„Wenn eine Gruppe wirklich zusammenfindet und die kollektive Weisheit unter ihnen präsent ist, dann entsteht die Fähigkeit, ein Denken zu generieren, das alles, was die einzelnen Teilnehmer zuvor gedacht haben, transzendiert. Es ist ein wirklich neues Denken. Die Erfahrung der kollektiven Weisheit ist für viele der Forscher so stark, dass sie denken, dass das der eigentliche Schlüssel sein könnte für die Bewältigung der Aufgaben, die global anstehen.“ (Glenna Gerard)

Von Dolores Richter

Die Welt im Wandel ist in aller Munde – und sie betrifft uns jeden Tag. Es mischt sich Unruhe, Aufregung und Besorgnis mit dem Besinnen auf das Wesentliche. Viele sind motiviert und wollen Teil der Veränderung sein, und vor allem: sie aktiv mitgestalten.
Da wir gleichzeitig „zu viel“ wissen, ist es heute nicht so leicht, ein Gefühl von Wirkung zu bekommen. Unendlich viele und komplexe Informationen stürmen auf uns ein. Wie sollen wir ausmachen, an welcher Stelle unser Handeln ansetzen soll?
Andererseits kenne ich viele Menschen, die elektrisiert und erfüllt genau an der Stelle stehen, wo sie ihren spezifischen Beitrag leisten, den unsere Welt jetzt braucht. Dieses Gefühl entsteht, wenn wir die Wirkung unseres Handelns direkt erfahren können. Dies ist aufgrund der Komplexität unserer Welt allerdings nicht immer möglich. Es kann aber auch dadurch entstehen, dass wir uns in einem speziellen Kontext fühlen. Dieser Kontext setzt sich aus drei Elementen zusammen. Erstens: Wir sind darauf eingestimmt, wo sich die menschliche Evolution in diesem Moment befindet und wohin sie sich entwickeln will. Zweitens: Wir sind eingestimmt auf unser Potenzial, welches sich in den Momenten von Begeisterung zeigt. Drittens: Wir sind in Verbindung mit Menschen, die uns in unserem Potenzial sehen und uns darin unterstützen und ergänzen.

Lebensgefühl Wirksamkeit

Menschen, die sich in einen solchen Kontext befinden, haben ein Gefühl von Wirksamkeit. Dieses Gefühl unterscheidet sich von Effizienz und Erfolg im klassischen Sinne. Es ist ein Lebensgefühl, das uns von innen her nährt. Und das natürlich gut und gerne auch erfolgreich ist.
Der qualitative Unterschied zum bloßen Erfolg ergibt sich aus der Kongruenz des Wirkens mit unserer Motivation. Ein anderer Unterschied zeigt sich in der Geschwindigkeit: Wirksamkeit von Innen darf sich langsam und auch mal chaotisch äußern. Sie basiert auf Intuition und Kontaktfähigkeit zu sich selbst, zu anderen Menschen, zu allem Lebendigen, welche sich beide nicht linear und berechenbar bewegen. Und gerade deshalb sind sie in der heutigen Zeit „effizienter“ als ergebnisorientiertes Denken. Denn die Zeit des Wandels zeichnet sich genau dadurch aus: Sie ist weder linear und noch berechenbar.
Zu unserer politischen Handlung, zu unserer Analyse der Zeitsituation brauchen wir im Innern ein wachsendes Wissen darüber, wer wir sind und warum die Welt so ist, wie sie ist – weil alles miteinander zusammen hängt. Der Zusammenhang zwischen der Wirkung unserer Arbeit und unserer inneren Wirklichkeit zeigt sich bekanntlich an der Frage: Wenn ich mir Frieden wünsche in der Welt, kann ich mir Frieden vorstellen? Kann ich ihn fühlen? Kann ich mir Frieden vorstellen auch in einer ganz aktuellen Situation des Konflikts? Je mehr wir eindringen in unsere innere Wirklichkeit, umso mehr dringen wir vor in die vielfältigen Gebiete unserer eigenen Seele. Und je mehr wir diese kennen, umso fähiger sind wir, den äußeren Herausforderungen gegenüberzutreten, da wir sie nicht mehr getrennt von uns erfahren.

Kollektive Weisheit einladen

Es gibt eine Intelligenz, die genau dieser Qualität entspricht: die kollektive Intelligenz, die auch allerorten im Gespräch ist. Wie im obigen Zitat beschrieben können Menschen mit ihrer Hilfe kreative Ergebnisse erzielen, die dem Einzelnen nicht möglich sind. Unsere Zeit liefert uns also nicht nur ein „Zuviel“ an Informationen, sie liefert uns auch die Chance, die Vielfalt von Informationen auf neue Art zu bewältigen. Neben atemberaubenden schwarm-intelligenten Ereignissen, die durch das Internet möglich geworden sind, gibt es die Möglichkeit, Gruppen und Projekte bewusst so aufzubauen, dass sie sich auf die kollektive Weisheit einladend auswirkt. Das Ergebnis ist entsprechend „kollektiver“: Die Wirkung weitet sich aus in feld- oder kulturbildende Dimensionen.
Wesentlich für die Emergenz, die Herausbildung von kollektiver Weisheit ist die Verbindung der Beteiligten auf verschiedenen Ebenen: der kognitiven, emotionalen, spirituellen und kreativen und die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel. Das Kraftfeld wird verstärkt, wenn die Teilnehmer sich in einer Art von Vertrauen miteinander fühlen, in der sie sich in ihrem Potenzial und ihrem Wesen gesehen fühlen, also die gewohnten Masken von Funktionalität hinter sich lassen dürfen.
Auf diese Weise geschieht ein Einlassen auf neue menschliche Verbindlichkeiten.

Zusammenspiel von Innen und Außen

Immer mehr Menschen machen sich auf, sich zusammenzuschließen in Trainings, Projekten, Netzwerken, Gemeinschaften. Die Herausforderung für sie ist, in großen Dimensionen und Zusammenhängen zu denken und dabei im Gewahrsein ihrer selbst, ihres Herzens, des Hier und Jetzt und des konkreten Gegenübers zu bleiben. Neue Dimensionen wollen eingeladen werden. Um die Komplexität unserer Situation erfassen zu können, brauchen wir Köpfe und Herzen, die sich auf vielfältige Weise verbinden, um ein gemeinsames Schauen, Fühlen und Wirken entstehen zu lassen. Diese Qualität gehört zu den wesentlichen Bausteinen, die Veränderung bewirken können.
Wie sich die Wirkung zeigt, ob im Aufbau von Projekten, Gruppen oder Gemeinschaften, in sozialen Unternehmen, Bürgerinitiativen, im Erfinden und Schaffen neuer Berufe oder ob wir beitragen, das Bewusst-Sein über das Zusammenspiel von Innen und Außen zu verkörpern, entscheidend ist die Verbindung der verschiedenen Ebenen aus einem belichteten eigenen Inneren. Von dort aus entsteht eine berührbare Gesellschaft.

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