Sind Hochsensible (HSM) besonders gefährdet, an einem Burnout-Syndrom zu erkranken und wenn ja, was können sie tun?

Von Nikola Ziese

 

Ein Mensch sagt – und ist stolz darauf –,
er geh in seinen Pflichten auf.
Bald aber, nicht mehr ganz so munter,
geht er in seinen Pflichten unter.

Eugen Roth

Dieses kurze Gedicht von Eugen Roth (1895-1976) sagt weit mehr über die Erkrankung Burnout und den Zusammenhang von Burnout und hochsensiblen Menschen aus als manch wohl meinender Artikel: Burnout ist keineswegs die Modekrankheit, als die sie gerne abgetan wird.

Vielmehr waren bereits die Menschen im vergangenen Jahrhundert hiervon betroffen. Auch klingt an, dass besonders engagierte, sensible Menschen dazu neigen, sich Aufgaben und Pflichten zu sehr zu eigen zu machen, statt im rechten Moment „Nein“ zu sagen.

Und schließlich zeigt diese treffliche Kurzbeschreibung von Burnout ihre ganze Perfidität: Nämlich, dass der Kranke sich nur sehr schwer selbst aus dieser Krankheit zu befreien vermag.

Doch: Was genau ist Burnout eigentlich? Wie äußert sich diese Erkrankung? Wie wird sie diagnostiziert und wie behandelt? Und: Sind Hochsensible (HSM) besonders gefährdet, an einem Burnout-Syndrom zu erkranken?

Burnout – Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Wer beginnt, sich mit dem Thema Burnout zu befassen, der stößt schnell auf die Bezeichnung „Burnout-Syndrom“. Die Begrifflichkeit „Syndrom“, was im Griechischen so viel bedeutet wie das Zusammentreffen, wird in Medizin und Psychologie regelmäßig dann verwendet, wenn gleichzeitig mehrere verschiedene Krankheitszeichen, so genannte Symptome, vorliegen.

Das ist ein erster Hinweis darauf, wie vielschichtig das Thema Burnout ist und erklärt auch, weshalb Betroffene meist eine lange Leidenszeit hinter sich haben, ehe sie Hilfe erhalten: Die Krankheit wird schlicht nicht erkannt, beziehungsweise werden nur die einzelnen Symptome behandelt, statt der gesamten Erkrankung. Zu den häufigsten Symptomen des Burnout zählen:

  • Allgemeine Erschöpfung, Gefühl der inneren Leere, verminderte Leistungsfähigkeit
  • Müdigkeit und Schlaflosigkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Negative, zynische Einstellung gegenüber dem Leben
  • Lustlosigkeit
  • Begleitend häufig: Kopfschmerzen, Verspannungen, Herzkreislaufprobleme, Verdauungsprobleme

Aufgerieben und ausgebrannt – ein Beispiel (Anna S.)

Anna S. ist Altenpflegerin und arbeitet, seit dem Abschluss ihrer Ausbildung vor 10 Jahren, in einem Altenheim. Vor einiger Zeit hat sie die Aufgabe der stellvertretenden Stationsleitung übertragen bekommen. Zudem kümmert sie sich, gemeinsam mit ihrem Mann, um die fünfjährige Tochter. Sie ist stets ansprechbar für die Sorgen und Nöte sowohl der Mitarbeiter als auch der Bewohner. Oft übernimmt sie Dienste von Kollegen, wenn diese krankheitsbedingt ausfallen. Dann organisiert sie eine Betreuung für ihre Tochter, damit diese nicht zu kurz kommt.

Wenn sich der Gesundheitszustand eines Bewohners verschlechtert oder wenn ein Bewohner verstirbt, so ist es inzwischen meist Anna S., die die Gespräche mit den Angehörigen führt. Denn sie weiß, und bekommt dies auch von den Kollegen immer wieder gesagt, dass sie besonders einfühlsam ist und es außerdem vermag, ihren Gesprächspartnern Wege aufzuzeigen, um mit dieser emotional belastenden Situation fertig zu werden.

Natürlich stärkt es ihr Selbstwertgefühl zu wissen, dass sie besonders gut im Führen von Krisengesprächen ist. Aber es belastet sie zunehmend. Sie zweifelt immer öfter an der Qualität ihrer Arbeit. Als Folge engagiert sie sich immer mehr. Ihre Gedanken kreisen um die Arbeit auch wenn sie einen Nachmittag frei hat und diesen mit ihrer Tochter verbringt. Es fällt ihr zunehmend schwer, am Abend zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Immer öfter genehmigt sie sich abends ein oder zwei Gläser Wein, um abschalten zu können.

Als sie aufgrund einer verschleppten Erkältung Medikamente nehmen muss, die nicht mit Alkohol kombiniert werden dürfen, erkennt sie, wie sehr Alkohol für sie zu einem Ventil geworden ist. Sie bricht emotional zusammen, weil sie erkennt, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert hat.

Wenn Sie weiterhin das tun, was Sie bisher getan haben,
werden Sie weiterhin das bekommen, was Sie bisher bekommen haben.

G. Kayen

Burnout – eine Erkrankung wie eine Wolke

Das größte Problem der Burnout-Forschung – und damit auch der Diagnostik und Behandlung von Burnout – ist, dass bis heute keine allgemeine Definition existiert. Es gibt allenfalls Annäherungen, die die Krankheit beschreiben.

Die wohl bekannteste Definition stammt von Herbert Freudenberger, der von einer „Krankheit des Überengagements“ spricht und damit einer Erschöpfung  und Frustration aufgrund unrealistischer Erwartungen, die sowohl fremd- als auch selbstverursacht sein können.

Der renommierte Burnout-Forscher Matthias Burisch vergleicht den Versuch, Burnout zu definieren mit dem Bestreben, die Grenzen einer großen Wolke beschreiben zu wollen.

Alle Experten sind sich jedoch einig, dass Burnout eine Folge von Überlastung ist.

Doch: Was der eine als Überlastung, als zu viel an Belastung empfindet, bewegt sich für den anderen noch in einem erträglichen Rahmen. Um eine Objektivierung der Diagnose Burnout zu erreichen, haben die amerikanischen Psychologen Maslach und Jackson einen so genannten Burnout-Fragebogen erstellt. Kritiker führen an, dass hier die Diagnose jedoch erneut aufgrund von Selbstauskünften der Betroffenen erfolgt. Daher gibt es immer wieder Ansätze, objektive Diagnostiktools zu entwickeln – unter anderem von dem Leibniz-Institut für Arbeitsforschung.

Aufgrund der besonderen selbstreflektorischen Fähigkeiten von hochsensiblen Menschen (HSM) dürfte in der Regel für die Diagnosestellung eines Burnout-Syndroms der zuvor bereits erwähnte Fragebogen ausreichen. Allerdings kommt diesen und ähnlichen Forschungsergebnissen eine andere wesentliche Bedeutung bei: Burnout wird als objektive gesundheitliche Beeinträchtigung anerkannt und als solche behandelt, statt sie als subjektive Befindlichkeitsstörung abzutun.

Wenn Sie befürchten, an einem Burnout-Syndrom zu leiden oder Burnout gefährdet zu sein, dann können Sie diese Vermutung mit dem nachfolgenden Test überprüfen. Sollten Sie an einem Burnout-Syndrom leiden, ist es ratsam, einen Arzt, oder eine andere entsprechend qualifizierte Person, aufzusuchen. Zusätzlich gibt dieser Artikel Ihnen jedoch erste Hilfestellungen, um aus der Burnout-Spirale zu entkommen.

Hochsensible Menschen und Burnout – Ursachen, Wirkung und Auswege

Kennzeichnend für Hochsensible ist, dass sie eine besondere Eigenschaft aufweisen, die dazu beiträgt, dass ihr Nervensystem empfindlicher auf Reize reagiert. Dies wieder führt, laut Ulrike Hensel dazu, dass HSM ein Ereignis  intensiver und länger wahrnehmen und erinnern sowie schneller überstimuliert sind und entsprechende Erschöpfung empfinden.

Das wiederum zeigt bereits, dass Hochsensible besonders anfällig sind, an einem Burnout-Syndrom zu erkranken. Doch es zeigt auch, dass HSM aufgrund der stärkeren Wahrnehmung des eigenen Innenlebens über ein sehr gutes Instrumentarium verfügen, um einem Burnout-Syndrom vorzubeugen oder gegenzusteuern.

So verwundert es nicht, dass überproportional viele HSM sich für Berufe im Gesundheitswesen oder allgemein für Berufe mit Menschen entscheiden. Denn hier können sie ihre besonderen Fähigkeiten ideal einsetzen. Die Kehrseite ist, dass HSM den Belastungen dieses Berufsfeldes ebenfalls überdurchschnittlich stark ausgesetzt sind – aufgrund ihrer Ausprägung.

Hochsensible Persönlichkeit – Risikofaktor und Selbstheilungspotential

Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Störung. Erst der Zwang, die eigene Wahrnehmung und das eigene Empfinden zu leugnen, kann bei hochsensiblen Menschen vermehrt dazu führen, dass sich Symptome herausbilden, die den Charakter einer psychischen Erkrankung annehmen können. Zu diesen Erkrankungen, für die ein HSM besonders anfällig ist, gehört eben auch Burnout.

Andererseits gehört es gerade zu den Stärken von HSM, Veränderungen in ihrem Fühlen und bei körperlichen Prozessen wahrzunehmen. Sie verfügen also über ein Frühwarnsystem, um rechtzeitig die ersten Symptome eines Burnouts wahrzunehmen und gegenzusteuern. Denn eine weitere Stärke von vielen HSM liegt in deren Fähigkeit, ungewöhnliche und ganzheitliche Lösungsstrategien zu entwickeln.

Aktivierung der Selbstheilungskräfte und Lösungsstrategien am Beispiel von Anna S.

Aufgrund ihrer Ausbildung wird Anna S. bewusst, dass sie an einem Burnout leidet. Sie erkennt, dass sie bereits so tief in die Spirale aus Belastung und Überlastung hineingeraten ist, dass Sie Unterstützung von außen benötigt. Gemeinsam mit einer Psychologin gelingt es ihr, eine passende Strategie zu entwickeln. Zunächst einmal nimmt sie sich eine berufliche Auszeit – sie wird von ihrem Arzt krankgeschrieben. Diese Zeit nutzt sie, um sich zu überlegen, wie sie künftig den Beruf, der ihr viel bedeutet, so ausführen kann, dass er sie nicht komplett aufreibt und auslaugt. In ihrem Fall heißt das: Sie entwickelt ein Schulungskonzept für das Führen von Gesprächen mit Bewohnern und Angehörigen in belastenden Situationen. Die Heimleitung ist begeistert, weil nun mehrere Mitarbeiter in diesem Bereich eine vertiefende Schulung erhalten. Zudem initiiert Anna S., dass sich alle Mitarbeiter des Altenheims regelmäßig zu Gesprächskreisen treffen, in denen sie sich über emotional belastende Situationen im Pflegealltag austauschen.

Burnout-Behandlung – Ansätze, Strategien und Hilfeangebote

So wie die Symptome von Burnout vielfältig sind, so gibt es auch nicht die eine Therapie für jeden Burnout-Betroffenen. Aber es gibt unterschiedliche Komponenten, die je nach Fall kombiniert eingesetzt werden. Verhaltensänderung, Psychotherapie und Medikamente.

Man sollte die Dinge so nehmen, wie sie kommen.
Aber man sollte dafür sorgen, dass die Dinge so kommen, wie man sie nehmen möchte.

Curt Götz

Haben Sie noch keine stark ausgeprägten Burnout-Symptome, aber befürchten, dass Sie gefährdet sind, so können Sie zunächst auch versuchen, ohne Anleitung durch einen Experten wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das Instrumentarium umfasst insbesondere die folgenden Aspekte:

  • Erwartungen überprüfen: Hinterfragen Sie die eigenen Erwartungen an sich selbst. Welche Aufgaben kann ich bewältigen, welche be- oder überlasten mich? Was würde mir helfen?
  • Realitäten verändern: Je nachdem in welchem Bereich die Überlastung besteht, muss eine Anpassung der Situation erfolgen. Wenn die berufliche Situation der Auslöser für die Überlastungssituation ist, so ist zu prüfen, ob dort eine Veränderung zu erzielen ist. Ist dies nicht der Fall, sollte eine neue berufliche Herausforderung gesucht werden. Besteht die Überlastungssituation innerhalb der Familie, so muss auch hier für Entlastung gesorgt werden – zum Beispiel durch eine Umverteilung der Aufgaben oder eine Auslagerung von Aufgaben an Dritte.
  • Entspannung: Burnout ist die Folge einer Überlastung, also einer permanenten Anspannung. Dementsprechend wichtig ist es, Phasen der Entspannung einzubauen. Hierfür eignen sich Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Yoga und Progressive Musekelrelaxation. Zudem sollten regelmäßig angenehme Aktivitäten in den Alltag eingebaut werden – dies reicht von der Tasse Tee zwischendurch bis zum Kurzurlaub.
  • Gesunde Lebensweise: Hierzu gehören eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und Bewegung aber auch ein Pflegen der sozialen Kontakte – freilich in der Form, die den eigenen Bedürfnissen entspricht, was bei HSM manchmal anders ist als bei dem Rest der Bevölkerung.

Die effektivste Hilfe – Netzwerk gegen Burnout

Wie Sie sehen, sind hochsensible Menschen zwar besonders gefährdet an Burnout zu erkranken, andererseits haben sie aber auch das Instrumentarium in sich, um die frühen Anzeichen dieser Erkrankung zu erkennen und gegenzusteuern. Wichtig ist vor allem, sich bei einer (anbahnenden) Burnout-Erkrankung nicht zu verkriechen oder in die unheilvollen Arme von Alkohol- oder Tablettensucht zu flüchten, sondern für Veränderung zu sorgen und sich Hilfe zu holen, wenn nötig. Und schließlich ist es wichtig, dass die Gefahren aber auch die Behandlungsmöglichkeiten von Burnout noch bekannter gemacht werden. Burnout ist eine Erkrankung. Helfen Sie mit, Betroffene zu unterstützen, indem Sie diesen Artikel teilen und so (potentiell) Betroffenen zugänglich machen.

 


Quellen:

https://www.thieme.de/de/innere-medizin/kognitive-grundlagen-burnout-62623.htm
https://www.thieme.de/de/innere-medizin/burnout-krankheit-stress-64279.htm
https://www.therapie.de/psyche/info/test/weitere/burn-out-test/
http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta278_bericht_de.pdf
http://burnoutundachtsamkeit.at/burnout/messung/
http://www.grin.com/de/e-book/283810/burnout-grundlagen-und-praevention-im-krankenhaus

 

3 Responses

  1. Élaynara, ich sage nicht mehr
    Ja und Nein, vielleicht zu einfach? Zu schwierig?

    Hm.

    Ich habe keine psychologische Diagnose hochsensibel/hochsensitiv zu sein, jedoch habe ich immer schon eine Art Drang in mir, etwas, das mir zu sagen versucht, dass etwas mit mir nicht stimmt, oder dass ich anders bin.
    Erst letztens habe ich recherchiert, was mit mir nicht stimmen könnte, wobei ich darauf gestoßen bin, dass es so sein könnte, dass ich auch sojemand sein könnte. Ich habe auch mal versucht, einen dieser Online-Tests zu machen, der vergleichsweise seriös wirkte und ein sehr hohes Ergebnis zumindest zur Sensibilität ergab. Ich weiß, dass diese Tests nicht gut sind, aber einen kleinen Anhaltspunkt bieten sie mir, sodass ich mich wenigstens nicht. Mehr vollkommen vom anderen Stern fühle.

    Ich komme nun in psychologische Behandlung aufgrund von Depressionen, die teilweise manisch-depressive Züge haben. Dieser Artikel kam mir auf irgendeine Art und Weise sehr vertraut vor. Aber wie stellen sie sich diese „Beste Lösung“ vor?

    Tipps geben ist natürlich immer eine wunderbare Art, helfen zu wollen, aber erzählen Sie jemandem, der davon betroffen ist mal, er solle sich daran halten… Es gibt wohl nichts komplizierteres und schwierigeres, das man in dieser Situation bewältigen könnte. Und aufgrund der innerlichen Schwäche beinahe unmöglich. Sich mitzuteilen fällt so schwer, dass man es lieber lässt und man eher versucht, fremde Probleme zu lösen…

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  2. sahra

    Früher hieß das einfach Depression. Aber burn out impliziert eben – Du hast Dich verausgabt. Hart gearbeitet. Passt doch prima zum Kapitalismus. Jetzt werden die Krankheiten eben passend gemacht.

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    • Tanja
      Geht auch ohne Depression

      Ne, das ist definitiv nicht so. Ich bin im Moment ausgebrannt aber nicht depressiv. Kenne es auch anders, aber diesmal nur die Erschöpfung, Überforderung und Frustration.

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