Ein mantrischer spiritueller Weg aus der christlichen Mystik

 zusammengestellt von Stephan Hachtmann                                                                                                          

Mit dem Herzensgebet ist uns ein großer Schatz in die Hände gelegt. Es ist einfach, praktisch und eröffnet uns tiefste Einblicke in unser wahres Wesen. Diese Form des Betens kann von Grund auf verwandeln und uns im Hier und Jetzt verankern. Wir gewinnen schrittweise Einsichten und betrachten von einem neuen Standpunkt aus uns und unsere Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung. Im Erkennen dieser Zusammenhänge senkt sich der Himmel auf die Erde und vereinigt sich in uns zum neuen Menschen. Das  Herzensgebet ist ein Weg der Wandlung im Innersten, eine wahrhaft umfassende metanoia.

Das Gebet im Herzen tragen

Herz bezeichnet in diesem Verständnis nicht nur den physischen Ort, sondern in erster Linie ist die Gesamtheit der menschlichen Person gemeint. Das Herz ist das zentrale Organ des menschlichen Seins, des innersten Menschen, das innerste und eigentliche Selbst: Es ist die Mitte des Bewusstseins und des Unbewusstseins, des Körpers, der Seele und des Geistes – die absolute Mitte. Das Herz ist die verborgene Geburtshöhle des neuen Menschen. Dieser neue Mensch wird nicht irgendwann in einem fernen Paradies geboren, er stirbt Jetzt und Hier und richtet sich auf und entfaltet sich im Jetzt und Hier. Bei der wiederholten Anrufung versucht der Mensch in diesen Kreissaal – in diese Geburtststätte hineinzutreten. Das Ziel ist das immerwährende Herzensgebet, welches in mir, in meiner Mitte, unaufhörlich in der Beziehung zu Gott steht. Dieses nennt man auch das „Gebet des Geistes im Herzen“. Das Gebet ist der Weg der Wiederherstellung der Einheit, die Überwindung des Leidens, die Verbindung mit der allumfassenden Schöpfung, die Erneuerung der ursprünglichen Ganzheit, ein Werden zu dem, was ich schon tief in mir bin. Die Vereinigung meines menschlichen Herzens mit dem göttlichen Herzen.

Der Klang meines Herzens

Beim Herzensgebet wird ein Mantra gesprochen, gedacht, gesungen, geformt. Ein Mantra ist ein Heiliges Wort. Ein Wort-Klang, der mich durchstrahlt und durchschwingt. Eine Liebesschwingung, die mich heilt. Wenn ich auf eine Wasseroberfläche ein Mantra z.B. OM singe, entstehen wunderschöne Mandalas. Diese spiegeln die ordnende Kraft der Liebesschwingung wieder. Der japanische Wissenschaftler Masaru Emoto hat jahrelang mit der Erinnerungs- und Formungsfähigkeit des Wassers gearbeitet und uns wunderschöne und beeindruckende Fotografien in seinen Buch „Die Botschaft des Wassers“ geschenkt. Die Vorstellung, dass wir zu über 70 % aus  Wasser bestehen, müsste uns ermutigen heilige, heilende Worte zu formen, zu tönen, zu denken. Diese Ausdrucksweise klärt, ordnet und formt unser innerstes Sein zu einer Gestalt, die in uns als Potential ruht und geradezu darauf wartet herausgerufen zu werden. – Reine Schönheit und Anmut. Beispiele für ein Herzensgebet können „Schalom“ (Frieden); „A – O“ (Alpha und Omega, für Anfang und Ende); „Maranata“ (Unser Herr kommt) oder „Kyrie Eleison“ (Herr erbarme dich) sein. 

Das Gewahrsein im gegenwärtigen Augenblick

Das Herzensgebet möchte nicht als Beigabe oder Technik verstanden sein oder als eine Methode, um zu einer möglichst schnellen Erleuchtung zu gelangen. Das Herzensgebet ist in erster Linie eine Grundeinstellung und eine innere Haltung, auf die ich mich immer wieder ausrichte. Eine Haltung, die meinen gesamten Lebensvollzug in Frage stellt, ihn von Grund auf verwandelt und ihm eine neue Zielvorgabe gibt. Dieses geschieht durch die unablässige Anrufung des Namens. Im Anrufen des Namens, werde ich meines Seins im gegenwärtigen Augenblick gewahr. Ich erkenne Schritt für Schritt meine Gedanken, Gefühle und Empfindungen. Meine Erkenntnisse und Einsichten erscheinen in einem neuen Verständnis. Ich übe mich ein, in dem Erkennen der wahren Natur meines Sein „zu lassen“. Ich nehme das Jetzt als ein Geschenk in seiner unendlichen Fülle wahr. Die Zeit nimmt eine andere Gestalt an. Das Beten ist Kraftquelle und Reinigungsquell – Erfüllung und Sinn. Es befähigt mich, meine Wunden zu erkennen und anzunehmen. „Alles was geschieht, geschieht aus Deinem Willen.“ In diesem bedingungslosen „Ja“ Gottes zu mir und mein „Ja“ zu Ihm, geschieht ein völlig neues Erkennen dessen, was geschieht, was mir widerfährt, was mich sonst leicht aus der Bahn wirft.

In diesem Sakrament des Augenblicks verschwindet alles Bitten und Zweifeln. Ich gebe mich einfach dem Geschehen hin. Es ist eine reine Hingabe. Dieser Mensch besitzt die puritas cordis, das reine Auge, welches nicht besetzt mit Vorurteilen und Wertungen ist. Dieses reine Gewahrsein nimmt die Wirklichkeit, wie sie ist. In dem Buch von Gitta Mallazs „Die Antwort der Engel“ findet sich folgendes Zitat. „Es gibt keinen heiligen Augenblick, denn jeder Augenblick ist heilig“. In der Heiligkeit des Alltäglichen findet die Erleuchtung statt – mitten im Leben.. Die Kontaktstelle zu Gott ist im hier und jetzt. Dieses übt das Gebet immer wieder neu ein. Oder um es mit Joseph Beuys zu präzisieren: „Das Mysterium findet auf dem Hauptbahnhof statt.“.

Wenn uns das Herzensgebet über die letzte Schwelle trägt

„Als Mahatma Gandhi am 30. Januar 1948 von den drei Kugeln seines Mörders tödlich getroffen wird, stirbt er mit dem rama namjapa  auf den Lippen, das heißt mit dem Gottesnamen ram.“ (E. Jungclaussen). Gandhi hat den Vers „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ aus dem 90. Psalm vollkommen verwirklicht. Es war keinesfalls eine spontane Eingebung, der er instinktiv folgte. Seine Amme hatte ihm als Kind dieses Herzenswort-Mantra gelehrt, damit er in Gefahr und Angst eine zuverlässige Verbindung zu einer heilsamen Energiequelle aufbauen kann. Im Verlaufe seines Lebens hat er sein „Herzensgebet“ unzählige Male angewendet und erprobt.  In der Nähe des Todes den Namen Jesu auszusprechen und mit dem Jesus-Gebet auf den Lippen zu sterben, ist ein alter Brauch, jedenfalls in der altkirchlichen sowie in der katholischen Überlieferung.

In der Stunde unseres Todes zeigt sich am deutlichsten, wie wir gelebt haben. In ihr erhalten wir die letzte irdische Möglichkeit, uns bewusst, gelöst und freiwillig in das Licht zu begeben. Dieses kann nur in der Ganzhingabe geschehen. Im Herzensgebet üben wir ein Leben lang dieses Loslassen und Hingeben. Das Sterben des Ich stellt den physischen Tod in ein anderes Licht. Der Weg des Herzensgebetes ist ein Stück Aufarbeitung dieser Todesangst. Daher ist das Sterben des Ich das Grundthema vieler spiritueller Wege im Osten und im Westen. „Wer stirbt, bevor er stirbt, stirbt nicht, wenn er stirbt.“ (Abraham a Santa Clara). Der Weg ins wahre Leben führt mitten durch den Tod hindurch. Meine Lehrerin Brigitta Adelheid Müller beantwortete meine Frage nach Reinkarnation/Wiedergeburt mit dem Satz. „Es gibt keine Wiedergeburt, jeder Augenblick ist einmalig, jede Gestalt ist einmalig, alles ist einmalig – Ewige Entfaltung.“.

Die Praxis des immerwährenden Betens kann eine wunderbare Einübung in unser Leben und unser Sterben sein. In anderen religiösen Kulturen gibt es Übungswege, die eine ähnliche Vorbereitung auf den Tod und das Sterben einüben. Auch in der Begleitung Sterbender eröffnet sich für uns die Möglichkeit der heilsam, mittragenden Fürbitte. In meiner Arbeit im RICAM-Hospiz, war mir mein still geformtes Herzensgebet sehr oft eine wirkliche Stärkung und Bereicherung. In der Begleitung von Menschen auf ihrem letzen Weg entfaltet sich die berührende sanfte Kraft dieses Betens.

Wegschritte

„Werde, was du schon bist …“  Gregor vom Sinai 
Das Ziel des Herzensgebetes ist die Vereinigung mit dem Göttlichen – dem Unaussprechlichen. Dafür wird ein Weg  beschritten, der den Zugang zum wahren Wesenskern eröffnet. Diese geschieht beim Herzensgebet durch das „betet ohne Unterlass“ (1.Thessaloniker 5,17). Dieses Modell des klassischen Dreischritts, die Reinigung, die Erleuchtung und die Einung ist immer wieder in den verschiedensten Traditionen und Ausdrucksformen beschrieben worden. Vor kurzem las ich in dem Buch des Dalai Lama „Der Weg zum Glück“ eine ähnliche Dreiteilung. Dort ist es die Ethik, die Konzentrierte Meditation und die Weisheit. Das nachfolgend beschriebene dreistufige Wegmodell ist nur eine mögliche Betrachtungsweise des Prozesses der Bewusstseinserweiterung hin zu Gott

  1. Schritt Die via purgativa oder auch Weg der Reinigung, der Läuterung des Ich´s, der Klärung und der Aufarbeitung dient zunächst der Selbsterkenntnis. Es ist ein Leer- und Ledigwerden von Ansichten, Sorgen und Zwecken, ein Innehalten, ein sich öffnen und Vorbereiten, ein Suchen und Bereitwerden für Neues. Eine Einübung im Loslassen und Annehmen, was ist.
  2. Schritt Die via illuminativa gewährt zunehmend Einblick in die spirituellen Zusammenhänge und eröffnet Stück für Stück dem Übenden Erkenntnisse in die Geheimnisse des Kosmos und des Seins. Die Erleuchtung wird auch als transformatio bezeichnet. Es findet eine wirkliche und nachhaltige Bewusstseinsveränderung statt. Oft wird dieses auch als Geburt des Neuen Menschen, des Christus in uns und als ein Absterben des Alten Menschen beschrieben. Wichtig zu erwähnen ist, dass dieses Erkennen immer als ein Geschenk der Gnade empfunden wird. Es ist ein gleichzeitiger Vorgang des Erkennens und des Erkanntwerdens – des Gebens und des Empfangens.
  3. Schritt Die höchste Stufe des Herzensgebetes ist das Immerwährende Herzensgebet oder auch als das „Gebet des Geistes im Herzen“ bezeichnet. In der christlichen Mystik wurde dafür der Begriff unio mystica, die Einung der Seele mit GOTT, gewählt. Man kann sie auch als Vermählung oder heilige Hochzeit umschreiben. Nachdem der betende Mensch die Reinigung und die Erleuchtung durchschritten hat, erfährt oder erleidet sie/er ein solches bewusstes Innewerden (Einwohnen) GOTTES, dass mit Worten nicht mehr adäquat mitzuteilen ist.

Die Innere Haltung bei der Anwendung des Herzensgebetes

„Fang einfach an! Um gehen zu lernen, muss man einen ersten Schritt machen. Um schwimmen zu lernen, muss man sich ins Wasser stürzen.“ Das Herzensgebet ist von seiner Ausführung her in jedem Augenblick anzuwenden. Dadurch hat es sich in dieser hektischen, ablenkungsreichen und von Zeitmangel geprägten Zeit, als besonders wirkungsvoll und von jedem Menschen auszuführen, bewährt. Es ist unabhängig von Alter, Gesundheitszustand, intellektuellem Grad, und von Ort und Zeit. Es ist für den Anfänger genauso geeignet wie für den Fortgeschrittenen. Eine vierfache Grundregel, der ich in der Schauspielarbeit begegnet bin und die ich gut auf das Einüben meines persönlichen Herzensgebetes übertragen kann lautet:

  1. Frage nicht behaupte. Das ist mein klares „Ja“ zu diesem Weg, eine immer wieder neuerliche Überprüfung meiner Motivation. Es hat ein wenig von dem Kinderglauben, den ich habe, wenn ich mir der Liebe meiner Eltern gewiss bin. Ich entscheide mich jetzt einfach mal und probiere es aus. Dieses kann nur durch eine Klärung und Klarheit meiner Absicht geschehen.
  2. Nimm es an. Ich lasse mich darauf ein. Ich richte es ein, dem Herzensweg eine Chance in meinem Leben zu geben. Ich nehme den angebotenen Ball an. Ich öffne mich und zeige meine Bereitschaft mitzumachen. Dieses ist eine bewusste und freie Entscheidung.
  3. Bleib dabei. „Zweige, die oft umgesetzt werden, treiben keine Wurzeln.“ Diese Warnung des Gregor vom Sinai beschreibt ein Einüben in eine gewisse Form der Disziplin und Beständigkeit, die mir durch das Dranbleiben eine Tiefe und Verwurzelung ermöglicht. Ich benötige diese, um dem Geheimnis meines Seins auf der Spur zu kommen. Es bezieht sich eigentlich hauptsächlich auf die Gebetsformel. Die genaue Wortfolge des Gebetes, die ich verwende, kann wohl von Zeit zu Zeit verändert werden, doch sollte dieses nicht zu häufig geschehen. Ich benötige Geduld, Geduld und nochmals Geduld und die kleinen Schritte.
  4. Mach was draus. Die gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten verändern mich. Bei manchen Menschen anfangs vielleicht unmerklich und sanft, bei Anderen wiederum radikal und deutlich spürbar. Ich nehme die Veränderungen wahr und mit hinein in meinen Alltag. In diesem alltäglichen und altvertrauten Umfeld kann ich am besten die Fortschritte und Veränderungen bemerken. Der Alltag ist der Prüfstand für meine spirituelle Entwicklung. In ihm zeigt sich meine dazugewonnene Lebenstiefe.

Praktische Hinweise für den Alltag

Kallistos Ware, ein noch lebender englischer orthodoxer Bischof und Lehrmeister des Herzensgebets hat zwei Weisen unterschieden, in denen ich das Gebet anwenden kann: die „freie“ und die „formelle“ Weise. Mit dem freien Gebrauch ist gemeint, dass ich das Gebet im Laufe des Tages spreche, während ich mit gewohnten Tätigkeiten beschäftigt bin. Ich kann es einmal oder mehrmals in den verschiedensten Situationen über den Tag  verteilt sprechen, in den Momenten, in denen vom Geistlichen her Freiräume da sind. Ich kann es beim Abwaschen, beim Warten auf den Bus, beim Stau im Straßenverkehr, bei schwierigen Gesprächen, beim Einschlafen, beim Spazieren gehen und bei einfachen Arbeiten u.s.w. sprechen.

Der Wert des Gebetes liegt in seiner Einfachheit. Das „freie“ Sprechen des Herzensgebetes wird durch die formelle Übung ergänzt. Es herrschen hierbei keine strengen Regeln. Ich suche mir einen möglichst ruhigen Ort in meiner Wohnung, an der immer gleichen Stelle und nehme mir eine regelmäßige feste Zeit vor, um das Gebet zu sprechen. Dieses kann z.B. einmal pro Tag 4 min. sein. Wichtig ist dabei die Regelmäßigkeit. Lieber eine kurze Zeit über einen längeren Zeitraum als ein Überlastung und ein nachfolgendes gänzliches Lassen des Gebetes. Das Gebet kann auf einem Stuhl, im Liegen, im Stehen, auf einem Sitzkissen oder im Lotossitz verrichtet werden. Es gibt dafür keine festen Vorgaben. Vieles wird sich im Laufe des Vollzuges ergeben und individuell beantwortet werden müssen. Die Körperhaltung und die Atmung sollten ruhig und entspannt sein. Das Wort an den Atem zu binden hat sich als eine natürliche und vertiefende Weise des Betens herausgestellt. Z.B. spricht man bei der klassischen Formel beim Einatmen „Herr Jesus Christus“ und beim Ausatmen „erbarme dich meiner.“ 

Eine tägliche geistliche Lesung wirkt fördernd und unterstützend auf dem Weg des Herzens. Dieses kann die Bibel, Wegerfahrungen anderer Menschen, spirituelle Geschichten und Anregungen o.ä. sein. Ein von mir selbst bestimmtes Ritual oder eine regelmäßige feste Gebetsablaufform wirken sich ebenfalls auf das geduldige Integrieren dieses Weges in mein Leben, positiv aus, z.B. 3x Klangschale, Verbeugung, kurzes Gebet, 10 min. Sitzen, 1x Glocke, Segen und Verbeugung. Dabei sollte ich offen und experimentierfreudig sein und die mir genehme Form herausfinden.

Die Gebetskette 

Der Name „Rosenkranz“ stammt von dem Sanskritwort „Japa mala“, das Gebetskette bedeutet. Da Japa auch die Rose heißt, kam die Bezeichnung Rosenkranz zustande. Das Beten unter Zuhilfenahme einer Gebetskette kann eine große Hilfe sein, die Gedanken zu sammeln und zu zentrieren. Dieses können Holzperlen oder andere Perlen sein. Meine Kette besteht aus fünfundfünfzig Perlen. Eine Größere bildet den Anfang und das Ende, und fünfmal zehn gleiche Perlen werden von einer größeren unterbrochen. Die wiederholende, monotone Rezitation des Herzensgebetes hat eine ähnliche Wirkung, wie das monotone und rhythmische Gleiten der Finger über die Perle. Jeweils eine Perle ist ein Gebet und verstärkt die meditative Versenkung. Alle Tiefenschichten der Person werden in dieses Gebet mit eingebunden. Ich benutze die Gebetskette besonders dann, wenn mein Geist sehr zerstreut und unruhig ist.

Wegbegleitung

Immer wieder stellt sich die Frage, ob ich einen Lehrmeister oder eine Lehrerin für diesen Weg benötige. In der Tradition des Herzensgebetes sind es oftmals die Wüstenväter und Wüstenmütter oder die Starzen (=Alter) gewesen. Heute bezeichnen wir erfahrene Menschen als Lehrer/Lehrerin oder Wegbegleiter/Wegbegleiterin. Wir alle sind gemeinsam auf einem Weg. Manch einer ist diesen Weg zum Gipfel schon ein Stück länger gegangen und hat Erfahrungen gesammelt, die uns vielleicht hilfreich erscheinen und uns auf diesem Weg ein Stück weiter bringen. Grundsätzlich ist diese Frage also mit „Ja“ zu beantworten. Ein „Kundiger des Weges“, ein Bergführer, ist eine wichtige Hilfe bei auftauchenden Fragen, die mit der Praxis zusammen hängen oder in schwierigen Situationen, die mir Angst machen und Zweifel verursachen. Auch das richtige Einschätzen von „Gnadengaben“, die manchem auf dem Weg zufallen, benötigen einen erfahrenen Wegbegleiter.

Eine Wegbegleitung wird jedem Suchenden, der ernsthaft diesen Weg gehen möchte, möglicherweise über „den Weg laufen“. Wenn dieses nicht geschieht oder man diesen Weg alleine gehen möchte, kann dieses auch durch das begleitende Studium der Schriften zum Herzensgebet geschehen und natürlich durch den häufigen Vollzug des Gebetes selbst. Auch besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen, die diesen Weg gehen, zusammentun und gemeinsam und im Austausch der Erfahrungen in das Gebet hineinwachsen. In der beiliegenden Literaturliste, habe ich verschiedenste Bücher zum Herzensgebet zusammengestellt, die Erfahrungswissen, Hinweise und Wegschritte zum Thema vermitteln können. 

Andere Ausdrucksformen und Zugänge zum Herzensgebet

Wenn ich in Einkehrhäusern Kurse besuche, die das Herzensgebet zum Inhalt haben, begegnen mir die verschiedensten Gestaltungsformen, die ich hier nur ganz kurz aufzeigen möchte. Die  Arbeit am Klang meines Herzenswortes und das Tönen verschiedener Laute, verändern nicht nur die Klangräume in meinem Körper, auch die Sprachtiefe und der Sprachausdruck erfährt eine allmähliche Wandlung. Worte gewinnen eine neue Bedeutung und erschließen sich mir aus einer neuen Sichtweise. Auch meine Alltagssprache wird davon beeinflusst. Das Körpergebet wirkt durch seine Leibarbeit auf meinen physischen Körper und unterstützt heilsame Prozesse.

Durch bestimmte Bewegungsabläufe und Übungen können sich meine Energiezentren (Chakren)  öffnen und die Lebensenergie gerät in Bewegung. Im Gestalten meines Erfahrungsraumes nehme ich Umformungen und Veränderungen wahr. Im Nachhinein halte ich sie dann auch stärker für wahr und kann das Gestaltete als Inspirationsquelle in meinen Lebensalltag hineinnehmen. Im Formen aus Ton, im Malen und Zeichnen, im Schreiben, im Dichten und im Tanz und der Bewegung nehme ich mich und mein Ganzsein immer tiefer wahr. Der Weg des Herzensgebetes zeigt sich mir als ein sehr sinnlicher und lustbetonter Weg, der meine kreativen Potentiale weckt und damit fördernd auf mein werden zu dem, was ich eigentlich bin einwirkt

Meine persönliche Herzensbitte

Wie in den Ausführungen deutlich geworden ist, besteht immer die Möglichkeit, am Anfang des Weges oder auch immer wieder zwischendurch auf die alte, kraftvolle und mächtige Weise „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ zurückzukommen. Welches ist nun aber die mir entsprechende Formel, die mich im Innersten anspricht und somit einen Wandel in mir vollziehen kann. Welches sind Worte, die mich für die göttliche Wirklichkeit öffnen und die nicht durch negative Erfahrungen und Erinnerungen besetzt sind. Für viele Menschen ist schon das Wort „Herr“ oder „Erbarmen“ eine unüberbrückbare Anfechtung. Hier sollte dann unbedingt ein „Ersatz“ gefunden werden. Die Anrufung des Wichtigsten, des Namens, sollte die Eigenschaften verkörpern, die dem Wesen von Liebe, Weisheit und Mitgefühl entsprechen.

Die Herzensbitte sollte das wiederspiegeln, was mich im jetzigen Augenblick am meisten in meinem Innersten anspricht und berührt. Meinen Kindern (beide waren da 8 Jahre) fiel spontan auf mein Nachfragen nach ihrem Mantra,  folgendes ein: „Mein Herz ist mein Weg.“ sagte mein Sohn und meine Tochter: „Mein Licht ist mein Weg.“. Es gibt eine unbegrenzte Vielfalt von Möglichkeiten für ein Herzensgebet. Selbst der Satz „Nimm dein Bett und geh“ (die Aufforderung Jesu aus einer Heilungsgeschichte des Neuen Testamentes) kann für einen Menschen eine lebensgestaltende Bedeutung entfalten. Einige möchte ich als eine Anregung nennen.

Wichtig ist immer wieder dabei, das das Wort eine authentische und mit meinem individuellem Sein verbundene Beziehung repräsentiert. „Ich zu Dir – Du zu mir.“; „Alles, was geschieht, geschieht aus Deinem Willen.“; „Du in mir, ich in Dir“; „Ja, ich bin Dein“; „Abba, umfange mich mit Deiner Güte“, „Dein Wille geschehe an mir“. Es kann auch nur ein Wort sein, welches mich die Verkörperung  des Ganzen ist. Ich entdecke dann im Laufe der Jahre die Weite dieses Wortes, das mich immer mehr in neue Schichten und Tiefen hineinführt. Das kann das schon erwähnte „Schalom“ sein oder auch ein anderes. z.B. Maranata; Adonai; Christos; Gott, hilf mir vertrauen; Du, ewige Gegenwart; Amen; Abba, Dein; Leben; Licht; Frieden.

Mit dem Herzensgebet des großen Beters Nikolaus von der Flühe, einem christlichen Mystiker aus dem Mittelalter, möchte ich schließen:

„Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, gib alles mir,
was mich fördert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und
gib mich ganz zu eigen dir.“

 

Ungekürzte Fassung:  hier

Herzensgebet in Potsdam am 5.11.: hier

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