Die Klimakrise mit ihren jetzt schon spürbaren katastrophalen Folgen erfordert neues Denken, neue Antworten – aber natürlich keine Ökodiktatur.

Von Oliver Bartsch

Die Klimakrise ist ein Problem, dass sich von allen anderen Problemen dadurch unterscheidet, dass sie den Fortbestand der Menschheit gefährdet, sollte sie nicht konsequent und schnell angegangen werden. Die Erderwärmung, die selbst dann am Ende des 21. Jahrhunderts zu erwarten wäre, würden alle Staaten ihre selbst gesteckten Klimaziele einhalten, liegt Prognosen zufolge zwischen 2 und 4 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit. Wenn die sogenannten Kipppunkte erreicht werden, wenn das Eis an den Polen schmilzt, die Permafrostböden tauen, der Amazonas-Regenwald stirbt und sich der Prozess selbst verstärkt, möglicherweise noch weit darüber.

Niemand weiß, ob Zivilisationen, wie wir sie kennen, in einer drei oder vier oder fünf Grad wärmeren Welt existieren können. Der Mensch ist ungemein anpassungsfähig, aber es wäre ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Fest steht, es wird zunehmend ungemütlich auf unserem blauen Planeten: Extremwetterlagen nehmen zu, die Ernten fallen zunehmend aus und die Menschheit würde unter Hitze, Überflutung und Hunger leiden.

Die Erderwärmung kann entweder sehr schnell noch eingedämmt werden, oder sehr bald nicht mehr, weil dann Kipppunkte aktiviert werden und sich der Prozess der Erwärmung dem Zugriff des Menschen entzieht. Je länger wir nichts gegen die Klimakrise tun, desto schwerer wird es, zu handeln, desto höher werden die Kosten und desto einschneidender die notwendigen Maßnahmen.

Also doch eine Ökodiktatur, die sofort per Befehl Verbote erlassen kann und deren Missachtung unter drastische Strafen stellt? Im Zukunftsthriller „Der neunte Arm des Oktopus“ von Dirk Rossmann wird genau das Realität: Die großen Drei USA, China und Russland bilden zusammen eine Ökodiktatur und führen weltweit drastische Maßnahmen ein, um die Erderwärmung zu stoppen. Es beginnt mit der Erhaltung des tropischen Regenwaldes und der Durchsetzung einer restriktiven Bevölkerungsentwicklung. Das Dreierbündnis arbeitet solange erfolgreich, bis sich auf nationaler Ebene Widerstand regt…

Leider kann man sich ein solches Bündnis angesichts der aktuellen konfrontativen Weltlage nicht vorstellen. Doch welche Alternativen hat die Menschheit angesichts der drängenden Zeit? Die Antwort lautet: Eine entschlossen handelnde Demokratie. An dieser Stelle wird die Klimakrise zur ernsthaften demokratietheoretischen Herausforderung, auch wenn Fridays for Future nur das Einhalten des Pariser Abkommens einfordern, also etwas, wozu sich Staaten freiwillig verpflichtet haben. Man braucht nur eine einzige Annahme für so etwas wie eine Begründung der Demokratie, nämlich die Gleichheit aller Menschen. Dann gilt nämlich, dass kein einzelner Mensch beanspruchen kann, zu wissen, was gut und richtig ist. Also ist nur ein politisches System legitim, in dem alle Gleichen gemeinsam im Prozess definieren, was gut und richtig ist: Demokratie.

Was politisch gewollt und getan wird, liegt in autoritären Systemen in der Hand der wenigen Herrschenden, die erfahrungsgemäß auf Bereicherung und Korruption setzen, also die unwahrscheinlichsten Klimaschützer sind. Aber selbst wenn sie als Klimaschützer anträten, könnte niemand kontrollieren, ob sie es wirklich umsetzen, sobald sie an der Macht wären. Man kann sich also für Klimaschutz oder gegen Klimaschutz in einer Demokratie entscheiden, aber man kann sich nicht für oder gegen Klimaschutz in einer Diktatur entscheiden – man kann sich nur für eine Ökodiktatur entscheiden und dann zum Untertan werden.

Das demokratische politische System sollte auf jegliche Gedankenspiele in Richtung einer wirklichen Ökodiktatur souverän reagieren. Und das sympathisierende Umfeld der Klimabewegung muss frühzeitig klarmachen, dass Gewalt kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist. Denn die autoritäre Durchsetzung kompromissloser Klimapolitik, geschweige denn die Errichtung einer entsprechenden Ökodiktatur würde unsere Gesellschaft zerreißen, Generationen gegeneinander ausspielen und viele unschuldige Opfer fordern. Die Chance, dass sie zur notwendigen Umkehr in der Klimapolitik führen würde, wäre zudem verschwindend gering.

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Eine Antwort

  1. Holger Roloff
    Die Lösung ist bunt!

    Was wir brauchen ist ein politisches und wirtschaftliches Primat ökologischer Notwendigkeiten, keine Öko-Diktatur.

    Doch da gibt es ein (innerhalb des Systems) unlösbares Problem: Kapitalismus und Naturschutz passen dauerhaft nicht zusammen.

    Ergo ist ein Systemwechsel notwendig, der über eine warenförmige Gesellschaft (Tauschlogik mit Markt, Geld, bezahlter Arbeit usw.) hinaus weist. Doch diese Einsicht scheuen bürgerliche Politiker wie der Teufel das Weihwasser oder Dracula ein gesegnetes Kreuz, denn diese Idee würde alles in Frage stellen, was diese Leute je gelernt haben und glauben. Doch dieser Glaube kann eben keine so gewaltigen Berge mehr versetzen, dass man das Problem lösen könnte. Also schiebt und schaukelt man die Probleme nur Hin und Her und tut so, als wenn man was wüsste. Überall der typische Aktionismus: „Wir machen doch was!“

    Grünes Wachstum ist langfristig eine Illusion. Das sagen nicht nur moderne Kapitalismus-Kritiker (vgl. Tomasz Konicz), sondern inzwischen auch normale, bürgerliche Ökonomen (vgl. Ulrike Herrmann).

    Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Ressourcenwirtschaft anstatt Marktwirtschaft!!!

    Also eine andere Wirtschaftsform, basierend auf Teilen und Beitragen, heißt man setzt die verfügbare Technik (Computer, Internet) ein, um im Rahmen grüner Energie-Produktion bedarfsgerecht zu produzieren und die stofflichen Materialströme mit EDV so zu steuern, dass alles produziert wird, was für ein gutes Leben in Wohlstand notwendig und wünschenswert ist. Weht kein Wind wird die Produktion eben so weit runter gefahren, wie notwendig. Dann ist Zeit zum Ausruhen und Nachdenken. Das ist alle mal besser als grenzenloses, blindes Wachstum und die langfristig sichere Zerstörung der Erde. Die Natur muss sich ohnehin an vielen Stellen erstmal wieder erholen…und wir müssen raus aus dem Hamsterrad.

    Davon abgesehen würde die Grundlagenforschung in Sachen freie Raumenergienutzung vielleicht so viel kosten, wie ein oder zwei Windräder aufzustellen (ca. 15 Mio EURO), also ein Klacks. Käme man damit endlich weiter (der führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet, Claus Turtur, lebt ja in Deutschland), ließen sich noch ganz andere Energiequellen erschließen und somit neue Perspektiven aufmachen. Stattdessen dealt man lieber weiter mit Gas und Öl…gibt blind weitere Milliarden dafür aus.

    Die ganzen, bunten Lösungs-Ansätze sind längst alle da. Die Politik will sie aber nicht sehen.

    Viele Grüße aus Hamburg
    Holger Roloff

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