Irgendwo zwischen Chill-Out, Ambient,Trip-Hop und Pop lässt das Duo Vargo aus Hamburg ihren musikalischen Planeten um eine warm strahlende Sonne kreisen. Ihren Namen kennt nicht jeder, ihre Musik wahrscheinlich schon, denn Auskopplungen aus ihrem ersten Album „Beauty“ waren auf über 150 Chill-Out-Compilations vertreten, die Millionen Male verkauft wurden. Tatsächlich war Vargo überhaupt die erste deutsche Band, die auf der berühmten Cafè del Mar CD Reihe gefeatured wurden und sich dort in der Folge als Dauergast etablierten.

Nun legen die Beiden ihr zweites Album namens „Precious“ vor – und könnten damit den Soundtrack für einen Aufbruch zu mehr Menschlichkeit, Frieden und Bewusstheit geschrieben haben. SEIN hat sie interviewt.

Euer neues Album heißt „Precious“ – wertvoll/kostbar – da liegt die Frage nahe: Was ist für euch kostbar?

Eigentlich alles.

 

Das Cover zeigt die Erde aus dem All – mit dem Titel zusammen ist das ja schon ein Statement in sich, eine Erinnerung. Es scheint, wir brauchen sie: Wirtschaftskrise, Umweltkrise, Zerfall der Gesellschaft – haben wir Menschen aus den Augen verloren, was wirklich wertvoll ist?

Aus den Augen verloren ist wohl die richtige Bezeichnung. Denn Wissen tun wir das intuitiv.
Es ist nur sehr wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern. Dazu ist eine gewisse Ruhe und Zeit nötig. Man muss diesem Thema regelmäßig Raum geben. Wir haben vor einiger Zeit Interviews geführt und ganz verschiedene Menschen gefragt, was für sie ganz persönlich wertvoll ist. Das Ergebnis ist überraschend berührend und auch bald auf unserer Website zu sehen und hören: Die Interviews zeichnen ein Bild individueller Werte. Jedem der gefragten Menschen sind viele Dinge wertvoll. Alles zusammen zeigt, dass Wertevorstellungen allgegenwärtig sind. Immer dann, wenn man ihnen Raum gibt.

Die Frage ist dann wohl eher: Was folgt daraus? Wenn wir schon wissen, was wertvoll ist, warum leben wir dann nicht entsprechend dieser Werte? Viele denken nämlich, dass das nicht möglich sei in unserer heutigen Welt. Andererseits stelle ich fest, dass sehr viele Menschen da schon seit Jahren umdenken. Der Begriff Paradigmenwechsel kursiert ja schon seit den Siebzigern. Manchmal denke ich, dass sich die Gesellschaft immer mehr in zwei Hauptrichtungen auseinanderentwickelt: In das materielle Lager, dass eher vom Ego regiert wird und in das mehr ganzheitlich denkende Lager, wo Dinge, wie Mitgefühl, Selbstentfaltung, Verantwortungsbewusstsein sich selbst und dem Gesamten gegenüber eine zentrale Rolle spielen.

Aber vielleicht bedingen sich diese beiden Pole auch aus einem größeren Blickwinkel betrachtet auch. Denn der relative Teil unserer Welt existiert ja nur aus den Gegensätzen heraus.

 

Ihr sagt Vargo steht für Menschlichkeit, was bedeutet das für euch – und wissen wir überhaupt wirklich, was es heißt, Mensch zu sein?

Es ist heutzutage überhaupt nicht mehr schwierig, sich da zu orientieren. Noch nie war der Zugang zu Informationen so umfassend. Auch sein.de ist da ein gutes Beispiel. So immens viele Organisationen beschäftigen sich mit dem Thema des Mensch-Sein und bieten unter anderem auch Zugang zu teilweise uralten Quellen, die in früheren Zeiten nur einem sehr kleinen Kreis zugänglich waren. Wichtig ist, dass überhaupt erst einmal der individuelle Wunsch besteht, zu wissen, was es heißt, Mensch zu sein. Das ist eher ein Prozess persönlicher Reifung. Ich glaube, dass es bei jedem letztendlich nur eine Frage der Zeit ist, bis er sich irgendwann die alles entscheidende Frage stellt: WER BIN ICH? Was bedeutet es „Mensch“ zu sein? Was mache ich hier überhaupt? Das ist der philosophische Ansatz zu Menschlichkeit und Mensch-sein. Es gibt auch einen ganz einfachen und praktischen Ansatz: Da ist der zentrale Begriff: Liebe. Alles andere lässt sich hieraus ableiten: Mitgefühl, Verantwortung, liebevolles und unterstützendes Miteinander, Respekt, Rücksichtname, Vergebung, Dankbarkeit. – Menschlichkeit ist Liebe.

 

Mein Gefühl ist: Wir stehen als Menschheit an einem Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen, an dem wir Klarheit brauchen: Was wollen wir eigentlich? Vom Leben, von unseren Beziehungen, von unserer Gesellschaft? Was ist unser Traum, das mögliche Potenzial gemeinsamen Lebens auf der Erde?,Im Text des Songs „Warriors“ sprecht ihr von schlafenden Giganten, davon, dass aus „der Illusion eine Armee von Liebenden aufsteigen wird“. Und ihr sagt „Now is the time for us“. Könnt ihr etwas dazu sagen?

Vargo PreciousDer schlafende Gigant steckt in jedem von uns. Es ist das riesengroße Potenzial jedes Einzelnen.
Es ist da und es wartet darauf, von uns erkannt und geweckt zu werden. Bei jedem. Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch in seinem Kern, seinem Wesen nach „gut“ ist. Immer mehr Menschen zeigen Interesse daran sich ihrem wahren Wesen, ihrem Kern zu nähern. Bekommen eine Art Ahnung, dass da noch mehr sein muss, als als kleines Stückchen Fleisch auf der Erde herumzulaufen und irgendwann zu sterben. Was für ein trostloses Weltbild.

Jeder, sofern er nur will, kann anfangen, sich zu entwickeln. Schritt für Schritt. Das ist der schlafende Gigant.
Zur Armee von Liebenden:

Immer mehr Menschen erkennen, dass der reine Materialismus nicht halten kann, was er ursprünglich versprochen hat: ein Leben im Glück. Immer mehr Menschen wenden sich vom Wirtschaftssystem der egoistischen persönlichen Bereicherung ab.
Wenn sich einer traut für Werte einzustehen, für mehr Menschlichkeit, ist er nicht allein.
Er hat eine Armee von Liebenden hinter sich, die unaufhaltsam wächst. Obama ist das beste Beispiel oder der Dalai Lama.
Und zu „Now ist the time for us“: Es stimmt. Es ist höchste Zeit, sich zu entscheiden, welcher der zuvor beschriebenen zwei Hauptrichtungen man angehören will. Eine gute Zeit, sich für den Weg der Menschlichkeit zu entscheiden. Und man ist nicht allein, sozusagen in bester Gesellschaft.

 

„Warriors“ ist für mich wirklich ein Highlight auf dem Album, der Song hat eine ungemein motivierende Energie. Und als Gast-Sprecher ist dort Dan Millman (Der Pfad des friedvollen Kriegers) zu hören. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Dan hat mich in jüngeren Jahren sehr inspiriert mit seinen Büchern. Vor allem natürlich durch das Bild seines friedvollen Kriegers. Ich erfuhr durch einen Freund, dass er auf Europatour sei, bekam auch Kontakt zu Dan und fragte ihn, ob er nicht Lust habe an einem Vargo Track mitzuwirken.

Ohne zu zögern, sagte er zu und kam zu uns nach Hamburg ins Studio. Wir haben drei wunderbare Tage miteinander verbracht und stehen immer noch im freundschaftlichen Kontakt. Ihn persönlich kennen zu lernen, war eine große Bereicherung für uns. Er stellt das Bild des friedvollen Kriegers wirklich dar. Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der so sehr im Moment lebt und sich dir mit so ungeteilter liebevoller Aufmerksamkeit widmet.

Dan Millman sagt im Song: „Das Wertvollste wird für mich immer der gegenwärtige Moment sein“. In einem anderen Song namens „The Meaning of Life“ sagt ihr der Sinn des Lebens wäre „einfach zu sein“, der eigenen Präsenz Bedeutung zu verleihen. Musik scheint vielen Menschen zu helfen, das ständige Davonlaufen vor dem Moment, vor dem „einfach sein“ zu durchbrechen und ins Jetzt zurückzukehren. Wie empfindet ihr das? Ist es das, was Musik so wertvoll macht?

Gandhi sagte: „All true art must help the soul to realize it’s inner self“. Ich glaube, dass es allgemein die Kunst ist, die Menschen in den Augenblick, in den Moment bringen kann.

Das kann durch das Betrachten eines Bildes sein, durch das Hören von Lyrik oder durch Musik.
Ich glaube auch, dass es möglich ist, das was man als Künstler beim Kreieren seiner „Werke“ empfindet, eben durch diese weiterzugeben. Kunst ist somit eine wortlose Art der Kommunikation. Eine sehr direkte Sprache von Seele zu Seele, wenn man so will.

Befindet sich der Künstler – was ja nicht selten der Fall ist – bei seiner Arbeit in einem transzendenten Zustand, dann kann es auch den Zuschauer oder Hörer in einen transzendenten Zustand ziehen. Das ist dann das reine Erleben des Momentes. Das ist das, was Kunst allgemein so wertvoll macht. Gute Kunst sollte erheben.

 

In den Danksagungen des Albums dankt ihr Yoga – welche Rolle spielt Yoga in euren Leben?

In meinem Leben spielt Yoga eine zentrale Rolle. Viele wissen bereits, dass es beim Yoga um viel mehr geht, als um Körperübungen. Es ist eine uralte Wissenschaft. Eine Wissenschaft zur Entwicklung des individuellen menschlichen Potenzials. Es ist eine wunderbar lebendige Lebensphilosophie, die aus einem umfangreichen Wissen um das menschliche Potenzial schöpft und sich ständig weiterentwickelt. Teil dieser Philosophie sind regelmäßige tägliche Übungen – Sadhana -, bestehend z.B. aus den bekannten Körperübungen (Asana), Atemübungen (Pranayama), Meditation (Samyama) und einiges mehr, wenn man möchte. (lacht)

 

Der Song „So Sensual“ scheint eine Meditationserfahrung zu beschreiben: „Close my eyes / Look inside / Realize / The endless Space / Behind my eyes is shining“. Der gesamte Text zeugt von einer innigen Beziehung zu dieser inneren Realität. Könntet ihr kurz etwas dazu sagen, wie euer spiritueller Weg bisher aussah?

Ja. Bücher waren mein Weg. Schon als Jugendlicher habe ich alle Castaneda Bücher verschlungen.
Später, beim Lesen eines Buches des von mir hoch geschätzten Physikers Fridjof Capra hatte ich eine Art Erleuchtungserlebnis. Natürlich ging es nach ein paar Stunden vorbei, es pflanzte jedoch den Kern für eine Entwicklung, die sich immer mehr der Spiritualität widmete. Ich hatte das Gefühl, dass immer genau das Buch zu mir fand, was ich gerade am meisten brauchte.
Ich verschlang die Bücher eigentlich aller großen spirituellen Meister, lernte unter fundierter Anleitung Meditationstechniken, später dann Fortgeschrittenentechniken. Ich wollte mich entwickeln. Ich weiß nicht warum, wenn ich heute so darüber nachdenke. Dieses Streben war einfach so da. Ich bemühte mich und bemühe mich heute noch, Stück für Stück, Schritt für Schritt, schlechte Gewohnheiten gegen gute und bewusst ausgeführte Gewohnheiten auszutauschen. Das ist ein lebenslanger Weg. Und klar: Mal klappt es besser und mal schlechter.

 

Nun zur Musik: Drei Jahre habt ihr an diesem Album gearbeitet. Warum hat es so lange gedauert? Und was hat sich musikalisch für euch verändert?

Wir haben in diesen drei Jahren sehr viel gemacht. Ein eigenes Label aufgebaut, einen Musikverlag, dafür gesorgt, dass Vargo existieren kann. Jetzt arbeitet der wunderbare Timm (Korth) Vollzeit mit im Team. Das ist eine Riesenhilfe. Damals war ich noch eine ziemliche one man show. Business und Kreation sind nicht so einfach zu kombinieren. Nicht umsonst werden diese Bereiche von Agenturen oft strickt getrennt.

Der Anfang von Precious-Album war nicht leicht. Ich wollte mich nicht wiederholen. Auf gar keinen Fall noch mal wie mit „Beauty“ ein klassisches Chill-Album abliefern. Es war ein Entstehungs- und Orientierungsprozess, der zeitweise sogar richtig schmerzhaft war. Ich hab letztens bei einem Musikjournalisten gelesen, dass das zweite Album das schwierigste sein soll. Das hoffe ich sehr in Hinblick auf die nächsten Alben. Also dass das dritte dann wieder leichter wird. (lacht)

Ich glaube, dass „Precious“ ein viel schärferes künstlerisches Profil hat. Eine stärkere inhaltliche Aussage. Eine größere stilistische Palette. Das Album sollte erst fertig sein, wenn ich das Gefühl habe, „es ist vollbracht“. Nicht etwa, weil jetzt unbedingt was von Vargo rauskommen muss.

Eine nicht ganz ungefährliche Gratwanderung. Gerät man doch bei zu langer Abstinenz schnell in Vergessenheit. Ich habe mich hier jedoch ganz auf meine Intuition verlassen. Bin mir jetzt auch sicher, dass es richtig so war.

Eure Musik hat eine zutiefst positive Ausstrahlung und Wirkung. Viele Künstler scheinen den kreativen Ausdruck vor allem als Ventil für ihren Schmerz zu benutzen – auch unsere Liebeslieder sind ja größtenteils eigentlich Trennungs-Lieder. Könnt ihr etwas dazu sagen, wie ihr Kreativität seht? Haltet ihr Schmerz und negative Gefühle bewusst aus der Musik fern, oder geschieht das automatisch?

Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich untersuche es oft in Gesprächen mit meinem Sohn, der u.a. ein sehr talentierter Maler ist. Ich unterscheide da zwischen „kompensativer“ und freier Kunst. Viele Künstler kompensieren oder verarbeiten mit ihrer Kunst einen inneren Mangel oder Schmerz. Zweifellos sind sehr große Werke so entstanden, die viele Menschen tief berührt haben.

Mein Ansatz ist vielleicht ein ganz anderer: Ich mache die Musik von Vargo nicht um meiner selbst willen. Meine Absicht ist, die Menschen mit dem, was ich tue zu berühren, sie zu öffnen. Zu öffnen für sich selbst. Damit sie sich selbst näher kommen. Viele sagen, die Musik von Vargo hätte heilende Wirkung. Wenn das so ist, dann aktiviert unsere Musik Selbstheilungskräfte. Hilft Blockaden zu lösen. Vielleicht einmal einen Blick auf sich selbst zu werfen aus einer freieren Perspektive heraus. Vielleicht den eigenen Kern , sein Selbst zu erahnen. Auch unsere Texte spielen hier eine wichtige Rolle.

 

Ich persönlicher vermisse in mancher Chill-Out- Musik die Tiefe. Wie gelingt es, musikalisch eine Stunde positive Stimmung zu verbreiten und sie dabei stets lebendig zu halten, nicht ins allzu Seichte, Belanglose abzugleiten? Was ist das Geheimnis? Was ist Tiefe?

Ich ziehe mich zum Komponieren und für die Vorproduktion vollkommen zurück. Ganz konsequent.
In ein kleines Haus in den Bergen am Waldrand. Inmitten von Natur. Kein Telefon, keine E-mails. Ich schweige, faste, meditiere, praktiziere Yoga und arbeite. Über Wochen hinweg. So komme ich meinem Kern recht nahe. So erreiche ich Tiefe. Ich bin in meiner eigenen Tiefe. Aus dieser Tiefe, die Stille ist, schöpfe ich die Ideen. Wenn ich in die Stille hinein höre, offenbart sich die Musik. Es ist die Musik selbst, die heraus will. Ich bin da quasi nur der Geburtshelfer.

Die Glücksforschung hat herausgefunden, dass sich die eigene Glücklichkeit allein durch das Üben von Dankbarkeit dramatisch erhöhen lässt. Ihr scheint das zu wissen: Euer Album beginnt und endet mit Danksagungen. Warum hat Dankbarkeit so eine magische Wirkung?

Weil Dankbarkeit eine Demutshaltung ist. Genau wie Vergebung, man lässt los. Man ordnet sich quasi unter und zwar demjenigen, gegenüber dem man dankbar ist. Das löst für diesen Moment sozusagen das Ego auf. Das macht glücklich. Außerdem: Wenn man dankbar ist, ist man wunschlos. Wunschlosigkeit macht glücklich.

Ihr sagt, eure Musik sei euer bescheidener Beitrag zu einer besseren Welt. Was möchtet ihr mit diesem Album erreichen?

Wir möchten dem Zuhörer helfen, zu sich selbst zu finden. Ihn berühren, ihn öffnen für sich selbst.
Ihm Frieden schenken, Harmonie, Weite. Ihn wertschätzen. Meditative Zustände ermöglichen. Ihm Mut machen, so zu sein, wie er ist, an sich und an sein Potenzial zu glauben. Für eine bessere Welt muss man zuerst bei sich selbst anfangen: „Be the change, you want to see in the world.“ Wieder von Gandhi. (lacht)

 

Link

Auf der Webseite von Vargo kann das Album vorgehört werden.

 

Video

Hier ein kurzes Video-Interview mit Vargo auf youtube

 

 

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