Die Alexander-Technik ermöglicht – allein durch eine bewusste Selbstwahrnehmung – nicht nur eine Neu-Ausrichtung des Körpers, sondern auch eine Veränderung der eigenen Denkgewohnheiten. Wie F. M. Alexander, der Entwickler dieser Methode, sagt: „Wenn wir aufhören, das Falsche zu tun, geschieht das Richtige von selbst.“ Angelika Wichert wollte Genaueres über die Wirkungen wissen und beobachtete eine Versuchsgruppe über mehrere Monate hinweg.

Von Angelika Wichert

 

Die Alexander-Technik wurde von Frederick Matthias Alexander entwickelt und ist mehr als 100 Jahre alt. Im Kern enthält sie genau die Prinzipien, die westliche Kulturen seit den 1980er Jahren aus Fernost importieren: Entschleunigung, Achtsamkeit und mentale Ausrichtung für einen entspannt- ausgerichteten Geist in einem entspannt-aufgerichteten Körper. Alexander hat seine Methode im Laufe von 60 Jahren in London und New York ausgearbeitet. Sie ist eine Hilfe zur Selbsthilfe und vor allem Insidern bekannt, da sie vorwiegend im Einzelunterricht vermittelt wird. Der Unterricht in der Alexander-Technik zielt darauf ab, auf unbewusste Bewegungsmuster aufmerksam zu werden, die Beschwerden verursachen und krank machen können.

Grundlage für die Arbeit mit der Methode ist immer die Frage: Wie gehe ich mit mir um, was tue ich selbst, dass ich diese Beschwerden habe? Die typischen Symptome unserer Zeit und Konsequenzen der Arbeit am PC sind Schulter- und Nackenverspannungen, Rückenschmerzen, Beschwerden am Bewegungsapparat. Gerade diese lassen sich – wie wissenschaftliche Studien nachweisen – mit Hilfe der Alexander-Technik lindern oder sogar heilen. Die dauerhafte Anwendung der Methode verhindert zudem im Sinne einer Prävention schon im Vorhinein den Aufbau von Verspannungen und Schmerzen. Die Schulung der Selbstwahrnehmung setzt dabei Erkenntnisprozesse in Gang, so dass ungünstige Gewohnheiten sichtbar und unterlassen werden können. Erläuterungen zur Anatomie zeigen, wie unser Skelett und unsere Gelenke konstruiert sind und wie wir uns – auf der körperlichen Ebene – „richtig“ bewegen, so dass der Muskeltonus ins Gleichgewicht kommt und die Wirbelsäule sich aufrichten kann. Dies ist der faszinierende Weg, sich selbst anzuschauen und zu erkennen, wer man hinter den eigenen erlernten Gewohnheiten (geworden) ist. Ein Zuviel an Muskelspannung oder „falsche“ Bewegungen können „verlernt“ werden, sodass wir uns bewegen, wie wir es von Natur aus tun würden und wie wir es als Kind getan haben: Die Gelenke werden frei, die Bewegungen leichter, die Koordination besser, so dass wiederum weniger Spannung oder Anstrengung nötig ist.

Positive neue Gewohnheitenmit der Alexander-Technik

Alexander-beinDer Unterricht in der Alexander-Technik zielt auf die Vermittlung ihrer grundlegenden Prinzipien ab. Nach zirka zehn bis zwanzig Lektionen hat das Körpergedächtnis wesentliche Elemente gespeichert. Wer die Methode dann bewusst weiter anwendet – allein oder mit Unterstützung durch einen Lehrer – vertieft seine Körper- und Selbstwahrnehmung, spürt seine individuellen Themen auf und kann ungünstige Gewohnheiten langfristig loslassen. Letztlich geht es darum, die Alexander-Technik in den Alltag zu integrieren und sie zu einem ständigen Begleiter zu machen – als neue bewusste Gewohnheit.

In meine Praxis kommen immer mehr Menschen, die – wie sie selbst sagen – „Stress haben“. Sie haben das Gefühl, etwas für sich tun zu müssen, und möchten etwas Neues probieren, irgendetwas, das hilft. Viele können nicht sagen, was genau ihnen fehlt. Sie empfinden ein diffuses Unwohlsein, sie spüren, dass ihr Körper ihnen eine Grenze setzt und dass sie dieses Signal beachten sollten. Aber wie?

Dieses Thema begann mich zu beschäftigen und ich habe bei einer Gruppe von Menschen gezielt beobachtet, ob und inwiefern sich das Erlernen und Anwenden der Alexander-Technik auf dieses „Stress-Haben“ und die damit verbundenen körperlichen Spannungssymptome auswirkt. Die „Probanden“ hatten keine Vorerfahrung mit der Alexander-Technik, als sie begannen, bei mir Unterricht zu nehmen. Sie kamen einmal wöchentlich für rund 40 Minuten. Sie gaben mir auf der Basis eines Fragebogens zu drei Messzeitpunkten ein ausführliches Feedback zu Ihrer Eigenwahrnehmung im Hinblick auf ihr Selbst- und Stresserleben.

Ruhigere psychische Verfassung

Die Hälfte der Probanden gab nach zirka zehn Lektionen an, generell entspannter und gelöster zu sein und sich leichter zu fühlen. Dies war jeweils verbunden mit dem körperlichen Gefühl leichterer Koordination und besserer Aufrichtung. Drei Probanden sagten, dass das Gefühl von Freude oder Unbeschwertheit ab der zehnten Lektion immer länger andauerte. Ein Drittel der Probanden gab an, mehr, differenzierter und bewusster zu fühlen. Zugleich seien sie sanfter und akzeptierender sich selbst gegenüber geworden. Obwohl parallel große Probleme in seinem Leben aufgetaucht waren, fühlte sich ein Proband gelöster und seine Stimmung war allgemein besser.

Zwei Probanden äußerten, ihnen sei klar geworden, dass sie nicht alles aushalten müssen, sondern sich frei entscheiden dürfen. Sie entdeckten das Recht auf ihre Bedürfnisse und begannen erstmals in ihrem Leben, die eigenen Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Zwei Probanden spürten weniger Druck und konnten sich besser abgrenzen. Begleitet wurde das von einem Gefühl der Zuversicht und Stärke auf der Grundlage eines neu erwachten Selbstbewusstseins. Ein Viertel der Probanden spürte mehr Energie, um den eigenen Alltag zu bewältigen, aber auch bei körperlichen Betätigungen wie Sport.

Insgesamt führt das Loslassen der Hals- und Nackenmuskulatur zum Entspannen des Schulterbereichs. Spannungen im Bereich von Hals, Nacken und Schulter sind oft Ausdruck von Stressgefühlen, Belastung, Angst, Druck usw … Die Auflösung von Triggerpunkten1 im Nacken- und Schulterbereich führte zum Gefühl psychischer Ausgeglichenheit, Entlastung und Ruhe.

Eine Probandin machte mich nach rund fünf Monaten darauf aufmerksam, dass sie gerade nicht unterscheiden könne, ob ihre Antworten im Fragebogen die „Tatsachen“ beschreiben oder ihre Vorstellungen davon, wie „es momentan ist“, denn das könne sie noch nicht endgültig entscheiden oder formulieren. Das Anwenden der Alexander-Technik hatte also einen Prozess in Gang gesetzt, der ihr klar machte, dass sie Denkmuster, also Vorstellungen von den Dingen und sich selbst, als Wahrheit angenommen hatte. Hier nahm sie nun eine Diskrepanz wahr, die zu einer neuen Gefühls- und Denkqualität führte und Verhaltensänderungen bewirkte. Der Unterricht in der Alexander-Technik führte bei etwa der Hälfte der Probanden nach zwanzig Lektionen zu einer authentische(re)n Selbstwahrnehmung. Sie begannen zu unterscheiden zwischen „Diese Vorstellungen habe ich über mich (gehabt)“ (= Denken) und „So bin ich, so nehme ich mich wahr“ (= Fühlen, Denken).

Stress entsteht im Kopf – Entspannung auch

Alexander-alex_birgitDie Erfahrung, durch mentale Ausrichtung Veränderungen im Körper, aber auch im Denken und Fühlen zu bewirken, führte bei der Hälfte der Probanden nach zwanzig Lektionen zu einer Übertragung auf ihr gesamtes Leben: Sie fanden heraus, dass ihre Gedanken ihr Leben bestimmen, sie ihr Denken hinterfragen (können) und ebenso gut etwas anderes denken könn(t)en. Sie wissen, dass sie ihr Leben selbst in der Hand haben. Wechselwirkungen sind: mehr Selbststeuerung, ein gesteigertes Selbstwertgefühl, eine authentischere Selbstwahrnehmung und Zuversicht verbunden mit einer ausgeglichenen Muskelspannung, die mit einer angstfreien Verfassung einhergeht.

Der regelmäßige Unterricht in der Alexander-Technik bewirkt bei den meisten nach etwa zehn Lektionen eine Verbesserung der Körper- und Selbstwahrnehmung, eine bessere Aufrichtung durch das Loslassen von Muskelspannung und Längung der Wirbelsäule, eine Linderung körperlicher Beschwerden oder (Ver-)Spannungen. Das führt langfristig zu einer besseren Selbstregulierung. Die Entsprechung ist psychische Entspannung, die sich individuell in einem Gefühl von Leichtigkeit, mehr Energie, weniger Druck- und Stressgefühlen äußern kann. Bei regelmäßiger Anwendung werden die positiven Wirkungen länger beibehalten – entsprechend der Fähigkeit, Muskelspannung dauerhaft wahrzunehmen, loszulassen oder den Aufbau von Spannung bewusst zu vermeiden.

Psychohygiene oder die Sorge um sich selbst

Ich habe sehr viel von den Menschen gelernt, die mir eine Rückmeldung über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Alexander-Technik gaben, und mich wieder auf die Wurzeln meiner Arbeit besonnen. Ausgelöst wurde das durch Aussagen wie:
„Es ist ganz fremd für mich, mich einmal in der Woche nur um mich zu kümmern.“
„Ich kenne es gar nicht, nur an mich zu denken, und glaube, das darf ich nicht.“

Viele Menschen meinten, sich selbst nicht so wichtig nehmen zu dürfen. Sie sahen dann, dass die wertschätzende Besinnung auf sich selbst eine Wohltat für Körper und Seele ist, die den Umgang mit sich selbst und den Nächsten liebevoller und leichter macht und so den Umgang mit allem, was täglich auf sie zukommt.

In „Die Sorge um sich“, dem dritten Band seines Werkes Sexualität und Wahrheit, beschreibt der französische Philosoph und Psychologe Michel Foucault, dass die Seelenhygiene in vorhellenischer Zeit Pflicht oder Tagesroutine der „gehobenen Schichten“ war, ebenso wie die Körperhygiene. Mit sich selbst „im Reinen“ zu sein erfordert regelmäßige Achtung und Achtsamkeit für sich selbst. Das ist Alexander-Technik.

Achtsamkeit ist eine natürliche menschliche Ressource. Achtsam zu sein verleiht eine langsamere Gangart, eine klare Wahrnehmung, Selbstbewusstsein, entspannte Stärke. Mit dieser Ausstattung sich selbst und der Welt immer wieder zu begegnen, ist eine wunderbare Alternative zu ständigem Stresserleben.

 

Alexander-Technik-Buch1 lokal begrenzte Muskelverhärtungen in der Skelettmuskulatur, die druckempfindlich sind und von denen Schmerzen ausgehen können (Wikipedia).

Wer die Alexander-Technik kennenlernen möchte, hat beim ersten AT-Festival vom 4.-6. November 2016 in der Somatischen Akademie Berlin die Möglichkeit, aus einem vielfältigen Angebot zu wählen. Mehr als 25 Berliner Lehrer werden hier Workshops, Einführungen und Einzelarbeit anbieten. Außerdem stellen sich die zwei Zentren und vier Ausbildungsschulen Berlins vor. Mehr Infos zum Festival auf www.somatische-akademie.de

 

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