Es ist recht interessant, was viele Menschen unter Liebe und Beziehung verstehen. Ein Ausdruck dieses Verständnisses ist die Mode, ein Vorhängeschloss mit den Namen der Partner zu bepinseln und das Schloss dann am Gitter einer Brücke festzuschließen.

Soll heißen: Zusammen für immer, nichts kann uns trennen, keiner kommt zwischen uns. Hmmm… Für mich zeigt sich da eine andere Symbolik, die mehr im Unbewussten liegt und doch sehr offensichtlich ein Ausdruck des Beziehungsbildes unserer Gesellschaft ist:

Beziehung heißt, den Partner an die Kette zu legen, Kontrolle und Festhalten am anderen mit aller Macht, Gefängnis statt Freiheit. In Paris ist letztes Jahr eine Brücke unter dem Schloss-beschwerten Gewicht von hunderttausenden Anhängern dieser Lebensanschauung zusammengebrochen.

Eigentlich ein schönes Zeichen: Dieser sichtbare Ausdruck einer tonnenschweren Last tiefer Ängste ist irgendwann nicht mehr tragbar und wird zusammenfallen.

Bis sich allerdings in unserer Gesellschaft ein wirklich neues Beziehungsbild etabliert, das auf Liebe und Freiheit basiert, suchen wir fast alle im Partner Mami und Papi: „Du bist verantwortlich, dass es mir gut geht. Wenn du dich nicht so verhältst, wie ich das gerade brauche, liebst du mich nicht.“

Die emotionale Unterzuckerung, die hinter dieser Haltung steht, drückt sich dann aufgrund unserer negativen Erfahrungen – kein Mensch kann diese Ansprüche erfüllen – und trotz dem Bekenntnis zum anderen im Akt der Heirat in getrennten Konten oder einem Ehevertrag aus:

„Ich will mit dir zusammen sein, aber wirklich vertrauen kann ich dir nicht.“

Echte Liebe und Partnerschaft sehen anders aus. In diesem Heft geht es darum zu erkunden, was uns davon abhält, uns ganz einem anderen Menschen hinzugeben, und wie wir diese Wunde heilen und eine reife Beziehung leben können, in der wir dem Partner nicht die Projektionen der eigenen Bedürftigkeit um die Ohren hauen.

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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