Hingabe – Ernsthaftigkeit ohne Klebstoff 19. Oktober 2016 Forschungsreisen Forschungsreisen – die Kolumne von Jörg Wedereit Hingabe ist ein zutiefst radikaler Prozess – fundamental und allumfassend. Hier ist nicht gemeint, dass man jemandem verfällt, denn dies bedeutet, sich aufzugeben und die gedachte Verantwortung dem Anderen zu übertragen. Es geht auch nicht um die Hingabe an deinen liebsten Freund. Es geht um die Hingabe an deinen größten Schatten, dem alles zerstörenden Krieger oder dem hartnäckigsten Widerstand, der sich aus deinem Geist und/oder aus deinem Körpernervensystem deiner Befreiung scheinbar in den Weg stellt. Bist du nicht bereit, alles – und da meine ich wirklich alles – Weltliche zu geben, bleibt Hingabe nur eine Wunschvorstellung in deinem Gedankenzirkus. Alles darf sein, aber ohne Hingabe ist alles nichts… Der Prozess der Hingabe Wenn der tiefe Impuls dich in diesen Prozess führt, fühlst du dich hin- und hergerissen. Es wird dich fast zerreißen und du wirst immer wieder versuchen, Abkürzungen zu finden und in tiefer Verzweiflung eine Lust spüren, alles zu zerstören und zu flüchten. Du wirst versuchen, einen Deal nach dem anderen zu starten, doch noch etwas zu behalten und mitzunehmen, bis etwas in dir erkennt, dass du noch nie etwas wirklich besessen hast. Um nicht zu verzweifeln, fordert dein tiefer Impuls ein ständiges Spüren sowie Fühlen ein. Wie lange hältst du dich im Spiegelbild aus? Es kann sehr langsam erblühen oder mit einem Knall kommen, aber wenn dein tiefer Impuls dich hindurch trägt und es dann passiert, wirst du hineinfallen in den wunderbar leichten Frieden der Hingabe. Wenn wir vom Sein unbewusst an diesen Punkt geführt werden, oder im immer bewusster werdenden Prozess den Moment der tiefen Hingabe erleben, fallen wir nur kurz in einen vollendeten Zustand von völliger Freiheit. Dann tauchen wir wieder auf und wenn der Verstand wieder zugeschaltet ist, lauert die Falle: Wir denken, es ist vollbracht. Das Sein zeigt uns nur kurz den Endzustand und nun steigen sämtliche Schatten-Themen in einen heftigen Prozess nach und nach wieder auf und wie bei einer herabführenden Treppe erleben wir ein bewusst erlebbares Sterben, sowie Hingeben in jedem Teilaspekt. Stufe um Stufe passieren wir, in dem sich extrem zerstörbare Widerstände uns die Hingabe unerreichbar erscheinen lassen, bis wir den Geschmack der völlig freien Leichtigkeit auf der Zunge spüren. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass der alles entscheidende finale Kniefall noch ansteht. Alles läuft auf den Moment zu, Gott dein komplettes weltliches Dasein zu übergeben und dich für das Unbekannte völlig zur Verfügung zu stellen. Wenn das dann passiert, wirst du es wissen und du wirst Schmerz sowie Glückseligkeit gleichzeitig mit der völligen Leichtigkeit sein. Ignorieren wir diesen intensiven Prozess und erliegen wir dem irrigen Glauben, dass der erste Teil des Prozesses schon alles gewesen sei, kann diese Verleugnung zur Abspaltung der Schatten führen und die Hingabe verpufft. Sie ist nicht verankert, ja, sie hat sich nicht im gesamten Nervensystem integriert. Dann setzt sich eher die Verleugnung dieser Schatten im Nervensystem zusätzlich fest und dies führt oft zur Flucht aus der Erscheinungswelt. Unsere Schatten wirken dann noch intensiver, da sie eine Einladung erhalten haben, aber der Tisch ist nicht gedeckt. Das Herz mit all seiner Liebe verschließt sich dann wieder. Es wird kalt. Hingabe – an wen? Ich erlebe, dass Hingabe wohl meist ein Gegenüber braucht. Der Suchende gibt sich dem Lehrer anstelle Gottes hin und für beide ist eine integrative Befreiungsstufe möglich. Es ist ein füreinander ergänzendes zur Verfügung stellen. Die Benennung „Lehrer“ trifft es am nächsten, denn du kannst dich nur dem hingeben, der scheinbar das weiß, was du scheinbar nicht weißt. Oder auf den Punkt gebracht: der Sterben und Hingabe verkörpert. Aber wie lange wirst du brauchen, wie lange wirst du kämpfen, um tief zu erkennen, dass es Gott ist und nicht eine Person, der du dich im Lehrer hingibst? Kann ich mich in der Rolle des Schülers für eine gewisse Zeit dem Lehrer völlig hingeben, beginnt die Prozessphase des sich Gründens. Können nun beide diesen Zustand für die Zeit der Verankerung stabil tragen und ausfüllen, verankert sich die Freiheit im Nervensystem. Die Schatten des Widerstandes verbrennen nach und nach und die Liebe sowie der Frieden verwurzeln sich in deinen Zellen. Sind diese wiederum stabil im Nervensystem transformiert, findet die Loslösung vom Lehrer statt, womit keine Trennung gemeint ist. Nur die notwendig gewesenen Rollen und das Rollenverhältnis „Lehrer-Schüler“ lösen sich auf. Und der Lehrer? Für den Lehrer in seiner Rolle kann es eine integrative Meisterschaft sein. Gibt sich ein Schüler dem Lehrer völlig hin, kitzelt es in seinen Zellen alle restlichen Guru-Schatten wie Arroganz, Allwissenheit, Macht und „weiter sein“ heraus, die auf diesen Prozess gewartet haben, um in Liebe angenommen und ebenfalls verbrannt zu werden. Verpasst er diese Herausforderung und sonnt sich in seinem Schatten, kann er sich gleich wieder in die Rolle eines Schüler einreihen. Es ist wohl Gnade, wenn beide bereit waren, ihren Befreiungs-Impuls in diesen Prozess wirken zu lassen und die Rollen – wenn es dran ist – auch wieder sanft loszulassen. Tiefe Dankbarkeit wird gegenseitig fließen und stabilisiert im Nachhinein in beiden das gegründete Sein. Was ich mit „gegründet“ bezeichne, ist, dass du dich erst im Prozess begreifst, dann das allumfassende Bewusstsein immer stabiler erlebst und am Ende des Prozesses das Bewusstsein selbst bist. Geistiges und verkörpertes Dasein Nach einer gegründeten Hingabe fällt die Welt mit all ihren Erscheinungen in die völlige Bedeutungslosigkeit. Erst nach und nach erwächst eine Ernsthaftigkeit in uns, den weiteren, nun nur noch schwachen, aufsteigenden Schattenanteilen aus dem Nervensystem, genussvoll begegnen zu können. Ja, du wirst jeden kleinsten aufsteigenden Schatten genießen und er wird von der Liebe schon beim Erscheinen in die Arme genommen. Dein geistig sowie körperlich gegründetes Dasein im Gewahrsein lässt ab und an eine leichte und kurze, aber selten eine intensive Verwicklung mit der Erscheinungswelt zu. Der Klebstoff klebt nicht mehr. Ernsthaftigkeit ohne Klebstoff lässt das präsente Wirken in die Erscheinungswelt in völliger Leichtigkeit fließen. Genauso kann der Prozess bei dir passieren, aber genauso wahrscheinlich völlig anders. 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