Zu einer Stadtrundfahrt in den Norden Berlins gehört meist ein kurzer Besuch des Buddhistischen Hauses in Frohnau. Der älteste und bekannteste buddhistische Tempel Berlins wurde 1924 von dem Berliner Arzt Dr. Paul Dahlke gestiftet und wird heute von Mönchen aus Sri Lanka betreut. Schon damals gab es knapp tausend Berliner Buddhisten in mehreren Gemeinden, meist am südlichen Buddhismus, dem Theravada orientiert. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen meist japanische Zen-Schulen und ab Ende der siebziger Jahre tibetische Gemeinschaften dazu.
Heute kann man fast alle Schulen und Richtungen aus der zweitausendfünfhundertjährigen Geschichte des Buddhismus in Berlin finden. Vorsichtig geschätzt treffen sich einige tausend Berliner Buddhisten in rund fünfzig Gemeinschaften regelmäßig zu Meditation und Ritual, Vorträgen und Studium. In den letzten Jahren treten die Buddhistischen Gemeinschaften in Berlin verstärkt gemeinsam an die Öffentlichkeit, veranstalten Buddhistische Tage und feiern am Vollmond im Mai (singhalesisch Vesakh) Buddhas Geburtstag mit Ritualen, Vorträgen, Workshops und abwechlsungsreichem Kulturprogramm. 
Höhepunkt dieses Jahres ist der Kongreß des Buddhistischen Dachverbandes, Deutsche Buddhistische Union (DBU) am 23. Und 24. Oktober im Haus der Kulturen der Welt. Thema ist „Soziales Engagement und Spirituelle Transformation.“ Daß sich Buddhisten mit Meditation und Innenschau beschäftigen und für inneren und äußeren Frieden sind, ist inzwischen Allgemeingut. Daß sie ihre Einsichten und ihr Mitgefühl auch in soziales Handeln umsetzen, ist weniger bekannt.
Allerdings wird es sicherlich noch eine Weile dauern, bis es in Berlin eine Buddhistische Suppenküche gibt…
Der diesjährige Kongreß will an verschiedenen Beispielen zeigen, wo buddhistische Praxis bereits mit sozialem Engagement einhergeht, das auf einer tiefen Transformation der einzelnen beruht. Achtzehn namhafte Referentinnen und Referenten aus Berlin und Japan, Hawai und Australien geben – auf deutsch und englisch, in Vorträgen und Workshops, durch Gesprächsrunden und Meditationen – Anregungen, wie man einen klaren Geist und ein offenes Herz entwickelt und sich seinen Nächsten bewußt und wohlwollend zuwendet. Buddhistische Hilfsorganisationen und Gemeinschaften stellen ihre Arbeit vor, es gibt Filme und ein spannendes Kulturprogramm.
Da Geschmäcker und Interessen sehr verschieden sind, gibt es eine große Bandbreite von Themen: Buddhismus und Psychotherapie, Mit Kindern wachsen, Gemeinsam leben und arbeiten, Sterbebegleitung, Umgehen mit Gewalt, Individuum und Gemeinschaft, Spirituelles Leben in der Welt, Ökologische Bewußtsein.

Was können die Lehren und Übungen des Buddhismus dazu beitragen, daß Menschen besser mit Veränderungen umgehen können? Was haben Buddhistinnen und Buddhisten in Zeiten schneller und grundlegender Umbrüche an praktischer Lebenshilfe und geistiger Orientierung anzubieten? – Neben der Anleitung zu innerer Ruhe und Einsicht durch die Meditation kann das vor allem die Anregung sein, sich seinem Nächsten bewußt und wohlwollend zuzuwenden.

Das beinhaltet:

  • Verantwortung für das „Ganze“ der Gesellschaft
  • umsichtiges und solidarisches Handeln im Alltag
  • einen neuen und kreativen Umgang mit Gewalterfahrung
  • ein besonderes Augenmerk auf die Erziehung und
  • die Verbindung von „Herzensbildung“ mit intellektuellem Wissen.

Es ist fast eine Binsenweisheit: Damit wir unsere Gesellschaft zum Besseren verändern können, brauchen wir einen klaren Geist und ein offenes Herz. Wem es nur um das eigene Glück geht, dessen Handeln beruht auf egoistischen Motiven. Er wird in jedem Fall die Folgen seines Tuns für die Mitmenschen, die Umwelt und – nicht zuletzt – auch für sich selbst ignorieren.

Zu den Höhepunkten des Kongresses zählen sicher die koreanische Energie-Meisterin Dae Poep Sa Nim aus Hawaii (Sozialer Buddhismus), der Gründer des Westlichen Buddhistischen Ordens, Sangharakshita, der koreanische Mönch Seong Do, ein echter Zen-Meister aus Berlin (Koreanisches Koan-Zen und Meditation), der tibetische Lama Geshe Thubten Ngawang aus Hamburg (Spirituelle Ökologie) und der für seine gemeinschaftlichen „Pilgerschaften“ u.a. auch durch Deutschland und Europa bekanntgewordene Zenpriester und Vietnamveteran Claude Anshin Thomas. Das hochkarätige Kulturprogramm zeigt u.a.den japanischen Shakuhachi-Meister Hanada Roshi aus Bremen, den Do-Chor und das Gamelan Banja Orchester aus Berlin und die zweisprachige Inszenierung des Mexico City Blues von Jack Kerouac (Lyrik und Jazz).
Der Kongreß ist öffentlich und wendet sich an alle Interessenten!

Der Buddhismus

Der Buddhismus wurzelt in den Lehren des Siddharta Gautama, des späteren Buddha. Er wurde in Nordindien vor etwa 2500 Jahren als Sohn eines Adeligen geboren.
Basis der Buddha-Lehre sind die sogenannten Vier edlen Wahrheiten. Sie besagen:

  • daß wir uns nach Glück sehnen, aber die Erfahrung machen, daß dieses nicht von Dauer ist. Statt dessen erfahren wir Unzufriedenheit und Leid als verläßliche Konstanten in unserem Leben
  • daß die eigentliche Ursache unserer Unzufriedenheit und unseres Leids in den Verblendungen unseres Geistes zu finden ist
  • daß es eine Möglichkeit gibt, diese Leiden zu beseitigen und
  • daß wir durch Geistesschulung den Weg zur Befreiung vom Leiden beschreiten können.

Die verschiedenen Schulen des Buddhismus unterscheiden sich sowohl hinsichtlich bestimmter Interpretationen der Schriften als auch hinsichtlich der im Zentrum stehenden Übungen. Sie stimmen jedoch in ihren philosophioschen Grundaussagen überein: Alle Handlungen haben Auswirkungen (Karma), kein Phänomen existiert unabhängig von anderen, alles ist in ständigem Wandel begriffen und somit nicht ewig. Und Einigkeit besteht schließlich in der Auffassung, daß alle Lebewesen die Möglichkeit in sich tragen, einen Weg aus dem Leiden zu finden und Glück zu erlangen.
Die Vorliebe des Buddhismus für philosophische Fragen hat westliche Religionswissenschaftler zu der Ansicht gebracht, der Buddhismus sei gar keine Religion, sondern eine – ethisch inspirierte – Philosophie. Er fordert keinen Glauben, sondern die Überprüfung der Lehre, und die Befreiung, die er verspricht, wird nicht von einem Schöpfergott abhängig gemacht, sondern von der Disziplin bei der Geistesschulung und der Fähigkeit zur Einsicht.
Doch der Buddhismus kennt Heilige, Gottheiten, Gebete und religiöse Rituale. Und wenn Religion bedeutet, sich auch für einen Zeitraum nach dem Tode um Heil zu bemühen, dann ist der Bud-dhismus ohne Zweifel eine Religion, und zwar eine, die seit mehr als 2500 Jahren eine lebendige Tradition besitzt.
Buddhisten sind davon überzeugt, daß ihr Geist ein Kontinuum ist, das seit anfangsloser Zeit existiert. Eine Schulung des Geistes hinterläßt deshalb nicht nur in diesem Leben positive Eindrücke, sondern wirkt sich auch auf die zukünftigen Leben aus. Also bestimmen wir durch unsere Handlungen auch die Voraussetzungen für unsere Zukunft – in diesem und in jedem weitern Leben.

Buddhas Anhänger begegneten den jeweiligen lokalen religiösen Vorstellungen in aller Regel mit Respekt. Und so haben sich die buddhistischen Elemente häufig mit diesen religiösen Vorstellungen verbunden. Das ist ein Grund dafür, daß sich der Buddhismus heute so variantenreich präsentiert. Da es die Absicht des Buddha war, seine Lehre nur denen zu vermitteln, die sie auch hören wollten, gibt es keine Zeugnisse von Zwangsbekehrungen, und die Geschichte weiß auch nichts von großen buddhistischen Religionskriegen.
Allerdings gab es Eifersüchteleien zwischen einzelnen Lehrern (Meistern) bzw. ihren jeweiligen Anhängern; solche Vorgänge sind auch heute noch zu beobachten.
Dennoch gilt: Buddhisten verstehen Religion als eine Art Medizin, die vom Leiden heilt. Ob es die buddhistische Religion ist, die als heilsam erlebt wird, muß jeder Mensch selbst erfahren. Welche Religion jemand „anwendet“, ist ausschließlich in seine eigene Verantwortung gestellt.

(Aus einer Informationsschrift der Deutschen Buddhistischen Union)

Über den Autor

Avatar of Sylvia Wetzel

Jahrgang 1949, befasst sich seit Ende der sechziger Jahre mit psychologischen und politischen Wegen zur Befreiung und seit 1977 mit Buddhismus, vor allem der tibetischen Tradition. Seit 1980 bewegt sie sich in der deutschsprachigen buddhistischen „Szene“, als Mitgründerin und langjährige Vorsitzende eines buddhistischen Zentrums mit angeschlossenem Buchverlag, als Übersetzerin und Kursassistentin, als „Funktionärin“ im buddhistischen Dachverband Deutsche Buddhistische Union, als Redakteurin der Lotusblätter und seit Ende der achtziger Jahre als buddhistische Meditationslehrerin, Vortragende und Autorin. Mit ihren kulturkritischen und feministischen Ansätzen ist sie eine Pionierin des Buddhismus in Europa.

Bücher der Autorin:
„Das Herz des Lotos. Frauen und Buddhismus“, Fischer Verlag.
„Hoch wie der Himmel. Tief wie die Erde. Meditationen über Liebe, Beziehungen und Arbeit“, Theseus-Verlag.
„Leichter leben. Meditationen zum Umgang mit Gefühlen“, Theseus-Verlag

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