Politiker führen nicht, Chefs wollen am liebsten die Kumpel ihrer Angestellten sein, Eltern erziehen nicht, Lehrer stehen vor ihrer Klasse auf verlorenem Posten. Der Grund: Autoritäten sind hierzulande in Verruf geraten und wir distanzieren uns von den entsprechenden Rollen. Warum eigentlich? Auf der Berliner Konferenz „Die Suche nach der verlorenen Autorität“ vom 25. bis 27. November gehen die Referenten dieser Frage nach und ergründen dabei die geistigen Folgen der Nazi-Zeit im Hier und Jetzt.

Von Christian Beneker

 

„Wir leben in einem Autoritätsvakuum“, erklärt der Philosoph und Weisheitslehrer OM C. Parkin, einer der Referenten, die Situation. „Wir erleben derzeit die Folgen des massiven Missbrauchs von Autorität in der Vergangenheit.“ Eine besondere Verantwortung trägt dabei die christlich geprägte Gesellschaft. Sie hat den „Gottvater“ als Imitation wahrer Autorität an die Stelle des eigenen Machtanspruchs auf den Thron gesetzt. Aber damit hat sie sich nur einen Ersatz für die wahre Autorität geschaffen. Im Namen dieser Imitation, dieser Fälschung, missionierte das Christentum Jahrhunderte lang mit Feuer und Schwert, erklärt OM C. Parkin. So konnte es im Namen der vermeintlich höchsten Autorität „im Namen Gottes“, anderen Völkern seinen religiösen Willen aufzwingen. Die Figur der Maria, die „Mutter Gottes“ als Verkörperung des weiblichen Aspektes im christlichen Kollektiv, erhielt indessen nur eine Nebenrolle. Und damit wurde die Qualität der weiblichen Seele, das Empfangende, Fühlende, Intuitive – wofür Maria steht – in die untergeordnete Rolle gedrängt. Das Christentum hat also eine lange Geschichte von Unterdrückung und Autoritätsmissbrauch.

Dieser Missbrauch wurde im deutschen Nationalsozialismus fortgesetzt und hat hier seine vielleicht furchtbarste Gestalt gefunden: Ein Missbrauch treibender Staat trat an die Stelle jenes Gottvaters und die weibliche Seele mit ihrer fühlenden Empfänglichkeit wurde wieder wie im Christentum total unterdrückt, so OM C. Parkin. Dem dunklen Eigenleben des allmächtigen Staates hatten die Bürger des Landes nichts mehr entgegenzusetzen, denn sie hatten ihre Autorität ja an den Staat abgegeben und hofften nun, mit ihr auch die Verantwortung los zu sein – vergeblich.

Bevor wir es loslassen können,
müssen wir etwas ganz
genommen habe.

Denn wie sich zeigen sollte, drückt die Schuld über das Geschehen schwer. Wie schwer, zeigt die Vorstellung von der „Stunde Null“ und dem vermeintlich völligen Neuanfang nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Statt die Schuld für das Geschehene wirklich auf sich zu nehmen und sie zu tragen, wollten die Deutschen ihre Schuld vergessen machen, so schwer wog und wiegt sie. Doch statt eines echten Neuanfangs gab es nur Verleugnen, Verschweigen und Verheimlichen. Aus der Übernahme der Schuld hätte Öffnung und Kraft erwachsen können, so Parkin. Was stattdessen geschah, war Abwehr der Schuld.

Aber um solche Schuld wirklich loszuwerden, hilft ihre Verleugnung natürlich nicht. Stattdessen muss man sie zuerst übernehmen, um wirklich zu fühlen, was geschah und was man getan hat – ganz und für einen Moment – um sie dann wieder loslassen zu können. Die Schuld auf diese Weise zu tragen heißt, die Distanz zu ihr aufzugeben. Denn das Einzige, was Schuld endgültig heilen kann, ist, sie ganz nah kommen zu lassen – bis schließlich die „Vereinigung von mir und der Schuld“ geschieht, wie OM C. Parkin sagt.

Dies ist ein innerer Vorgang. Er geschieht im reinen Fühlen, dort, wo Menschen fühlend diese Schuld tragen und sie bezeugen ohne zu urteilen. Die christliche Tradition nennt dies: sein Kreuz tragen. OM C. Parkin betont, dass dieses Kreuztragen nicht ein Leben lang dauern, sondern dass das Kreuz tatsächlich nur einmal ganz und gar getragen werden muss.

Und dann? Natürlich will das Ich nun wissen, was es bekommt, wenn es einmal sein Kreuz getragen hat. Schließlich ist das Ich nur zu Zugeständnissen bereit, wenn es sicher sein kann, dass es einen Gewinn daraus zieht. Es will an der Autorität teilhaben und mächtiger werden – in der Familie, in der Beziehung, am Arbeitsplatz.

Warum? Weil Autorität im Sinne von persönlicher Macht für das bedürftige Ich ein interessantes Ziel ist. Aber genau so funktioniert es eben nicht. Denn Autorität ist keine persönliche Seins-Qualität des Ichs, um es mit OM C. Parkins Worten zu sagen. Sie kann deshalb auch nicht verdient oder erworben werden. Sie entsteht durch wahre Demut, durch Hingabe. Und Demut wäre es, sich der Schuld zu stellen und für einen Moment das Kreuz tragen. Es wäre ein Sterben für das Ich, weil es eben nicht kontrollieren kann, was danach kommt und ob es etwas für sein Kreuztragen erhält. Sein Kreuz zu tragen heißt Verantwortung für genau einen Moment zu übernehmen – für das, was im eigenen Feld existiert, sei es persönlich oder kollektiv – und sie nicht woanders hinzuschieben („Die waren schuld! Die haben befohlen“, „Damit habe ich doch gar nichts zu tun“, „Ich war nicht dabei“.). Wer das einen Moment wirklich erlebt, erfährt eine wundersame Wandlung.

Wahres Wissen war schon immer da

Autorität ist eine Führung gebende Präsenz, die der männlichen Seele entspringt. Dieser Präsenz entspricht die Führung nehmende Präsenz der weiblichen Seele (Beispiele weiter unten). In wahrer Autorität ist also die männliche und weibliche Seele vereint.

Es geht hier aber nicht um Männer und Frauen. Denn beides, die Führung gebende und die Führung nehmende Präsenz, kann in Menschen beiderlei Geschlechts erscheinen.

Gewiss – das Ich hätte es gerne anders. Viel lieber würde es die Autorität „besitzen“ und ausspielen, wie man eine Karte ausspielt, die die anderen Karten sticht. Aber Autorität ist eine unpersönliche Kraft, die das Ich, das diese Zeilen liest, sich nicht einmal vorstellen kann, weil es eben dieses Ich ist, das sich etwas vorstellen möchte, um schließlich darüber zu verfügen.

Um wahre Autorität im Leben auszudrücken, muss das Ich dem Weg der Erkenntnis folgen. Es muss Unterscheidungen treffen können – etwa zwischen der Idee, die Autorität „gehöre“ den Männern, und der Wahrheit, dass sie zwar der männlichen Seele entspringt, aber in Männern und Frauen erscheint. Es muss erkennen, wie es Autorität immer nur imitiert hat und damit nur seiner eigenen Idee von Autorität gefolgt ist und so versuchte, Autorität zu seiner persönlichen Sache zu machen. Wahre Autorität erscheint erst dann, wenn das Ich diese Versuchungen erkennt. Und wenn es fühlt, wie schmerzhaft es ist, ihnen nachzugeben.

Solche Erkenntnis würde wahres, inneres Wissen freilegen und zeigen, dass dieses schon immer da war. Wie Autorität schließlich ins Leben tritt und welche Gestalt sie annimmt, weiß man erst, wenn es geschieht: Da ist beispielsweise der Vater, der seinem Kind, wenn es zu spät nach Hause kommt, Grenzen setzt (Führung gebend). Nicht, um seine Macht zu demonstrieren, sondern weil auch am nächsten Morgen die Schule früh beginnt. Zugleich erkennt dieser Vater etwa seinen Vorgesetzten als Autorität in einer gegebenen hierarchischen Struktur als richtunggebende Präsenz an (Führung nehmend).

Vertrauen und Liebe

Aber der Weg zur Erkenntnis wahren inneren Wissens ist steinig und führt über das Eingeständnis, ein Leben lang nur den Ideen und Zerrbildern des Ichs über Autorität gefolgt zu sein. Dieses Eingeständnis kann einem den Boden unter den Füßen wegreißen. Deshalb, so OM C. Parkin, muss, wer wahre Autorität sucht, die inneren Tugenden des inneren Weges kultiviert haben: Vertrauen und Liebe.

 

Das diesem Artikel zugrunde liegende Interview zur Autorität mit dem spirituellen Meister OM C. Parkin finden
Sie auf www.om-c-parkin.de in der Mediathek.

 


Konferenz: „Die Suche nach der verlorenen Autorität“
25. bis 27.11.2016 im Konzertsaal der Siemens-Villa, Calandrellistr. 1-9, 12247 Berlin

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Referenten:
OM C. Parkin, spiritueller Meister, Spiritus Rector des modernen Klosters Gut Saunstorf – Ort der Stille, Gründer der Enneallionce – School for Inner Work
Ingrid Meyer-Legrand, Coach, Psychotherapeutin und Lehrbeauftragte an der evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin. Autorin von: „Die Kraft der Kriegsenkel“ und Mitautorin von „Nebelkinder“

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