Interview mit Thomas Hübl zum Healing Event

Was hat unser Leben heute mit einer kollektiven Erfahrung zu tun, die über ein halbes Jahrhundert zurück liegt? Wie wirkt sich das deutsche Trauma NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg auf unser aktuelles Selbstbild, unser Lebensgefühl und unsere spirituelle Suche aus? Der spirituelle Lehrer Thomas Hübl ist der Ansicht, dass dieses „Zuviel“ des Holocaust und der Zerstörung tiefe Spuren im kollektiven Bewusstseinsfeld hinterlassen hat, die auch heute noch die Matrix unserer Erfahrung mitbestimmen. Durch ein synchronisiertes Gruppenfeld, das seinen Fokus mit Mitgefühl und Bewusstheit auf die damals verdrängten Emotionen richtet, können sich diese Energien integrieren und kann Heilung geschehen.

 

Kästner: Das Healing Event Berlin am 24. Mai zur jüngsten deutschen Vergangenheit ist Teil einer Veranstaltungsreihe, die sich der Heilung kollektiver Themen widmet: die „Synchronized Humanity Tour“. Was verstehst du unter „Synchronized Humanity“?

Hübl: Ich glaube, wir haben ein neues Heilungswerkzeug zur Verfügung. Ich spreche immer wieder von einem neuen Wir. Was passiert, wenn sich unsere individuelle Erfahrung ausdehnt, wenn wir bewusst andere Erfahrungsräume mit einbeziehen? Wenn ein Wir nicht die Ansammlung von vielen Ichs bedeutet, wie viele Blechdosen in einer Packung, sondern wenn ein Wir heißt, dass meine Erfahrung dieses Wir ist, – also alle anderen Erfahrungsräume und Weltsichten beinhaltet? Dieses neue Wir hat eine enorm hohe Synchronisation, ein höheres Level an Intelligenz und an Heilkraft. Vor allem, wenn es darum geht, kollektive Themen zu heilen. Wenn wir kollektiv als Volk einen Schmerz verdrängt haben, dann braucht es zumindest ein Kollektiv, um diese Verdrängung wieder bewusst zu machen und zu integrieren. Sobald diese Verdrängung integriert ist, steht die Energie wieder als Kreativität zur Verfügung. Wenn wir alle zusammenkommen und dabei wirklich für unsere gemeinsame Lebensgrundlage sind, bewusst sind, dann entsteht daraus Magie. „Synchronized Humanity“ spiegelt diesen Aspekt wieder. Viele spirituelle Traditionen sprechen von Nächstenliebe, Mitgefühl, Gemeinschaft oder erleuchteter Gemeinschaft. „Synchronized Humanity“ ist einfach ein anderes Wort dafür.

Synchronisation kann auch missverstanden werden – im Sinne von Gleichschaltung, wie es z. B. während des Nationalsozialismus passiert ist. Worin liegt der Unterschied?

Im Prinzip ist es das gleiche Phänomen. Der Unterschied liegt in der Anwendung. Die Synchronisation, von der wir sprechen, wird zur Heilung oder zur Integration verwendet. Sie öffnet eine tiefere Bewusstseinsebene. Bei einem Rockkonzert gibt es auch eine hohe Synchronisation. Oft führt das zu einer starken Berührtheit. Aber es bleibt bei einer emotionalen Berührtheit, die schnell wieder ausklingt. Mich interessiert, wie die Bewusstseinssynchronisation zu einem tieferen Aspekt unseres Selbst führen kann, zu einer tieferen Erkenntnis und Herzöffnung, die nachhaltig sind. Wir können Technik benutzen, um den Planeten zu zerstören oder um vielen Menschen das Leben zu retten. Technik an sich ist nichts Schlechtes. Synchronisation an sich ist nichts Schlechtes. Die Frage ist, wie wir sie verwenden.

Das Healing Event Berlin hat also die Intention, die Synchronisation von vielen Menschen als Heilungsinstrument für das kollektive Thema NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg anzuwenden.

Genau. Es geht darum zu erkennen, dass wir einerseits unser äußeres Leben leben, aber dass es gleichzeitig zu diesem äußeren Leben immer eine innere Reflexion der Wirklichkeit gibt. Diese innere Wirklichkeit kleidet alles, was wir erfahren, in einen Mantel, der aus einer individuellen und einer kollektiven Komponente besteht. Ein Teil unseres Selbstgefühls ist von vergangenen, nicht integrierten Erfahrungen geprägt. Wenn wir eine schwere Kindheit durchlebt haben, dann tragen wir oft noch den Schmerz dieser Kindheit in uns. Er mischt sich in unser aktuelles Fühlen und Wahrnehmen. Je mehr wir ihn erkennen, desto klarer wird unser gegenwärtiges Fühlen, Denken und Interpretieren. Das Gleiche gilt auch für große kollektive Erfahrungen der Menschheit. Das Dritte Reich war ein einschneidendes Erlebnis. Ein Teil von dem Schmerz dieser Zeit wurde nicht integriert. Er hängt immer noch in unseren Energiefeldern, in unserem Leben, über der Stadt, dem Land, über Europa. Viele von uns sind in dieser Energie aufgewachsen. Für uns ist diese Lebensgrundlage die Normalität. Meiner Meinung nach führt diese Verdrängung zu einer Depression, im gewissen Sinn zu einer Depression von Kreativität. Die Kreativität und die Anbindung an überbewusste Bewusstseinsfelder sind dadurch eingeschränkt. Aber da diese Einschränkung für uns normal ist, fällt es uns nicht auf. Außer wir beginnen hinzuschauen. Die Heilungsmeditation dient dazu, den Schmerz unter einer Anleitung wieder wahrzunehmen. Bei einer Verdrängung hat ja die bewusste Erfahrung nicht stattgefunden. Wenn sich jetzt 1000 Menschen bewusst bereit erklären, die Erfahrung zu machen, dann kann sich das revidieren. Die Energie wird wieder frei für Kreativität und bleibt nicht der Schatten unserer eigenen Erfahrung.

Huebl_Brand_Tor.jpg Healing EventDas Healing Event wird einen ganzen Tag dauern. Was steht auf dem Programm?

Es wird zunächst auf verschiedenen Ebenen eine Hinführung zum Thema geben. Vorträge und Erfahrungsberichte werden uns mit dem Bewusstseinsfeld in Kontakt bringen, um das es geht. Im Anschluss werden wir mit der World-Cafe-Methode noch tiefer eintauchen. Während der Meditation lassen wir uns dann darauf ein, das zu fühlen, was nicht gefühlt wurde und was immer noch darum bittet, gefühlt zu werden. Je mehr Menschen daran teilnehmen, wirklich aus dem Herzen heraus teilnehmen, weil sie einen Beitrag für unsere gemeinsame Lebensgrundlage leisten wollen, desto kräftiger wird das Ganze.

 

Was kann jeder Einzelne für sich mitnehmen?

Es können eigene Prozesse in Gang oder eine Verdrängung im eigenen Erleben des Themas wieder ins Bewusstsein kommen. Von der Tiefe und dem Mitgefühl, die während einer solchen Meditation entstehen, können wir so tief berührt werden, dass wir erkennen, dass diese Tiefe und dieses Mitgefühl immer in uns sind. Es kann eine spirituelle Erkenntnis stattfinden oder eine tiefere Öffnung zum Leben hin – ganz unabhängig von der Thematik.

Am Ende der Heilungsmeditation machst du ein Toning. Welche Funktion haben diese Tonings?

Tonings sind wie eine starke Synchronisation. Synchronisation heißt, dass sich viele Menschen darauf einlassen, sich tiefer zu empfinden oder zu verbinden. Dadurch entsteht im Bewusstseinsfeld eine höhere Intensität und Kohärenz. Durch diese erhöhte Intensität haben wir mehr Zugang zu überbewussten Ebenen. Und diese überbewusste Kraft hat wiederum die Kraft von Einsicht. Ein Problem von der Ebene des Problems aus zu lösen ist schwer. Wir sind so darin gefangen, dass wir nicht klar sehen können. Schauen wir aber von einer übergeordneten Ebene aus, dann erkennen wir die Dynamik und können sie besser integrieren. Die überbewussten Ebenen des Bewusstseins sind damit zu vergleichen. Wir erkennen das Thema auf einer, sagen wir mal, früheren Entwicklungsebene. Dieser Einfluss von Licht oder überbewusster Kraft hat eine starke Heilungskraft. Tonings vermitteln all das: die Synchronisation, die Einfühlung und den Einfluss einer höheren Bewusstseinsebene oder eines umfassenderen Blickfelds.

Spielt Berlin als Ort für dieses Healing Event eine besondere Rolle?

Berlin spielt eine wichtige Rolle für die Heilungsmeditationen zum Thema NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg. Berlin ist für mich wie ein Knotenpunkt, in dem zentrale Information gespeichert ist. Nicht nur für Deutschland, sondern auch für ganz Europa. Wenn hier eine Lösung oder Integration stattfindet, ist das so, als würde man einen Akupunkturpunkt mit einer Nadel treffen und plötzlich der Energiefluss im ganzen Körper wieder angeregt sein – nur weil dieser Akupunkturpunkt wieder ins Fließen gekommen ist. Deshalb glaube ich, dass es sehr fruchtbar ist, wenn die Heilungsmeditationen hier vermehrt stattfinden. Wir wollen die Healing Events zu diesem Thema natürlich auch über die Grenzen Deutschlands hinaus ausdehnen. Nach Polen zum Beispiel, nach Russland oder nach Israel.

Über den Autor

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ist ein zeitgemäßer spiritueller Lehrer, Begründer der Academy of Inner Science und Initiator des Celebrate Life Festivals, eines jährlich stattfindenden Non-Profit-Events in Norddeutschland. In seiner Arbeit verbindet sich die Essenz der großen Weisheitstraditionen mit heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er hat die besondere Gabe, Menschen präzise zu erkennen und das ihm offenbarte Wissen ganz praktisch ­anwendbar rüberzubringen. So führt er Menschen mit außergewöhnlichem Gespür in tiefere Dimensionen ihrer Präsenz und in die Eigenverantwortung. Thomas Hübl lebt in Tel Aviv und Berlin.

Mehr Infos

Vom 28. Juli bis 06. August 2017 findet das 14. Celebrate Life Festival zum Thema Trauma auf dem Seminarhof Oberlethe statt. Die vor 13 Jahren entstandene Non-Profit-Veranstaltung hat inzwischen eine beachtliche internationale Strahlkraft entwickelt, die Menschen aus der ganzen Welt begeistert und inspiriert. 2016 haben über 1300 Teilnehmer aus 26 Nationen die einzigartige Energie dieses Festivals miterlebt. Alle Infos zu Programm, Unterkunft, Verpflegung u.a. auf https://celebrate-life.info/2017

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