Die Sehnsucht, die Angst, die Hoffnung…

Erwin Zbiral ist ein Geschichtenerzähler der besonderen Art. Spirituell „herrlich unverdorben“ und dabei doch sehr bewandert. Seine Gedanken über „die Szene“ lassen viele Leute schmunzeln. Fiktion und selbst Erlebtes gehen dabei Hand in Hand … 

Mein Name ist Sebastian Schweitzer. Das heißt, meine körperliche Erscheinung wurde so benannt. Ohne mein Ego bin ich ein namenloses Nichts, ein unidentifizierbarer Teil im Ozean des Lebens. Ich möchte mein Ego nicht loswerden. Einerseits habe ich die Geburt auf mich genommen, was mir ermöglicht, mich mit diesem Körper zu identifizieren. Andererseits wird, wenn es so weit sein soll, der Tod ohnehin mein Ego auflösen.

Was ich möchte, ist, das Leben mit diesem Ego, in diesem Körper, in Verbindung mit dem Körper meiner Freundin Anja zu genießen. Und dazu fehlt mir, wie so vielen spirituellen Suchern, die finanzielle Potenz.

Anja ist sehr anspruchsvoll und gibt gerne Geld aus. Sie möchte das Leben genießen; und wenn das mit mir nicht möglich ist, dann wird sie nicht mehr lange bei mir bleiben, fürchte ich.

Ich habe es mit Wünschen versucht, war aber damit nicht erfolgreich. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht an diesen Zauber. Anja hat mir dann empfohlen, zu einer gewissen Satya ins Satsang zu gehen, aber auch dort fühlte ich mich nicht wirklich verstanden. „Schatz“, sagte ich zu meiner Freundin: „Satya ist nicht das Richtige für mich. Zum einen ist sie wohl schon zu weit entwickelt, auf dem spirituellen „stairway to heaven“ zu viele Stufen über mir, so dass sie mich nicht erreichen kann, und zum anderen lenkt mich ihre weibliche Form von mir selbst ab.“

„Dann ist Samuel der Richtige für dich.“ antwortet Anja: „Samuel war früher Priester, dann Psychotherapeut (Tiefenpsychologie nach C.G. Jung) und ist erst vor kurzem erwacht. Er kann sich sicher auf dich einschwingen.“

Eine Woche später sitze ich mit meiner Freundin bei meinem zweiten Satsang. Samuel sitzt in Mönchskutte und Sandalen in einem Korbsessel. Seinen Bart und sein schütter gewordenes Haupthaar scheint er seit seinem Erwachen wachsen zu lassen.

„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“, lädt er uns ein. Anja nützt die Gelegenheit, steht auf, nimmt mich an der Hand und führt mich zu Samuel. Mir zittern die Knie, als ich mich in dem freien Korbsessel niederlasse und ihm plötzlich gegenüber sitze.

Er mustert mich mit freundlichen Augen, lächelt mich an und fragt schließlich: „Welche Not führt dich zu mir, mein Bruder?“

„Ich kann nicht das Leben leben, welches ich mir wünsche!“, klage ich an: „Mir fehlt es an Erfolg und daher an Geld. Ich schreibe Krimis, aber die verkaufen sich nicht gut genug. Ich kann meine Freundin nicht in der Weise verwöhnen, wie das ihrem zauberhaften Wesen entsprechen würde!“

„Du bist ein armer Mann“, stellt Samuel fest.

Was soll ich nun damit anfangen? Will er mich provozieren? Will er mich vor all den Leuten und vor Anja lächerlich machen? Ich schaue ihn wütend an und überlege, was ich darauf entgegnen könnte.

„Ich bin auch ein armer Mann.“ – Er lächelt mich wieder an.
„Aber im Gegensatz zu dir bin ich zufrieden. Ich bin aber auch weder eitel, noch muss ich irgendjemanden zufrieden stellen. Schon gar nicht die Wünsche meines Egos.“

„Ich bin nicht eitel!“ entgegne ich verletzt: „Im Gegenteil, wenn ich schreibe, dann passe ich mich den Wünschen meiner Leser und meines Verlegers an, ich dränge mein Ego zurück in die letzte Besenkammer und scheue nicht einmal davor zurück, es zu verleugnen!“

„Wozu das Ganze? Um dich selbst zu bestrafen?“ fragt er und badet mich dabei gleichzeitig in seinem gütigen Lächeln, so dass sich das Gefühl in mir ausbreitet, ich sei ein Idiot.

„Um Geld zu verdienen“, gebe ich kleinlaut zurück. Schon während ich es sage, merke ich, dass das nicht die ganze Wahrheit sein kann.

„Nach Carl Gustav Jung“, erklärt mir Samuel, „gilt die goldene Münze als archetypisches Symbol für das Selbst. Mangelt es dir an Geld, so mangelt es dir in Wahrheit an echter Wertschätzung für dein höheres Selbst.“

„Gut“, unterbreche ich ihn: „Aber was kann ich jetzt tun?“

„Zeige dich den Menschen in deiner ganzen Wahrheit. Beschenke sie mit deinen inneren Schätzen, lasse sie teilhaben an der Fülle deiner Erfahrungen, deiner Ängste, deiner Hoffnungen – und dann nimm dankend an, was dir begegnet.“

„Weißt du, was du da verlangst? Ich müsste mein Leben auf den Kopf stellen, riskieren, dass meine Texte nicht mehr veröffentlicht werden, Menschen vor den Kopf stoßen, sie enttäuschen…“

Samuel will etwas entgegnen, aber ich setze verbittert und voller Zynismus fort: „Und dann werde ich, wie durch ein Wunder, endlich über genug Geld verfügen, dank Carl Gustav Jung?“

„Ich verlange nichts von dir“, sagt Samuel ruhig: „Ich kann dir nur den Weg weisen. Du bist unzufrieden mit deinem Leben. Eine echte Veränderung deiner Situation erfordert viel Mut und noch mehr Vertrauen. Ich kann den Weg nicht für dich gehen, aber wenn du wissen willst, wohin er führt – schau mich an.“

„Hast du Geld?“
Durch das Raunen im Saal bemerke ich meinen Fauxpas. So eine Frage stellt man nicht! Ich schaue zu Anja. Beschämt schaut sie zu Boden. Samuel dagegen bleibt ganz ruhig.

„Es kümmert mich nicht.“ antwortet er und ich glaube ihm. „An manchen Tagen schickt das Leben mir die Fülle und ich erfreue mich daran, an anderen Tagen schickt es die Stille, und ich gehe auf in ihr. Lass diese meine Worte auf dich wirken, Bruder. Ich danke dir für deinen Beitrag.“ Er verneigt sich vor mir und ich gehe zurück zu Anja.

„Du bist wirklich unmöglich“, meint sie.

Ich habe es ja gewusst, denke ich mir. Da zeige ich mich so respektlos, wie ich nun einmal bin und schon ist mein Schatz verletzt. Tief in meinem Herzen weiß ich, dass Samuel recht hat und ich bin tief berührt von seiner Weisheit, aber ebenso tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich nie, nie, nie den Mut aufbringen werde, den gezeigten Weg zu gehen. Und so begleite ich niedergeschlagen meine Freundin, als diese mich auffordert, den Satsang vorzeitig zu verlassen.

A_ZribalBuddha2.jpgAnja schmollt drei Tage lang. Die ganze Zeit über versuche ich sie zu besänftigen und sperre mein Ego in die Besenkammer meines Selbst, verleugne, demütige und entschuldige mich. Nein, den Weg des heiligen Samuel kann ich nicht gehen, seine Schuhe passen nicht zu meinen Füßen! Aber wenn ich diesen Weg nicht gehen kann, was dann?

Nachdem ich mich ein paar Tage meiner inneren Verzweiflung hingegeben habe, fasse ich mir endlich ein Herz und teile Anja mit, dass auch dieser Versuch fehlgeschlagen ist. „Vielleicht ist Satsang einfach nicht das Richtige für mich“, stelle ich abschließend in den Raum.

Zu meiner Überraschung reagiert mein Schatz ganz freundlich. „Ach Sebastian“, sagt sie: „du bist lieb. Ich finde es schon ganz toll, dass du es wenigstens versucht hast. Ich weiß, du hast das nur mir zuliebe getan.“

„Ich habe wirklich Sehnsucht nach Veränderung“, gebe ich zu: „Irgendwie stecke ich fest und fühle mich verstaubt und alt.“

Anja blättert eine ihrer esoterischen Zeitschriften durch und streicht mir mit ihren langen zarten Fingern durchs Haar. Plötzlich hält sie inne: „Das könnte es sein: Deeksha! Reden hilft bei dir nichts, das habe ich selber schon bemerkt“, neckt sie mich. „Aber Energie-Übertragung – das ist es!“

„Aller guten Dinge sind drei“ rufe ich in kindlicher Freude aus und spüre neue Zuversicht in mir aufsteigen.

In zwei Wochen wird ein von einem großen indischen Meister initiierter Deekshageber der ersten Stunden diese alte Form der Übertragung göttlicher Energie durch Handauflegen anbieten. Diese Energie wird sich in mir schrittweise entfalten und mich wieder mit meiner schöpferischen Kraft verbinden. So steht es zumindest in der Ankündigung. Genau das brauche ich: Eine Kraft, die sich an meinem kritischen Verstand vorbei in der richtigen Geschwindigkeit ausbreitet und mich sanft durch die Veränderungen des Lebens führt. Und, so hoffe ich insgeheim, vielleicht wird ja durch das Pushen der göttlichen Energie auch die erotische Energie angeregt. Dann könnte ich im Frühling wieder auf die Beine kommen und so richtig durchstarten.

Voller Tatendrang setze ich mich an den PC, um an meinem Krimi zu arbeiten. Ich lasse meine Finger über die Tastatur tanzen, als würde ich Klavier spielen.
Und dann nenne ich meine Liebste „Kätzchen“; „Schatz“ sage ich nun schon seit drei Jahren zu ihr. Ja, meine Winterdepression schmilzt wie Schnee in diesem Frühlingssturm neuer Ideen. Ich lächle, als ich Hauptkommissar Leo Leblos ein wenig Leben einhauche und ihn mit der Kollegin von der Spurensicherung flirten lasse. Und dann nehme ich mein Kätzchen in den Arm und wir verziehen uns schnurrend ins Schlafzimmer.

Zwei Wochen später, auf dem Weg zur Deeksha, befallen mich wieder Zweifel: Was, wenn der Same göttlicher Energie in mir zu Erlebnissen führt, für die ich noch nicht bereit bin? Was, wenn es zu Veränderungen in mir kommt, die ich nicht integrieren kann?

Doch dann blicke ich in die freudestrahlenden Augen meiner Freundin und gebe mir einen Ruck: Ja, ich riskier’s!


Literatur:

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Connection Verlag
Preis: Euro 14,90
ISBN: 978-3-92824-817-4

 

 

 

 

Illustrationen: shako@netzkunstgenerator.de

Über den Autor

Avatar of Zbiral

arbeitet als Versicherungsmathematiker in Wien. Geschichten wie diese sind in seinem Buch „Der große Irrtum“ im Dezember 2007 im Connection-Verlag erschienen.

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