Wir haben alle schon früh als Kinder gelernt, dass Wut nicht gewollt ist, und uns dementsprechend angepasst. Doch genau diese Wut ist die Kraft und Energie, mit der wir unser Leben aktiv gestalten können. Deshalb geht es in der Rad-der-Gefühle-Arbeit darum, alle unsere Grundgefühle von Wut, Traurigkeit, Angst und Freude wieder komplett authentisch zu fühlen und für uns nutzbar zu machen.

Von Steven Sonntag

 

Eva steht in der Mitte des Raumes. Rechts und links von ihr halten sie zwei weitere Frauen an den Schultern. Ihr Körper vibriert, ihr Atem geht schwer – ein – aus, ein – aus. Dann ein Keuchen und ein Schrei: „Ahhh…“ Ihr Körper bewegt sich mit aller Wucht nach vorne, kann von den anderen zwei Teilnehmerinnen nur mit Mühe gehalten werden. Noch tiefer aus ihrem Becken kommt der nächste Schrei und ihr ganzer Körper ist in Aufruhr…

Es ist Sonntag und mitten in Berlin haben sich 15 völlig fremde Menschen zusammengefunden, um sich von Seminarleiter Elyas Stefan Heyland in ihre Wut führen zu lassen – und das scheint gar nicht so einfach zu sein. Einige sind zum ersten Mal dabei, einige haben bereits andere Seminare aus dem Bereich der sogenannten Gefühlsarbeit besucht. Ein Teilnehmer, nennen wir ihn Michael, besucht diesen „Tag der Wut“ bereits zum dritten Mal. Beim sogenannten „Check in“, einer kleinen Vorstellungsrunde aller Teilnehmer, erzählt er, dass ihm sein erstes „Wutseminar“ geholfen habe, seine Wut überhaupt erst einmal wahrzunehmen.

Elyas Heyland erklärt: „Die Wut ist der Schlüssel, der uns die Tür zu allen anderen Grundgefühlen öffnet.“ Mit Grundgefühlen sind Wut, Angst, Traurigkeit und Freude gemeint. Auf diese vier Grundgefühle lassen sich all unsere Gefühle zurückführen.

„Wir unterscheiden zwischen zwei Phasen der Gefühlsarbeit. Zum einen geht es darum, den Teilnehmern ihre Gefühle wieder erfahrbar zu machen. Dabei agieren wir Gefühle aus – erfahren sie wieder zu hundert Prozent. Zum anderen geht es darum, diese erfahrenen Gefühle wieder loszulassen, nichts mit ihnen zu tun oder zu wollen und uns selbst in die Stille, in unsere innere Tiefe einzulassen, so dass wir die Möglichkeit des inneren Erwachens haben.“

Unterdrückte Wut

Auch Michael hat gespürt, wie viel Wut in ihm steckt und wie wenig er aus Angst vor ihr in seinem Alltag nach draußen lässt. Entweder er schluckt sie oder – wenn er sie nicht kontrollieren kann – explodiert er. Er kann seine Wut nicht wirklich steuern.

Hier in diesem geschützten Seminar- Raum jedoch, so hofft er, wird er tiefer in dieses Gefühl einsteigen können, auch tiefer als noch beim letzten Mal. Auf diese Weise bekommt er Zugang zu der Kraft und Energie, die ihm das Gefühl Wut zur Verfügung stellen kann. Und er kann dabei lernen, mit dieser Kraft angemessener umzugehen und seine Wut im Alltag besser zu handhaben.

„Es gibt keine schlechten Gefühle“, sagt Elyas Heyland, „auch Wut ist nur ein Gefühl, eine Energie – und in ihr ist eine Menge Lebenskraft gebunden. Wenn wir sie unterdrücken – was viele Menschen als Kind leider gelernt haben –, fehlt sie uns. Deshalb gilt es, sich diese Kraft in der Gefühlsarbeit wieder zurückzuerobern.“

In der Vorstellungsrunde zeigt sich die bunte Vielfalt unter den Teilnehmern, neben Michael ist da zum Beispiel Thomas, der junge Papa, dem oft gesagt wird, er sei so aufbrausend und schnell wütend, oder auch Eva, eine alleinstehende Bürokauffrau, die unzufrieden in ihrem Job ist, ihren damit zusammenhängenden Ärger aber total unterdrückt. Die Mischung der Teilnehmer ist bunt. Alle jedoch hat die Wut hierher gebracht. Wut, die sie fühlen, mit der sie nicht umzugehen wissen, oder auch Wut, die sie vermissen, die sie sich nicht trauen zuzulassen, deren Kraft sie aber gerne hier spüren und möglichst mit nach Hause nehmen möchten.

Atemberaubende Kraft

Nach einigen Vorübungen – die Energie im Raum ist spürbar verdichtet – ist dann der Punkt erreicht, an dem einzelne Teilnehmer „in ihre Wut gehen“. Das kann im Liegen, im Sitzen oder auch im Stehen erfolgen, die Übung im Stehen, das sogenannte Standing Rage Holding, ist besonders beeindruckend. Eva, die kleine zierliche Frau, die am Anfang des Tages so zurückhaltend, fast schüchtern wirkte, steht nun in der Mitte des Raumes, von zwei anderen Frauen rechts und links an der Schulter festgehalten. Als sie ihre aufgestaute Wut herausschreit, können die beiden sie kaum halten. Die Kraft, die Eva dabei entwickelt, ist atemberaubend. Die übrigen Teilnehmer feuern sie an, motivieren sie, sich mehr und mehr der Wut zu öffnen, sie zuzulassen, sie rauszulassen, in ihre komplett authentische Wut zu gehen.

Aus der zierlichen Bürokauffrau ist eine kleine, nein, eine große „Kriegerin“ geworden – eine Frau, die in ihrer Kraft ist. Kurze Zeit später ist es vorbei, Eva und die beiden anderen Frauen sind körperlich erschöpft. Eva wirkt völlig verändert. Es scheint, als wäre sie ein paar Zentimeter gewachsen und ein paar Jahre jünger, ihr Gesicht glatter, ihre Augen strahlender – und obwohl sie körperlich erschöpft ist, sieht man ihr an, dass sie überglücklich ist. Denn sie hat sie gerade selber total gefühlt, diese immense Kraft, die in ihrer Wut, die sie seit Jahrzehnten unterdrückt, steckt. Ihre Lebenskraft, die sie nun für sich nutzen kann, wenn sie ihre Wut spürt und zulässt.

Dann wird Eva gebeten, zu schätzen, wie viel Prozent der maximal möglichen Wut sie gerade gefühlt hat. Eva antwortet spontan: 70 Prozent. Doch die Gruppe ist sich schnell einig, dass diese Einschätzung falsch ist. Michael sagt, er spüre noch ein weit größeres Potenzial bei Eva und aktuell wären es gerade so um die 35 bis 40 Prozent gewesen. Die meisten Teilnehmer und auch Elyas Heyland schließen sich dieser Einschätzung an. „Diese eigene Fehleinschätzung ist völlig normal und weit verbreitet“, sagt Heyland, „wir sind es so sehr gewohnt, unsere Gefühle zu unterdrücken und zu verstecken, dass wir dann, wenn wir anfangen zu fühlen, sofort denken, dass wir jetzt aber mindestens bei 90 Prozent sind, während wir gerade mal 15 Prozent gefühlt haben.“

Das erklärte Ziel der gesamten Gefühlsarbeit ist es, Gefühle wieder zu 100 Prozent zu fühlen. Das ist für viele am Anfang unerreichbar. „Es geht nur Schritt für Schritt, da unser Nervensystem die neu erfahrenen Energien erst verarbeiten muss“, sagt Heyland. Und so sind sich dann auch am Ende alle einig, dass der heutige Tag nicht ihr letztes Wut-Seminar war …

 


Elyas-Stefan-HeylandElyas Stefan Heyland unterstützt als Gefühls-Coach Menschen darin, den Zugang zu ihren Gefühlen wieder zu eröffnen und diese Gefühle ins Bewusstsein zu integrieren. In dieser prozessorientierten Arbeit kann das Nervensystem lernen, dass der Ausdruck aller Gefühle in Ordnung ist. Heyland sagt:„Wenn du deine Gefühle wieder authentisch erleben kannst, bis du in der Freude, die hinter allem steht.“

Die „Rad der Gefühle“-Seminare unterteilen sich in die Module Basis I bis Basis III. Zusätzlich gibt es einzelne Themen-Events wie Wut-Tage, Paar-Tage oder Resonanzstellen.

Nächster Wut-Tag in Berlin: am So, 28. August.
Dazu der Info- u. Erlebnisabend am Fr, 26. August, 19 Uhr.

In Berlin startet der „Rad der Gefühle“-Workshop Basis I mit einem Erlebnisabend am Fr, 14. Oktober, und einem Seminar am 15.-16. Okt. 2016.

Info und Anmeldung bei Gutes Gelingen
unter Tel.: 030-36284492
oder info@gutes-gelingen.de
www.elyasheyland.de

 

Eine Antwort

  1. Tom
    Hilfreiches Video

    Ich habe da auch Probleme, wie so viele. Auch wenn im Moment noch wenige Menschen darüber sprechen oder sich damit auseinandersetzen. Doch es werden mehr.
    Ich habe ein sehr aufschlussreiches Video dazu gefunden. Zu den Ursachen, warum uns Gefühle fühlen so schwer fällt. Und wie wir damit konkret umgehen können:
    https://www.youtube.com/watch?v=4xmlZi-qgXU
    LG Tom

    Antworten

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*