In dieser Zeit ein Heft über die Verbindung von Trauma und Geburt zu machen – ist das nicht etwas realitätsfern? Nein, denn in der Zeit im Mutterleib, während der Geburt und in den Jahren danach werden die psychisch-emotionalen Grundlagen für unseren Umgang mit der Welt – und speziell mit Krisen – gelegt. Wie wir mit der aktuellen Krise umgehen, hat also auch sehr damit zu tun, wie weit wir unsere ersten Traumata, die rund um die Geburt entstanden sind, bewältigt haben. Warum ist eine Geburt überhaupt traumatisch? Weil sie nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Baby eine heftige Überforderung und Überwältigung darstellt. Der meist als sehr erfüllend erlebte Aufenthalt im sicheren Raum der Fruchtblase – bei Rückführungen wird sogar oft von ozeanischen Einheits- und Glückserlebnissen berichtet – findet nach neun Monaten sein Ende und das Baby wird ohne jede „Vorwarnung“ in den engen Geburtskanal gepresst und auf eine Reise ins Unbekannte geschickt.

Es ist auf einmal allein – vor allem, wenn die Mutter eine Anästhesie bekommen hat und das Baby dadurch keinen Kontakt mehr zur Mutter fühlt –, und das verursacht extreme Angst, tiefe Gefühle von Ohnmacht und den riesigen Schmerz, die Geborgenheit der „Heimat“ (Komfortzone) verloren zu haben. Bei einer Geburt stehen dem Baby zudem die normalen Reaktionen eines Erwachsenen auf eine überfordernde Situation nur sehr begrenzt zur Verfügung. Es kann dem Geschehen weder entkommen, ihm also nicht entfliehen, es kann nicht wirklich dagegen ankämpfen, sondern muss alles mehr oder weniger hilflos über sich ergehen lassen. Festhalten an dem alten, liebgewonnenen Raum ist nicht möglich!

Jörg Engelsing

Fortsetzung

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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