist übrigens ein Begriff, den der Gruppenanalytiker Robi Friedmann in 2013 geprägt hat.

 

Was geschieht im Kriegsfall mit vielen von uns?

Christoph Seidler: Im Kriegsfall beeinflusst die in der Grundlagenmatrix bereitliegende Soldatenmatrix die dynamische und personale Matrix, das heißt die gesamte Kultur und jede Person werden sich zwangsläufig verändern. Die Soldatenmatrix spaltet die Welt in Gut und Böse, der Feind darf kein Mensch mehr sein. Ohne solche dehumanisierenden Spaltungen gibt es keinen Krieg. Und: Krieg geht nicht ohne emotionale Spaltungen ab.

 

Heißt das, wir sind für Kriege gemacht, unsere Kriegsfähigkeit ist angeboren?

Christoph Seidler: Es gab immer viele Kriege, aber erst seit der Neusteinzeit. Das heißt, Kriege sind nicht angeboren. Es gibt sie erst seit 15.000 Jahren. Wenn wir wieder so wie früher leben möchten, müssten wir wieder Jäger und Sammler werden.

 

Dann werden wir doch einfach wieder Jäger und Sammler…

Christoph Seidler: Wir können nicht mehr zurück. Wir kommen nicht um den Fortschritt drumherum. Der Fortschritt zum Beispiel der Künstlichen Intelligenz mit unheimlicher Leistungsfähigkeit oder die Erfolge in der Medizin, sind bahnbrechend, und lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Doch der moralische Fortschritt hängt hinterher. Wir bekommen Angst und immer wieder funken diese alten Emotionen dazwischen, die in den Neuerungen eine Bedrohung sehen. Wir gehen in den Kampfmodus über oder versuchen alles radikal zu vereinfachen, um den Fortschritt entweder zu glorifizieren oder zu verteufeln. Schwarz oder Weiß. Wir sind eben wie wir sind.

 

Was könnten, sollten, müssten wir ändern?

Christoph Seidler: Der entscheidende Punkt ist, dass man sich seine Empathiefähigkeit bewahrt. Wenn ich mich nicht mehr in den anderen hineinversetzen kann, sowohl in die ukrainischen als auch die russischen Menschen, sowohl in die israelischen als auch die palästinensischen Menschen, die gerade alle so furchtbar leiden, dann ist man gefährdet, die sinnlosen Parolen des Kriegs mitzubrüllen. Es gibt immer verschiedene Perspektiven. Es kommt auf den Perspektivwechsel an. Und man darf sich nicht verkriechen und sollte durchaus seine Stimme für den Frieden erheben.

 

Traumatisierte Kinder im Gaza

Tausende traumatisierte Kinder im Gazastreifen

(Quelle: Gaza free Press)

Wie wurde Ihr Buch aufgenommen? Sie sind mit Ihrem Expertenwissen als psychoanalytischer Friedensexperte derzeit bestimmt sehr gefragt!

Christoph Seidler: Für mich war es geradezu kränkend! Als mein Buch in 2021 fertig geworden ist, erblühte der Verkauf gerade. Es waren Lesereisen geplant. Dann bricht der Krieg aus und plötzlich interessiert sich niemand mehr für meine Überlegungen. Im Gegenteil, meine Überlegungen, warum Menschen Kriege führen und wie wir ein Bewusstsein für Frieden schaffen können, wurden plötzlich lächerlich gemacht. Die kleinen Baritone der Kriegsminister hatten auf einmal eine andere Durchschlagskraft. Meine theoretischen Überlegungen über die Friedenslogik, die sich vor allem in der Zeit der Friedensbewegung in den 1980ern entwickelt hatten, waren nicht mehr erwünscht. Dabei hatten die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm von 1980 noch einst geschrieben: „Ökologische Außenpolitik ist gewaltfreie Politik.[…]Gewaltfreiheit bedeutet nicht Kapitulation, sondern Sicherung des Friedens und des Lebens mit politischen Mitteln statt mit militärischen und durch soziale Verteidigung.[…]Der Ausbau einer am Leitwert Frieden ausgerichteten Zivilmacht muß mit der sofort beginnenden Auflösung der Militärblöcke, vor allem der NATO und des Warschauer Paktes einhergehen.“ Und nun ist das auf einmal alles weg.

 

Es scheint, als hätte sich die Meinung der deutschen Regierung ruckartig verändert.

Christoph Seidler: Nicht nur der Regierung, sondern in ganz Deutschland. Als der Krieg ausbrach, war das wie eine Zeitenwende. Was mich besonders erschüttert hat, war dieser tosende Applaus im Bundestag an dem Sonntag nach Kriegsausbruch, als der Bundeskanzler hundert Milliarden an Rüstungsausgaben in einem „Sondervermögen“ versprochen hat und die Parteien applaudiert haben „Wunderbar! Endlich Rüstung!“. Da ist sie dann wieder: die Soldatenmatrix und mit ihr die Soldaten. Kaum einer ist davor gefeit und schon wirken auch die Grundprinzipien der Kriegspropaganda und werden nicht mehr hinterfragt. Schließlich kann man doch nicht mit dem Teufel persönlich verhandeln.

 

Woran erkennt man Kriegspropaganda? Und warum sind wir gerade so anfällig dafür?

Christoph Seidler: Die Grundprinzipien der Kriegspoganda sind nicht neu. 1926 nach dem Ersten Weltkrieg hat Arthur Ponsonby, ein Baron, Politiker und Pazifist, diese Prinzipien zusammengefasst, wie das so läuft bzw. gelaufen ist. Zum einen ist da die Dämonisierung. Der Führer des Gegners ist ein Teufel. So zum Beispiel wenn man an Putin denkt, er ist ein Dämon. Wir dagegen wollen den Krieg nicht. Putin ist der alleinige Betreiber des Krieges in der Ukraine oder die Hamas in Israel. Aber das wird dann nicht in einen größeren Kontext gesetzt. Kontextualisieren ist Verrat. Das gegnerische Lager trägt die alleinige Verantwortung. Wir kämpfen für eine gute Sache. Der Gegner begeht Grausamkeiten mit Absicht, wir nur aus Versehen. Wenn man sich das so durchliest, denkt man, „So simpel ist das?“ Ja! Wenn Kriegspropaganda wirken muss, muss sie so sein. Sonst wirkt sie nicht.

 

Aber wieso wirkt sie denn überhaupt?

Christoph Seidler: Weil der Verstand untergraben wird und diese archaischen Emotionen Oberhand gewinnen. Bisher haben wir die letzten Jahrzehnte in Frieden gelebt und sind einigermaßen satt gewesen. Wir können uns im Leben nicht vorstellen, dass wir andere Menschen erschlagen. Aber wie kommen wir plötzlich auf die Idee, dass Krieg und damit das Töten und Morden zu rechtfertigen ist? Das geht nur mit einer zuvor erfolgten Entmenschlichung und der damit einhergehenden emotionalen Spaltung. Dass das so kommen konnte, hat sicherlich auch der erhebliche Druck bewirkt, dem Deutschland während der Finanzkrise und der Coronapandemie ausgesetzt war. Es waren über einen längeren Zeitraum permanent Beunruhigungen da. Da liegt dann eh schon viel bereit an archaischen Emotionen. Eigentlich war Deutschland eine Großmacht beim Thema Friedenspolitik. Und jetzt ist es so, als wäre all das nie da gewesen…

 

Wie bekommen wir diese archaischen Emotionen denn in den Griff?

Christoph Seidler: Wenn das einmal angeknipst ist, kann man das nicht so leicht wieder ausknipsen. Aber es gibt immer zwei Seiten der Medaille. Für mein Buch habe ich eine Zufallssammlung von verschiedenen Schlachten aufgeführt und wie sie zu Ende gegangen sind. Als Negativbeispiel habe ich Demmin und als Positivbeispiel Güstrow ausgewählt. Denn das Ende der Schlacht ist nicht das Ende, sondern der Höhepunkt… Was dann passiert, ist entscheidend.

 

Was war denn nochmal in Demmin und in Güstrow so bemerkenswert?

Christoph Seidler: In Demmin sind 1945 über tausend Menschen aus Angst vor den Russen in den Kummerower See gegangen, haben sich ertränkt, haben ihre Kinder und Säuglinge erstickt oder die Pulsadern aufgeschnitten, haben sich erhängt … Ein Familienvater hat den Jäger gebeten, er möge ihn und seine Familie erschießen. Das ist unvorstellbar und so unendlich schrecklich, was da aus Panik, Angst und Verzweiflung passiert ist.

Ganz anders ist das in Güstrow abgelaufen. Hier hat der Bürgermeister eine ukrainisch-sowjetische Dolmetscherin gebeten, die Soldaten der roten Armee außerhalb von Güstrow zu treffen. Ich habe diese Frau besucht. Sie ist mittlerweile hoch in den 80er Jahren und wohnt in Berlin Mitte. Sie hat sich gefreut, dass sich jemand für ihre Geschichte interessiert. Natürlich hatte sie damals Todesangst. Aber es ist eine menschliche Hochleistung, was sie zustande gebracht hat. Sie hat eine Verständigung zwischen Todfeinden herbeigeführt und diese zu einer Versöhnung gebracht. Niemand ist in diesem Dorf zu Schaden gekommen. Solche Beispiel wie in Güstrow sollten wir uns als Vorbild nehmen.

 

Gibt es noch mehr positive Beispiele?

Christoph Seidler: Ja zum Beispiel Dänemark im zweiten Weltkrieg, das von den Nazis besetzt wurde. Weil sie keinen Widerstand leisteten, wurde ihnen zunächst Autonomie gewährt. Das Königshaus blieb erhalten. Viele Freunde meiner Mutter sind nach Dänemark abgehauen. Schließlich wurde der Befehl erteilt, in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943 alle in Dänemark lebenden Juden festzunehmen und zu deportieren. Ein Diplomat an der deutschen Botschaft in Kopenhagen warnte einen befreundeten Politiker in Dänemark und die Nachricht verbreitete sich extrem schnell. Alle halfen mit, die schätzungsweise 1.500 Juden zu retten. In einer Nacht und Nebelaktion wurden alle Juden und Emigranten verschifft. Das ist ein großartiges organisiertes Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung. Zunächst der Verzicht auf Gewaltanwendung, der dazu führte, dass die Zivilgesellschaft funktionsfähig blieb. Und dann noch das Konzept der sozialen Verteidigung, der Gemeinschaftlichkeit und Solidarität. Gemeinschaften können sehr viel Positives bewirken. Es gehört allerdings sehr viel Mut dazu, für die Menschlichkeit einzustehen. Die Friedenslogik ist nichts für Angsthasen.

 

„Es gibt gewaltfreie, diplomatische, friedliche Erfahrungen, die man sich zum Vorbild nehmen kann.

Wir brauchen kein Feindbild.“

 

Wie sind Sie persönlich auf das Thema Krieg gekommen?

Christoph Seidler: Meine Kriegsthematik verdanke ich meinen persönlichen Erfahrungen aus meiner psychotherapeutischen Arbeit. Ich bin selbst ein Kriegskind. Aber ich habe das Thema erst ernst genommen, als ich plötzlich gehäuft Patienten bekommen habe, deren Eltern Kriegskinder waren. Mir wurde klar, was die Kinder von Kriegskindern zu Patienten gemacht hat. Krieg geht nicht ohne Schaden in die dritte Generation, inzwischen ja schon in die 4. Generation. Ein Krieg hat immer extreme Langzeitfolgen und dauert mindestens 70 Jahre. Denn die Traumatisierung wird weitergegeben und dies in verschiedenster Weise. Zum Beispiel indem sich die Kinder andauernd um ihre Eltern kümmern müssen, weil diese emotional verarmt sind. So leben sie dann an ihrem eigenen Leben vorbei. Dabei wäre es die Aufgabe der Kinder, Kind zu sein und nicht das Leben der Eltern reparieren zu müssen.

 

Dann sind ja vermutlich alle traumatisiert, denn wir sind doch alle (Kindes-)Kinder von Kriegskindern…

Christoph Seidler: Nicht jeder ist gleich traumatisiert, aber es haben durchaus viele Menschen mit den Folgen des Krieges in ihrer Familie zu kämpfen. Ein durch Krieg verursachtes Psychotrauma ist eine soziale Krankheit, die dafür sorgt, dass sich durch mein Leben vor allem misstrauische Vorstellungen durchziehen.Traumatisierte Menschen können ihr Trauma oft nicht mitteilen und bleiben mit ihren Gedanken allein: „Keiner versteht mich. Ich bin einsam.“. Diese Einsamkeit verstärkt das persönliche Unglücksempfinden und erleichtert den Weg in negative Emotionen wie Rachegelüste oder Zerstörungsdrang.

 

In jeder Familie gibt es positive und negative Emotionen. Und in jeder Familie gibt es Konflikte und auch Wut bei nicht erfüllten Bedürfnissen.

Christoph Seidler: Nur weil jeder Mensch manchmal wütend ist, zieht er nicht gleich in den Krieg. Das muss man trennen. Denn Kriege sind per definitionem gesellschaftlich organisierte Verbrechen. Schlägereien unter Stämmen gab es früher schon. Es gibt auch Affen, die sich prügeln. Aber sie führen keine Feldzüge. Das ist eine Leistung der Kultur. Es gibt so viele Konflikte in der Welt und sie werden eher mehr. Aber das heißt doch nicht, dass Krieg als Konfliktlösungsmodus gewählt werden muss. Krieg ist nicht zu rechtfertigen. Auch nicht als Vergeltungsschlag oder aus Rache. Die Verächtlichmachung von Friedensbemühungen ist nur ein Zeichen, das der/diejenige in der Soldatenmatrix gefangen ist. Es gibt gewaltfreie, diplomatische, friedliche Erfahrungen, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Wir brauchen kein Feindbild.

 

Was brauchen wir dann?

Christoph Seidler: Mutige Menschen, die sich für den Frieden einsetzen. Wer schweigt oder die Hassspirale ankurbelt, wer Gewalt und Zwietracht sät oder verstärkt, ist Teil der Uniformierung durch die Kriegsmatrix. Mark Twain hat gesagt, wenn man dieselbe Meinung wie die Mehrheit hat, muss man aufpassen… Wir müssen einfach aufwachen. Jeder Einzelne, der aufwacht, zählt.

Vielen Dank, lieber Herr Seidler, für diese wertvollen Einsichten. Hoffen wir, dass Ihre Arbeit ganz viele Früchte trägt!

 

 

Das Interview mit Herrn Seidler führte Simone Forster am 10. November 2023.

 

Christoph Seidler

ist Nervenarzt, Lehranalytiker (DGPT) und Gruppenlehranalytiker (D3G). Interessenschwerpunkte: Gruppenanalyse, Psychoanalyse und Gesellschaft, transkulturelle Psychoanalyse.

 

Weitere Infos:

Christoph Seidler: Warum nur Krieg? Einsichten und Ansichten eines Psychoanalytikers 2021, 182 Seiten, 18,00 Euro, Mattes Verlag

(http://www.mattes.de/buecher/gruppenanalyse/978-3-86809-169-4.html)

 

Christoph Seidler im Interview im Deutschlandfunk am 1. Mai 2022:

https://www.deutschlandfunk.de/die-soldatenmatrix-im-ukraine-krieg-christoph-seidler-psychoanalytiker-dlf-967d3b18-100.html

 

Wie Kriegspropaganda funktioniert – und welche Rolle die „Soldatenmatrix“ spielt:

https://www.berliner-zeitung.de/open-source/wie-kriegspropaganda-funktioniert-und-welche-rolle-die-soldatenmatrix-spielt-li.223109

 

Die Friedenslogik will Schutz vor Gewalt erreichen, allerdings nicht auf paradoxe Weise durch Androhung oder Anwendung von Gegengewalt, sondern durch kooperative Beziehungen und den Abbau von Feindbildern, Infos hierzu beim Forum Ziviler Friedensdienst e.V.: https://www.forumzfd.de/de/friedenslogik-statt-sicherheitslogik

 

Über den Autor

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ist Redakteurin des einmal im Jahr erscheinenden Magazins rund um die Geburt „Geburt in Berlin“. Sie studierte Europäische Ethnologie, Angewandte Kulturwissenschaften und Politik (M.A.) und widmet sich vor allem der Frage, wie wir friedlichere und liebevollere Bedingungen für unsere Kinder vor, während und nach der Geburt schaffen und so die Friedens- und Liebesfähigkeit unserer Gesellschaft erhöhen können.

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2 Responses

  1. Oliver
    Macron und der Krieg

    Manchmal verfolge ich die Debatten auf Zeitonline und FAZ-Net. Da ist gerade zu beobachten, was Herr Seidler meint. Die große Mehrheit der Leserbriefschreiber redet sich – ähnlich wie der französische Präsident – in eine Eskalationslogik hinein: Wir müssen Putin besiegen, daher brauchen wir jetzt nicht nur weitreichende Raketen, nein wir brauchen westliche Truppen in der Ukraine.
    So langsam bekomme ich Angst. Ich verstehe ja, dass man die Ukraine Putin nicht zum Fraß vorwerfen will, aber da fordern Menschen reihenweise einen direkten Krieg zwischen atomar bewaffneten Staaten. Das ist dann wohl die Kriegsmatrix. Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Bisher dachte ich immer, die Existenz von Atomwaffen ist zwar äußerst bedrohlich – schon wegen möglicher Fehler und Fehleinschätzungen – garantiert aber zumindest, dass direkte Kriege als nicht mehr führbar gelten.
    2 Jahre Beobachtung des Krieges von deutschen Sofas aus, hat dieses Bewusstsein offensichtlich schwinden lassen.
    Wir brauchen einen Ausstieg aus dieser Logik!

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  2. Oliver
    Krieg wider Willen

    Der Gedanke, immer empathisch mit demjenigen zu sein, der gerade als Gegner oder Feind auftritt, ist äußerst wichtig. Sie Vorstellung aber, sich einem Angreifer einfach auszuliefern und zu hoffen, ihn dadurch milde zu stimmen, finde ich wenig überzeugend. Auf keinen Fall kann man das für andere entscheiden.

    Dazu kommt: Empathie schließt Werturteile nicht aus. Natürlich waren die Attacken der Hamas oder der Holocaust böse. Und sicher war der Versuch, Europa vom Nationalsozialismus zu befreien gerechtfertigt. Krieg ist eine Tragödie, manchmal aber unvermeidlich.
    Man sollte trotzdem immer versuchen, sich der Kriegsbegeisterung zu entziehen und stets versuchen, sobald wie möglich Frieden zu schließen.

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