Die Debatte um Beutekunst dreht sich um die jüngste Vergangenheit. Doch auch uralte Kunstschätze längst untergegangener Kulturen werden zum Streitobjekt. Ein kostbarer Federschmuck, nationale Ikone aus Mexiko und sogar der Pergamonaltar sind Gegenstand von Rückgabeforderungen der Herkunftsländer. Ist das nun alles längst verjährt und die Schätze der Weltkultur sollen unbelastet von Eigentumsfragen dort bleiben, wo sie seit langem gut gepflegt werden? Sind wir somit die rechtmäßigen Erben als Nachfolger der Kolonisatoren? Oder sollte nicht zumindest bei besonderen Fällen die Frage neu gestellt werden?

Das begehrte Objekt ist ein kostbares Gebilde aus 400 grünen Schwanzfedern des Quetzal-Vogels, dem heiligen Vogel der Azteken, dekoriert mit Goldornamenten. Auf bisher nicht rekonstruiertem Wege gelangte der Federschmuck nach Österreich und ist heute im Wiener Völkerkundemuseum zu bewundern. Vertreter einer sehr aktiven Gruppe aztekischer Nachfahren sehen in ihr die Federkrone des letzten Aztekenherrschers Motecuzoma II. Xocoyotzin. Nach ihrer Ansicht konzentriert sie Macht, Wissen, Weisheit und Fruchtbarkeit in sich. Antonio Gomora, als Sprecher der Gruppe unter dem Namen Xokonoschtletl bekannt, bemüht sich seit vielen Jahren vehement, den Kulturgegenstand wieder für sein Land zurück zu erobern. Mit exotischen Tänzen, auffälligem traditionellen Federschmuck und lautstarkem Trommeln versucht er, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.   

Bei der Federpracht handelt es sich um das Hauptstück der mexikanischen Sammlung des Wiener Museums. Eine Rückgabe könnte einen Präzedenzfall schaffen und eine Lawine von Rückgabeforderungen auslösen, wird befürchtet. Denn nicht nur in Wien, auch in Berlin und anderswo wurden geplünderte und erbeutete Kulturschätze in Mengen angehäuft. Die Kostbarkeiten, auf deren Herausgabe die Ursprungsländer in vielen Fällen immer wieder drängen, wurden in Kolonialzeiten in den jeweiligen Herrschaftsbereichen zusammengetragen. Sollten sie nun Stück für Stück in die Heimatländer zurückwandern, ständen die Museumsdirektoren womöglich in leeren Räumen herum. Sie sehen in ihren Sammlungen freilich nicht die Beute imperialistischer Kolonialkriege. Uralte Kunstwerke vernichteter Hochkulturen, wie das aztekische Symbol, werden vielmehr kategorisch als ihr “rechtmäßig erworbenes nationales Kulturerbe” deklariert,   welches sie jahrhundertelang konserviert hätten.    
 
Die Nachfahren Motecuzomas jedenfalls, deren Kultur sich von der Begegnung mit Cortés nicht mehr erholen konnte, müssen sich schon nach Wien begeben, um ein so rares Stück der Vergangenheit ihrer Nation bewundern zu können. Selbst das Anthropologiemuseum in Mexiko muß sich mit einem Imitat begnügen. Regierungsdelegationen haben immer wieder erfolglos versucht, eine Rückgabe des Originals zu erreichen und sogar Tauschobjekte angeboten.
Die Geschichte, die das kostbare Kunstwerk in Österreich hat, läßt sich bis ins Jahr 1575 zurückverfolgen. Es ging 1590 durch Kauf in den Besitz von Erzherzog  Ferdinand von Tirol über.  Dr. Kann: “Daher wurde der Federkopfschmuck vollkommen legal erworben und ist seit damals in rechtmäßigem Besitz Österreichs.”  Doch ist der rechtmäßige Erwerb geraubten Gutes rechtens?   

Antonio Gomora betont ehrfürchtig  “die Heiligkeit der Krone”, die er nicht zu berühren wagen würde. Er hat sich deren Rückgewinnung zur Lebensaufgabe gemacht. Der in der Kultur der Azteken erzogene Xokonoschtletl lebt seit 12 Jahren in Deutschland und kämpft nun schon über 20 Jahre um die Rückgabe dieses Symbols. 500 Jahre Ungerechtigkeit sollen jetzt beendet werden, sagt er. “Mit der Rückkehr von Motecuzomas Federkrone wird ein neues Zeitalter beginnen, eine Ära in Frieden und Weisheit, mit Respekt allen und allem gegenüber.  ”Wenn etwas ganz Bedeutendes aus Europa zurückkäme, so stellt er den Zusammenhang her, würden die Probleme, die mit den Europäern begannen, beendet sein.   

Sponsoren hat er noch keine gefunden. Trotz  finanzieller Probleme gelang es ihm, bisher über 300 Personen aus 13 indianischen Stämmen aus Mexiko zu holen, um ihrem gemeinsamen Anliegen in Europa Nachdruck zu verleihen. Da geht es längst nicht mehr nur um dieses eine Symbol uralter Kultur, sondern um die Besinnung auf die eigene Kultur, das alte Wissen über Natur und Spiritualität im Alltag. Ihre Kultur und ihre Ziele, die um ein Leben in Harmonie, Frieden und die Erhaltung der Natur kreisen, sollen Anerkennung finden. Themen wie Umweltschutz, Ernährung und alte Heilkunst sind Gegenstand von Vorträgen, Seminaren und Workshops, die Antonio Gomora durchführt.

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