oder: Das Geheimnis von Yin und Yang verstehen

Wir alle haben unterschiedliche Kräfte in uns: jene, die uns auf unserem Weg helfen und fördern, sowie andere, die uns immer wieder abbringen von all den guten Errungenschaften, Taten und Erkenntnissen. Warum machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir trotz besseren Wissens Dinge tun, die uns oder anderen nicht gut tun?

von Donald Guss

Warum geschieht es immer wieder, dass dann, wenn sich anscheinend gerade alles zum Guten wendet, im Leben plötzlich, wie aus dem heiteren Himmel, etwas in dir oder im Außen passiert und alle Fortschritte zunichte macht oder dich ausbremst. Z.B. ein großer Beziehungsstreit, ein Unfall, ein Rückfall in eine alte Angewohnheit. Kennst du das? Ja? Ich auch! Nur: Warum ist das so?

Die Antwort ist trivial, aber gewichtig: Weil eine Kraft, eine Dynamik in uns „nicht möchte“, dass wir über sie hinauswachsen und sie somit überflüssig wird. Diese Dynamik lässt uns ständig an der falschen Stelle ansetzen, wenn wir weitergehen wollen auf unserem Erfolgsweg. Sie lässt uns wieder übermäßig konsumieren (Zucker, soziale Medien, Zigaretten oder…). Sie sagt dazu: „Ich habe mir die Auswirkungen doch bei diesem Elend verdient. Ich kann sowieso nichts machen, bin hilflos, ohnmächtig. Oder noch besser: Nachdem etwas gerade gut geworden ist, sagst du: Jetzt kann ich mir was gönnen – und tust das Falsche. Wir kennen all diese (Opfer-)Gedanken, die uns, wenn wir wirklich hinschauen, gar nicht helfen. Warum also schenken wir ihnen Aufmerksamkeit? Weil wir einen kurzfristigen, unmittelbaren Nutzen davon haben (Ablenkung vom Problem, Erleichterung) und vor allem, weil wir so geprägt wurden (uns abzulenken). Wie können wir dem nun begegnen?

Sage ich ja zu Dunkel und Hell?

Diese Welt besteht aus Hell und Dunkel. Tag und Nacht. Wo es ein Dafür gibt, gibt es erst einmal auch ein Dagegen. Das eine steht in unmittelbarer Beziehung zum anderen: Yin und Yang. Auf der theoretisch-kognitiven Ebene stimmen wir dieser Erkenntnis zwar häufig zu. Aber wenn es real wird, es zur wirklichen Anwendung kommt, wollen wir davon nichts mehr wissen. Sobald wir leiden, wollen wir das Leid einfach weghaben und vergessen diesen ursächlichen Zusammenhang. Denn es ist so, dass wir mit jedem Schritt der „Liebe“, den wir gehen, auch ein Quäntchen der noch nicht erlösten Gegenseite in uns an die Oberfläche spülen. Und allzu oft lassen wir uns davon zu sehr in unseren neuen Schritten der „Liebe“ irritieren und vergessen all das, was wir gerade so gut erschaffen haben.

Die Lösung ist, den guten Weg weiterzugehen (Keep going!), gerade wenn schwarze Wolken mit Blitz und Donner über uns hinwegrollen. Der erste Schritt dabei ist, sich klarzumachen, dass genau in solchen Momenten des positiven Vorwärtsgehens diese andere Seite naturgemäß besonders stark mit „im Raum“ ist – und darum in Erscheinung treten muss!

Der erste Schritt „aus der Hölle“ ist die radikale Anerkennung dieser Tatsache. Je mehr wir diesen Schritt beherzigen, desto schneller durchlaufen wir den Prozess, in dem wir da gerade stecken. Überprüfe dich selbst: Erkennst du dieses Geheimnis des Universums (wenn der gute Schritt von dir gemacht wird, will der Gegenimpuls auch da sein,Yin/Yang ) gerade an? Oder bin ich im Widerstand?

Radikal anzuerkennen heißt übrigens nicht, sich der misslichen Situation, den negativen Gedanken, etc. blind zu ergeben. Es beendet nur den besagten Widerstand und lässt dadurch den Geist frei werden. Du kommst mit dem Moment so, wie er gerade ist, mehr in Einklang. Die beiden Kräfte Yin und Yang sind nicht mehr voneinander getrennt. Von dort fühlen wir uns wieder mehr bei uns selbst angekommen und werden konstruktiv.

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Der Weg des Buddha

Auch in der Nacht seiner Erleuchtung erlebte Siddharta (der nachmalige Buddha) noch einmal die tiefste „Dunkelheit“ (im Buddhismus sagt man „Unreinheiten“ oder Sankharas). Alles, was es noch gab an Unreinheiten und Dunkelheit in ihm, stand auf und versuchte, ihn zu stoppen. Doch sein Geist war bereits so rein und still geworden, dass er nicht mehr auf all die Versuchungen reagierte. Er wusste, dass dies zu dem Moment der Befreiung dazugehört. Weder wollte er es haben noch wollte er es nicht haben. Und so löste sich das letzte Sankhara auf und er konnte vollkommene Erleuchtung erfahren. Dies konnte er natürlich nur, weil er viele Male davor an ähnliche Punkte gekommen war und darin stark wurde, diesen inneren oder äußeren Stürmen immer unaufgeregter und gelassener ins Auge zu sehen. Vielleicht geht es dir ja auch um Erleuchtung. Vielleicht geht es dir aber einfach auch nur darum, ein glückliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Weg und die Prinzipien bleiben dieselben. Wenn ich verstehe bzw. damit in Frieden komme, dass im Leben zu Yin immer auch Yang gehört, dann wird dieses innere Verständnis zu einer Superkraft in dir.

Selbstblockierende Aspekte

Aber wie können wir damit in unserem Leben umgehen? Dazu hier zwei Geschichten aus der „Götterschmiede“, einer von mir geleiteten Jahres-Aufstellungsgruppe.

Eine Frau kommt zu mir in die Praxis mit starken Verhaltensstörungen und Ängsten. Sie konnte dadurch viele Jahre ihre Wohnung und oft sogar das Bett nicht verlassen. Wenn raus, dann nur mit Atemschutzmaske. Ich begann, sie homöopathisch zu behandeln, und empfahl ihr, zur Götterschmiede zu kommen. Unter den besagten Umständen war es nicht leicht für sie, diesen Schritt zu wagen. Dazu kam eine ordentliche Portion Scham, sich in ihren Zwängen vor anderen zu zeigen. Durch einige einfühlsame Gespräche machte sie tatsächlich den Schritt und kam. Nicht nur das, sie blieb das gesamte Wochenende. Am Ende des Wochenendes und in den folgenden Tagen nahm sie zum ersten Mal nach langer, langer Zeit ihre Maske ab und begann wieder vor die Tür zu gehen. Nach so vielen Jahren der Therapieresistenz geschah ein Wunder und neue Lebensenergie durchfloss sie. Das zweite Wochenende kam zirka zwei Monate später. Immer noch alles wie nach dem ersten großen Treffen. Dann das dritte Wochenende – und plötzlich passierte es! Der innere „Schatten-Anteil“ kam und suchte nach einem Weg, all die gute Entwicklung zu unterbrechen. Das, was ich oben beschrieben habe. Kontaktabbruch aus dem Nichts heraus. Irgendwann meldete sie sich dann doch noch einmal und meinte, dass sie nicht mehr kommen werde. Dass das alles nichts für sie sei und dass sie jetzt etwas anderes gefunden habe. Ich war natürlich nach all dem, was geschehen war, etwas verdutzt. Ich bejahte sie trotzdem für ihren Schritt und bat sie, einen letzten Termin zu machen, um einen guten Abschluss zu finden.

Dem stimmte sie gerne zu, und als wir in der Sitzung saßen, berichtete sie mir, dass es ihr gerade doch nicht ganz so gut ginge. Auf meine Frage, seit wann das denn so sei, kam sie darauf, dass es seit dem dritten Wochenende so sei. Hier gingen nun bei mir alle Lichter an. Natürlich wollte ich wissen, ob es irgendeinen Vorfall gab. „Ja“, sagte sie. Sie kam damals an ihr Wut-Thema und machte sich Vorwürfe, es nicht adäquat zum Ausdruck gebracht zu haben. Dafür schämte sie sich vor mir. All das machte ihr so viel Druck, dass sie das Ganze innerlich wegschob und verdrängte. Kurz darauf lernte sie eine andere Gruppe kennen, in der alles wieder leicht und scheinbar einfach war.

Durch mein Nachfragen wurden ihr diese Prozesse wieder bewusst. Wann immer wir auf einem Weg der wirklichen Transformation sind, kommt früher oder später aus der Tiefe irgendetwas, das uns aus diesem Erfolgsweg „rauskicken“, uns verlangsamen oder gar zum Aufgeben veranlassen möchte.

Wenn man selbst in solch einer Situation ist, braucht es Klarheit und Courage, solche Hebel, die unser Unterbewusstsein da ansetzt, zu durchschauen. Die Patientin entschied sich, sich diesem Thema der Wut und Scham zu widmen, und kam zum vierten und fünften Wochenende. Mit noch größerem Erfolg.

Auch hier finden wir den Prozess des Yin und Yang: Sobald ich positive Schritte in eine Richtung gehe, mir selbst näher komme oder gar einen großen Durchbruch der Heilung oder Veränderung habe (Yin), ist ganz natürlich auch die andere Seite (Yang) da. Denn beide gehören zusammen. Wie Hanni und Nanni. Wenn ich dann den Ablenkungsversuch erkenne und weitergehe, wird alles gut. Hier zeigt sich ein wichtiges Lebensprinzip: Je stärker der (innere) Widersacher, die Kraft, die ablenkt oder ablenken möchte, desto größer und stärker ist auch die andere Seite, das Gute, das eigentlich immer noch da ist und wieder sichtbar wird, wenn du weiter gehst. Genau so war es bei der Patientin.

Annehmen, was ist

Die zweite Geschichte ist eine noch verrücktere: Auf eine Empfehlung hin kam ein junger Mann in die Götterschmiede. Sehr strahlend und freundlich. Aber mit einem immensen Drogenproblem seit vielen Jahren. Die jeweiligen Wochenenden vergingen. Mal war er in einer Aufstellung dabei, aber durch den Konsum schlief er tatsächlich die meiste Zeit, in der er bei mir in der Götterschmiede war. Die Drogen und sein Innerstes ließen eine volle Teilnahme nicht zu! Zu viel Gutes. Zu viel Veränderung. Ich begann mit ihm parallel (außerhalb der Götterschmiede) eine homöopathische Therapie. Mein Team fragte mich, ob es Sinn mache, dass er hier sei, wenn er die ganze Zeit schläft. Ich meinte: „Natürlich! Er bekommt alles, was hier geschieht, auf einer tiefen Ebene mit. Ihr werdet sehen.“ Am vierten und fünften Wochenende der Jahresgruppe geschah es: Er wachte auf und – man kann es nicht anders sagen – erhob sich wie ein Phönix aus der Asche. Er arbeitete plötzlich an allen Transformationsprozessen mit. Gleichzeitig reduzierte sich der Drogenkonsum von selbst, Stück für Stück. Er kündigte seinen Job, der ihn nicht erfüllte, und fand zu seinem Glauben zurück. Nach Abschluss der Götterschmiede war er komplett drogenfrei und begann eine Pilgerreise. Ja, manchmal geschehen Wunder auch im schlafenden Zustand. Das Prinzip ist immer: Hole den Menschen dort ab, wo er ist, und sag Ja zu dem Menschen, so wie er ist.

Auch hier zeigt sich die erfolgreiche Anwendung des Prinzips, das sich im Yin-Yang widerspiegelt: Er kam mit viel Licht und Schatten in meine Praxis. Der Schatten versuchte ihn so weit wie möglich von den guten Schritten in der Aufstellungs-Gruppe durch den Schlaf abzulenken bzw. zu verlangsamen. Die Lösung im ersten Schritt, um Yin und Yang wieder zu vereinigen, war ein grundsätzliches Ja und die Annahme dessen, wie es ist. 

Donald Guß

ist Heilpraktiker und Dozent. Er führt eine Naturheilpraxis für prozessorientierte Homöopathie, Psychotherapie, Familienaufstellungen und Result Coaching. Er ist darüber hinaus Dozent für Familienaufstellungen, Haka-Ha, Personale Leibarbeit und schamanische Heilweisen.

Info und Kontakt über Tel.: 030 – 818 971 14 oder info@praxisguss.de

www.familienaufstellung.berlin

www.praxisguss.de

Ein Quereinstieg in die Jahresgruppe „Götterschmiede“ ist noch beim zweiten Wochenende am 05.-07.04.2024 möglich.

 

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