Der Streit um die Gefährlichkeit von Handys reißt nicht ab. Mit Spannung wurde deshalb von allen die weltweit größte Studie zu den Gesundheitsrisiken von Handystrahlung erwartet. Zehn Jahre lang hatten Forscher Hunderttausende Menschen in 13 Ländern für die 19 Millionen Euro teure Interphone-Studie untersucht. Das Ergebnis: Es gibt keine eindeutigen statistischen Anzeichen für ein erhöhtes Tumorrisiko durch Handynutzung. Die Experten streiten sich dennoch, denn es gibt einige Kritikpunkte.

Sowohl Mobilfunkkonzerne als auch kritische Gruppen hatten gehofft, die fast unabhängige Studie (nur 2,5 Prozent des Gesamtetats stammen von Mobilfunk-Unternehmen) könnte die lange Diskussion endlich durch eindeutige Daten entscheiden – aber beide wurden enttäuscht.

„Die Ergebnisse erlauben wirklich nicht den Schluss, dass von der Handy-Nutzung ein Risiko ausgeht“, sagt der Direktor der Internationalen Behörde für Krebsforschung (IARC) der WHO, Christopher Wild. Für eine Entwarnung sei es aber auch zu früh. „Es wäre voreilig zu sagen, dass mit der Handy-Nutzung kein Risiko verbunden ist.“

Also alles wie gehabt.

 

Studie und Statistik

Für die Studie wurden 5200 Patienten mit Hirntumoren und rund 7700 gesunde Kontrollpersonen interviewt – aus den Aussagen sollte abgeleitet werden, ob ein Zusammenhang zwischen Handy-Nutzung und Tumoren besteht. Doch die Statistik ist schwer zu interpretieren und voller Verzerrungen.

In einigen Gebieten schien Handy-Nutzung das Risiko zu erhöhen, in anderen gab es hingegen Hinweise darauf, dass gelegentliche Handy-Nutzer ein geringeres Hirnkrebs-Risiko hatten, als Personen, die überhaupt noch nie ein Mobiltelefon benutzt hatten. Schützen Handys also vor Krebs?

„Das hat sicherlich keine biologische Basis, sondern liegt an methodischen Problemen unserer Studie“, sagt Elisabeth Cardis vom Umweltforschungszentrum Creal in Barcelona, die die Handy-Studie geleitet hat.

Andererseits zeigten Menschen, die viele Jahre lang intensiv ein Handy benutzt hatten offenbar eine deutlich erhöhte Gefahr, an einem Hirntumor zu erkranken: Wer etwa zehn Jahre lang jeden Tag eine halbe Stunde das Mobiltelefon benutzt hatte, hatte ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko.

„Die obersten zehn Prozent unserer Studiengruppe scheinen tatsächlich ein erhöhtes Risiko zu haben, ein Gliom zu entwickeln“, sagt Cardis. Gliome gehören zu den häufigsten Hirntumoren.

Der Wissenschaftlerin zufolge sprechen vor allem die Orte der Tumorbildung für einen möglichen Zusammenhang mit den Handy-Strahlen. Vieltelefonierer zeigten überdurchschnittlich häufig einen Krebsbefall in der Nähe des Ohrs – und zwar an jener Kopfhälfte, an die die Patienten eigenen Angaben zufolge das Handy häufiger gehalten hatten.

Ob das tatsächlich so ist, bleibt offen. Auch hier könnte es sich nur um eine Verzerrung handeln.

„Wie auch immer, Verzerrungen und Designfehler limitieren das Gewicht der Aussagen, welche wir aus den Analysen ziehen können und verhindern eine Interpretation des Zusammenhangs“, heißt es dann auch auf S.14 des Originaltextes der Studie.

Fehlende Studien und andere Mängel

Die Handy-kritische Verbraucherorganisation Diagnose Funk beklagt die Studie sei zensiert und voller Mängel:

„Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis eine Entwarnung zu liefern, doch die Studie ist prall gefüllt mit methodischen Fehlern“, heißt es in der Pressmitteilung.

Es sei vor allem ein Skandal, dass eine entscheidende Statistik aus der Studie, die Hinweise auf ein mehrfaches Hirntumorrisiko gibt, in der Endfassung des Studientextes unterschlagen werde, so der Vorwurf. Auch wäre nicht einbezogen, ob die Probanden neben dem Handy noch ein schnurloses Telefon benutzt hätten – die seien aber mindestens ebenso gefährlich wie Handys. So könne es sein, dass die Kontrollgruppe zwar kein Handy, dafür aber ein schnurloses Telefon verwendet hat. Dann sei natürlich kein Unterschied in der Häufigkeit der Tumore feststellbar, weil die Kontrollgruppe eigentlich gar keine sei.

Eine schwedische Studie, welche die Nutzung von Schnurlos-Telefonen mit einbezogen hatte, kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Bei einer 10-jährige Nutzung von Mobiltelefonen besteht ein hohes, bis 5.2-faches Risiko für Gliome.

Die Diskussion geht weiter.

 

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Eine Antwort

  1. Ralf Hildebrandt

    Aufkleber schützen NICHT vor Funkwellen, das Einzige, das hilft ist: Ausschalten oder kein Mobil- oder schnurloses Telefon benutzen… . Wohl dem, der’s nicht beruflich braucht.

    Antworten

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