Die durch die Ratingagenturen großzügig verteilten Bestnoten für windige Wertpapiere gelten vielen als Katalysator für die aktuelle Finanzmarktkrise. Da die Ratings von arglosen Anlegern als eine Art Gütesiegel verstanden werden, verspekulierten sich viele von ihnen recht gründlich mit den aufgehübschten Ramschpapieren und Schuldderivaten.

Dass die Dienstleistung der Ratingagenturen vor allem den Banken und weniger den Kunden gilt, sollte den meisten Menschen inzwischen klar sein. Bisher konnten die Rating-Agenturen führ ihre fantasievollen Bewertungen allerdings nie zur Rechenschaft gezogen werden, denn ihre „Analysen“ hatten den Status einer Meinungsäußerung, die durch Verfassung geschützt ist.

„Wir trauen uns selbst nicht“

Dem sollte nun ein Riegel vorgeschoben werden: Die Finanzreform in den USA erklärt die Ratings ab sofort zu „Expertenmeinungen“ – und für eine solche muss man auch die Verantwortung übernehmen und kann vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Umdefinition versetzte die Ratingagenturen in einen panikartigen Zustand – denn natürlich entbehren die Ratings jeder Grundlage und könnten in den Agenturen in der neuen Rechtslage zum Verhängnis werden.

So reagierten Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch wenig geschmeichelt auf die plötzliche Ernennung zu Experten: Alle drei Agenturen forderten ihre Kunden auf, bei der Emission von Wertpapieren ihre Ratings nicht mehr zu verwenden. Im Klartext: „Da wir nun dafür geradestehen müssten, was wir euch erzählen, ignoriert uns bitte erstmal.“

Die Anwälte der Ratingagenturen arbeiten nun mit Hochdruck an einer Lösung, wie sie inoffizielle Ratings ausstellen können: „Wir werden Mechanismen außerhalb der Stellungnahme im Rahmen der Registrierung untersuchen, die auch in Zukunft Bewertungen möglich machen“, schreibt etwa Standard & Poor’s ihren Kunden. Die Financial Times kommentiert dazu: Die Ratingagentur wird auch in Zukunft ihre Meinung abgeben – vorerst jedoch nicht in den offiziellen Papieren. Denn da müsste sie ja selbst glauben, was sie schreibt.“

Analysen ohne Sinn

Ratings und Wirtschaftsprognosen sind ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Wie sich mehr und mehr zeigt, sind diese Instrumente allerdings ziemlich nutzlos. In Deutschland geben die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute zweimal jährlich eine gemeinsame Prognose ab, die von der Presse eifrig wiedergegeben wird. Eine Analyse der vergangenen Vorhersagen zeigt nun jedoch: Die Prognosen lagen jeweils so daneben, dass sie als völlig unbrauchbar zu bezeichnen sind.

„Natürlich kann man von einer Prognose keine Perfektion erwarten. Zumindest einen gewissen Zusammenhang zwischen Vorhersage und Realität würde man sich aber schon wünschen. […] Zu erkennen ist davon jedoch: nichts. […] Wenn die „fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands“ eine Wachstumsprognose von 1% abgeben, bedeutet dies, dass das reale Wachstum wahrscheinlich im Bereich von -1.6% bis +3.6% liegen wird. Es gibt also entweder Rezession oder das höchste Wachstum der letzten zehn Jahre“, schreibt Matthias Winkelmann auf Telepolis.

Innerhalb eines solchen Spielraumes kommt man der Realität mit Zufallswerten ähnlich nah. Die Finanzwelt entpuppt sich zunehmend als ein gewaltiger grotesker Zirkus voller Wichtigtuer – mit einigem Unterhaltungswert zwar, aber leider auch mit katastrophalen Folgen für das Leben vieler Menschen. Man ahnt: diese Seifenblase wird nicht mehr lange fliegen.

 

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