„Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt“, sagt der 87-jährige israelische Maler Jehuda Bacon. Christa Spannbauer sprach mit dem Shoah-Überlebenden für den Film Mut zum Leben – Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz.

Mit 13 Jahren gerät der im tschechischen Ostrava geborene Jehuda in die Deportationsmaschinerie der Nationalsozialisten. 1942 wird er mit seiner Familie nach Theresienstadt deportiert, ein Jahr später nach Auschwitz-Birkenau. Seine Eltern und seine Schwester überleben das Vernichtungslager nicht. Er selbst wird gemeinsam mit 88 anderen Knaben aus bis heute unerklärlichen Gründen vom KZ-Arzt Josef Mengele vor den Gaskammern ausselektiert. Die „Birkenau-Boys“, wie sie später genannt wurden, verrichten fortan schwere Arbeiten im Lager. „Unser Arbeitskommando hieß ‚Rollwagen‘. Zwanzig Kinder mussten zusammen einen Wagen schleppen, wie sonst die Pferde.

Wir transportierten verschiedenste Sachen von einem Lagerabschnitt in einen anderen.“ Doch nicht nur das: „Eine von den Arbeiten, die wir tun mussten, war, die Asche zu streuen auf die vereisten Wege. Und ich sah fast tagtäglich tausende Menschen verschwinden im Nu, das heißt im Gas, und nach einer halben Stunde ist da nur noch Asche.“ Durch seine Arbeit im Rollwagenkommando erhielt der 14-Jährige Zugang in alle Bereiche des Vernichtungslagers. Er beobachtete genau, was geschah, und fertigte heimlich und unter Lebensgefahr Skizzen vom Leben und Sterben in Auschwitz an. Diese zusammen mit seinem ausgezeichneten Gedächtnis sollten Jehuda Bacon später zu einem wichtigen Zeugen im Eichmann-Prozess und in den Auschwitz-Prozessen machen.

Ein menschliches Herz bewahren

Wie aber war es ihm möglich gewesen, sich die Menschlichkeit in der Hölle von Auschwitz zu bewahren? „Man musste versuchen, noch eine menschliche Verbindung zu haben, ein menschliches Herz zu bewahren, um diese Zeit auch als Mensch zu überstehen. Wie zeigte sich die Menschlichkeit bei uns Kindern? Ein Beispiel fällt mir ein: In einem Transport kamen Kinder aus dem Getto Litzmannstadt. Sie waren in einem fürchterlichen Zustand. Wir waren schon ein Jahr in Auschwitz. Plötzlich, ohne dass uns jemand etwas sagte, sammelten wir unter uns Suppe für diese Kinder. Wir reichten ihnen eine Schüssel hinüber, durch die Hochspannungsdrähte, die unsere Lagerabschnitte trennten. Das war lebensgefährlich. Eine kleine Berührung mit dem Blechnapf, und es wäre vorbei gewesen. Woher kam dieser Impuls, dieses Mitleid mit den anderen? – Ich hatte als Schüler einmal vom Mythos des göttlichen Funkens in uns allen gehört.

Wir hatten einen Lehrer, der aus Prag stammte. Wir Schüler liebten ihn sehr. Als er auf einen der Transporte kam, sagte er zum Abschied zu uns: `Vergesst nicht, in allen Menschen ist so ein Funke.‘ Auf mich machte das einen großen Eindruck. Ich konnte nicht wirklich verstehen, was er damit meinte. Aber ich ahnte, dass es etwas mit dem zu tun hat, was in unmenschlichen Zeiten an Menschlichem in uns bleibt.“

Erfahrenes Leid künstlerisch transformieren

Nach seiner Befreiung wandert er nach Palästina aus und verwirklicht seinen Lebenstraum: Er wird Maler und Professor an der Bezalel-Kunstakademie in Jerusalem. Erfahrenes Leid nicht zu verdrängen, sondern es künstlerisch und menschlich zu verarbeiten und zu transformieren, darin sieht er bis heute seinen Auftrag als Mensch und Künstler: „Ich wollte meine Erlebnisse ganz bewusst nicht vergessen. Die Erfahrungen in den Konzentrationslagern sind Teil meines Lebens, und mein Ziel war es, auch diese Erfahrungen in etwas Positives umzuwandeln. Ich versuchte, daran zu reifen, menschlich und auch in meinem künstlerischen Schaffen.

Es ging mir darum, dem ganzen Leben – in meinem Fall war das auch Auschwitz – einen Sinn zu geben. Wenn man dem Tod so nahe war, so viel Schreckliches erlebt hat, fragt man sich unwillkürlich: ‚Hat dieses Leben einen Sinn?‘ Einem Künstler kann das Leiden am Leben helfen, eine tiefere Erkenntnis zu gewinnen. Aber Gott behüte, ich will auf keinen Fall sagen, dass man unbedingt leiden muss, um das zu erfahren. Goethe war ein herrlicher Dichter mit tiefer Erkenntnis, ohne einen Tag Hunger zu leiden. Es gibt sicher viele angenehmere Wege als meinen. Für mich war es die Präsenz von ‚übermenschlichem‘ Tod, die ich in Auschwitz erlebt habe. Sie hat mein Leben so erschüttert, dass ich eine andere Sichtweise gewann. ‚Was kann man von Auschwitz lernen?‘ Für manche mag diese Frage verrückt klingen. Doch ich wollte mir die Antwort darauf erkämpfen und erobern und bis in die Wurzeln ergründen.“

Dialogpartner mit Deutschen

Als einer der ersten Überlebenden der Shoah suchte er das Gespräch mit Deutschen und stellte sich bereits in den 1950er Jahren als Dialogpartner der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ zur Verfügung. „Zu mir kamen viele jüngere Menschen, um mich zu fragen, ob ich ihnen verzeihen könne. Selbstverständlich dachte ich dabei auch immer an all die Menschen, die umgekommen sind, besonders an meine Eltern und meine Schwester. Was würden sie dazu sagen? Doch letztlich konnte nur ich selbst eine Antwort geben. Ich sagte mir, dass ich damit vielleicht etwas beitragen kann für ein besseres Verständnis der Menschen untereinander.“

Jehuda Bacon ist ein Gottesgläubiger, einer, der nach Auschwitz die großen Fragen von Leben und Tod mit der Weisheit eines Mystikers durchdrungen hat: „Entscheidend ist das Bewusstsein dafür, dass wir alle miteinander verbunden sind. Der andere ist ein Wunder, wie ich selbst, wie jeder Mensch. Für mich ist darin das Geheimnis der Liebe verborgen. Mir hat das geholfen, das Problem des Hassens zu überwinden. Wenn ich hasse, dann hat Hitler gewonnen, dann hat er mich auch infiziert und verdorben.“

In seinen weltweit ausgestellten Gemälden bringt er diese auf Versöhnung ausgerichtete Haltung nach außen, die auf einer Verwandlung des Leides im Inneren gründet. Neben dem zentralen Motiv der Nächstenliebe ist in seinem Werk die Überzeugung der jüdischen Mystik am Wirken, dass allem – und selbst den leidvollsten Momenten des Mensch-Seins – ein göttlicher Funke innewohnt. Diesen Funken zu hüten und an andere Menschen weiterzugeben, ist erklärtes Anliegen des Shoah-Überlebenden.

„Jehuda Bacon ist einer der ganz großen Lehrer der Menschlichkeit“. Das durfte die Autorin Christa Spannbauer erfahren, als sie ihn für den Film und das gleichnamige Buch „Mut zum Leben – Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz“ interviewte. Die Weisheit und Herzensgüte von Jehuda Bacon hinterließen in ihrem Leben tiefe Spuren. Seit Erscheinen des Films (der als DVD erhältlich ist) reist sie als Z(w)eitzeugin zu Filmgesprächen und Vorträgen durch Deutschland.

Kontakt zur Autorin und Infos zu Film-DVD und Buch: www.mut-zum-leben-filmprojekt.org

 

 

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