Sich nicht richtig fühlen findet immer auf der persönlichen Ebene statt. Dort werden wir geleitet von Ängsten, Bedürfnissen, Sehnsüchten und Abneigungen. Hier können wir an der Person mit ihren mannigfaltigen Problemen arbeiten – und da durchaus auch Erfolge erzielen. Oder wir lassen die Person hinter uns durch das Erwachen. Und betreten eine Welt des absoluten Richtigseins, in der wir automatisch uns gemäße Dinge tun. Jenseits von Richtig und Falsch

Das innere Muster „Ich bin nicht in Ordnung und sollte anders sein“

Fast jeder kennt das Gefühl, nicht richtig zu sein, so, wie er ist. Das Gefühl, alles nur falsch machen zu können, weil man sich selbst als falsch empfindet. Und die Erfahrung, dass in Momenten, in denen man gerade einmal nicht an sich selbst herumnörgelt, die Außenwelt diesen Job übernimmt, um uns an unser nach wie vor lebendiges inneres Muster „Ich bin nicht in Ordnung und sollte anders sein“ zu erinnern, mit dem wir uns das Leben selbst zur Hölle machen. Die Zweifel am eigenen Selbstwert können sehr subtil sein und sich in den unterschiedlichsten Lebensbereichen äußern. Überall dort, wo ich den leisesten Zweifel an meinem Sosein habe, bekomme ich das von meiner Umwelt gespiegelt. Vielleicht entsteht Verwunderung darüber, dass sich mein Leben immer wieder genau so zeigt, dass sich bestimmte Situationen in ähnlicher Weise wiederholen und ich mich wieder frage: „Was mache ich falsch?“ Vielleicht höre ich mich Sätze sagen wie: „Mein Leben ist nicht leicht, aber das war schon immer so“ oder „Meine Beziehungen sind immer kompliziert“, „Mein Job ist nicht der richtige, schon wieder habe ich einen anstrengenden Chef“, „Eigentlich bin ich mein Leben lang immer enttäuscht worden“ usw. Frust hat sich angehäuft, das Gefühl von Ausweglosigkeit und vielleicht eine Art Fatalismus haben sich eingestellt. Depression droht. Ein scheinbar endloser Kreislauf.

Bedingungslose Selbstliebe

Das Gefühl, dass ich nicht richtig bin, wie ich bin, und der damit zusammenhängende Schmerz verlässt uns erst endgültig, wenn wir unsere wahre Natur erkennen und erwachen. In dem Moment der Erfahrung unserer wahren Natur ändert sich unser Bewusstseinszustand und unser Weltbild wird komplett transformiert. Wir verlassen die persönliche Ebene des Egos, auf der das Gefühl, nicht richtig zu sein, ausschließlich stattfindet. Ständige bedingungslose Selbstliebe ist dann unser neuer Zustand. Und dieses SELBST ist unendlich und schließt nichts aus.

Nun muss ich aber nicht zwangsläufig erst zu meiner wahren Natur erwachen, um das Gefühl zu erfahren, dass ich richtig bin. Ich muss also nicht auf das Erwachen warten, sondern kann schon jetzt erforschen, womit dieses wohlige Gefühl des Richtigseins eigentlich zusammenhängt. Und mit diesem Tun bereite ich mich ganz nebenbei auch auf das Erwachen vor. Denn das große Thema, um das es vor dem Erwachen geht und das mit dem Gefühl von Sich-Richtigfühlen ganz eng zusammenhängt, ist die bedingungslose Selbstliebe. Es ist diese LIEBE, die jeglichen Selbstzweifel und jeglichen inneren Kritiker verstummen lässt.

Neugeborenes im Mangelzustand

Woher kommt nun die Idee und das Gefühl, dass irgend etwas mit mir nicht stimmt und ich irgendwie anders sein müsste, als ich bin? Woher dieses Gefühl, dass ich so, wie ich bin, nicht annehmbar bin? Woher die Selbstzweifel und dieses ständige An-mir-selbst- Herummeckern? Denn das ursprüngliche menschliche Grundgefühl ist: Ich bin richtig, Ich bin o.k. Es ist einfach ein Wohlsein da, ein Richtig-Sein, ein Glücklichsein. Man kann dieses Wohlsein und diese Selbstliebe sehr schön bei Neugeborenen beobachten. Wenn die Neugeborenen einfach so sein dürfen, wie sie sind, strahlen sie diese vollständige Zufriedenheit und Glück aus. Solange das Kind bedingungslose Liebe erfährt, fällt es nicht aus dem Seinszustand der Selbstliebe heraus. Bekommt es jedoch nicht die Liebe und Aufmerksamkeit, die es braucht, ist es in seiner Existenz bedroht und für sein weiteres Leben geprägt. Emotionale Schäden, die dadurch in der menschlichen Psyche entstehen, reichen bis in das Erwachsenenalter hinein. Wenn das Kind im Mangel leben musste, prägt sich dies als Grund-Muster ein und der spätere Erwachsene lebt in den Strukturen des Mangels. Als Kind wird diese tiefe Not zwar verdrängt, aber immer bleibt das Gefühl zurück: Mir fehlt etwas. Ich bin nicht richtig. Ich bin anders als die anderen. Ich gehöre nicht dazu – usw. Und mit diesem Gefühl leben wir dann unser Leben lang.

Solche Prägungen und Minderwertigkeitsgefühle werden oftmals gar nicht bewusst wahrgenommen und erscheinen im äußeren Leben dann als Situationen, die sich beispielsweise immer in ein und derselben Art wiederholen. Wir beginnen uns zu wundern, weshalb das denn eigentlich so ist. Wir fühlen uns einsam und nicht dazugehörig, oft traurig und gefrustet. Das Wunderbare: Wenn wir der Trauer und dem Frust den Raum zugestehen, dessen sie bedürfen, kann Heilung geschehen. Geben wir diesen Gefühlen dagegen über einen langen Zeitraum keine Aufmerksamkeit, manifestieren sie sich irgendwann als psychosomatische Krankheiten.

Keine Angst vor dem Ego

Wie kommen wir nun dahin, mit uns in Liebe und Einverständnis zu sein und auch danach zu handeln? Um innerhalb der Welt in dieses Einverständnis zu kommen, ist es notwendig, etwas zu entwickeln, was in spirituellen Kreisen aus Angst vor falscher Identifizierung stark in Verruf geraten ist: Ich-Stärke. Denn diese ist wichtig, um seine eigenen Gefühle tief wahrnehmen zu können und stets in Kontakt mit den eigenen Herzensqualitäten zu sein.

Ich-Stärke entsteht, wenn ich voll und ganz meine Persönlichkeitsentwicklung vollziehe und in der Tiefe meiner Psyche heil und ganz werde. Dies ist ein Individuations-Prozess*, der in Gang gebracht wird, indem ich mir selbst unbedingte Aufmerksamkeit schenke, mir selbst zuhöre und mich frage, was ich denn eigentlich tief in mir drinnen will. Ich beginne auf meine innere Stimme zu hören, mein Herz zu befragen und zu lauschen, was denn mein ganz individueller Ausdruck ist. Ich beginne, den Weg der Freude zu gehen. Ich lausche und frage mich: Wie geht es mir? Was macht mir wirklich Freude? Was ist mein eigentlicher Beitrag in der Welt? Wie will ich leben? Gefällt mir mein Leben? Bin ich wirklich froh? Gibt es Bereiche, die ich mir eigentlich anders wünsche? Was wünsche ich mir? Und wie sollte es sein? Vielleicht stelle ich mit Erschrecken fest, dass es scheinbar keine Instanz in mir gibt, die darauf antworten könnte, weil ich mich selbst aufgrund meiner Erziehung noch nie wirklich danach gefragt habe. Denn mein Leben in der Kindheit war eher darauf ausgelegt, dem Wunsch und den Mustern meiner Eltern zu entsprechen und nicht den Wünschen, Talenten und Gaben, die mir als rein individueller Ausdruck mitgegeben sind.

* Der Individuations-Prozess ist ein Weg der schrittweisen Bewusstwerdung, auf dem wir das werden, was wir als Persönlichkeit „wirklich“ sind – mit all unseren Fähigkeiten, Anlagen und Möglichkeiten.

Jenseits von Richtig und Falsch: Eigene Bedürfnisse wichtig nehmen

Das Erste, womit wir dann beginnen können, ist, dass wir lernen, uns selbst ernst zu nehmen in dem Sinne, dass wir unsere Bedürfnisse achten und sie nicht einfach unter den Tisch kehren. Wir können uns hierfür zum Beispiel in sämtlichen Lebenssituationen immer wieder fragen: „Wie ist das jetzt für mich?“, wenn mein Partner beispielsweise andauernd etwas an mir auszusetzen hat oder im Beruf ständig etwas schief geht. Mit diesem „Mantra“ üben wir, es nicht den Anderen Recht zu machen, damit wir uns angenommen und bestätigt fühlen, sondern wir schauen zuerst auf uns. Wir bestätigen uns selbst und üben, in jeder Situation unsere Bedürfnisse und Gefühle zu beachten. Wir geben den Gefühlen und allem, was in uns auftaucht, Aufmerksamkeit, ohne zu urteilen, und nehmen uns damit an. Dies führt zu einer klaren Wahrnehmung von uns selbst, und indem wir dieser Wahrnehmung konsequent vertrauen und dementsprechend handeln, übernehmen wir mehr und mehr Verantwortung für unser Leben.

Mit diesem Üben kommen wir in die Ich-Stärke, wir integrieren unser Ego, unser Selbstbild, das ein Konstrukt aus unseren Prägungen und Mustern ist und das wir dann beim Erwachen transzendieren. Und je mehr verdrängte Gefühle und Themen wir vollständig in unser Bewusstsein geholt haben, desto erfüllter wird unser Leben sein und desto vollständiger unser Erwachen. Wir können dem Leben vertrauen und wissen, dass es immer Gutes für uns will. Und falls wir einmal mit unserem Schicksal hadern, können wir uns fragen: „Kann ich wirklich wissen, ob es nicht für irgendetwas gut ist?“ Dies hilft uns, unsere Bewertungen und Vorannahmen einmal beiseite zu stellen und uns für das zu öffnen, was das Leben uns schenken will.

Ich bin o.k. und der Sprung in die Unendlichkeit

Der Sprung in die Unendlichkeit, das Erwachen, ist ganz leicht auf der Basis einer gesunden Ich-Stärke. Das Erwachen geschieht dann ganz natürlich im Flow des erfüllten Lebens. Und dieses Erwachen führt uns ganz natürlich zu der Erfahrung, dass alles vollkommen richtig ist: Ich bin o.k. – du bist auch o.k. Es führt zur vollständigen Annahme dessen, was ist, und lässt uns keine Möglichkeit mehr zur Verdrängung. Denn Verdrängung ist immer an die persönliche Ebene gebunden, und diese wird beim Erwachen überschritten.

Der erwachte Mensch hat eine andere Art von Ich-Autonomie, eine emotionale Stabilität, eine durchaus robuste Gesundheit. Das Erwachen, die Realisierung des wahren Selbst, die Selbst-Verwirklichung in Gott, bringt dem Leben eine große Freiheit und Unabhängigkeit. Das Leben unterliegt weiterhin den Gesetzen, die das Universum und die Evolution für es vorgesehen und entwickelt hat. Es kommt nur etwas dazu, es wird einem nichts genommen.

Der erwachte Mensch fühlt sich vollständig versorgt und unterstützt durch die ihn umgebenden Menschen, die Natur und den ganzen Kosmos. Jegliche Form in der Welt zeigt ihm die Liebe – die Liebe Gottes, die ihm durch alle Formen hindurch zuscheint und zufließt.

Es bedarf da keiner konkreten Äußerungen anderer Menschen. Der Erwachte fühlt sich auch so geliebt, einfach dadurch, dass er lebt und andere Menschen leben sieht. Jede Wahrnehmung wird dem Erwachten zu einem Fließen dieser Liebe. Die ganze Schöpfung ist der Ausdruck der Liebe Gottes. Jeder Moment ist Erfüllung. Und dadurch, dass der Erwachte diesem Ganzen hingegeben ist, lebt er in ständiger Erfüllung. Da fehlt ihm nichts mehr. Jeder Wunsch ist immer schon erfüllt. Da ist nichts mehr hinzuzufügen. Wünsche haben nur noch die Funktion des In-Bewegung-Bringens, des In-die-Tat-Kommens, der Weiterentwicklung, des Ausdrückens dieser vollkommenen Freude. So wie die Schöpfung Ausdruck der Liebe Gottes ist, so ist das ganze Tun des Erwachten der Ausdruck dieser Realisation des Höchsten.

Eine Antwort

  1. Svenja Schlünzen

    Wie verhält sich das wenn man sich selbst sagt, dass man nicht richtig ist? ( mache ich laut Therapeutin)

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