Genitale Beschneidungspraktiken an Frauen in Afrika

“ In Sierra Leone ist es geheim und ein Ritual“ erklärt Mariatu Rhode, die Vorsitzende des Afrikanischen Frauen Netzwerkprojektes DAFNEP in Berlin.
„Am Abend davor gibt es viel Mystisches, Geheimnissvolles, sehr viel Tanz und tam tam. Den Mädchen wird Angst gemacht.“ Was sie beschreibt ist das Initiationsritual ihres Landes, durch das Mädchen zu Frauen gemacht werden. Sie lernen aber nicht nur Haushaltung und Kindererziehung. Am Anfang steht eine grausame Operation, ein Eingriff in Körper und Seele.
„Es gibt nur bestimmte Frauen die die Beschneidung durchführen dürfen. Sie werden Digbas genannt und gehören verschiedenen Geheimgesellschaften an.
Die Eltern geben alles dafür, damit ihre Tochter das Beste bekommt, Kleider, Gold und Juwelen. Manche verschulden sich regelrecht, um sie herauszuputzen, eine Art Wiedergutmachung für das, was ihr angetan wird.“
        
Es dürfte schwer sein, das Entsetzen wiedergutzumachen, das sich in die Augen der Mädchen schleicht, in denen zuvor noch die Freude über die erhaltene Zuwendung funkelte. Denn was folgt ist der Anfang eines Lebens voller Schmerzen, verursacht durch das Entfernen ihrer Genitalien.

In Sierra Leone wird an 90% der Frauen eine sogenannte Excision durchgeführt, dabei wird die Klitoris und die inneren Schamlippen (Labien) komplett entfernt , zusätzlich Haut und Gewebe aus der Vagina ausgeschabt; zu vergleichen mit der Abtrennung der Eichel vom Penis.

Schon auf diese Methode reagiert man bestürzt; und dabei ist dies nur die zweitschlimmste Form. Die schlimmste und immer noch sehr häufige Art ist die Infibulation oder Pharaonische Beschneidung, bei der zusätzlich neben der Klitoris und den inneren Labien auch die inneren Schichten der äußeren Labien entfernt werden und die beiden blutigen Innenseiten miteinander vernäht (teilweise mit Pferdehaar) oder mit anderen Hilfsmitteln (Akaziendorne) zusammengefügt werden. Oft wird lediglich eine Steichholzkopfgroße Öffnung gelassen, durch die Monatsblut und Urin nur tropfenweise unter großen Schmerzen austreten können. 98% der Frauen in Somalia und 89% im Sudan sind auf diese Art beschnitten. Tendenz der allgemeinen Verbreitung steigend.
        
Es gibt mildere Beschneidungsformen, bei denen „nur“ die Klitoris teilweise oder ganz entfernt wird. (Klitoridektomie oder modifizierte Sunna – praktiziert zu 90% in Mali und Äthiopien), die aber oft als uneffektiv eingestuft werden.

Nicht immer wird dieser Brauch in ein zeremonielles Fest eingebettet, teilweise werden die Mädchen, die meistens zwischen 4 – 8 Jahre alt sind, ohne jegliche Vorahnung zu einem Platz gebracht, an dem die Operation unter
verheerenden hygienischen Bedingungen durchgeführtwird, mit verrosteten Rasierklingen, Glasscherben, Fingernägel… Wenn nicht genügend Geld für eine professionelle Beschneiderin vorhanden ist, übernehmen sogar Familienmitglieder ohne anatomische Kenntnisse diese Aufgabe. Selbstredend erfolgt die Operation ohne Betäubung und unter dem ausdrücklichen Verbot Schmerzen zu äußern oder darüber zu reden.

„Die Mädchen bleiben 30 – 40 Tage in einer geschützten Behausung am Fluß. Solange dauert es bis die Wunden heilen, wenn sie nicht an den Eingriffen verbluten oder an Infektionen sterben.“, beschreibt Maris tu Rhode den weiteren Verlauf des Rituals.

Seelische Wunden bleiben bei den Mädchen und zeigen sich in Angstzuständen, Traumen, Suizidversuchen und oft schweren Vertrauensverlusten gegenüber den Eltern. Die Liste der Leiden ist lang. Körperliche Beschwerden erinnern ein ganzes Leben lang an diesen schrecklichen Tag, besonders bei Infibulation. Die Infektionen können bestehen bleiben und chronisch werden, aufsteigende Harnwegsinfektionen können Nierenleiden, Inkontinenz und Sterilität verursachen. Häufig bilden sich Zysten.
        
Eine infabulierte Frau muß bei der Geburt erneut aufgeschnitten werden, dabei sterben die Erstgeborenen in 30 % der Fälle. Danach wird sie in vielen Fällen von einer Hebamme auch ohne ihre Zustimmung wieder auf Stecknadelkopfgröße zugenäht.

Das sexuelle Empfinden von Frauen mit dieser Beschneidungsart ist extrem beeinträchtigt, bis es zum ersten Geschlechtsverkehr kommt, vergehen Wochen bis Monate. In vielen Fällen kann das verhärtete
Narbengewebe nur durch Schnitte geöffnet werden. Die Männer versuchen dies oft im Alleingang, teils mit langen Fingernägeln, teils mit anderen scharfen Gegenständen. Viele Frauen berichten von Horrorszenarien am Anfang der Ehe.

Wenn man all dies liest neigt man leicht dazu, es für etwas zu halten, das man in der Vergangenheit praktizierte, ähnlich Hexenverfolgungen. Aber nein, es ist real und betrifft jeden Tag erneut 6000 Mädchen, vor allem in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten (Jemen ist neu dazugekommen) und Teilen Asiens. Nicht zu vergessen sind auch die Immigrantenfamilien in Europa , den USA und Kanada, die teilweise ihre Mädchen in den Ferien nach Hause schicken um sie dort beschneiden zu lassen.

Diese Praktiken wurden in den 80er Jahren hier bekannt, maßgeblich durch Forschungsaufenthalte der Sozialpsycholgin Hanny Lightfood-Klein in Afrika.

Seit dieser Zeit setzen sich weltweit Frauenorganisationen gegen Beschneidung an Frauen (FGM = Female Genital Mutulation) ein.

Darunter in Deutschland:

Terres des Femmes
Kontakt: Gritt Richter Konrad
Adenauer Straße 40
72072 Tübingen
Telefon : (070 71) 797 30
www.terre-des-femmes.de
Schwerpunkte : Information, Öffentlichkeitsarbeit
   

Forward
Kontakt: Tobe Levin
Martin-Luther-Straße 35
60389 Frankfurt / Main
Telefon: (069) 69 45 96 60
Schwerpunkte: Aufklärung, Beratung

Intact
Johannisstraße 4
66111 Saarbrücken
Telefon: (0681) 324 00
Schwerpunkte: Information, Zusammenarbeit mit Projekten in Afrika
   

DAFI
Kontakt: Anke Müller-Belecke
Telefon: (030) 344 61 85
Berlin
Schwerpunkte: Beratung, Aufklärung

DAFNEP
Kontakt: Mariatu Rhode
Wildpfad 7
14193 Berlin
Telefon: (030) 825 57 65
www.DAFNEP.de

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