Erfüllte Sexualität und gesunde Nachkommen zählen laut Ayurveda zu den wichtigsten Grundbedürfnisse des Menschen. Denn unser Wohlbefinden basiert auf drei Säulen des Lebens: Der richtigen Ernährung, einem guten Schlaf und einem ausbalancierten Sexualleben. Besteht ein Mangel oder Ungleichgewicht in einer dieser Säulen, so resultieren  daraus Beschwerden in Körper und Geist.

 

Die ayurvedische Medizin wird von alters her in acht Fächer gegliedert. Alle haben das Ziel, die Gesundheit des Menschen zu erhalten, die Gesellschaft vor Krankheiten und Epidemien zu schützen und der Seele Frieden und Erlösung zu schenken. Einer dieser Medizinzweige ist Vajikarana, die Sexualheilkunde. Hier werden präventive Maßnahmen und Heilmethoden für die Fortpflanzungsorgane, Empfängnis und Schwangerschaft praktiziert. Ebenso wird die sexuelle Vitalität und Potenz des Einzelnen durch spezielle Aphrodisiaka gestärkt. Die ayurvedischen Schriften betonen ausdrücklich, dass Vajikarana einen wichtigen Teil der gesundheitserhaltenden Maßnahmen dar­stellt. Denn unser Wohlergehen steht in unmittelbarer Verbindung mit der individuellen Sexualität, und ein unerfüllter Geschlechtstrieb kann zu körperlichen oder geistigen Krankheiten führen. Rücksichtsloses oder übermäßiges Sexualverhalten wird ebenfalls als Ursache für einen Kräfteverlust, für die Schwächung der Abwehrkraft und für Krankheiten angesehen.

 

Gesunde Nachkommen und erfüllte Sexualität mit Vajikarana

In der ayurvedischen Tradition werden viele Vajikarana-Rezepturen genannt. Diese aphrodisierenden Behandlungsverfahren sollen die sexuelle Energie stärken und eine gesunde Fortpflanzung begünstigen. Historisch gesehen war dies ausgesprochen wichtig, um Wohlstand und Sicherheit im Leben zu erlangen, denn nur eine große, kinderreiche Familie konnte damals für den Lebensunterhalt sorgen. In der heutigen Zeit werden die ayurvedischen Therapiemethoden vor allem als Anti-Aging-Therapie sowie zur (ausgesprochen erfolgreichen) Behandlung gegen ungewollte Kinderlosigkeit eingesetzt.

Die Basis aller verjüngenden und potenzsteigernden Maßnahmen ist eine Reduktion der täglichen Stressbelastungen. Denn zu viel Arbeit und emotionale Belastungen dämpfen nicht nur die sexuelle Lust, sondern sie schwächen auch die Immunkraft und die Fortpflanzungssäfte. Ebenso wird Sex mit unbekannten oder wechselnden Partnern, bei Krankheit und Schwäche, in der Schwangerschaft, der Menstruationszeit der Frau oder mit sehr viel älteren Partnern als energieschwächend und der Gesundheit abträglich eingeschätzt.

Zum Ausgleich der auszehrenden Sexualgewohnheiten empfiehlt Ayurveda den regelmäßigen Genuss von warmen und frisch gekochten Mahlzeiten, entspannende Spaziergänge an der frischen Luft und genügend Schlaf bei zeitigem Zu-Bett-Gehen, um die erschöpften Kräfte wieder aufzuladen. Besonders gut wirken auch Gewürze wie Chili, Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, Safran oder Muskat, um den Körper mit vitaler Lebensenergie und sexueller Kraft zu versorgen.

 

Vata, Pitta, Kapha: Guter Sex ist typgerecht

Über den Umfang und die Performance unserer sexuellen Aktivitäten entscheidet nicht nur die Vitalität unseres Körpers, sondern auch die individuelle Konstitution des Einzelnen. Diese bildet sich aus den drei Bioenergien (Doshas) Vata, Pitta oder Kapha und prägt die sexuellen Vorlieben des Einzelnen. Entsprechend der individuellen Konstitution sind unsere sexuellen Wünsche, Neigungen und Gewohnheiten unterschiedlich ausgeprägt und angelegt. Beachtet man hierbei einige der grundlegenden ayurvedischen Vajikarana-Empfehlungen, so kann sich durch eine gesunde Sexualität neue Lebenskraft, Vitalität und Schönheit entfalten. Bevorzugen wir für die persönliche Konstitution eher ungünstige sexuelle Gepflogenheiten, so können Körperenergien und Lebenskraft abgebaut werden.

So verfügen Vata-Menschen über einen schlanken, zartgliedrigen Körperbau und eine lebendige, kreative und kommunikationsfreudige Persönlichkeit. Auf der sexuellen Ebene reagieren sie sehr feinfühlig auf alle sinnlichen Reize, sind aber eher unbeständig und leicht erschöpft.

Pitta-Menschen hingegen verfügen über viel Feuer und Kraft. Dies manifestiert sich in ihrem hitzigen Temperament, athletischem Körperbau und geröteter Haut, aber auch in leidenschaftlicher Glut und Ekstase. Dank ihrer charismatischen Ausstrahlung und sexuellen Empfänglichkeit verfügen sie meist über ein ausgiebiges und erfülltes Sexualleben.

Kapha-Menschen haben laut Ayurveda die beste sexuelle Leistungskraft. Auch wenn die eher kräftig gebauten und phlegmatisch veranlagten Menschen keine Heißblüter im Bett sind, ihre Zeugungs- und Empfängnisbereitsschaft ist hervorragend und sie erfreuen sich meist beständiger und liebevoller Beziehungen.

 

Spirituelle Betrachtung von Mann und Frau

In der ayurvedischen Betrachtungsweise geht die intime Beziehung zwischen Mann und Frau weit über den Zweck des Zeugungsaktes hinaus. Aus spiritueller Sicht repräsentieren die weiblichen Geschlechtsorgane den Ausdruck von Energie, die in ihrem Wesen feurig ist (Agni). Aus diesem Grunde wird das Weibliche in der indischen Tradition auch als Shakti, „die Energie selbst“, bezeichnet. In der indischen Mythologie heißt es, dass Shiva – die schöpferische Kraft – sich nicht ohne Shakti bewegen kann. Ohne Energie ist keine Aktivität möglich. Die spirituelle Verantwortung, das Leben zu nähren und zu repräsentieren, ist in der alten vedischen Tradition der Frau übertragen. Demzufolge wurde der weibliche Körper geschaffen, um den wachsenden Fötus zu beherbergen, zu nähren und zu entbinden.

Der weibliche Körper selbst ist der Schoß des Lebens, und die Frau spürt damit eine tiefe Verbindung zur kreativen Kraft des Universums, der sich im Leben manifestierenden Shakti. Die männlichen Geschlechtsorgane hingegen repräsentieren die Verdichtung von Energie als Materie (Soma), die in ihrem Wesen kühl ist. Somit entsprechen Frau und Mann Agni und Soma.

 

Wie Feuer und Wasser…

Der Aufbau des männlichen und weiblichen Körpers führt zu grundlegenden Unterschieden, in welcher Weise die Energietransformationen während der sexuellen Vereinigung vonstatten gehen: Der männliche Körper ist dazu bestimmt, Soma, also das Wasserelement, durch die Samenflüssigkeit zu verlieren, wohingegen der weibliche Körper durch die Menstruation dazu bestimmt ist, Agni – das Feuerelement – zu verlieren.

Infolgedessen verliert die männliche Persönlichkeit die weiche und erdende Wirkung von Soma und wird vom Wesen her aggressiv und stark. Auf der anderen Seite verliert die weibliche Persönlichkeit die Intensität und Schärfe des Feuerelements und wird deswegen vom Wesen her weich und sanft.

Durch den sexuellen Austausch verbinden sich Mann und Frau mit dem Kosmos: Der Mann hilft die männliche Energie in der Frau zu wecken, die Frau erweckt die weibliche Energie im Mann. Die männliche Persönlichkeit wird ausgeglichen, wenn die weibliche Energie geweckt wird, und die weibliche Persönlichkeit wird ausgeglichen, wenn die männliche Energie aktiviert wird. Dieser Prozess – der jeden Menschen und jede geschlechtliche Beziehung prägt – sorgt für emotionale, mentale und spirituelle Gesundheit.

 

Mit und ohne Sex zur Erleuchtung

Fast jede Religion empfiehlt sexuelle Enthaltsamkeit zur Stärkung der geistigen Kräfte. Dies deckt sich mit ayurvedischen Empfehlungen. Auch in der vedischen Philosophie kennt man die Kraft der transformierten sexuellen Energie, die den Geist klärt, die Sinne schärft und die Seele mit Gott vereint. Entsagen wir den weltlichen Freuden und Ablenkungen, so stärken wir unseren Geist, um unvergängliche Glückseligkeit zu erfahren und uns mit den kosmischen Kräften zu vereinen. Dabei werden spezielle Yoga- und Meditationstechniken eingesetzt, welche die Shiva- und Shakti-Energien bündeln, so dass der Mann die weibliche Energie und die Frau die männliche Energie in sich selbst aktivieren kann.

Alternativ dazu lehren die alten Tantra-Traditionen aber auch einen spirituellen Erkenntnisweg mittels sexueller Techniken zur ekstatischen Vereinigung von Mann und Frau, welche die Energiezentren befreit und Gotteserfahrung ermöglicht. In diesem Sinne ist Spiritualität aus ayurvedischer Sicht frei von jedem Gelübde oder Dogma, ganz so, wie ein weiser Yoga-Meister einmal sagte: „Du kannst mit oder ohne Sex zur Erleuchtung kommen. Wichtig ist nur, dass du mit ganzem Herzen dabei bist.“

 


 

Klassische Aphrodisiaka der Ayurveda-Medizin

Ashwagandha: Die Wurzeln von Ashwagandha (Schlafbeere/Winterkirsche, lat.: Withania somnifera) werden verwendet, um die Stärke der Körpergewebe zu erhöhen. Sie korrigieren Immunstörungen und dienen als wirkungsvolles Aphrodisiakum beim Mann, denn sie verbessern die sexuelle Kraft und Erektionsdauer sowie die Fortpflanzungsfunktionen. Ebenso ist Ashwagandha eine klassische Anti-Stress-Pflanze, die bei körperlicher und geistiger Erschöpfung und Auszehrung eingenommen wird. Für diese Zwecke werden 2-3 g Ashwaganda-Pulver täglich mit Milch eingenommen.

Shatavari: Shatavari (Wilder Spargel, lat.: Asparagus racemosus) ist eines der wichtigsten Rasayanas – (verjüngendes Stärkungsmittel) für Frauen, denn es zeigt eine sehr gute Wirkung auf die milchproduzierenden Drüsen und unterstützenden Gewebe sowie Hormone. Durch die Wurzeln dieses Spargels wird die Empfängnis begünstigt und er soll ebenfalls helfen, die Schwangerschaft zu erhalten und Fehlgeburten vorzubeugen. Als Mengenangabe werden täglich 3-5 g Shatavari-Pulver, eingerührt in eine Tasse heißer Milch, empfohlen.

Amalaki: Amalaki (Indische Stachelbeere, lat.: Phyllanthus emblica) wird als wirksamste Pflanze gegen den Alterungsprozess betrachtet. Sie balanciert alle drei Doshas aus und zeigt positive Wirkungen auf fast alle Gewebe und Organe des Körpers. Die Amalaki ist eine Art Wildkirsche oder Baumstachelbeere, die sehr viel Vitamin C und andere Antioxidantien enthält, die den Zellstoffwechsel aktivieren, vor freien Radikalen schützen und den gesamten Körper verjüngen. Sie ist ebenfalls gut geeignet zur Empfängnis sowie zur Erhaltung der Schwangerschaft beziehungsweise Verhinderung einer Fehlgeburt. Als Nahrungsergänzung werden täglich 3-5 g des Früchtepulvers mit Wasser eingenommen.

Kapikacchu: Die Juckbohne (lat.: Mucuna pruriens) ist das im Ayurveda meist empfohlene Aphrodisiakum. Bereits 2-3 g mit Milch eingenommen verbessern die sexuelle Kraft und den allgemeinen Gesundheitszustand, da es Aldopa (eine natürliche Synthese von Dopamin, welches auch gegen Parkinson eingesetzt wird) enthält. Im Ayurveda wird die Juckbohne auch als nervenstärkendes Tonikum im Kaffee sehr geschätzt.

Rasala – traditionelles Vajikarana für die sexuelle Kraft: Ein klassisches Vajikarana-Rezept für beide Geschlechter, das ohne Probleme selbst hergestellt werden kann und wovon während einer Aufbau-Kur von circa zwei Wochen zwei Mal am Tag jeweils ungefähr ein Teelöffel eingenommen wird. Zutaten: 500 g Joghurt, 20 g Ghee, 20 g Honig, 5 g Nelken, 5 g Muskat, 250 g Puderzucker, 2 g Ingwer, 2 g Pfeffer, 1 g Safran. Zubereitung: Den Joghurt von Wasser lösen (durch ein Gaze- oder Baumwolltuch sieben) und den fein gemahlenen Zucker dazu geben. Gemahlenen Ingwer und Pfeffer darunter mischen. Dann Ghee und Honig, Nelke, Safran und Muskat gut mit der Joghurtmasse vermengen.

 


 

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel nicht den Besuch beim Arzt oder Heilpraktiker ersetzt.
Abb: © Rosenberg gGmbH

Eine Antwort

  1. Barbara Uhlmann

    Sagenhaft interessant!! Diese Inhalte punkto Sexualität, kennt leider nicht die klassische Medizin. da ich aufgewachsen bin in einer chronischen Sorge .Jetzt bin ich mitte 50 – Lustlosigkeit ist wohl da nicht mehr behandelbar. (schon ewig gehabt)leider
    Vielen Grüßen aus der Reha Bad Wildungen Barbara Uhlmann

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