Letztens betrat ich ein Geschäft, um mir einen neuen Geschirr-Abtropfkorb zu kaufen. Auf meinem Weg zwischen den Regalen stand ich auf einmal vor einer Frau, die mich sehr nett anlächelte. Etwas verhalten lächelte ich zurück und ging weiter. Beim Verlassen des Geschäfts stand sie plötzlich wieder vor mir, eine Haribo-Tüte in der Hand, und fragte mich lächelnd, ob ich ein paar Gummibärchen möchte. Ich lächelte leicht abwesend, verneinte und verschwand. Später fragte ich mich, warum ich nicht einfach ein Gummibärchen genommen hatte – es wäre vielleicht eine nette Begegnung und ein lustiges Gespräch geworden.

Aber ich in meinem Erledigungs-Film mit Scheuklappen nach rechts und links bin ich an dieser Einladung der Leichtigkeit vorbeigetrampelt, blind und taub für das Leben. Mann, dachte ich, irgendwie ist der Eintritt in die Leichtigkeit des Seins mit all meiner Kontrolle, mit Angst, Enge und Krampf doch noch ganz schön schwer. Und ich fragte mich: Wie kann eine natürliche – nicht vorgetäuschte – Leichtigkeit eigentlich entstehen? Nach meiner Ansicht dadurch, dass ich in einem Bewusstsein lebe, dass nicht „ich“ mache, sondern das Leben. Denn Leichtigkeit kann ich ja sowieso nicht machen, sie ist ein Geschenk des Moments. Und wenn ich trotzdem „zu machen“ versuche, ist in dem Machen immer ein Müssen und/oder ein Wollen enthalten – und all das ist Anstrengung. In die Leichtigkeit zu gelangen heißt also, dem Leben Stück für Stück wieder die Führung zu überlassen – und das bedeutet die Konfrontation mit meiner Angst, denn die zeigt sich sehr schnell, wenn ich die Kontrolle mal loslasse.

Loslassen kann beispielsweise geschehen, indem ich bei irgendwelchen Körpersymptomen nicht gleich zum Arzt renne, damit er die Symptome eliminiert. Statt dessen fühle ich meine Verunsicherung, halte die Symptome trotzdem erst einmal aus und gestehe ihnen zu, dass an ihnen nichts grundsätzlich falsch ist, ja, dass sie sinnvoller Teil eines Heilungsprozesses sind. All das hat letztendlich mit Vertrauen ins Leben zu tun, darin, dass es gut ist und mir nichts Böses will. Nur dann kann Loslassen geschehen und irgendwann Leichtigkeit entstehen. Ansonsten leide ich unter der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Unerträglich, weil sie durchaus da ist, aber mir gerade unerreichbar erscheint. Möchte jemand ein Gummibärchen?

Jörg Engelsing

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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