Von Außen betrachtet ist Bangladesch ein wirtschaftlich aufstrebendes Land. Ein Blick ins Innere zeigt jedoch, dass der angerichtete Schaden schockierend ist. Trotzdem: In einem Park im Herzen des Chaos lebt einer der vielen unbekannten Helden vor, dass Aufgeben keine Lösung ist.

Von Gilbert Kolonko

Ist der Bauch dick und rund ist alles in Ordnung!

Ein Dutzend Männer in grünen T-Shirts lachen etwas irre. Andere stampfen mit den Füßen auf den Boden und schreien. Ein etwa 60-Jähriger hangelt an der Klimzugstange und singt im Tenor. – Selbst ein Bangladeschi, von Natur aus lebhaft und emotionsvoll, würde sagen: „Die gehören alle nach Papma“, wo die einzige große Geistesheilanstalt das Landes steht.

Tatsächlich sitzen hier auch zwei Ärzte, doch kümmern sie sich nur nebenbei um das Seelenheil ihrer Patienten: „80 Kilo und something“, sagt Dr. Rumon Deen angestrengt lächelnd zu einer korpulenten Morgensportlerin. Dann steigt ihre Freundin auf die Wage und als ich die Zahl 65 nenne, strahlt sie stolz: „Vor einem Jahr habe ich noch 72 Kilo gewogen“. Neben unseren Stühlen walken etwa 600 Morgensportler auf dem 150 Meter langen Rundkurs des Bahadur Shah Parks in der Altstadt Dhakas.

Doktor Rumon Deen bei der Arbeit in Bangladesch

Doktor Rumon Deen bei der Arbeit

„Als junger Medizinstudent bemerkte ich bei meinen Morgenrunden, dass immer wieder ‚Sportler‘ bewusstlos zusammen sackten“, sagt der 40-Jährige Doktor und nimmt dann eine neue Nadel vom Tisch um einem älteren Mann einen Tropfen Blut für den Zuckertest zu entlocken. „So sitze ich mittlerweile seit 15 Jahren jeden Morgen hier, messe den Blutdruck und die Zuckerwerte.“ „Und gibt es Verbesserungen?“ „Das Beste ist, dass mittlerweile in allen Parks Dhakas Ärzte sitzen und die Menschen aufklären und beraten. Unsere Bevölkerung hat der ‚Fortschritt‘ völlig unvorbereitet getroffen. Mangels Bildung glauben viele immer noch: Ist der Bauch dick und rund ist alles in Ordnung! Aber das Gegenteil ist der Fall. Diabetes und Bluthochdruck sind die häufigsten Erkrankungen der Mittelklasse.“

Daraufhin teile ich dem Doktor eine positive Feststellung mit: „Noch vor 4 Jahren standen um den Park herum vor allem Süß- und Tabakwarenverkäufer. Heute sind nur noch Obsthändler und Kokussnussverkäufer zusehen.“ „Da ich täglich die Blutwerte und das Gewicht meiner Sportfreunde sehe, kann ich es höchstens als Fortschritt ansehen, dass sie sich nicht mehr direkt neben dem Park die Süßigkeiten und den Pan reinstopfen“, antwortet der Doktor schmunzelnd.

Als ich ihn auf die laut lachenden Sportgenossen anspreche, antwortet er mit ernster Miene: „Das Trinkwasser in Dhaka ist verschmutzt*. Die Milch mit Chemikalien gestreckt. Das Fleisch enthält chemische Rückstände**. Die Luft ist Abgas verseucht. Der Lärmpegel nur mit Taubheit zu ertragen und die Straßen so mit Menschenmassen und Fahrzeugen verstopft, dass jeder noch so kurze Weg eine Ewigkeit dauert. Um das zu ertragen, braucht es einen starken Humor.“

Dhaka: 4 Millionen Billig-Arbeiter – Arbeitsschutz und Umweltauflagen nur auf dem Papier

In der 17 Millionen Einwohner Metropole Dhaka ist nicht nur die 4 Millionen Billig-Arbeiter starke Textilindustrie anwesend. Sondern auch 200 Ledergerbereien, die Chemie- und Pharmaindustrie, wie hunderte kleine Fabriken die ebenfalls billig produzieren können, weil Arbeitsschutz und Umweltauflagen nur auf dem Papier existieren.

Die Geschichte des Bahadur Shah Parks passt zur aktuellen Situation: Im Jahr 1858 ließen die britischen Kolonialherren der Ost Indien Company hier Meuterer des fehlgeschlagenen Sepoyaufstandes öffentlich aufhängen. Bis heute hält sich der Mythos, die Kolonialherren hätten dem Subkontinent einzig Schulen und die Eisenbahn hinterlassen. Doch ähnlich wie bei Hitlers-Autobahn die Arbeitsplätze, waren dies Nebenprodukte. Den Briten diente die errichte Infrastruktur um die Rohstoffe außer Landes zu schaffen und diesen Teil der Erde zu kontrollieren. Bis die East Indien Company den Subkontinent betrat, war auch die Gegend des heutigen Bangladeschs Teil der größten Baumwoll-Industrie der Erde. Knapp 200 Jahre später mussten die ‚Inder‘ Kleidung aus Manchester kaufen, die unter anderen mit ihren Rohstoffen hergestellt wurden.

Hinterlassenschaft aus der Kolonialzeit: Korruption in Bangladesch

1947 hinterließen die Kolonialherren nicht nur einen geteilten und miteinander verfeindeten Kontinent – Pakistan, Ost Pakistan (heute Bangladesch) und Indien – sondern auch das Parasiten-System, mit dessen Hilfe sie die den Kontinent regiert hatten: Zwischen dem Erzeuger eines Produktes und dem Endverbraucher standen so viele private und staatliche Handaufhalter, das der eigentliche Hersteller am Ende beinahe leer ausging. Da die meisten Inder wegen der zerstörten und veralteten Industrien in der Landwirtschaft Zuflucht suchten, reichten die Einnahmen der Bauern kaum zum Leben. Selbst zu Zeiten von Hungersnöten wurde noch Weizen aus Indien exportiert.

In den Familienparteien Bangladeschs und Pakistans (die pakistanische Armee ist eine eigene Art Familienunternehmen) lebt dieses System bis heute weiter, denn die jeweiligen Landesführer/rinnen sind vor allem Interessenvertreter der Landlords und großen Geschäftsleute. Der Beamtenapparat voll mit politischen Günstlingen, ohne große Kenntnisse über ihre eigentlichen Aufgaben. So verschwindet der Haupterlös des 20 jährigen Wirtschaftswachstums in Bangladesch in den Taschen weniger, anstatt den Gewinn dafür zu verwenden, Infrastruktur und Bevölkerung auf eine Zukunft ohne Billigproduktion vorzubereiten.

Ein Auflehnen des kleinen Mannes wird in der Regel durch Polizei, Geheimdienste oder parteitreue Schlägertrupps zu Nichte gemacht – das zeigen auch in Bangladesch jedes Jahr hunderte von Menschen die spurlos verschwinden, oder der Fall des Nobelpreis Träger Muhammad Yunus, der als Seiteneinsteiger in die Politik wollte und von der amtierenden Ministerpräsidenten Hasina kaltgestellt wurde.

2 junge Demonstranten in Bangladesch

wer aufmuckt… Hier zwei junge Demonstranten…

Was die Zahlen des Human Development Index angeht, die Bangladesch bescheinigen, in vielen Bereichen schon Indien überholt zu haben, zitiere ich eine Dame, die seit 15 Monaten ein NGO leitet, das Daten über das Gesundheitswesen sammelt: „In meinem Bereich sind die Regierungszahlen zu 99 % erlogen.“ Dass die Dame ihren Namen nicht öffentlich sehen möchte, wundert nicht. Diesen Monat hat das Parlament, ein Gesetzt verabschiedet, dass Kritik an der Regierung unter Strafe stellt – die Hälfte der Abgeordneten dieses Parlaments, wurde ohne Gegenkandidaten gewählt. Dass die hiesige Bevölkerung lieber die Krankenhäuser Indiens aufsucht, gibt einen Hinweis auf das Warum.

Die unsauberen Handelswege des Leders aus Hazaribagh

Dass westliche Regierungen die Einfuhr von Produkten zulassen, die unter schädlichen Bedingungen für Mensch und Natur hergestellt werden, und ein korruptes System wie in Bangladesch erhält, zeigt, dass sie nicht wirklich global denken, sondern einzig an das Festhalten eines Systems, das die Probleme mit Zins und Zinseszinsen in die Zukunft verschiebt: Der Steigerung des Wirtschaftswachstums um jeden Preis. Wenn Aufklärungsarbeit doch einmal dazu führt, das deutsche Firmen kaum noch Leder in Hazaribagh einkaufen – laut dem Schweizer Grünen Kreuz einer der meistverseuchtesten Orte unserer Erde – geht es hinten rum: Nun sind die Chinesen die größten Ledereinkäufer der Gerbereien Dhakas, und Deutschland der größte Einkäufer von in China hergestellter Lederschuhe. Dazu beliefern deutsche Chemie Unternehmen die Gerbereien Dhakas.

Buriganga - der schwarze Fluss in Bangladesch

Nachshub für den Buriganga, damit er seine schwarze Farbe nicht verliert.

Die Schäden die dieses System an Mensch und Natur anrichtet, wird die Weltgemeinschaft weitaus mehr kosten, als der kurzfristige Profit. Laut einer Studie der WHO wird Dhaka für den Menschen unbewohnbar sein, wenn die Verschmutzung der Flüsse der Metropole durch die heimischen Industrien so weiter geht. Langfristig könnte Bangladesch durch den steigenden Meeresspiegel 20 Prozent seiner Fläche als Lebensraum verlieren, was bis zu 30 Millionen Flüchtlingen führen könnte, wie Wissenschaftler warnen. Dabei wäre das Land durch sein riesiges Flussdelta durchaus in der Lage auf den Klimawandel zu reagieren, wenn die Korruption nicht die Mittel ‚auffressen‘ würde.

Es braucht Geduld, um das Bewusstsein der Menschen zu ändern

Doch gibt es auch in Bangladesch unbekannte Helden wie den Doktor, die sich nie fragen, ob es schon zu spät ist: „Es braucht Geduld, um das Bewusstsein der Menschen zu ändern“, sagte er lächelnd zum Abschied. Das auch hier ein neues Bewusstsein heranwächst, deutete die ’naive‘ Frage eines jungen Morgensportlers an, eines Studenten aus der Teegegend Sylhet: „Warum bekomme ich für ein Kilo Tee, in dem so viel Arbeit steckt, keinen Computer als Gegenwert? – Warum müssen unsere Menschen stattdessen Dinge produzieren, die unser Land zerstören – und können sich vom Lohn am Ende doch keinen Computer leisten?“

* Mit Cholera, Schwermetallen, Arsen
** Die chrombelasteten Lederabfälle der Gerbereien werden zu Fisch-Hühnerfutter verarbeitet, dazu werden die Tiere oft unkundig mit Antibiotika vollgepumpt.

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