Mal ehrlich: Für einen Menschen, der normal tickt, kann Krieg kein Problemlöser sein. Die ungeheure Zerstörung und das immense Leid dürfen nie das Mittel der Wahl sein, um in einem Konflikt die eigene Haltung durchzusetzen. Warum also sehen wir uns momentan in Europa diesem Irrsinn ausgeliefert? Putin ist sicher ein intelligenter Mensch und hat sogar im Deutschen Bundestag einmal glaubhaft für ein friedliches Zusammenleben und Zusammenarbeiten in Europa plädiert. Mal ganz abgesehen von den Komplikationen zwischen Russland und der NATO sowie Putins Gefühl, sich immer mehr bedroht und eingeengt zu fühlen – und auch mal davon abgesehen, welche Wahrheiten man uns bezüglich der Hintergründe dieses Konfliktes verschweigt –, ist die Entscheidung für einen Krieg etwas, über dessen Konsequenzen sich ein Staatsführer bewusst sein muss und ein Mittel, das er einfach nicht anwenden darf.

Ein Staatsführer darf nicht Gott mit den Leben anderer Menschen spielen. Dann gehört er aus dem Amt gejagt. Warum also dieser Schritt in den Wahnsinn? In meinen Augen hat das sehr viel mit dem Punkt zu tun, an dem Putin persönlich steht. Jeder von uns ist so etwas wie ein Gefäß, das die Fähigkeit besitzt, eine bestimmte Menge an unangenehmer Energie – Angst, Wut, Hass, Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit, Frustration – zu halten. Innerhalb dieses Bereiches agiert er gemäß seinen bewussten inneren Leitlinien. Überschreitet das, was ein bestimmter Mensch aushalten kann, dessen Fähigkeit, sich selbst in seinem Körper einigermaßen stabil und sicher zu fühlen, gerät er ins Schwimmen. Unbewusste und verdrängte Strukturen kommen an die Oberfläche und fegen rationale Überlegungen und als sinnvolle erkannte Verhaltensweisen einfach weg. Oft statt dessen: Angst, Aggression, Rachegelüste, Krieg. Psychotherapie und Selbsterfahrungs-Workshops erweitern unsere Fähigkeit, solche als unangenehm und bedrohlich erlebten Gefühle in uns zu halten und uns nicht von ihnen überwältigen zu lassen.

Putin, der sich seit vielen Jahren von der Osterweiterung der NATO bedroht fühlt, ist in meinen Augen an einem Punkt angekommen, an dem er nicht mehr Herr über seine Gefühle des Bedrohtseins geworden ist. Er ist von Teilen seiner Psyche in Beschlag genommen worden, die keine guten Ratgeber sind. Sie werden wie kleine wütende Kinder von ihrer überbordenden Energie gesteuert statt ein stabiles Gefäß für diese Gefühle zu sein und sie zu kontrollieren. Eine Welt, in der Krieg kein Mittel mehr ist, um eigene Positionen klarzustellen und durchzusetzen, ist darum für mich eine Welt, in der Bewusstseinsentwicklung und damit Integration unserer unbewussten destruktiven Muster absolute Priorität hat. Es gibt für mich in dieser Hinsicht keine Alternative für die Menschheit, denn Krieg wird immer von Menschen angefangen…

Jörg Engelsing

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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Eine Antwort

  1. Robert Richter

    Danke – wie gut, daß es euch gibt. Eine Oase im Dschungel der Verwirrung

    Antworten

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