Ohne Gehirnaktivitäten können wir gar nichts wahrnehmen. Das ist ein Fakt. Nur: Wie entsteht aus den neuronalen Aktivitäten die wahrgenommene Realität? Und welche Beziehung besteht zwischen Gehirn und Bewusstsein? Adnan Sattar entzaubert den Mythos „das Gehirn erzeugt unsere Wirklichkeit“. Über die Entmythifizierung des Gehirns.

Der materialistische Ansatz in der Hirnforschung geht davon aus, dass das Gehirn Bewusstsein produziere – dabei wird der Begriff Bewusstsein hier im Sinne von Wahrnehmung benutzt und nicht im spirituellen Sinne. Jedoch gibt es bis heute keinen Ansatz, der auch nur im Entferntesten erklären könnte, wie aus den elektrischen Mustern im Gehirn Bilder, Geräusche, Gerüche, Geschmack, Gefühle und bewusste Gedanken entstehen können. Dies bestätigen elf führende Neurowissenschaftler in einem „Manifest“ aus dem Jahre 2004. Darin steht wörtlich: „Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet, wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühere Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als »seine« Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte. In dieser Hinsicht befinden wir uns gewissermaßen noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern.“

Das Gehirn ist kein Computer

Trotz dieser ernüchternden Erkenntnis glaubt fast jeder, dank der Medienverbreitung, dass das Gehirn wie ein Computer funktioniert. Denn ein Rechner macht bekanntlich aus elektrischen Signalen Bilder und Töne. Diese Metapher Gehirn = Computer übersieht aber drei wichtige Faktoren: Erstens besitzt ein Computer eine Zentralverarbeitungseinheit, um die Daten zu steuern und sie zu binden, was im Gehirn fehlt. Zweitens muss ein PC an Ausgabegeräte angeschlossen werden, zum Beispiel an einen Monitor und einen Lautsprecher, die in der Lage sind, die elektrischen Signale in Farben und Töne zu transformieren. So ein physiologisches Ausgabegerät, das die neuronalen Impulse transformieren könnte, besitzt das Gehirn ebenfalls nicht. Der dritte und wichtigste Faktor ist der bewusste Beobachter, der diese Eindrücke wahrnimmt. Der wird sowohl im Gehirn als auch am Monitor benötigt. Sonst gibt es keine Eindrücke, die erlebt werden können. Auch dieser Homunkulus fehlt im Gehirn. Schon aus diesen Gründen kann der materialistische Ansatz keine Antwort liefern.

Trotzdem wurde aus dem Gehirn ein Mythos, der den Status eines gesicherten Wissens erhalten hat. Diese Annahme basiert jedoch allein auf dem engen Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein, den keiner leugnet. Ja, der Zusammenhang zwischen beiden ist sogar so eng, dass Ursache und Wirkung leicht verwechselt werden können.

Ich möchte im Folgenden zeigen, warum das Gehirn definitiv kein Bewusstsein bzw. keine bewusste Wahrnehmung produzieren kann.

Wie geschieht Wahrnehmung?

Wir haben im Alltag das Gefühl, dass wir die „Außenwelt“ direkt erleben. Das stimmt aber nicht. Denn die Objekte, die wir jetzt wahrnehmen, mussten vorher durch unsere Sinnesorgane in elektrische Signale umgewandelt werden. Diese elektrischen Signale passierten verschiedene Areale des Gehirns, wo sie bearbeitet wurden. Erst aus diesen bearbeiteten Mustern entstand dann die Wahrnehmung. Das ist, wenn man so will, eine Reproduktion der ursprünglichen Signale aus der „Außenwelt“. Darum spricht man in der Wissenschaft von der Wahrnehmung als einer Abbildung (einer Kopie) einer real existierenden „Außenwelt“. Diese materialistische Kernaussage zur Erklärung der Wahrnehmung kann jedoch mit einem einfachen Beispiel eindeutig widerlegt werden:

Nehmen wir an, wir wollen einen Baum abbilden. Dazu nehmen wir drei Kameras, die jeweils mit einem Display verbunden sind. Dann hätten wir nicht nur drei verschiedene Abbildungen des Baumes, weil er aus verschiedenen Blickwinkeln abgebildet wurde. Das Wichtigste ist, dass der abgebildete Baum in jeder Abbildung an einer anderen Position im globalen Raum steht. Logisch, weil die Displays auch an verschiedenen Stellen stehen. Und wenn ich an einem Display auf den Baum zeige, dann beziehe ich mich auf die Abbildung, die in diesem Display dargestellt ist, und mein Zeigefinger wird nur auf die Position dieses Displays zeigen. Ein anderer, der ebenfalls auf den Baum zeigt, an einem anderen Bildschirm, liegt mit seiner Hand räumlich an einer anderen Stelle als ich. Das ist eine physikalische Selbstverständlichkeit.

Entgegen physikalischen Gesetzen

Wir ersetzen nun das obige Beispiel „Kamera-Display“ durch „Augen-subjektive Darstellungsebene“, um die Problematik des materialistischen Modells veranschaulichen zu können. Wenn ich nun auf einen Baum zeige, dann zeige ich auf den Baum, den ich in meiner „subjektiven Darstellungsebene“ sehe. Alle anderen, die ebenfalls auf diesen Baum zeigen, würden jeweils auf den Baum zeigen, den sie in ihren „subjektiven Darstellungsebenen“ sehen. Somit würde jeder auf eine andere Stelle deuten. Eine räumliche Übereinstimmung von auch nur zwei verschiedenen Darstellungen wäre nach dem materialistischen Modell ausgeschlossen, wie wir oben mit den Kameras und Displays festgestellt haben.
Das Ergebnis dieser Analogie widerspricht aber unseren alltäglichen Erlebnissen. Denn in unserer Wahrnehmung ist die Position jedes Objektes räumlich identisch mit der Wahrnehmung einer anderen Person; nur eben aus einem anderen Blickwinkel. Ich nenne dies die „Einheit der Lokalitäten“. Und wenn wir beide einen Ball fangen wollen, dann ist die räumliche Position des Balls im selben Augenblick sowohl in meiner als auch Ihrer Vorstellung identisch. Jeder unbeteiligte Beobachter würde sehen, wie wir uns auf einen gemeinsamen Punkt zubewegen, obwohl wir beide ihn jeweils in einer anderen Vorstellungsebene erleben.

Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit. Aber entsprechend den Gesetzen der Physik darf es so etwas gar nicht geben. Wie aber kann die räumliche Darstellung verschiedener Abbildungen – unendlich viele – global so verschmelzen, dass die Darstellung für uns identisch erscheint, obwohl theoretisch keine einzige Übereinstimmung möglich ist, da es sich um verschiedene Abbildungen (verschiedener Gehirne) handelt?

Existenz höherer Ordnung

Dieses erstaunliche Phänomen kann nicht ein Produkt des Zufalls sein und auch nicht vom individuellen Gehirn als Produkt der neurobiochemischen Prozesse entstehen, weil davon alle Gehirne gleichzeitig “betroffen” sind, wenn sie zeitgleich ein Objekt beobachten. Dies erzwingt vielmehr die Existenz einer höheren Ordnung, die dafür sorgt, dass die Wahrnehmung bei jedem von uns zwar als “Rekonstruktion” entsteht und ganz privat erlebt wird und trotzdem alle Wahrnehmungen einen gemeinsamen Raum beschreiben, was physikalisch nicht möglich ist. Diese höhere Ordnung kann nur eine geistige Gesetzmäßigkeit verkörpern, die die Einheit des Bewusstseins darstellt. Würde unsere individuelle Wahrnehmung in isolierten Gehirnen produziert und von den anderen vollständig getrennt aufgebaut, so würde keine objektive und nie eine gemeinsame Realität entstehen.

Wir können schlussfolgern, dass das beschriebene Phänomen der “Einheit der Lokalitäten” beweist, dass das Gehirn keine bewusste Wahrnehmung bzw. Bewusstsein produzieren kann, was bis jetzt die materialistische These behauptete.

Implizite und explizite Ordnung

Als Alternative bietet sich der idealistische Ansatz, der besagt, dass das „Bewusstsein“ die Materie erschafft. Dieser Ansatz beruht ebenfalls auf dem engen Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein. Nur die Richtung ist umgekehrt. Der Ansatz stützt sich auf die Arbeiten des großen Quantenphysikers David Bohm (1917-1992). Sein Modell nennt er die „implizite Ordnung“. In dieser impliziten Ordnung ist das gesamte Wissen der Schöpfung enthalten (in einem winzig kleinen Maßstab ist es vergleichbar mit den Informationen in den Genen, die das gesamte Wissen des Organismus enthalten). Unsere Realität besteht nach dieser Theorie aus unsichtbaren Potenzialen, die alle Informationen enthalten und die miteinander interagieren. Bohm nennt dies die „Holobewegung“. Sie sorgt dafür, dass ständig neue Strukturen entstehen. Je komplexer eine Struktur ist, desto größer ist ihr Potenzial. Das Gehirn ist so eine komplexe Struktur mit einer lokalen „Holobewegung“. Im Zentrum des Gehirns entstehen aus der lokalen Holobewegung augenblicklich sowohl die Wahrnehmung als auch der Wahrnehmende und die Wahrnehmungsgegenstände. Die Wahrnehmung wird hierbei als die explizite (sichtbare) Ordnung bezeichnet. Die drei Aspekte (implizite Ordnung, Holobewegung und explizite Ordnung) bilden zusammen das, was wir im spirituellen Sinne als das „Bewusstsein“ bezeichnen. Die Einheit der Lokalitäten entsteht deswegen, weil die Wahrnehmung nicht in einem physikalischen Raum entsteht, sondern weil der physikalische Raum selbst im Bewusstsein entsteht. Gleiche Potenziale der Holobewegung erzeugen den gleichen Raum.

Kennzeichnend für dieses Modell ist, dass es nicht nur in der Lage ist, das Zusammenspiel zwischen Gehirnaktivitäten und Bewusstsein zu erklären, sondern es vereint auch die Vorzüge der anderen philosophischen Lehren, ohne selbst in Widersprüche zu geraten.

Dies ist eine große Chance für ein neues Weltbild, in dem Rationalität und Spiritualität zu einer Einheit geführt werden. Manche würden diese neuen Erkenntnisse vielleicht ungeprüft ablehnen, weil sie fest an dem materialistischen Ansatz hängen. Ein ganzes Denkgebäude ist auf diesem Mythos aufgebaut worden und darum wird von dessen Anhängern nicht akzeptiert, dieses Modell ernsthaft in Frage zu stellen. Aber durch einen Paradigmenwechsel wird unsere Wissenschaft nicht in Frage gestellt, vielmehr ändert sich unsere Einstellung zum Leben und zur Realität. Dies wird viel Erleichterung und Bereicherung mit sich bringen.


Abb: © Cybrain – Fotolia.com

Weitere Details in:

Adnan Sattar: Was ist Bewusstsein? Die verborgene Sicht unserer Realität, Germania-Com Verlag, 2011

www.was-ist-bewusstsein.de

2 Responses

  1. Lamprecht A.
    Die Idee der Konstruktion des Geistes, eine fixe Idee?

    Wie Sie am Anfang gut erklärt haben, ist das materialistische Erklärungssystem absurd, da es von falschen Analogien ausgeht. Wie z.b. eben bei: Computer vs. Gehirn.
    Leider ist dies aber bei ihren Erklärungen und dem „idealistischen“ Weltbild ebenso anwendbar. Gedreht wie gewendet.
    Wieso muss denn eigentlich die Wahrnehmung immer irgendwo kreiert werden? Besteht unser Universum denn nicht aus einem vierdimensionalen Raumzeitkontinuum, das überall ist und uns von allen Seiten umgibt? Wieso kann denn die Wahrnehmung nicht Teil dieses Universums sein? Vielleicht dient unser Nervensystem evtl. dem Zweck, dass wir uns mit der vierdimensionalen Raumzeitwirklichkeit verbinden können. Unsere feste Position in Raum und Zeit erzeugt dann evtl. unsere subjektive Ich-Perspektive innerhalb der universalen Wahrnehmung.

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  2. Bernhard

    Sehr geehrter Herr Sattar,

    ich denke ihr Vergleich der Kamera-Displays mit der „Augen-subjektive Darstellungsebene“ hinkt ein wenig. Während bei den Kamera-Displays die Handlung des „Auf-den-Baum-Zeigens“ außerhalb des Displays stattfindet, findet diese bei der „Augen-subjektive Darstellungsebene“ innerhalb der Darstellungsebene (hier dem Bewusstsein) statt. Der Arm, den man also im Bewusstsein auf den Baum deuten sieht, hat auch einen ähnlichen Filterprozess (Augen-Hirn) wie der Baum selbst durchlaufen, bevor er auf der „Leinwand“ Bewusstsein dargestellt wurde. D.h., um den Vergleich stimmig zu machen, müsste der Betrachter des Kamera-Displays mit seinem Arm vor der Kamera so deuten, dass am Display dieser in Richtung Baum zeigt. Dann können aber sehr wohl Die Displays an verschiedenen Orten (im globalen Raum) sein und trotzdem kann eine räumliche Übereinstimmung der verschiedenen Display-Betrachter erzielt werden.

    Mit besten Grüßen,
    Bernhard

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